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Verkehrsunfall – Verstoß gegen ein durch ein Zeichen angeordnetes Fahrtrichtungsgebot

LG Krefeld – Az.: 3 O 35/20 – Urteil vom 25.08.2020

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 9.009,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.09.2019 zu zahlen.

Die Beklagten werden ferner als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 822,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.03.2020 zu zahlen.

Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Regulierung eines Verkehrsunfalls, welcher sich am 30.07.2019 auf der Kerkener Straße/ Außenring in Kempen ereignete.

Die Klägerin ist Eigentümerin und Halterin des Pkw VW Polo mit dem amtlichen Kennzeichen …. Bei der Beklagten zu 1) handelt es sich um die Halterin und Fahrerin des bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Pkw Nissan mit dem amtlichen Kennzeichen ….

Am Unfalltag befuhr die Klägerin den Kempener Außenring in Fahrtrichtung Wachtendonk und beabsichtigte dort, nach links in die Kerkener Straße abzubiegen. Die Beklagte zu 1) befuhr den Kempener Außenring in entgegengesetzter Fahrtrichtung. Aus Sicht der Klägerin sieht die Verkehrsführung für Linksabbieger eine separate Linksabbiegerspur vor. In entgegengesetzter Fahrtrichtung ist ein separater Rechtsabbiegerfahrstreifen eingerichtet mit auf der Fahrspur aufgezeichneten Richtungspfeilen. Ferner sind auf der Fahrbahn im hinteren Bereich der Rechtsabbiegerspur zwei durchgezogene Linien aufgebracht, welche die Rechtsabbiegerspur von der Geradeausspur trennen. Wegen der genaueren Beschreibung der Unfallörtlichkeit wird auf die in der beigezogenen Akte vorhandenen Lichtbilder Bezug genommen und verwiesen. Die Beklagte zu 1) setzte den rechten Fahrtrichtungsanzeiger und reduzierte ihre Geschwindigkeit, bog im weiteren Verlauf indes nicht nach rechts ab, sondern setzte ihre Fahrt geradeaus fort, wo es im Kreuzungsbereich zur Kollision mit dem klägerischen Pkw kam.

An dem klägerischen Pkw entstand ein Sachschaden, den der beauftragte Privatgutachter mit Reparaturkosten in Höhe von 21.908,40 € bei einem Wiederbeschaffungswert von 8.400,00 € bei gleichzeitigem Restwert in Höhe von 1.306,00 € bezifferte. Die Kosten der Begutachtung beliefen sich auf 1.192,27 €. Daneben sind Standgeldkosten in Höhe von 196,35 € und Zulassungskosten in Höhe von 175,00 € angefallen. Am 09.08.2019 tätigte die Klägerin eine Ersatzbeschaffung.

Mit anwaltlichen Schreiben vom 06.08.2019 und 15.08.2019 wurde der Schaden beziffert und die Beklagte zu 2) wurde unter Fristsetzung bis zum 23.08.2010 zur Regulierung aufgefordert.

Die Klägerin behauptet, sie sei auf der Linksabbiegerspur zunächst im Kreuzungsbereich stehengeblieben. Als sie dort stand, habe sie die entgegenkommende Beklagte zu 1) wahrgenommen. Diese habe sich mit ihrem Pkw dem Kreuzungsbereich genähert, hierbei (weiterhin) den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und sei auf die Rechtsabbiegerspur gewechselt und dort auch zunächst mit weiterhin gesetzten rechten Fahrtrichtungsanzeiger verblieben, so dass sie angenommen habe und auch habe annehmen dürfen, dass die Beklagte 1) im weiteren Verlauf nach rechts abbiegen wird. Da für sie hierdurch der Weg zum Linksabbiegen frei gewesen sei, habe sie ihre Fahrt fortgesetzt. Völlig unvermittelt sei die Beklagte zu 1) sodann doch nicht nach rechts abgebogen, sondern habe ihren Pkw nach links über die durchgezogene Linie in den Kreuzungsbereich gezogen, wo es sodann zur Kollision kam.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 9.009,42 € nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 03.09.2019 sowie eine Nebenforderung in Höhe von 822,41 € nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, die Beklagte zu 1) habe zwar zunächst beabsichtigt nach rechts abzubiegen und hierfür habe sie auch kurzzeitig den rechten Fahrtrichtungsanzeiger betätigt und ihre Geschwindigkeit reduziert, sie sei aber nicht auf der Rechtsabbiegerspur gefahren, sondern die gesamte Zeit auf der Geradeausspur verblieben. Noch vor der Straßeneinmündung habe sie ihre Abbiegeabsicht aufgegeben, den Fahrtrichtungsanzeiger ausgeschaltet und sei weiter geradeaus gefahren. Dort sei ihr dann die Klägerin entgegenkommen. Sie, die Beklagte zu 1), hätte zwar noch eine Voltbremsung eingeleitet, der Unfall sei für sie dann jedoch unabwendbar gewesen.

Die Beklagten sind der Ansicht, die Klägerin habe die Vorfahrt der Beklagten zu 1) missachtet, weswegen diese allein für die Unfallfolgen hafte. Die Klägerin hätte ihren Abbiegevorgang nicht fortsetzen dürfen, sondern hätte noch im Kreuzungsbereich warten müssen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen … . Ferner hat das Gericht die unfallbeteiligten Parteien informatorisch angehört und die Akte der Staatsanwaltschaft Krefeld zum Aktenzeichen 20 Js 2048/19 beigezogen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 25.08.2020 (Bl. 112 ff. d.A.) Bezug genommen und verwiesen. Wegen der Einzelheiten des wechselseitigen Parteivorbringens wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen der Parteien Bezug genommen und verwiesen.

Entscheidungs

Verkehrsunfall - Verstoß gegen ein durch ein Zeichen angeordnetes Fahrtrichtungsgebot
(Symbolfoto: Von FooTToo/Shutterstock.com)

gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Schadensersatzanspruch in tenorierter Höhe gem. §§ 7, 17 StVG, § 1 PflVG, § 115 VVG.

1.

Die Beklagten haften der Klägerin dem Grunde nach zu 100 % gem. §§ 7 Abs. 1 StVG, § 115 VVG für die unfallbedingt entstandenen Schäden, da sich der Unfall bei Betrieb eines Kfz ereignet hat, es zu einem Sachschaden kam und Ausschlussgründe, wie etwa § 7 Abs. 2 StVG, ersichtlich nicht gegeben sind. Da auch die Klägerin der Beklagten zu 1) gem. § 7 Abs. 1 StVG haftet und der Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht worden ist, ist der Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2 und 1 StVG eröffnet.

a)

Bei dem Unfallgeschehen handelte es sich weder für die Klägerin noch für die Beklagte zu 1) um ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG. Als unabwendbar gilt ein Ereignis gem. § 17 Abs. 3 S. 2 StVG nur dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falls gebotene Sorgfalt beachtet haben. Ob der Halter und der Fahrer jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt in diesem Sinne beachtet haben, ist am Maßstab des sogenannten Idealfahrers zu bemessen. Unabwendbar ist ein Unfall demnach dann, wenn er durch äußerst mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann, wozu ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus gehört. Unabwendbarkeit bedeutet zwar nicht absolute Unvermeidbarkeit, weswegen grundsätzlich auf das Unterlassen grober Verkehrsverstöße durch andere Verkehrsteilnehmer vertraut werden darf. Unabwendbar ist ein Unfall aber nur dann, wenn sicher anzunehmen ist, dass er auch einem besonders besonnenen und erfahrenen Fahrzeugführer bei sachgerechter Reaktion unterlaufen wäre. Dabei trägt derjenige, der sich zu seinem Gunsten auf ein unabwendbares Ereignis beruft, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines solchen Ereignisses (vgl. Hentschel/ König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht 44. Auflage 2017, § 17 StVG Rdn. 22, 23 m.w.N.).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht weder davon überzeugt, dass sich das Unfallgeschehen für die Klägerin noch für die Beklagte zu 1) als unabwendbar darstellte. Beweisbelastet für die Unabwendbarkeit ist jeweils die Partei, die sich darauf beruft.

Die Klägerin vermochte bereits nicht zu beweisen, dass sie das – an dieser Steile noch unterstellte – Fahrmanöver der Beklagten zu 1) in Form des plötzlichen Absehens von der Rechtsabbiegeabsicht und des damit einhergehenden Herüberziehens auf die Geradeausspur erst so spät bemerkte, dass eine unfallvermeidende Reaktion für sie nicht mehr möglich war. Im Ergebnis kann dies indes auch offen bleiben und bedarf keiner weiteren Beweiserhebung, da die Beklagten, wie nachfolgend noch ausgeführt werden wird, aus anderem Grund vollumfänglich einstandspflichtig sind.

Für die Beklagte zu 1) war das Unfallgeschehen nicht unabwendbar, weil das Gericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt ist, dass die Beklagte zu 1) im Rahmen ihres Fahrmanövers gegen § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. Zeichen 297 der Anlage 2 zu § 41 StVO verstoßen und hierdurch den Unfall verursacht hat.

Das Gericht hat über die klägerische Behauptung, wonach die Beklagte zu 1) sich zunächst vollständig auf der Rechtsabbiegenspur befunden haben soll bevor sie unter Überquerung einer oder beider durchgezogenen Linien zurück auf die Geradeausspur gefahren sein soll. Beweis durch Vernehmung das Zeugen … erhöben. Der Zeuge fuhr zum Unfallzeitpunkt unmittelbar hinter der Beklagten zu 1) und hatte deshalb eine gute und uneingeschränkte Sicht auf das Geschehen. Er bestätigte im Ergebnis das klägerische Vorbringen zum Unfallhergang und führt aus, dass die Beklagte zu 1) zunächst den rechten Fahrtrichtungsanzeiger betätigt und sich anschließend mit ihrem gesamten Pkw auf der Rechtsabbiegerspur befunden habe. Im weiteren Verlauf sei die Beklagte zu 1) sodann über beide durchgezogenen Linien zurück auf die Geradeausspur gefahren, habe dann beschleunigt und sei schlussendlich in den zunächst im Kreuzungsbereich stehenden und wartenden und erst anschließend abbiegenden klägerischen Pkw hineingefahren. Aus seiner Sicht habe die Klägerin keine Chance zur Unfallvermeidung gehabt, weil das Geschehen und insbesondere der Spurwechsel so plötzlich durchgeführt worden sei.

Das Gericht erachtet die Aussage des Zeugen als glaubhaft. Wie bereits ausgeführt, hatte der neutrale Zeuge freie Sicht auf das Geschehen. Seine Aussage ist frei von Widersprüchen und plausibel. Er erinnerte Details zum Unfallhergang und konnte auf alle Nachfragen des Gerichts und der Parteien plausibel antworten. Bei dem Zeugen handelt es sich insbesondere um keinen „Knallzeugen“, der erst durch den Unfall an sich auf das Geschehen aufmerksam geworden ist. Vielmehr konnte der Zeuge die Unfallentstehung aus seiner Position aus von Beginn an sehen und verfolgen. Hierbei ist es auch glaubhaft, dass er sich an Details, wie etwa die Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers und das Überqueren gleich zweier durchgezogener Linien erinnert, denn solch ein Vorgang ist, insbesondere wenn er in einem Unfall mündet, unüblich und deshalb gut zu merken. Die Angaben des Zeugen decken sich zudem zu einem gewissen Teil mit den Ausführungen der Beklagten zu 1), welche diese im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung getätigt hat. Führten die Beklagten noch schriftlich aus, ihr Pkw hätte sich zu keinem Zeitpunkt auf der Rechtsabbiegerspur befunden, relativiert die Beklagte zu 1) dies indem sie auf Nachfrage des Gerichts schilderte, sie habe (doch) unter Betätigung des rechten Fahrtrichtungsanzeigers einen Schlenker nach rechts gemacht und sei hierdurch, wenn auch nicht mit dem gesamten Pkw, auf die Rechtsabbiegerspur geraten. Anschließend sei sie aber sofort mittels eines weiteren Schlenkers zurück nach links auf die Geradeausspur gefahren, wobei sie nicht ausschließen könne, „über diese durchgezogene Linie gefahren“ zu sein (vgl. Seite 5 des Protokolls vom 25.08.2020) und hierdurch „Unruhe“ geschaffen zu haben. Wenn selbst die Beklagte zu 1) im Ergebnis bestätigt, dass die Unfallschilderung der Klägerin weitestgehend zutreffend ist und der neutrale Zeuge dies ebenfalls bestätigt, gibt es für das Gericht keinen Grund an der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage zu zweifeln.

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b)

Für die sodann vorzunehmende Haftungsverteilung gem. § 17 Abs. 1 und 1 StVG ist insbesondere maßgeblich, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei der demnach erforderlichen Ermittlung und Abwägung der Verursachungsbeiträge sind nur Umstände zu berücksichtigen, die unstreitig oder erwiesenermaßen für den Unfall ursächlich geworden sind. Entscheidend für die Verteilung der Haftung ist daher das Maß der von den Unfallbeteiligten gesetzten und sich im konkreten Unfall realisierten Schadensursachen. Zu berücksichtigen ist zum einen die aus dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs in einer konkreten Situation ausgehende Betriebsgefahr, die sich aus den Verkehrsverhältnissen sowie den Eigenschaften des Fahrzeuges und dessen Art der Verwendung ergeben. Zum anderen sind trotz der Ausgestaltung der Halterhaftung als verschuldensunabhängige Haftung auch Schuldgesichtspunkte von Bedeutung. Ein Verschulden eines Unfallbeteiligten führt regelmäßig zu einem höheren Verursachungsbeitrag des Beteiligten, ein alleiniges grob verkehrswidriges Verhalten kann sogar eine Alleinhaftung rechtfertigen (Hentschel/ König/ Dauer, aaO., § 17 StVG Rdn. 4 ff.).

Die Beklagte zu 1) hat durch das Wechseln von der Rechtsabbieger- auf die Geradeausspur und das Überfahren von zwei durchgezogenen Linien gegen § 41 Abs. 1 StVO verstoßen. Gemäß § 41 Abs. 1 StVO hat jeder Verkehrsteilnehmer die durch Vorschriftszeichen nach Anlage 2 angeordneten Ge- und Verbote zu befolgen. Zeichen 297 der Anlage 2 zu § 41 StVO ordnet ein Fahrtrichtungsgebot an, wonach der Führer eines Fahrzeugs der durch den Pfeil vorgegebenen Fahrtrichtung auf der folgenden Kreuzung oder Einmündung folgen muss, wenn zwischen den Pfeilen Leitlinien (Zeichen 340) oder Fahrstreifenbegrenzungen (Zeichen 295) markiert sind (BGH, Urteil vom 11.02.2014, VI ZR 161/13, bei juris Rn. 9). Es handelt sich dabei nicht um bloße Fahrempfehlungen, sondern um verbindliche Fahrtrichtungsgebote (BGH, Urteil vom 11.02.2014, a.a.O., bei juris Rn. 12; OLG Hamm, Beschluss vom 01. März 2019 – I-7 U 73/18 -, Rn. 9, juris). Wie bereits ausgeführt, ist das Gericht davon überzeugt, dass sich die Beklagte zu 1) zunächst komplett auf der Rechtsabbiegerspur befand und erst im letzten Moment über zwei durchgezogene Linien auf die Geradeausspur wechselte und von dort aus beschleunigend in den Kreuzungsbereich einfuhr. Den auf der Fahrbahn vorhandenen Richtungspfeilen nach hätte die Beklagte zu 1) indes auch unter Inkaufnahme eines Umweges rechts abbiegen müssen. Der Wechsel der Fahrspur erfolgte entgegen § 41 StVO und war für die Klägerin nicht vorhersehbar.

Der Klägerin ist kein Verstoß gegen § 9 Abs. 3 StVO anzulasten.

Nach § 9 Abs. 3 StVO muss, wer links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Ihn trifft mithin eine Wartepflicht (BGH, Urteil vom 11.01.2005, VI ZR 352/03, bei juris Rn. 16). Allerdings indiziert die objektive Verletzung des § 9 Abs. 3 StVO nicht stets ein Verschulden; vielmehr muss das Vorrecht des Geradeausfahrers für den Wartepflichtigen in zumutbaren Grenzen erkennbar und seine Verletzung vermeidbar gewesen sein (BGH, Urteil vom 11.01.2005, a.a.O., bei juris Rn. 15; Urteil vom 14.02.1984, a.a.O, bei juris Rn. 14). Ob die Zumutbarkeitsgrenze erreicht ist, muss unter Beachtung aller Umstände des konkreten Falls unter Berücksichtigung berechtigter Verkehrserwartungen ermittelt werden (BGH, Urteil vom 14.02.1984, a.a.O., bei juris Rn. 15).b)

Nach diesen Maßstäben haben die Beklagten den Nachweis eines Verstoßes der Klägerin gegen § 9 Abs. 3 StVO nicht erbracht.

Die Betrachtung aller Umstände des konkreten Falls führt vorliegend dazu, dass die Klägerin keine Wartepflicht gegenüber der Beklagten zu 1) traf, weil diese für sie in zumutbaren Grenzen nicht als bevorrechtigter Gegenverkehr erkennbar war, als sie im Kreuzungsbereich erneut anfuhr. Die Klägerin durfte zu diesem Zeitpunkt vielmehr darauf vertrauen, dass die die Rechtsabbiegerspur benutzende Beklagte zu 1) ihrer Verpflichtung entsprechend tatsächlich links abbiegen würde und diese nicht über zwei durchgezogene Linien zurück auf die Geradeausspur fährt. Dies ergibt sich aus den folgenden Erwägungen: Mit einem Verstoß gegen das Fahrtrichtungsbeibehaltungsgebot des Zeichens 297 muss grundsätzlich nicht gerechnet werden (Lafontaine in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 41 StVO Rn. 320; OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.1974, 1 Ss Owi 313/74, VRS 48, 144; OLG Celle, Urteil vom 30.07.2008, 14 U 74/08, bei juris Rn. 13; LG Gießen, Urteil vom 09.10.2013, 1 S 198/13, bei juris Rn. 4). Nicht zuletzt ist es demjenigen, der vorsätzlich einen groben Verkehrsverstoß begangen hat, als unzulässiger Selbstwiderspruch untersagt, Ansprüche oder Einwendungen daraus herzuleiten, dass ein anderer mit seinem „ungehörigen Verhalten“ nicht gerechnet hat (vgl. BGH, Urteil vom 02.03.1982, a.a.O., bei juris Rn. 13; OLG Hamm, 26.04.2001, 27 U 213/00, bei juris Rn. 19; vgl. insgesamt: OLG Hamm, Beschluss vom 01. März 2019 – I-7 U 73/18 -, Rn. 19, juris).

Im Ergebnis stehen sich auf Klägerseite die einfache Betriebsgefahr des geführten Pkw und auf Beklagtenseite die Betriebsgefahr und ein gravierender Verstoß gegen § 41 StVO gegenüber. Aufgrund des schweren Verschuldens der Beklagten zu 1) scheint es sachgerecht, die Betriebsgefahr des klägerischen Pkw vollständig zurücktreten zu lassen, was im Ergebnis zu einer vollen Haftung der Beklagten führt.

2.

Der Höhe nach berechnet sich der erstattungsfähige Schaden wie folgt nachdem die Beklagten die Aktivlegitimation der Klägerin unstreitig gestellt haben:

a.

Unbestritten ist an dem klägerischen Pkw ein wirtschaftlicher Totalschaden entstanden, welcher die Klägerin zur Abrechnung auf Totalschadensbasis berechtigt. Der – ebenfalls nicht im Streit stehende – Wiederbeschaffungswert beträgt 8.400,00 € bei einem gleichzeitigen Restwert von 1.306,00 €, woraus sich ein erstattungsfähiger Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 7.094,00 € berechnet.

b.

Die Abmeldekosten (7,80 €), Zulassungskosten (175,00 €), Sachverständigenkosten (1.192,27 €) sowie die Kostenpauschale (25,00 €) in Höhe von insgesamt 1.400,07 € sind im Ergebnis ebenfalls unbestritten. Soweit die Beklagten die Zahlung der Zulassungskosten bestreiten, geht der Anfall dieser Kosten aus der Rechnung des Volkswagen Zentrums Mönchengladbach vom 08.08.2019 (Bl. 40 d.A.) hervor. Dort sind die Zulassungskosten mit 147,06 € netto (=175,00 € brutto) aufgeführt.

c.

Standgeldkosten sind in Höhe von 196,35 € angefallen (vgl. Rechnung vom 13.08.2019, Bl. 103 d.A.). Diese begegnen auch der Höhe nach keinen Bedenken. Die täglichen Kosten in Höhe von 11,00 € netto schätzt das Gericht gem. § 287 ZPO als angemessen, zumal die Beklagten keine Möglichkeit aufgezeigt haben, wie/ wo die Kläger ihren beschädigten Pkw günstiger hätte abstellen können und sie überdies Kenntnis hiervon hätte haben müssen. Die Standdauer von 15 Tagen begegnet in Anbetracht des entstandenen Totalschadens mit einhergehender Fahruntauglichkeit des Pkw am 30.07.2019 und dem Eingang des Gutachtens um den 12.08.2019 keinen Bedenken, wenn der Klägerin noch 1-2 Tage Bedenkzeit zugebilligt werden.

d.

Identisch verhält es sich bei der Nutzungsausfallentschädigung, welche auf Basis einer 11-tägigen Ausfallzeit und einer täglichen Entschädigung in Höhe von 29,00 €, mithin 319,00 €, beansprucht wird. Da der klägerische Pkw nach dem Unfallgeschehen nicht mehr verkehrssicher und fahrbereit war, durfte die Klägerin mit der Ersatzbeschaffung bis zum Eingang des Gutachtens zuwarten. Das Gutachten selbst datiert auf den 09.08.2019, so dass von einem Eingang am 12.08.2019 (Montag) auszugehen ist. Obwohl die Klägerin erst ab Eingang des Gutachtens mit der Ersatzbeschaffung hätte tätig werden müssen, kaufte sie ausweislich der Rechnung vom 08.08.2019 bereits einige Tage früher ein Ersatzfahrzeug, welches am 09.08.2019 – und somit 11 Tage nach dem Unfall – ausgeliefert worden ist. Der Höhe nach begegnet die tägliche Nutzungsausfallentschädigung keinen Bedenken. Der Privatgutachter hat diese mit 35,00 €/ täglich angegeben, wohingegen die Klägerin bereits von sich aus eine Abstufung vorgenommen und nur eine tägliche Entschädigung in Höhe von 29,00 € beansprucht.

Soweit die Beklagten einen Nutzungswillen der Klägerin bestreiten, ist dies angesichts der zeitnah getätigten Ersatzbeschaffung unbeachtlich, denn diese indiziert einen Nutzungswillen. Es hätte somit an den Beklagten gelegen, substantiiert vorzutragen und zu beweisen, warum die Klägerin im vorliegenden Einzelfall (doch) keinen Nutzungswillen aufwies. An solch einem Vortrag fehlt es indes.

d.

Daraus berechnet sich ein Gesamtschaden in Höhe von 9.009,42 €.

Der diesbezügliche Zinsanspruch basiert auf §§ 286, 288 BGB. Durch das anwaltliche Schreiben vom 26.08.2019 wurde die Beklagte zu 2) unter Fristsetzung bis zum 02.09.2019 zur Zahlung des Gesamtschadens angemahnt, wodurch sie (spätestens) ab dem 03.09.2019 in Zahlungsverzug geriet.

e.

Die als Nebenforderung verfolgten vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren sind zutreffend auf Grundlage eines Gegenstandswertes in Höhe der berechtigten Schadensersatzansprüche, einer 1,3 (regel-) Geschäftsgebühr nach VV 2300 RVG, der Umsatzsteuer in (damaliger) gesetzlicher Höhe, der Telekommunikationspauschale sowie Aktenversendungspauschale berechnet. Die Erstattungsfähigkeit selbst basiert auf § 249 BGB. Der diesbezügliche Zinsanspruch resultiert aus §§ 291, 288 BGB.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 100, 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 9.009,42 EUR festgesetzt.

 

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