PFÄLZISCHES OBERLANDESGERICHT ZWEIBRÜCKEN
Az.: 6 U 40/98
Verkündet am 26.08.1999
rechtskräftig!
Vorinstanz: Landgericht Zweibrücken Az.: l O 279/98
In dem Rechtsstreit wegen Schmerzensgeldes hat der 6. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 1999 für Recht erkannt:
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 4. September 1998 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Wert der Beschwer der Klägerin wird auf 2.000,– DM festgesetzt.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin hat im Ergebnis keinen Erfolg.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch nicht zu, da zum einen nicht dargetan ist, dass das ihm obliegende Verkehrssicherungspflichten verletzt hat und zum anderen, weil der Klägerin, selbst wenn man die übrigen Voraussetzungen eines Schmerzensgeldanspruches gemäß §§ 823, 847 BGB als erfüllt ansehen würde, ein so erhebliches Mitverschulden anzulasten ist, dass eine eventuelle Verletzung der Verkehrssicherungspflicht völlig zurücktreten würde und deshalb ein Schadensersatzanspruch ausgeschlossen ist.
Zur Begründung verweist der Senat zunächst auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung. Ergänzend ist auszuführen: Die Reichweite der Verkehrssicherungspflicht eines Veranstalters wird überspannt, wenn von ihm generell ohne das Hinzutreten besonderer Umstände verlangt würde, dass bei Durchführung einer Musikveranstaltung in unmittelbarer Nähe des Bühnenbereiches stets Absperrmaßnahmen zur Vermeidung gesundheitlicher Lärmbelastungen anzubringen sind. Es kann daher unentschieden bleiben, ob nicht sogar im vorliegenden Streitfall Absperrgitter vor der Bühne in einem Abstand von 4 – 5 m aufgestellt worden waren, wie das beklagte Land im einzelnen behauptet hat. Denn selbst dann, wenn man die entgegenstehenden Behauptungen der Klägerin als zutreffend unterstellt, ist eine Verkehrssicherungspflichtverletzung nicht hinreichend substantiiert dargetan.
Ob eine Verpflichtung zu einer Absperrung des Bühnenbereichs im Zusammenhang mit der Durchführung von Musikveranstaltungen besteht, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Eine solche Verpflichtung kann durchaus gegeben sein, wenn die Besucher sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles, z.B. weil die Veranstaltung in geschlossenen Räumen stattfindet oder eine große Besucherzahl das jederzeitige Entfernen ausschließt und ein „Ausgesetztsein“ begründet, sich nicht von der Lärmquelle zur Vermeidung einer Selbstschädigung entfernen können, oder wenn nach der Veranstaltungskonzeption die Gefahr besteht, dass die Besucher überraschend und ohne dies selbst verhindern zu können, einer gefahrenträchtigen Lärmbelastung ausgesetzt werden können. Haben die Besucher dagegen die Möglichkeit, sich in einem gefahrlosen Abstand von der Lärmquelle aufzuhalten, sind sie selbst verantwortlich dafür, in welchem Maße sie sich dieser Lärmbelastung aussetzen. Im Einzelfall kann darüber hinaus die Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters erhöht sein, wenn ganz überwiegend mit der Teilnahme von Kindern und Jugendlichen zu rechnen ist, deren Einsichtsfähigkeit hinsichtlich des Risikos einer Selbstschädigung durch überhöhte Lärmbelastung fehl. Solche besonderen Umstände im vorgeschriebenen Sinne, die eine erhöhte Verkehrssicherungspflicht hätten begründen können, hat die Klägerin indes nicht vorgetragen, sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere ist der hier zu beurteilende Sachverhalt nicht entfernt dem vergleichbar, der dem Urteil des Landgerichts Trier (NJW 1993, 1474) zugrunde liegt.
Das Landgericht hat daher zutreffend darauf abgestellt, dass die Klägerin im Einzelnen hätte darlegen müssen, welcher Qualität die Lärmquelle war. Sie hätte nicht nur dartun müssen, dass der Veranstalter eine unzumutbare Lärmbelastung, die gesundheitsgefährdend war, ausgelöst hat, sondern auch, warum nach den konkreten Umständen Absperrmaßnahmen zum Schutz der Besucher geboten waren.
Die Klägerin kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg auf Beweiserleichterungen gemäß den Grundsätzen des sogenannten Anscheinsbeweises berufen. Einen Anscheinsbeweis dafür, dass der später festgestellte Innenohrschaden auf das Abspielen überlauter, gesundheitsschädlicher Musik auf der Bühne zurückzuführen ist, gibt es nicht.
Letztendlich scheitert der Anspruch aber – wie schon eingangs erwähnt – deshalb, weil der Klägerin ein derart hohes Mitverschulden zur Last fällt, dass ein etwaiger Schmerzensgeldanspruch ausgeschlossen ist. Bei der Abwägung des Mitverschuldens nach § 254 Abs. l BGB ist § 828 Abs. 2 BGB entsprechend heranzuziehen (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1969, 380 f.;Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl., § 254 Rdnr.. 13 mit weit. Nachw.). Zum Zeitpunkt des Schadensereignisses, stand die Klägerin kurz vor ihrem 15. Geburtstag. Ausgehend von der altersgerechten Einsichtsfähigkeit einer 15jährigen Jugendlichen konnte von der Klägerin erwartet werden, dass sie selbst erkennt, ob der Lärm so erheblich ist, dass sie sich durch eine längere Beschallung einer Schädigung aussetzen würde. Es konnte von ihr erwartet werden, dass si<= die Gefahr erkennt und sich von der Lärmquell0 selbst entfernt. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht über die erforderliche Einsichtsfähigkeit verfügte und dass ihre Einsichtsfähigkeit durch besondere Umstände vermindert gewesen sein könnte oder schließlich, dass tatsächliche Hindernisse bestanden haben, die es ausschlössen, sich der Einsicht entsprechend unverzüglich von der Gefahrenquelle zur Vermeidung von Selbstschädigungen zu entfernen, sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. l ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Den Wert der Beschwer der Klägerin hat der Senat gemäß § 546 Abs. 2 ZPO festgesetzt.