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Geschäftsführerhaftung – vorläufige Eigenverwaltung

Nichtabführung von Steuerverbindlichkeiten

AG Hamburg – Az.: 67g IN 137/20 – Beschluss vom 25.08.2020

1. Der Insolvenzschuldnerin wird gestattet, Aufwendungsersatzansprüche ihrer Geschäftsführer analog § 110 HGB im Zusammenhang mit der insolvenzbedingten Nichtabführung von Steuerverbindlichkeiten aus dem letzten Monat vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Range einer Insolvenzforderung fällig werden, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Range einer sonstigen Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 2 InsO zu erfüllen.

2. Ferner wird der Insolvenzschuldnerin gestattet, ein Treuhandkonto einzurichten und die zur Zahlung der unter 1. genannten Steuerverbindlichkeiten erforderlichen Beträge auf dieses Konto einzuzahlen.

Gründe

I. Die Schuldnerin, ein Unternehmen aus der Textilbranche, befindet sich seit dem 09.06.2020 im sog. Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO). Das Unternehmen wird u.a. mit der Unterstützung von zwei auf das Insolvenzrecht spezialisierten Rechtsanwälten der Kanzlei Görg fortgeführt, die „ins Organ gegangen“ sind. Der vorläufige Sachwalter hat Stellung genommen und keine Bedenken gegen eine antragsgemäße Entscheidung geäußert; außerdem hat er signalisiert, dass er als Treuhänder zur Verfügung stehe.

Die Schuldnerin beantragt,

1. ihr zu gestatten, Aufwendungsersatzansprüche ihrer Geschäftsführer analog § 110 HGB im Zusammenhang mit der insolvenzbedingten Nichtabführung von Steuerverbindlichkeiten aus dem letzten Monat vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Range einer Insolvenzforderung fällig werden, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Range einer sonstigen Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 2 InsO zu erfüllen.

Ferner beantragt sie,

2. ihr zu gestatten, den zur Tilgung dieser Masseeventualverbindlichkeit erforderlichen Betrag aus der Insolvenzmasse treuhänderisch auszusondern.

Für die ersten zwei Monate des Eröffnungsverfahrens ist angabegemäß in Abstimmung mit dem vorläufigen Sachwalter so verfahren worden, dass die entsprechenden Abgabeforderungen von der vorläufigen Eigenverwaltung erfüllt wurden, nachdem die jeweiligen Empfänger im insolvenzrechtlichen Sinne bösgläubig gemacht worden waren. Dies soll es dem mit Eröffnung zu bestellenden Sach- bzw. Insolvenzverwalter ermöglichen, die geleisteten Beträge nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anzufechten, §§ 280, 129 ff InsO.

II. Das Gericht hat die beantragte Einzelermächtigung erteilt; ebenso hat das Gericht die Einrichtung eines Treuhandkontos gestattet.

Die insolvenzrechtliche Aufwertung etwaiger Aufwendungsersatzansprüche der Organe infolge einer steuerlichen Inanspruchnahme ist aufgrund mangelnder gesetzlicher Abstimmung zwischen Insolvenz- und Steuerrecht erforderlich. Bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist, ob und inwieweit ein Geschäftsführer im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren für die Nichtabführung von Steuerverbindlichkeiten persönlich haftet. Der Geschäftsführer befindet sich in einer Pflichtenkollision zwischen dem Massesicherungs- und -erhaltungsgebot und der haftungsbewährten Obliegenheit zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Abgabeforderungen.

Die Abgabeforderungen für den letzten Monat vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden regelmäßig zum 10. des Folgemonats, mithin erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig, und zwar im Rang einer Insolvenzforderung (§ 38 InsO), weil sie den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffen. Der Sachwalter muss einer solchen gegen die Befriedigungsreihenfolge der Insolvenzordnung verstoßenden Zahlung widersprechen. Auch eine vorfällige Zahlung noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Höhe des schätzungsweise entstehenden Betrages scheidet aufgrund von haftungsrechtlichen Gesichtspunkten aus. Die vorfällige Zahlung stellt eine inkongruente Deckung im Sinne der §§ 129, 131 InsO dar und löst die steuerliche Haftung nach § 69 AO aus ((BFH, Urt. v. 11.11.2008, VII R 19/08, GmbHR 2009, 499). Der BFH betrachtet im Rahmen der Haftungsprüfung die Vorgänge nämlich ausschließlich nach der Adäquanztheorie und lässt sowohl rechtmäßiges Alternativverhalten wie auch Reserveursachen und (insolvenzrechtliche) Pflichtenkollisionen grundsätzlich unberücksichtigt.

Das von den Geschäftsführern aufgrund dieser unklaren Rechtslage in Kauf genommene steuerliche Haftungsrisiko stellt ein freiwilliges Vermögensopfer dar. Soweit sie tatsächlich gemäß § 69 AO in Anspruch genommen werden, entsteht ein Aufwendungsersatzanspruch gegen das Unternehmen analog § 110 HGB. Es besteht ein Interesse der Geschäftsführer an einer hinreichenden insolvenzrechtlichen Absicherung dieses Ersatzanspruches. Aus diesem Grunde sind die etwaigen Aufwendungsersatzansprüche gemäß § 110 HGB analog zunächst im Rang aufzuwerten. Darüber hinaus ist – für den Fall später eintretender Masseunzulänglichkeit – eine weitergehende Absicherung durch die Einrichtung eines Treuhandkontos geboten. Kommt es hingegen nicht zu einer Inanspruchnahme, sind die separierten Beträge zu Gunsten der Insolvenzmasse auszuschütten.

 

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