Kammergericht Berlin
Az: 2 Ss 193/06 – 3 Ws (B) 429/06
Beschluss vom 22.08.2007
In der Bußgeldsache wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts in Berlin am 22. August 2007 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 3. April 2006 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.
G r ü n d e :
Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 3 Abs. 3 (zu ergänzen: Satz 1 Nr. 1), 49 (genauer: Abs. 1 Nr. 3) StVO einen Bußgeldbescheid über 50,00 Euro erlassen und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Dem Betroffenen wurde vorgeworfen, mit seinem PKW in den späten Abendstunden des 1. November 2005 die Landsberger Chaussee stadtauswärts mit einer Geschwindigkeit von 73 km/h befahren und damit die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um 23 km/h überschritten zu haben. Auf den wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Einspruch des Betroffenen hat ihn das Amtsgericht nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 100,00 Euro verurteilt. Von der Verhängung des im Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbots hat das Amtsgericht abgesehen. Mit ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt die Amtsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Sie beanstandet, dass das Amtsgericht kein Fahrverbot angeordnet hat.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde hat (vorläufigen) Erfolg. Die Begründung, mit der das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbots gegen den Betroffenen abgesehen hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Das Amtsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass dem Betroffenen kein grober Verstoß im Sinne von § 25 Abs. 1 StVG vorgeworfen werden kann. Rechtlichen Bedenken unterliegt jedoch die Begründung, mit der das Amtsgericht eine beharrliche Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers durch den Betroffenen abgelehnt hat.
Beharrlich begangen sind Pflichtverletzungen, die ihrer Art oder den Umständen nach nicht bereits zu den objektiv oder subjektiv groben Zuwiderhandlungen zählen, durch deren wiederholte Begehung der Täter aber zeigt, dass ihm die für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderliche rechtstreue Gesinnung und notwendige Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlen (vgl. König in Hentschel, Straßenverkehrsrecht 39. Auflage, § 25 StVG Rdnr. 15 m.N.).
Zwar zieht nicht jede beharrliche Geschwindigkeitsüberschreitung ohne weiteres die Verhängung eines Fahrverbots nach sich. Bei der Anordnung eines Fahrverbotes ist den Gerichten ein Rechtsfolgeermessen eingeräumt. Sind – wie hier – die Voraussetzungen für ein Regelfahrverbot nach der BKatV nicht gegeben, bedarf es näherer Feststellungen, ob die Anordnung eines Fahrverbotes dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Nur wenn die Beharrlichkeit der Pflichtverletzung von ähnlich starkem Gewicht wie im Regelfall des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV ist, kommt daher die Anordnung eines Fahrverbotes in Betracht. Denn nur dann wird es geboten sein, mit dieser Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme auf den Betroffenen einzuwirken (vgl. BayObLG VRs 106, 394 ff. m.w.N.). Nach dieser Vorschrift ist in der Regel ein Fahrverbot zu verhängen, wenn gegen den Betroffene wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h innerhalb des letzten Jahres eine Geldbuße rechtkräftig festgesetzt worden ist und er innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begeht. Bei Verstößen von ähnlich starkem Gewicht kann von der Verhängung eines Fahrverbotes nur unter den Voraussetzungen abgesehen werden, die auch bei Vorliegen des in der BKatV normierten Regelfalles ein Absehen rechtfertigen würden (vgl. BayObLG a.a.O.).
Diesen Grundsätzen trägt das angefochtene Urteil nicht hinreichend Rechnung. Ausweislich der Feststellungen des Amtsgerichts ist der Betroffene verkehrsrechtlich nicht unerheblich in Erscheinung getreten. Der Verkehrszentralregisterauszug enthält vier Eintragungen wegen zwischen dem 14. März 2003 und dem 19. November 2004 begangener Geschwindigkeitsüberschreitungen von 23, 34, 23 und 36 km/h. Die der letztgenannten Entscheidung zugrunde liegende Tat wurde am 19. November 2004 begangen; die Entscheidung ist seit dem 1. Februar 2005 rechtskräftig. Am 1. November 2005 beging der Betroffene die ihm im vorliegenden Verfahren zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung von 23 km/h.
Angesichts dieser Umstände bedarf die Prüfung der Frage, ob ein beharrlicher Verstoß vorliegt, eingehender Erörterung, weil die Grenze des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKat V nur geringfügig um drei km/h unterschritten ist, und der Betroffene in dem Zeitraum davor weitere rechtskräftig festgestellte erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen begangen hat. Diesen Ansprüchen genügen die Urteilsgründe nicht. Sie lassen vielmehr besorgen, dass der Tatrichter allein auf die Nichterfüllung des Regelbeispiels des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV abgestellt und deswegen das Vorliegen eines beharrlichen Verstoßes abgelehnt hat. Denn die Begründung für ein Absehen von dem Fahrverbot beschränkt sich auf die Aufzählung der Voreintragungen und der Mitteilung, dass zwischen dem letzten Verstoß, der mit 23 km/h unterhalb der Schwelle des § 4 Abs. 2 Satz2 BKatV gelegen habe, und dem vorliegenden ein Zeitraum von etwa einem Jahr lag. Daraus wird in dem angefochtenen Urteil ohne weitere Begründung der Schluss gezogen, dass sich der Verstoß als nicht derart „grob und beharrlich“ erweise, dass nur noch ein Fahrverbot den Betroffenen zur Einsicht bringen könne.
Der Senat hebt daher die angefochtene Entscheidung auf. Eine eigene Sachentscheidung ist ihm verwehrt, weil in der neuen Verhandlung gegebenenfalls weitere Feststellungen zu den Tatumständen der Vortaten, die bei der Frage mangelnder Rechtstreue zu berücksichtigen sind (vgl. Senat, Beschluss vom 22. April 1998 – 3 Ws (B) 162/98 -; König a.a.O.), und zu der Frage, ob schon ein einmonatiges Fahrverbot für den Betroffenen eine unverhältnismäßige Härte darstellt, getroffen werden können.