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Mankohaftung eines Arbeitnehmers

BAG, Aktenzeichen: 5 AZR 385/69, Urteil vom 13.05.1970

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. Juni 1969 – 8 Sa 178/69 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, auch zur Entscheidung über die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

Tatbestand

Mankohaftung Arbeitnehmer
Symbolfoto: JackF/Bigstock

Die Klägerin war von 1950 bis zum 20. Juli 1968 als Verkäuferin beim Beklagten tätig. Die Höhe des ausgezahlten Lohnes ist streitig. Mit ihrem ursprünglichen Klagantrag hat die Klägerin zunächst verlangt, in ihre Arbeiterrentenversicherungskarten Nr. 6 und 7 bestimmte, über den tatsächlich eingetragenen Beiträgen liegende Bruttoarbeitsbezüge einzutragen, und zur Begründung vorgetragen, Der Beklagte habe ihre Sozialversicherungsbeiträge unrichtig berechnet und abgeführt, indem er weit unter dem wirklichen Lohn liegende Beträge zu Grunde gelegt und in die Versicherungskarten eingetragen habe. Das habe sie erst bei Aushändigung der Versicherungskarten im Jahre 1968 erfahren. Die dem Arbeitgeber auf Grund öffentlich-rechtlicher Rechtsverhältnisse auferlegten Pflichten zur richtigen Erteilung von mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehenden Bescheinigungen seien zugleich Verpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer kraft Fürsorgepflicht. Andernfalls wäre der Arbeitnehmer auf den noch nicht fälligen und möglicherweise später nicht realisierbaren Schadenersatzanspruch aus einer Unterversicherung angewiesen. Die zuständige AOK habe ihre Ermittlungen vorläufig eingestellt und der Klägerin anheimgegeben, beim Arbeitsgericht zu klagen.

 

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Der Beklagte hat seinen Klagabweisungsantrag damit begründet, daß die Klägerin nur das in den Versicherungskarten eingetragene Entgelt erhalten und auch früher keine Beanstandungen erhoben habe; außerdem sei der Berichtigungsanspruch verfallen.

 

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Das Arbeitsgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme hinsichtlich der Eintragung für 1968 stattgegeben und im übrigen den Berichtigungsanspruch auf Grund der tariflichen Ausschlußklausel des § 16 des für allgemeinverbindlich erklärten Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 1965 als verfallen angesehen.

 

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Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung und die Klägerin Anschlußberufung eingelegt. Sie hat ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt und weiter hilfsweise Eintragung der geforderten Angaben in die von ihr vorzulegenden Angestelltenversicherungskarten verlangt, sofern das Berufungsgericht ihre Zugehörigkeit zur Angestelltenversicherung bejahen sollte.

 

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Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsweg vor den Arbeitsgerichten verneint und die Klage als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Arbeitgeber müsse zwar kraft seiner Fürsorgepflicht für die sozialversicherungsrechtlichen Belange des Arbeitnehmer sorgen und könne bei Verletzung dieser Obliegenheit schadenersatzpflichtig werden. Der Anspruch auf eine zutreffende Entgeltbescheinigung in der Versicherungskarte sei jedoch öffentlich-rechtlicher Natur und falle in die Zuständigkeit der Sozialgerichte, die notfalls von dem kraft Amtes zur Aufklärung der sozialversicherungsrechtlichen Fragen verpflichteten Rentenversicherungsträger angerufen werden müßten. Die Durchsetzung des Anspruchs im zivilprozessualen Verfahren würde wegen der Parteiherrschaft und des Grundsatzes der formellen Wahrheit objektiv unrichtige Entgeltsbescheinigungen ermöglichen, die bei der späteren Rentenbemessung zu Lasten der Gesamtheit der Versicherten gehen könnten. Gerade im vorliegenden Fall könnten die Arbeitsgerichte den Streit um die Eintragung auf der Versicherungskarte nicht abschließend erledigen, weil die Klägerin davon ausgehe, daß die Beiträge nicht ordnungsgemäß abgeführt seien, und es sich in Wahrheit um die Frage der Nachversicherung handele. – Auch für eine gemäß § 139 ZPO angeregte Erweiterung der Klage auf Nachentrichtung der Beitragsdifferenz sei das Arbeitsgericht nicht zuständig. Dieses könnte auch hinsichtlich der Nachversicherung über einen länger als zwei Jahre zurückliegenden Zeitraum keine endgültige Entscheidung des Rentenversicherungsträgers, die von besonderen Umständen abhinge und zum Teil in dessen Ermessen liege, herbeiführen. Im übrigen seien auch die Versicherungsträger an eine arbeitsgerichtliche Entscheidung nicht gebunden.

Die Klägerin ist in der zugelassenen Revision von der Leistungs- zur Feststellungsklage übergegangen und beantragt nunmehr,

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die für die Rentenversicherung der Klägerin zu zahlenden Beiträge von folgenden Bruttoarbeitsverdiensten zu entrichten:

1962 DM 6.661,04

1963 DM 5.854,16

1964 DM 5.851,56

1965 DM 5.721,56

1966 DM 5.728,84

1967 DM 6.095,84

1968 DM 3.682,72

Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat, nachdem die Klägerin von der Leistungs- zur Feststellungsklage übergegangen ist, Erfolg und führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits. Das Landesarbeitsgericht wird zu klaren haben, welche Bruttoarbeitsbezüge die Klägerin in den streitigen Jahren erhalten hat.

1. Ein Übergang von der Leistungs- zur Feststellungsklage ist auch noch in der Revisionsinstanz möglich (BAG AP Nr. 20 zu § 133 f GewO; BAG AP Nr. 22 zu § 74 HGB). Die Klägerin verdeutlicht mit ihrem neuen Antrag nur, was sie von Anfang an mit ihrer Klage erstrebt hat.

2. Für das in Form einer Feststellungsklage neu gefaßte Klagebegehren steht der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen offen. Zwar besteht auch aus dem öffentlich-rechtlichen Verhältnis des Beklagten als Arbeitgeber zum Versicherungsträger die Verpflichtung, in die Versicherungskarte das gesamte beitragspflichtige Bruttoarbeitsentgelt einzutragen (§ 1401 Abs. 2 Ziff. 2 RWO). Der Träger der Rentenversicherung hat die Einhaltung dieser Verpflichtung zu überwachen (§§ 1426 ff. RVO; Verordnung über die Überwachung der Entrichtung der Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen vom 28. Juni 1963, BGBl. I S. 445) und kann auch mit Ordnungsstrafen gegen einen Arbeitgeber vorgehen, der zu niedrige Entgelte in die Versicherungskarte einträgt (§ 1431 Abs. 2 Ziff. 1 Buchst. a RVO). Der Arbeitgeber ist aber nicht nur kraft öffentlichen Rechtes, sondern auch auf Grund seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht gehalten, die sozialversicherungsrechtlichen Belange des Arbeitnehmers nicht dadurch zu gefährden, daß er auf Grund unrichtiger Bescheinigungen in Arbeitspapieren, hier der Versicherungskarte, zu geringe Beiträge abführt (BAG AP Nr. 56 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., 1. Bd., S. 470; Nikisch, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 3. Aufl., 1. Bd., § 36 I 2 c, § 54 VI; vgl. auch das Urteil des Senats AP Nr. 1 zu § 47 LStDV). Die Klägerin begehrt hier praktisch die Feststellung, der Beklagte habe diese arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht infolge zu geringer Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen verletzt. Zur Entscheidung dieser Feststellungsklage sind die Gerichte für Arbeitssachen berufen.

3. Auch die Voraussetzungen des § 256 ZPO für eine Feststellungsklage liegen vor.

Die begehrte Feststellung betrifft ein „Rechtsverhältnis“, nicht nur eine Tatsachenfeststellung. Denn es wird geltend gemacht, der Beklagte habe als Arbeitgeber die Verpflichtung gehabt, auf Grund der von der Klägerin er zielten Bruttoarbeitsentgelte die entsprechenden Beiträge abzuführen, und zwar kraft arbeitsvertraglicher Fürsorgepflicht.

Auch das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Eine Nachentrichtung von Beiträgen, die auf einem anderen, spezielleren und umfassenderen Wege durchgesetzt werden könnte, dürfte für den größten Teil des Feststellungszeitraums wegen Ablaufs der Zweijahresfrist des § 1418 Abs. 1 RVO nicht mehr in Betracht kommen. Die Klägerin ist insoweit auf die spätere Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den Beklagten angewiesen, falls ihre Rente wegen zu geringer Entgeltberechnung und Beitragsabführung niedriger ausfallen sollte (BAG AP Nr. 1 und 4 zu § 823 BGB Schutzgesetz). Als Grundlage für einen derartigen, rein zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch dient die vorliegende Feststellungsklage. Für das Jahr 1968 käme zwar noch eine Nachentrichtung von Beiträgen in Betracht. Insoweit ist aber nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin davon auszugehen, daß die AOK als Einzugsstelle die Klägerin gerade auf den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten verwiesen und ein eigenes Tätigwerden vorerst abgelehnt hat. Dann kann aber davon ausgegangen werden, daß die AOK die Entscheidung der Arbeitsgerichte sich auch zu eigen machen und auch hinsichtlich einer eventuellen Nachentrichtung von Beiträgen von ihr ausgehen wird (vgl. BGHZ 27, 190 [195]).

4. In der Sache selbst kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Denn das angefochtene Urteil hat bisher keine Feststellungen darüber getroffen, welches Bruttoarbeitsentgelt die Klägerin in den Jahren 1962 – 1968 wirklich erhalten hat. Dies wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen haben. Deshalb muß der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Vordergericht zurückverwiesen werden.

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