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Geschwindigkeitsüberschreitung – Absehen vom Fahrverbot

Oberlandesgericht Hamm

Az: 4 Ss OWi 891/06

Beschluss vom 24.01.2007


Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 23. Oktober 2006 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 24. 01. 2007 durch den Richter am Amtsgericht als Einzelrichter
auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Amtsgericht Paderborn zurückverwiesen.

Gründe:

I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen § 3 Abs. 3 StVO in Verbindung mit § 49 StVO und § 24 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 100 EUR verurteilt, ein Fahrverbot von einem Monat verhängt und von der Regelung des § 25 Abs. 2 a StVG Gebrauch gemacht. Dazu hat es folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

Am 27.07.2006 gegen 20.10 Uhr befuhr der Betroffene in Bad Lippspringe die D Straße Fahrtrichtung stadteinwärts mit dem Kraftrad mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXX. Hierbei überschritt er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Mittels Lasermessung mit dem ordnungsgemäß geeichten Lasermessgerät vom Typ LAVEG, Gerätenummer 3256 VL 101 der Firma Jenaoptik wurde beim Fahrzeug des Betroffenen eine Geschwindigkeit von 85 km/h bei einer Entfernung von 329 m vom Messpunkt festgestellt, was nach Abzug eines Toleranzwertes von 3 km/h eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 82 km/h ergibt.

Der Betroffene hat die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht in Abrede gestellt.

Zu den persönlichen Verhältnissen hat das Amtsgericht ausgeführt, dass es sich bei dem Betroffenen um einen ledigen, selbständigen Vermögensberater handelt, der Kunden in Dortmund, Kassel und Lippstadt betreut und ein monatliches Überbrückungsgeld von 650 EUR und weitere Einkünfte in Höhe von 500 bis 1.000 EUR netto monatlich bezieht. Straßenverkehrsrechtliche Vorbelastungen bestehen gegen den Betroffenen nicht.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen das Regelfahrverbot und die Regelgeldbuße festgesetzt. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene insbesondere gegen die Festsetzung des Fahrverbots.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG statthafte, rechtzeitig eingelegte sowie form- und fristgerecht begründete Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat zumindest vorläufig teilweise Erfolg.

1. Soweit der Betroffene die formelle Rüge erhoben hat, ist diese allerdings unzulässig, das sie nicht ausreichend im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO begründet worden ist.

2. Die Sachrüge hat hingegen Erfolg.

a) Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß den §§ 3 Abs. 3, 49 StVO, 24 StVG.

Die Feststellungen des Amtsgerichts zum Maß der Geschwindigkeitsüberschreitung genügen den insoweit zu stellenden obergerichtlichen Anforderungen bei standardisierten Messverfahren (ständige Rechtsprechung aller Oberlandesgerichte, vgl. schon BayObLG, VRS 74 (1988), 384; bei: Bär, DAR 1987, 314; bei: Rüth, DAR 1986, 238; DAR 1966, 104; OLG Düsseldorf, VRS 81 (1991), 208; 82 (1992), 50; 82 (1992), 382; VM 1992, 36; OLG Frankfurt, NZV 1993, 202; OLG Köln, VRS 67 (1984), 462; 81 (1991), 128; OLG Schleswig, bei: Ernesti Lorenzen, SchlHA 1980, 175; OLG Stuttgart, VRS 66 (1984), 57; 81 (1991), 129 f.; DAR 1993, 72; vgl. grund-legend zu standardisierten Messverfahren: BGH, NJW 1993, 3081 = BGHSt 39, 291 = NZV 1993, 485 = NStZ 1993, 592 = MDR 1993, 1107). Danach sind mitzuteilen die zulässige Höchstgeschwindigkeit, die verwendete Meßmethode, die gemessene Geschwindigkeit und der mögliche Fehlerquellen ausreichend berücksichtigende Toleranzabzug. Zu weiteren Ausführungen ist ein Gericht nur dann genötigt, wenn aufgrund des festgestellten Sachverhalts oder der konkreten Einlassung des Betroffenen Veranlassung dafür besteht. Das ist vorliegend nicht der Fall.

Auch die Überzeugung der Täterschaft des Betroffenen hat das Amtsgericht rechts-fehlerfrei aus dem Beweisergebnis hergeleitet. Der Betroffene hat zudem auch weder die Geschwindigkeitsüberschreitung an sich noch deren Höhe bestritten (OLG Hamm, NZV 1999, 391).

Die Rechtsbeschwerde hinsichtlich des Schuldspruchs ist daher zu verwerfen.

b) Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs lässt jedoch einen Rechtsfehler erkennen, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit und zur Zurückverweisung führt. Die vom Amtsgericht dazu bislang getroffenen Feststellungen sind nämlich lückenhaft und rechtfertigen (noch) nicht die Anordnung des verhängten Fahrverbots.

Das Amtsgericht hat die Verhängung des Fahrverbotes gegen den Betroffenen, der formell als selbständiger Vermögensberater tätig ist, jedoch eher als angestellter Außendienstmitarbeiter anzusehen ist, bislang wie folgt begründet:

Umstände, die ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, sind nicht gegeben. Es liegen weder besondere Tatumstände noch eine außergewöhnliche Härte vor, die dem Betroffenen bei der Verhängung eines Fahrverbotes treffen würden. Eine solche außergewöhnliche Härte liegt nicht bereits dann vor, wenn mit der Sanktion eines Fahrverbotes berufliche und/oder wirtschaftliche Nachteile für den jeweils Betroffenen verbunden sind. Solche Nachteile sind häufig die zwangsläufige Folge eines Fahrverbotes und deshalb zur Begründung einer Ausnahme grundsätzlich nicht aus-reichend. Infolge eines Fahrverbotes muss vielmehr die konkrete Gefahr eines Arbeitsplatz- oder Existenzverlustes drohen, der durch zumutbare Vorkehrungen nicht abgewendet werden kann. Tatsachen, die zu einem Existenz- oder Berufsverlust bei dem Betroffen führen könnten, sind jedoch von ihm zur Überzeugung des Gerichts weder dargelegt noch aus den Umständen ersichtlich.

Nach eigenen Angaben verfügte er über ein monatliches Nettoeinkommen von mindestens 1.150,– Euro. Dem Betroffenen ist es angesichts dieser Vermögensverhältnisse zuzumuten das Fahrverbot jedenfalls teilweise während eines Urlaubs zu verbüßen und im übrigen für die Dauer eines Fahrverbotes einen Fahrer bzw. zumindest einen Aushilfsfahrer einzustellen. Es ist gerichtsbekannt, dass von den Arbeitsämtern regelmäßig Aushilfsfahrer vermittelt werden. Darüber hinaus besteht für die Betroffenen die Möglichkeit für die Dauer eines Fahrverbotes einen gewerblichen Fahrer einzustellen. Dass die Bezahlung eines solchen nicht möglich ist bzw. die Beschäftigung eines Aushilfsfahrers ausgeschlossen wäre, ist von dem Betroffenen weder vorgetragen noch ist dies angesichts seiner Tätigkeit und seines Gehaltes vorstellbar. Die hiermit verbundenen Unannehmlichkeiten sind dem Betroffenen durchaus zuzumuten. Auch besteht für den Betroffenen die Möglichkeit sich öffentlicher Verkehrsmittel zu bedienen. Die von ihm angeführten Städte, in denen er Kunden aufsucht, wie beispielsweise Dortmund, Kassel und Lippstadt sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Soweit der Betroffene im Termin eine Bescheinigung der Deutschen Vermögensberatung vorgelegt hat, ist darauf hinzuweisen, dass er nach eigenen Angaben selbständig ist. Er mag daher einen Kundenstamm aufbauen, der losgelöst von dem der Deutschen Vermögensberatung ist.

Diese Feststellungen sind lückenhaft (§ 267 StPO). Sie ermöglichen es dem Senat nicht zu überprüfen, ob die vom Amtsgericht getroffene Fahrverbotsentscheidung zutreffend ist oder nicht. Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und dem gemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH, NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (OLG Hamm, JMBl 1996, 246; zuletzt in VA 2004, 173). Zwar ist die Entscheidung des Tatrichters vom Rechtsbeschwerdegericht im Zweifel „bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (OLG Hamm, DAR 1996, 68; VRS 92, 40, jeweils m.w.N.). Der Tatrichter muss jedoch nach ebenfalls übereinstimmender Rechtsprechung der Obergerichte und, wie auch der Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl. OLG Hamm, VRS 95, 138), – für seine Entscheidung eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung geben.

Dem wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Das Amtsgericht teilt lediglich mit, dass eine drohende Gefährdung der beruflichen Existenz nicht festgestellt werden konnte. Es ist zwar in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen hat. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur erhebliche Härten, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (OLG Hamm, VRS 90, 210; DAR 1996, 325; NZV 1995, 366). Dass die Verhängung eines Fahrverbotes vorliegend nicht mit derartig schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen verbunden ist, lässt sich den amtsgerichtlichen Feststellungen gerade nicht entnehmen. Es wird lediglich eine drohende Gefährdung der beruflichen Existenz verneint, ohne näher darzulegen, worin diese Gefährdung ggf. besteht bzw. bestehen könnte. Dass die Zumutbarkeit der Anstellung eines gewerblichen Kraftfahrers während der Fahrverbotszeit für den Betroffenen dürfte eher unverhältnismäßig sein, wenn sein monatliches Nettoeinkommen nur etwa 1.150 EUR beträgt.

Soweit das Amtsgericht die Gefährdung der beruflichen Existenz offenbar auch mit dem Hinweis auf § 25 Abs. 2 a StVG verneinen will, sind auch insoweit nicht ausreichende Feststellungen getroffen worden. Zwar hat der Senat in der Vergangenheit bereits darauf hingewiesen, dass ein Absehen vom Fahrverbot dann nicht in Betracht kommt, wenn der Betroffene einen ggf. drohenden Arbeitsplatzverlust mit zumutbaren Mitteln abwenden kann. Das ist z.B. dann bejaht worden, wenn er die Möglichkeit hat, während der Vollstreckung des Fahrverbots Urlaub zu nehmen (vgl. OLG Hamm NZV 1996, 118, 119), wobei die Vorschrift des § 25 a StVG von erheblicher Bedeutung ist. Allerdings kann der Betroffene, worauf der Senat bereits ebenfalls hingewiesen hat, nur dann auf die Möglichkeit des Urlaubs verwiesen werden kann, wenn feststeht, dass er tatsächlich noch über einen ausreichend langen Jahresurlaub verfügt, den er innerhalb der Frist des § 25 a Abs. 2 StVG auch an einem Stück abwickeln kann (OLG Hamm NStZ-RR 1999, 313). Das lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Es spricht nur pauschal von einem Teil des Jahresurlaubs, der in Anspruch genommen werden kann.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes zusätzlich hin, dass von einem Fahrverbot dann abgesehen werden kann, wenn feststeht, dass die mit dem Fahrverbot gewünschte Erziehungswirkung auch mit einer empfindlicheren Geldbuße erreicht werden kann und ein Fahrverbot nicht erforderlich ist, um ich zu verkehrsgerechtem Verhalten anzuhalten. Zwar wird von den Oberlandesgerichten angesichts der erheblich gewachsenen Verkehrsdichte und des Umstandes, dass es sich bei den Katalogtaten um besonders schwere Verstöße handelt, die Erforderlichkeit des Fahrverbots in der Regel zwar meist nicht verneint. Zumindest der normale Durchschnittsverdiener mit entsprechenden Unterhaltspflichten dürfte durch die Ausschöpfung der Höchstsätze für Bußgelder §§ 17 Abs. 1 und 2 OWiG (1.000 EUR bei Vorsatz, 500 EUR bei Fahrlässigkeit) mehr als in der Vergangenheit auch ohne Fahrverbot von der erneuten Begehung vergleichbarer Verstöße abzuhalten sein (OLG Hamm, VRS 108, 444, 447; NZV 2001, 436; so auch Deutscher NZV 1999, 113).

IV.
Nach allem sind damit weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen, so dass das angefochtene Urteil wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße im Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen ist, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.

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