BUNDESARBEITSGERICHT
Az.: 2 AZR 485/02
Urteil vom 22.05.2003
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 19. März 2002 – 7 Sa 651/01 – wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Der Kläger ist seit April 1978 an der Universität Leipzig zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 7.433,32 DM tätig.
Im Jahre 1988 wurde er zum Hochschuldozenten berufen. Mit Arbeitsvertrag vom 28. September 1992 vereinbarten die Parteien eine befristete Beschäftigung auf der Stelle eines Hochschullehrers am Institut für Politikwissenschaft bis zum 30. September 1994. Der vom Kläger gegen die Wirksamkeit der Befristung angestrengten Klage gab das Sächsische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 12. Februar 1996 (- 7 Sa 515/95 -) rechtskräftig statt.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14. Februar 1995 zum 31. März 1995. Die Kündigung wurde auf eine angebliche Tätigkeit des Klägers für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gestützt. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage war erfolgreich (Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 4. September 1997 – 9 Sa 222/97 -).
Unter dem 12. August 1997 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich betriebsbedingt zum 31. Dezember 1997. Auch insoweit gab das Sächsische Landesarbeitsgericht der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage rechtskräftig statt (Urteil vom 27. Juli 1999 – 9 Sa 1005/98 -).
Ausweislich des Tatbestandes des landesarbeitsgerichtlichen Urteils hatte der Beklagte vorgetragen, eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Klägers am Institut für Politikwissenschaften bestehe nicht mehr. Die vom Kläger als Quasidozent innegehabte Stelle sei durch Rektoratsbeschluß vom 2. September 1994 dem Institut für Sprach- und Übersetzungswissenschaften zugewiesen worden. Ab dem 1. Januar 1995 habe daher für den Kläger keine Haushaltsstelle mehr zur Verfügung gestanden. Soweit der Kläger nach der gerichtlichen Feststellung der Unwirksamkeit der Befristungsabrede aus dem Arbeitsvertrag vom 28. September 1992 weiterbeschäftigt worden sei, seien die Mittel hieraus aus dem an der Universität Leipzig bestehenden Stellenpool entnommen worden. Eine soziale Auswahl habe mangels vergleichbarer Arbeitnehmer nicht vorgenommen werden müssen.
Das Landesarbeitsgericht sah die Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG als unwirksam an, weil der Beklagte nicht dargelegt habe, daß für den Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit an der Universität Leipzig bestanden habe. Zwar sei der konkrete Arbeitsplatz des Klägers am Institut für Politikwissenschaften auf Grund des Rektoratsbeschlusses entfallen. Der Beklagte habe jedoch nicht dargetan, daß zum Zeitpunkt der Kündigung nicht die Möglichkeit bestanden habe, den Kläger aus dem Stellenpool der Universität Leipzig weiterzubeschäftigen. Darüber hinaus sei die Kündigung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, weil der Beklagte keine Sozialauswahl vorgenommen habe. Der Kläger sei mit dem Mitarbeiter Dr. K vergleichbar.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2001 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut aus betriebsbedingten Gründen zum 30. Juni 2001.
Der Kläger hält auch diese Kündigung für unwirksam. Er hat beantragt
1. festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 16. Februar 2001 nicht aufgelöst wird;
2. den Beklagten zu verurteilen, ihn bis zur Rechtskraft einer Entscheidung zu unveränderten Arbeitsbedingungen als wissenschaftlichen Angestellten mit den Aufgaben eines Dozenten für Politische Theorie weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und zur Begründung der Kündigung vorgetragen, seit Oktober 1994/Januar 1995 habe sich die Stellensituation am Institut für Politikwissenschaft nicht geändert. Seit diesem Zeitpunkt gebe es keine Haushaltsstelle mehr, auf der der Kläger weiterbeschäftigt werden könnte. Am 17. bzw. 21. November 2000 habe das Rektoratskollegium daher festgestellt, daß der Kläger nicht beschäftigt werden könne. Eine Möglichkeit, den Kläger aus dem Stellenpool der Universität Leipzig zu beschäftigen, habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Die öffentliche Verwaltung sei nicht verpflichtet, alle im Haushalt ausgewiesenen Stellen auszuschöpfen und zu besetzen. Eine Stelle könne daher erst dann als frei angesehen werden, wenn sie vom Rektoratskollegium freigegeben und von den zuständigen Gremien mit einem Anforderungsprofil versehen worden sei. Dies habe das Sächsische Landesarbeitsgericht in dem Vorprozeß übersehen. Der Kläger sei mit Herrn Dr. K nicht vergleichbar. Jedenfalls sei er nicht sozial schutzwürdiger. Der Beklagte meint, er sei mit den geltend gemachten Kündigungsgründen nicht präkludiert. Ob ein anderer freier Arbeitsplatz zur Verfügung stehe, könne immer nur bezogen auf den Zeitpunkt des Zugangs der jeweiligen Kündigung entschieden werden.
Der Kläger hat gemeint, das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 27. Juli 1999 sei präjudiziell für den vorliegenden Rechtsstreit. Der Beklagte stütze die Kündigung – sowohl was die Betriebsbedingtheit als auch was die Sozialauswahl betreffe – auf die gleichen Gründe wie in dem Vorprozeß. Nur wenn der Beklagte bezogen auf die im Vorprozeß entscheidend gewesene Stelle aus dem Pool eine erneute unternehmerische Entscheidung getroffen hätte, wäre eine erneute betriebsbedingte Kündigung in Betracht gekommen. Eine neue unternehmerische Entscheidung habe der Beklagte jedoch nicht dargetan. Im übrigen liege kein betriebsbedingter Kündigungsgrund vor. Auch die Sozialauswahl sei zu rügen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung vom 16. Februar 2001 sei schon deshalb unwirksam, weil es sich um eine sogenannte Wiederholungskündigung handele. Einer Entscheidung zugunsten des Beklagten stehe das rechtskräftige Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 27. Juli 1999 (- 9 Sa 1005/98 -) entgegen. Der Beklagte habe keine neue Organisationsentscheidung dargelegt. Die von ihm genannten Kündigungsgründe seien durch das 1999 ergangene Urteil als unzureichend bezeichnet und damit rechtskräftig aberkannt (präjudiziert) worden. Dem Beklagten sei es daher verwehrt, mit Erfolg zu behaupten, es gäbe keinen Stellenpool und wenn, dann sei dort für den Kläger keine geeignete Stelle vorhanden. Dies habe das Sächsische Landesarbeitsgericht in dem Vorprozeß geprüft und als nicht hinreichende Begründung der Kündigung angesehen. Etwas anderes ergebe sich nicht aus dem Beschluß des Rektorats vom 17. November 2000. Dieser dokumentiere lediglich die Auffassung, daß der vorherige Prozeß unzutreffend entschieden worden sei.
B. Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung.
I. Die Klage ist begründet. Die Kündigung vom 16. Februar 2001 ist sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG) und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG).
1. Der Beklagte kann sich auf den von ihm vorgetragenen Kündigungsgrund, daß es seit dem 1. Januar 1995 keine Haushaltsstelle mehr für den Kläger gibt, auf der er hätte weiterbeschäftigt werden können, nicht berufen. Das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 27. Juli 1999 (- 9 Sa 1005/98 -) schließt diesen Einwand aus, weil seiner Entscheidung die Erwägung zugrunde liegt, daß der Kläger jedenfalls noch Anfang 1998 auf einem freien Arbeitsplatz beim Beklagten aus dem Stellenpool der Universität Leipzig hätte eingesetzt werden können.
a) Ist in einem Kündigungsrechtsstreit entschieden, daß das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden ist, so kann der Arbeitgeber eine erneute Kündigung nicht auf Kündigungsgründe stützen, die er schon zur Begründung der ersten Kündigung vorgebracht hat und die in dem ersten Kündigungsschutzprozeß materiell geprüft worden sind mit dem Ergebnis, daß sie die Kündigung nicht rechtfertigen können. Der zweiten, rechtzeitig erhobenen Klage ist ohne weiteres stattzugeben. Das Urteil in dem ersten Prozeß ist in der Weise präjudiziell für das zweite Verfahren, daß eine erneute materielle – möglicherweise von dem Ergebnis des ersten Prozesses abweichende – Nachprüfung des zur Stützung der ersten Kündigung verbrauchten Kündigungsgrundes in dem zweiten Verfahren nicht erfolgen darf (BAG 26. August 1993 – 2 AZR 159/93 – BAGE 74, 143; 7. März 1996 – 2 AZR 180/95 – AP KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 76 = EzA KSchG 1969 § 1 betriebsbedingte Kündigung Nr. 84; KR-Friedrich 6. Aufl. § 4 KSchG Rn. 272; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 4 Rn. 91; Stahlhacke/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 1903).
Wie der Senat in der Entscheidung vom 26. August 1993 (- 2 AZR 159/93 – BAGE 74, 143) ausgeführt hat, läßt sich das im Ergebnis einhellig anerkannte Wiederholungsverbot für Kündigungen bei gleichbleibendem Kündigungsgrund sowohl prozeßrechtlich als auch aus der Rechtsnatur der Kündigung als Gestaltungserklärung herleiten. Das Gestaltungsrecht ist nach einmaliger Ausübung verbraucht. Der Arbeitgeber kann allenfalls noch kündigen, wenn er andere Kündigungsgründe geltend macht (und dabei vielleicht den verbrauchten Kündigungsgrund unterstützend heranzieht), wenn sich der Sachverhalt wesentlich geändert hat und damit ein neuer Kündigungstatbestand vorliegt, wenn er nunmehr nicht fristlos, sondern fristgerecht kündigen will oder wenn die Kündigungserklärung aus nicht materiell-rechtlichen Gründen (Formmangel, fehlerhafte Betriebsratsanhörung etc.) unwirksam war. Jedenfalls mit der bloßen Wiederholung der Kündigung auf Grund desselben Kündigungssachverhalts ist er ausgeschlossen.
b) Nach diesen Grundsätzen ist es dem Beklagten verwehrt, sich – wie geschehen – im vorliegenden Rechtsstreit zur Begründung der Kündigung darauf zu berufen, daß bereits im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 12. August 1997 keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger an der Universität Leipzig bestanden habe. Er kann auch nicht mit seinem Vortrag durchdringen, an der Universität Leipzig habe es schon zum damaligen Zeitpunkt keinen Stellenpool gegeben, aus dessen Stellen der Kläger hätte weiterbeschäftigt werden können. Denn das Sächsische Landesarbeitsgericht hat die Kündigung vom 12. August 1997 (Urteil vom 27. Juli 1999 – 9 Sa 1005/98 -) gerade deswegen nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG als unwirksam angesehen, weil der Beklagte nicht dargelegt habe, daß für den Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit an der Universität Leipzig bestanden habe. Der Beklagte habe nicht dargetan, daß zum Zeitpunkt der Kündigung nicht die Möglichkeit bestanden habe, den Kläger aus dem Stellenpool der Universität Leipzig weiterzubeschäftigen.
2. Ist somit davon auszugehen, daß noch im Januar 1998 die Möglichkeit zur Beschäftigung des Klägers bestanden hat, bedürfte es zur Begründung eines dringenden betrieblichen Erfordernisses (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) für die Kündigung der Darlegung des Beklagten, daß er nach Zugang der Kündigung vom 12. August 1997 und vor Ausspruch der hier streitgegenständlichen Kündigung vom 16. Februar 2001 eine Organisationsentscheidung getroffen hat, deren Umsetzung zum Wegfall dieser Beschäftigungsmöglichkeit geführt hat. Eine derartige Organisationsentscheidung hat der Beklagte nicht dargelegt. Seinen Ausführungen ist insbesondere nicht zu entnehmen, daß der Kläger entgegen der im vorausgegangenen Rechtsstreit festgestellten Möglichkeit nicht mehr auf einer Stelle aus dem Stellenpool beschäftigt werden kann.
Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat der Beklagte keine organisatorische Entscheidung dargelegt, die zu einem Wegfall des Stellenpools insgesamt oder der vom Kläger eingenommenen Poolstelle und damit zum Wegfall einer Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger geführt hätte. Als eine derartige Organisationsentscheidung kann nicht der Beschluß des Rektoratskollegiums vom 17. November 2000 angesehen werden. Denn in diesem wird lediglich an die vom Beklagten schon im Vorprozeß vertretene Auffassung angeknüpft, daß seit Januar 1995 keine Haushaltsmittel mehr zur Beschäftigung des Klägers zur Verfügung stünden. Entsprechendes hat der Beklagte in dem hiesigen Prozeß vorgetragen. Diese Begründung zur Rechtfertigung der Kündigung ist ihm jedoch durch den Vorprozeß verwehrt.
3. Die Sozialwidrigkeit der Kündigung folgt auch aus § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Auf Grund der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozeß steht fest, daß – ginge man von einem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger aus – die Beklagte gleichwohl nicht dem Kläger, sondern dem mit dem Kläger vergleichbaren Mitarbeiter K hätte kündigen müssen. Daß sich an den der Entscheidung vom 27. Juli 1999 zugrunde gelegten Tatsachen zwischenzeitlich etwas geändert hätte, hat der beklagte Freistaat nicht behauptet. Mit damals unterbliebenem Prozeßvortrag zur Sozialauswahl ist der Beklagte dagegen ausgeschlossen, weil die Präklusionswirkung ansonsten die Sozialauswahl – über die das Landesarbeitsgericht rechtskräftig in der Sache entschieden hat – nicht erfassen würde.
II. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Revision fallen dem beklagten Freistaat nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.