LANDGERICHT OSNABRÜCK
Az.: 5 O 1439/06
Urteil vom 11.08.2006
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagten nicht zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand:
Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche auf Grund eines Sturzes am 6.10.2005 gegen 10.40 Uhr in dem von dem Beklagten zu 2) gesteuerten Linienbus der Beklagten zu 1) geltend.
Die Klägerin behauptet, an der Haltestelle Rosenplatz in Osnabrück in den in Richtung Johannisstraße fahrenden Gelenkbus der Beklagten zu 1) eingestiegen zu sein. Der Bus habe im vorderen Bereich nicht über eine Entwertungsmöglichkeit für die Vierer-Karte der Klägerin verfügt. Obwohl im vorderen Bereich des Busses mehrere Plätze frei waren, sei die Klägerin deshalb gehalten gewesen, in die Mitte des Busses zu gehen, um ihren Fahrschein an dem dortigen Automaten zu entwerten. Während sie im Begriff gewesen sei, den Fahrschein in den entsprechenden Schlitz des Fahrkartenautomaten zu stecken, habe der Beklagte zu 2) eine Vollbremsung vollzogen. Diese Bremsung sei derart heftig gewesen, dass andere Fahrgäste aus den Sitzen gehoben worden seien. Die Klägerin selbst sei zu Fall gekommen. Sie sei kopfüber in den Gang gefallen und bäuchlings den Gang entlang in Fahrtrichtung gerutscht.
Durch diesen Sturz habe die Klägerin sich verletzt. Sie habe tiefe Schürf- und Schnittwunden am linken Unterarm, Schürfwunden und Prellungen der rechten Hand, einen starken Bluterguss am rechten Knie sowie eine Zerrung im oberen linken Sprunggelenk erlitten. Auf Grund dessen sei sie über 4 Wochen hinweg vollständig und für weitere 2 Wochen zu 30 % in ihrer Arbeitsfähigkeit beschränkt gewesen.
Sturzbedingt habe sich am 21.11.2005 die keramische Verblendung in der Region ihres Zahnes 25 an der im November 2004 neu angefertigten Brücke gelöst. Die Brücke müsse auf Grund schonend entfernt werden. Dies könne nur durch Auftrennung der Pfeilerkronen und die damit verbundene totale Zerstörung der Brücke erfolgen. Für die Herstellung der neuen Brücke sei ein Kostenaufwand in Höhe von insgesamt 2.250,40 € erforderlich. Von diesen Kosten sei sie freizustellen.
Bedingt durch die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit sei der Klägerin ein Haushaltsführungsschaden entstanden, den sie mit insgesamt 478,07 € beziffert und ersetzt verlangt.
Darüber hinaus ist sie der Auffassung, dass ihr durch die Beklagten ein Schmerzensgeld zu zahlen sei, dessen angemessene Höhe sie mit 3.000,– € angibt.
Schließlich beansprucht die Klägerin eine allgemeine Schadenspauschale in Höhe von 25,– € und begehrt die nicht anrechenbare vorprozessuale Rechtsanwaltskosten in Höhe von 207,93 € ersetzt.
Die Haftung der Beklagten für den ihr entstandenen Schaden sei dadurch begründet, dass der Beklagte zu 2) pflichtwidrig mit dem Anfahren von der Haltestelle nicht so lange gewartet habe, bis sie den Fahrschein entwertet und einen sicheren Halt gefunden hatte, sowie unnötig scharf gebremst habe.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen zur Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.1.2006 zu zahlen, mindestens jedoch 3.000,– €,
2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin 503,07 € sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 207,93 € nebst Zinsen zur Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.1.2006 zu zahlen,
3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, die Klägerin von den Kosten des Dr. ……., resultierend aus der Behandlung der Klägerin auf Grund des Sturzes vom 6.10.2005, freizustellen, soweit diese nicht auf öffentlich-rechtliche Versicherungsträger übergegangen sind.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie bestreiten, dass die Klägerin gezwungen gewesen sei, sich zur Entwertung ihres Fahrscheines in die Mitte des Omnibusses zu begeben. Im Einstiegsbereich sei nämlich ein Entwerter vorhanden gewesen. Der Beklagte zu 2) sei mit verkehrsbedingt mäßiger Geschwindigkeit gefahren. An der Ampelanlage Johannistorwall, mindestens zwei, wenn nicht gar drei Minuten nach dem Zustieg der Klägerin, habe der Beklagte zu 2) den Omnibus abbremsen und zum Stehen bringen müssen, da die Ampel auf „Rotlicht“ gewechselt habe. Er habe keine Vollbremsung durchgeführt, sondern den Omnibus aus mäßiger Geschwindigkeit in gewöhnlicher Weise abgebremst. Dementsprechend bestreiten die Beklagten, dass dieses Bremsmanöver ursächlich für den Sturz der Klägerin gewesen sei. Habe der Beklagte zu 2) sich also nicht sorgfaltswidrig verhalten, scheide eine Haftung der Beklagten für die Sturzfolgen der Klägerin aus.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen Stefanie B. und Melanie B. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die gerichtliche Niederschrift vom 17.7.2006 (Blatt 83 – 88 der Akte) verwiesen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird der Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze in Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Der Klägerin stehen gegen die Beklagten auf Grund des Sturzes vom 6.10.2005 gegen 10.40 Uhr im Omnibus der Beklagten zu 1) keine Schadensersatzansprüche zu:
Ein Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 823 Abs. 1 BGB scheitert daran, dass der Klägerin der Beweis einer Verkehrssicherungspflichtverletzung durch den Beklagten zu 2) nicht gelungen ist.
Ein Sorgfaltspflichtverstoß des Beklagten zu 2) resultiert zunächst nicht daraus, dass er sich unstreitig vor Abfahrt des Busses nicht darüber vergewissert hat, ob die Klägerin im Bus hinreichenden Halt gefunden hatte. Es ist nämlich in Rechtsprechung und Lehre anerkannt, dass der Fahrer eines Linienbusses, der seinen Fahrplan einzuhalten hat, grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass die Fahrgäste ihrer Verpflichtung, sich stets einen festen Halt zu verschaffen, nachkommen. Grundsätzlich ist es allein Sache des Fahrgastes, für einen sicheren Halt zu sorgen und so eine Sturzgefahr zu vermeiden. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn für den Fahrer eines Linienbusses leicht erkennbare Anhaltspunkte bestehen, dass der eingestiegene Fahrgast nicht in der Lage sein könnte, den normalerweise zu Grunde zu legenden Anforderungen, sich einen sicheren Halt zu verschaffen, zu genügen. Nur in solchen Fallkonstellationen wie bei einer ohne weiteres erkennbaren schweren Behinderung, die dem Fahrer eine Vorsichtsmaßnahme geradezu aufdrängen muss, kann verlangt werden, dass er sich vor dem Anfahren darüber vergewissert, dass der Fahrgast nicht der Gefahr ausgesetzt ist, zu stürzen (vgl. BGH NJW 1993, 654; OLG Oldenburg VersR 2001, 118; OLG Hamm VersR 2000, 507; OLG Köln VersR 2000, 1120).
An solchen Anhaltspunkten fehlt es hier. Die Klägerin war unstreitig nicht behindert. Eine besondere Verpflichtung des Zuwartens bestand für den Beklagten zu 2) auch nicht deshalb, weil die Klägerin in die Busmitte gegangen ist, um dort ihren Fahrschein zu entwerten. Denn die Klägerin hat nicht bewiesen, dass dieser Gang aus den Beklagten zuzurechnenden Gründen unbedingt erforderlich war. Zwar ist sie als Fahrgast grundsätzlich verpflichtet gewesen, ihren Fahrschein unmittelbar nach dem Einstieg zu entwerten. Sie hat jedoch nicht den Nachweis dafür erbringen können, dass ihr die Erfüllung dieser Verpflichtung nicht bereits im Einstiegsbereich möglich gewesen ist. Ihr dahingehender Vortrag, dass im Einstiegsbereich kein Entwerter vorhanden gewesen sei, haben die Zeuginnen B. und B. nicht bestätigt. Sie konnten hierzu nichts sagen.
Eine Haftung der Beklagten ist auch nicht durch den Bremsvorgang des Beklagten zu 2) begründet. Denn die Klägerin hat nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 2) sich durch die Art und Weise des Bremsens sorgfaltswidrig verhalten hat. Zwar haben die Zeuginnen B. und B. ausgesagt, dass der Beklagte zu 2) sehr stark gebremst habe. Zur Ursache dieser Bremsung konnten sie jedoch keine Angaben machen. Damit aber liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte zu 2) den Bremsvorgang weicher und für die Klägerin ungefährlicher hätte gestalten können.
Hinzu kommt das Folgende: Die Zeuginnen B. und B. haben auf Klappsitzen im mittleren Bereich des Busses gesessen. Auf Sitzen dieser Art hat ein Passagier deutlich weniger Stabilität als auf den übrigen Bussitzen. Damit aber ist nicht ausgeschlossen, dass die Zeuginnen B. und B. den Bremsvorgang lediglich auf Grund ihrer besonders labilen Sitzposition als außergewöhnlich stark empfunden haben.
Ist der Klägerin mithin der Beweis eines verkehrssicherungspflichtwidrigen Verhaltens des Beklagten zu 2) nicht gelungen, so scheidet ein Schmerzensgeldanspruch gemäß § 823 BGB aus.
Auch den Ersatz ihres entstandenen materiellen Schadens kann die Klägerin von den Beklagten nicht verlangen. Ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu 1) aus dem entgeltlichen Personenförderungsvertrag scheidet mangels Pflichtverletzung des Beklagten zu 2) aus. Schließlich bestehen auch keine Ersatzansprüche nach den §§ 7, 8 a, 17, 18 StVG. Die Klägerin hat – wie ausgeführt- nicht nachweisen können, dass den Beklagten zu 2) an dem Sturz ein Verschulden trifft. Auch unter dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung (§ 8 a Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 7 StVG) steht der Klägerin kein Anspruch auf Ersatz des ihr entstandenen materiellen Schadens zu. Es kann insoweit offen bleiben, ob der Sturz auf ein unabwendbares Ereignis zurückzuführen ist. Selbst wenn man diese Frage verneint, scheidet ein entsprechender Ersatzanspruch der Klägerin aus, weil ihr erhebliches Verschulden die Betriebsgefahr des Linienbusses zurücktreten lässt. Jeder Fahrgast ist – wie bereits dargestellt – grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen des Busses nicht zu Fall kommt. Hier hätte die Klägerin unmittelbar nach dem Einstieg die im vorderen Bereich vorhandenen Sitzplätze aufsuchen können, womit sie sicheren Halt gehabt hätte. Dadurch, dass sie dies nicht getan hat, hat sie ein derartig hohes Eigenverschulden am Unfall an den Tag gelegt, dass die Betriebsgefahr des Omnibusses nicht zu Lasten des Beklagten anzurechnen ist.
In Ermangelung eines Schmerzensgeld- und Schadensersatzanspruches der Klägerin scheidet auch die Erstattungsfähigkeit der nicht anrechenbaren vorprozessualen Rechtsanwaltskosten aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.