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MPU-Anordnung nach Drogenkonsum unzulässig?

VG Neustadt/Wstr.

Az: 1 L 1125/11.NW

Beschluss vom 28.12.2011


In dem Verwaltungsrechtsstreit wegen Entziehung der Fahrerlaubnis hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der Beratung vom 28. Dezember 2011, beschlossen:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 13.Oktober 2011 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 4. Oktober 2011 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,– € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die mit Verfügung vom 4. Oktober 2011 für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen CE, C, C1, C1E, BE, B, M, S und L wiederherzustellen, hat Erfolg. Die vom Gericht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus, weil sich die ihm gegenüber verfügte Fahrerlaubnisentziehung bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist.

Gemäß § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG –, § 46 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Behörde kann nach § 11 Abs. 8 FeV von der Ungeeignetheit ausgehen, wenn der Fahrerlaubnisinhaber sich weigert, sich untersuchen zu lassen oder ein von ihm gefordertes Gutachten über seine Fahreignung nicht fristgerecht beibringt. Dieser Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Untersuchungs-/Gutachtensanforderung ihrerseits in formeller und materieller Hinsicht rechtmäßig (BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 C 25/04 –, NJW 2005, 3081 f. und juris), insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2001 – 3 C 13/01 –, NJW 2002, 78). Daran fehlt es hier, denn das Anforderungsschreiben des Antraggegners vom 5.Juli 2011 entspricht wegen Fehlens einer ausreichend konkreten und anlassbezogenen Fragestellung nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Vorliegend sind zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben, wonach ein ärztliches Gutachten nach § 14 Abs. 1 FeV grundsätzlich gefordert werden kann, da ein solches gerade zur Klärung des Konsumverhaltens des Antragstellers und der Feststellung des Trennungsvermögens zwischen Konsum und dem Fahren von Kraftfahrzeugen beitragen kann. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens an, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass eine Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorgelegen hat. Im Falle von Cannabis ist die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV gerechtfertigt, wenn entweder konkrete Anhaltspunkte für einen regelmäßigen Konsum vorhanden sind, oder aber wenn zu dem begründeten Verdacht des gelegentlichen Konsums noch Zusatztatsachen i.S.d. Nr. 9.2.2 Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV hinzutreten, die weitere Zweifel an der Fahreignung begründen, z.B.: am Trennungsvermögen zwischen Fahren und Konsum.

Die Anforderung eines Gutachtens ist bereits bei Anhaltspunkten gerechtfertigt, die bei vernünftiger lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der Betreffende konsumiere Cannabis in einer für die Fahreignung relevanten Weise und könne diesen Konsum nicht vom Fahren trennen (vgl. VG München, Beschluss vom 21. April 2011 – M 1 S 11.1125 –, juris). Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV kann die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens angeordnet werden, wenn der Betroffene Betäubungsmittel widerrechtlich besitzt oder besessen hat.

Die Voraussetzungen für die Anforderung eines ärztlichen Gutachtens in dem vorstehend dargestellten Sinne lagen hier grundsätzlich vor und diese Umstände hat die Antragsgegnerin in dem Anforderungsschreiben vom 5. Juli 2011 auch dargelegt. Sie hat erwähnt, dass gegen den Antragsteller ein bestandskräftiger Bußgeldbescheid erlassen worden ist, weil er ein Kraftfahrzeug am 2.September 2010 mit einer THC-Konzentration von 1,8 ng/ml sowie einem THC-Carbonsäurewert von < 5,0 ng/ml im Blut geführt hat.

Die Antragsgegnerin hat jedoch in dem Anforderungsschreiben vom 5. Juli 2011, mit dem sie den Antragsteller zu einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) aufgefordert hat, keine konkrete und ausschließlich anlassbezogene Fragestellung, die durch das einzuholende ärztliche Gutachten geklärt werden sollte, formuliert, die durch Anhaltspunkte im zugrunde liegenden Sachverhalt gedeckt war. Vielmehr ist sie über den Anlass hinausgegangen und hat die gutachterlich zu klärenden Fragen auf alle Betäubungsmittel nach dem BtmG erstreckt.

Gemäß § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind und teilt ihm die Gründe für Zweifel an seiner Fahreignung mit. Um diesen formellen Mindestanforderungen zu genügen, muss die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss ihr entnehmen können, was ihr konkreter Anlass ist, und ob das in ihr Aufgeführte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001, a.a.O.). Hierfür sind ihm insbesondere die Tatsachen bekanntzugeben, die den Verdacht und bestimmte Eignungszweifel begründen. In formaler Hinsicht muss der Betroffene erkennen können, welcher konkrete Anlass besteht, ihn zu der Vorlage eines Gutachtens aufzufordern, und ob das in der Aufforderung Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Diese formellen und materiellen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung, die nicht zuletzt Ausdruck der Schutzwürdigkeit des Persönlichkeitsrechtes des Betroffenen nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes sind, in das mit der Begutachtung eingegriffen wird (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 17. August 2007 – 11 CS 07.25 – juris, Rdnr. 10), könne nicht durch Überlegungen des Inhalts relativiert werden: Der Betroffene werde schon wissen, worum es gehe (BVerwG a.a.O.). Es sind vielmehr insoweit strenge Anforderungen angezeigt, denn nur sie ermöglichen es dem Betroffenen, hinreichend beurteilen zu können, ob er das von der Behörde geforderte Gutachten vorlegt oder das Risiko einer Fahrerlaubnisentziehung durch Nichtvorlage in Kauf nimmt. Erst mit der Mitteilung der Fragestellung ist die Anordnung abschließend bestimmt und damit eine anlassbezogene Themenstellung und Untersuchung sichergestellt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 15. Mai 2008 – 11 CS 08.616 -, BayVBl. 2008, 724).

Diesen Anforderungen entspricht das Schreiben der Antragsgegnerin vom 5. Juli 2011 nicht.

Die Formulierung in dem Anforderungsschreiben vom 5. Juli 2011 zur Vorlage des MPU- Gutachtens ist unzureichend und unzulässig, da nicht ohne weiteres durch die „Cannabisfahrt“ des Antragstellers bedingt. Die Antragsgegnerin hat mitgeteilt, folgende Fragen gutachterlich klären zu lassen:

Ist zu erwarten, dass Herr … zukünftig ein KfZ unter Drogen führen wird bzw. werden Betäubungsmittel im Sinn des BtmG oder anderer psychoaktiv wirkende Stoffe eingenommen, die die Fahreignung nach Anlage 4 FeV in Frage stellen?

Liegen als Folge des Drogenkonsums Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges in Frage stellen?

Die Fragestellungen bei der Anordnung einer MPU sind aber im Hinblick auf den zu beachtenden Grundsatz der anlassbezogenen Begutachtung an den Umständen des Einzelfalls zu orientieren. Angesichts der Umstände des vorliegenden Einzelfalls wäre die Fragestellung auf den Konsum von Cannabis, hier die Konsumgewohnheiten und das Trennungsvermögen des Antragstellers zwischen Fahren und Cannabiskonsum zu beschränken gewesen, da Anhaltspunkte für den Konsum anderer Betäubungsmittel weder aus dem Anforderungsschreiben noch aus der Verwaltungsakte ersichtlich sind. Nach dem dem Gericht vorliegenden Inhalt der Verwaltungsakten liegt ein Anfangsverdacht in Bezug auf den Konsum so genannter harter Drogen beim Antragsteller nicht vor (vgl. zum Umfang des Untersuchungsauftrags im Rahmen der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anlässlich Cannabiskonsums: VG München, Urteil vom 21. November 2008 – M 1 K 08.3329 –, juris). Die Antragsgegnerin hat im Anforderungsschreiben auch keine Gründe genannt, woraus sie die Annahme ableitet, der Antragsteller könne außer Cannabis andere Betäubungsmittel im Sinn des BtmG oder anderer psychoaktiv wirkende Stoffe einnehmen. Eine solche Begründung wäre aber erforderlich, um die hier erlassene Aufforderung aus sich heraus verständlich zu machen.

Da die Aufforderung vom 5.Juli 2011wegen der über ihren Anlass hinausgehenden und nicht begründeten Fragestellung rechtswidrig ist, musste der Antragsteller ihr nicht nachkommen, so dass die mit Verfügung vom 4. Oktober 2011 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis nicht auf § 11 Abs. 8 FeV gestützt werden kann.

Die vom Antragsteller angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis vom 4.Oktober 2011 stellt sich auch nicht aus anderen Gründen gemäß § 11 Abs. 7 FeV als rechtmäßig dar. Nach dieser Vorschrift unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht. In Bezug auf Cannabis gilt Folgendes: Wenn regelmäßiger Konsum (vgl. hierzu OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12. November 2003 – 7 B 11599/03.OVG –, ESOVGRP; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Mai 2003 – 10 S 1907/02 – ZfS 2003, 474; Bayerischer VGH, Beschluss vom 3. September 2002 – 11 CS 02.1082 –, ZfS 2003, 429) vorliegt, ist eine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gegeben. Regelmäßiger Cannabiskonsum führt nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV zur Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeuges. Bei der gelegentlichen Einnahme von Cannabis wird nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV für die Annahme der Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges gefordert, dass der Betreffende zwischen Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennen kann. Bei der gelegentlichen Einnahme von Cannabis ist für die Annahme der Fahreignung auch Voraussetzung, dass kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt (VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 30. Januar 2006 – 3 L 99/06.NW –).

Ob im hier zu entscheidenden ein die Fahreignung ausschließender Cannabiskonsum beim Antragsteller vorliegt, ist nach der vorliegenden Aktenlage nicht hinreichend gesichert. So ist der Antragsteller nach der vorliegenden Aktenlage nur am 2. September 2010 mit einem THC-Gehalt von 1,8 ng/ml als Kraftfahrer unter Cannabiseinfluss aufgefallen. Auch wenn mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 2. Februar 2011 -10 B 11400/10- )davon ausgegangen wird, dass es nach einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss der ausdrücklichen Berufung des Fahrerlaubnisinhabers auf einen Erstkonsum und der substantiierten und glaubhaften Darlegung der Einzelumstände dieses Konsums bedarf, um nicht von einem jedenfalls gelegentlichen Cannabiskonsum ausgehen zu können, und aus diesem Grund im Fall des Antragstellers von einem gelegentlichen Konsum auszugehen wäre, so ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren nicht zwingend. Dies gilt auch, obwohl der bestandskräftigen Bußgeldbescheid das Führen eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des berauschenden Mittels, hier Cannabis, festgestellt hat. Denn unabhängig davon, ob bei einer THC-Konzentration von 1,8 ng/ml der Grenzwert nicht nur im Sinn des § 24a Abs. 2 StVG bereits überschritten ist (Grenzwertkommission:ab 1 ng/ml- zitiert nach Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht § 24a StVG, Rnr.21a) oder ob bis zu einem THC-Grenzwert von 2,0 ng/ml nur ein Gutachten angefordert werden darf, wenn keine sonstigen rauschbedingten Auswirkungen feststellbar waren, ist hier zu berücksichtigen, dass die Fahrt des Antragstellers unter Cannabiseinfluss nun mehr als ein Jahr zurück liegt. Aus diesem Grund kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass er bereits seit einem Jahr abstinent ist (FeV, Anlage 4 Nr. 9.5). Daher war es im Falle des Antragstellers auch nicht gerechtfertigt, ohne Einholung eines Gutachtens zwingend nach § 11 Abs. 7 FeV von seiner Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen.

Die Kostentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 46 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327). Danach bemisst sich der Streitwert der Hauptsache auf 15.000,- €. Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist dieser Betrag zu halbieren (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).

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