VG Göttingen
Az.: 3 A 3311/99
Urteil vom 14.1.2002
(nicht rechtskräftig)
Leitsätze:
1. Einen Heilverfahrensunfall im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG erleidet ein durch einen Dienstunfall verletzter Beamter nur dann, wenn er im Zeitpunkt des weiteren Unfalls eine Tätigkeit verrichtet, die mit der konkreten Durchführung des Heilverfahrens in rechtlich wesentlichem inneren Zusammenhang steht. Dieser innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln und hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.
2. Ein aus einer grundsätzlich dem privaten Bereich zuzurechnenden Verrichtung des täglichen Lebens (etwa Nahrungsaufnahme, Hygiene, Ruhe und Erholung) entstehender Unfall „bei“ der Heilbehandlung eines Beamten kann der Maßnahme im Einzelfall funktional so verbunden sein, dass er dienstunfallrechtlich im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG geschützt ist. Dafür reicht es grundsätzlich aus, dass der Verletzte subjektiv der Meinung ist und von seinem Standpunkt aus bei den objektiv gegebenen Verhältnissen auch sein kann, die Verrichtung sei geeignet, der Heilbehandlung zu dienen.
3. Eine 58jährige Beamtin, die nach dem – als Dienstunfall anerkannten – mehrfachen Bruch der linken Kniescheibe zur operativen Nachbehandlung in einem Krankenhaus aufgenommen wird, am Morgen vor der geplanten Operation in ihrem Krankenzimmer mit ärztlichem Einverständnis duscht, beim Aussteigen aus der Duschkabine stürzt und sich den linken Oberschenkelhals bricht, steht jedenfalls dann nach § 31 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG unter Dienstunfallschutz, wenn dieser Sturz zumindest auch auf eine gewisse knieverletzungsbedingte Gangunsicherheit zurückzuführen ist.
Zum Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Oberschenkelhalsfraktur als Dienstunfallfolge im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG. Die 1940 geborene Klägerin erlitt am 29.1.1999 auf dem Weg von ihrer Dienststelle einen Mehrfachbruch der linken Kniescheibe, der bestandskräftig unter Ausschluss der bereits bestehenden schweren Vorschäden des linken Kniegelenks als Dienstunfall anerkannt wurde. Am 15.6.1999 wurde die Klägerin zur operativen Entfernung der Drähte und des Metalls, die ihr nach dem erlittenen Dienstunfall vom 29.1.1999 eingesetzt worden waren, in der Klinik H. stationär aufgenommen. Am Morgen des 16.6.1999 – dem geplanten Operationstermin – stürzte sie nach dem Duschen (zu dem der behandelnde Arzt vorher sein Einverständnis erklärt hatte) beim Aussteigen aus der Duschkabine ihres Krankenzimmers, fiel auf die linke Hüfte und zog sich eine linksseitige Oberschenkelhalsfraktur zu. Ihren Antrag, den Unfall vom 16.6.1999 als Dienstunfall anzuerkennen, lehnte die Beklagte ab, weil die Klägerin nicht im Rahmen einer verordneten Anwendung, sondern bei der täglichen Körperpflege verunfallt sei. Der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen Verpflichtungsklage der Klägerin hat das VG antragsgemäß stattgegeben.
Aus den Gründen:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Feststellung, dass die am 16.6.1999 erlittene basocervicale Schenkelhalsfraktur links während der stationären Behandlung in der Klinik H. als Folge des anerkannten Dienstunfalls der Klägerin vom 29.1.1999 gilt; der dem entgegen stehende Bescheid der Beklagten vom 3.8.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.9.1999 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Rechtsgrundlage des klägerischen Anspruchs ist § 31 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG. Danach gilt ein (erneuter) Unfall, den der durch einen Dienstunfall Verletzte bei Durchführung des Heilverfahrens (§ 33 BeamtVG) erleidet, als Folge des Dienstunfalls (der das Heilverfahren bedingt hat). Diese gesetzliche Regelung entspricht derjenigen in der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. früher § 555 RVO a.F.; jetzt § 11 SGB VII). Um einen Heilverfahrensunfall im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG annehmen zu können, muss der verletzte Beamte im Unfallzeitpunkt eine Tätigkeit verrichten, die mit der konkreten Durchführung des Heilverfahrens (wozu nach § 33 BeamtVG unter anderem die stationäre Behandlung im Krankenhaus gehört) in rechtlich wesentlichem inneren Zusammenhang steht, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der dienstunfallrechtlich geschützten Tätigkeit zuzurechnen (vgl. Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2001, Rdn. 663; Brockhaus in: Schütz, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Stand: Oktober 2000, Rdn. 158 zu § 31 BeamtVG; ebenso BSG, Urteil vom 6.9.1989 – 9 RV 21/88 -, SozR 3200 § 81 Nr. 35 – zum Folgeunfall während der stationären Behandlung eines wehrdienstbeschädigten Soldaten; BSG, Urteil vom 24.3.1998 – B 2 U 4/97 R -, NJW 1998, 3294 – zum Folgeunfall eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 555 RVO a.F.). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln (vgl. BSG, Urteil vom 24.3.1998, aaO), indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu der der Schutz des Dienstunfallrechts reicht. Auch aus grundsätzlich dem privaten Bereich zuzurechnenden Verrichtungen des täglichen Lebens (etwa Nahrungsaufnahme, Hygiene, Ruhe und Erholung) entstehende Unfällen bei“ der Heilbehandlung eines Beamten können der Maßnahme funktional so verbunden sein, dass sie dienstunfailrechtlich im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG geschützt sind. Für den Dienstunfalischutz ist nicht entscheidend, ob die Verrichtung der Heilbehandlung objektiv dient oder dienen kann, sondern es genügt, dass der Verletzte subjektiv der Meinung ist und von seinem Standpunkt aus bei den objektiv gegebenen Verhältnissen auch sein kann, die Verrichtung sei geeignet, der Heilbehandlung zu dienen (vgl. BSG, Urteil vom 27.6.1978 – 2 RU 30/78 -, NJW 1978, 2358/2359; Bley/Kreikebohm/Marschner; Sozialrecht, B. Aufl. 2001, Rdn. 572 ff. -jeweils zur gesetzlichen Unfallversicherung); BSG, Urteil vom 6.9.1989, aaO, – zur Wehrdienstbeschädigung nach dem Soldatenversorgungsgesetz).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Beklagte antragsgemäß zu verpflichten festzustellen, dass der Unfall der Klägerin vom 16.6.1999 (basocervicale Schenkelhalsfraktur links) während der stationären Behandlung in der Klinik H. gemäß § 31 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG als Folge des anerkannten Dienstunfalls der Klägerin vom 29.1.1999 gilt. Einerseits war die stationäre Aufnahme der Klägerin am 15.6.1999 in der Klinik H. eindeutig auf den anerkannten Dienstunfall vom 29.1.1999 zurückzuführen, weil der Klägerin am 16.6.1999 Metallteile, die ihr nach der erlittenen Mehrfragmentfraktur der linken Kniescheibe eingesetzt worden waren, entfernt werden sollten. Andererseits bestand – entgegen der Ansicht der Beklagten – zwischen der stationären Behandlung im Sinne des § 33 BeamtVG und dem den erneuten Unfall am 16.6.1999 verursachenden Tätigkeit – dem Duschen am Morgen vor der geplanten Operation – ein rechtlich wesentlicher innerer Zusammenhang. Da die Klägerin am 15.6.1999 von ihrem behandelnden Chirurgen Dr. G. den Hinweis erhalten hatte, sie könne sich vor der Knieoperation duschen, konnte sie von ihrem Standpunkt aus bei den objektiv gegebenen Verhältnissen davon ausgehen, das Duschen sei geeignet, ihrer Knieoperation zu dienen. Es entspricht der üblichen Handhabung, dass Duschen und Waschungen vor Operationen, die zu den sogenannten speziellen Operationsvorbereitungen gehören, bei nicht bettlägerigen Personen – wie im Falle der Klägerin – von diesen selbständig durchgeführt werden und dass sich das Krankenpflegepersonal insoweit nur von der Durchführung überzeugt. Darauf hat bereits der bei der Beklagte tätige Leitende Medizinaldirektor Dr. W. anlässlich seiner (nach Zustellung des Widerspruchsbescheides abgegebenen) Stellungnahme vom 10.11.1999 zutreffend hingewiesen. Das hiernach der Operation dienliche vorherige Duschen stand ungeachtet dessen unter Dienstunfallschutz, dass weder der behandelnde Arzt noch sein Hilfspersonal das Duschen ausdrücklich angeordnet hatten (vgl. BSG, Urteil vom 27.6.1978 – 2 RU 30178 -, NJW 1978, 2358/2359 – zum gesetzlichen Unfallversicherungsschutz für einen Unfall bei einem der stationären Behandlung dienlichem Spaziergang). Schließlich muss die hier in Rede stehende basocervicale Schenkelhalsfraktur links, die sich die Klägerin am 16.6.1999 nach dem Sturz beim Aussteigen aus der Duschkabine ihres Krankenzimmers zugezogen hat, als nach § 31 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG dienstunfallrechtlich geschützt angesehen werden, weil bei diesem Folgeunfall (zumindest auch) besondere Gefahrenmomente wirksam geworden sind, die mit dem anerkannten Dienstunfall vom 29.1.1999 noch in einem „inneren“ Zusammenhang gestanden haben. Infolge der recht schweren Mehrfragmentfraktur der linken Kniescheibe, die sich die damals 58jährige Klägerin am 29.1.1999 zugezogen hatte, hat bei ihr zweifellos eine gewisse Gangunsicherheit“ bestanden, die die Möglichkeit des Ausrutschens beim Verlassen der Duschkabine erhöht hat (vgl. die bereits erwähnte Stellungnahme des Ltd. Medizinaldirektors Dr. W. vom 10. 11. 1999). Dies ist als eine mittelbare Folge des Dienstunfalls vom 29.1.1999 anzusehen, die sich am 16.6.1999 konkret ausgewirkt hat, weil im vorliegenden Fall keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich der Sturz ausschließlich oder in erster Linie durch reine Unachtsamkeit der Klägerin ereignet hat. Es kann dahinstehen, ob hier möglicherweise auch besondere Gefahren der konkreten Krankenhausumgebung (etwa eine fehlende behindertengerechte Ausstattung der Dusche mit Haltegriffen) mitursächlich geworden sind, denn auch für Derartige Gefahren müsste der Dienstherr im Rahmen des § 31 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG einstehen.