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Streupflicht (nächtliche) auf außerörtlichen Strassen

OLG München

Az: 1 U 1804/10

Urteil vom 22.07.2010


I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 14.01.2010, Az. 1 O 350/09 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls, den seine Ehefrau auf einer nicht gestreuten Bundesstraße erlitten hat.

Die Zeugin S. fuhr am Morgen des 01.01.2009 gegen 7.28 h mit dem Fahrzeug des Klägers, einem PKW Suzuki, auf der Bundesstraße 8 von……………, als sie etwa bei Kilometer 110,000 auf eisglatter Fahrbahn ins Schleudern geriet. Der Wagen wurde über die Böschung der sogenannten „Löwenwand“ hinaus auf einen Gleiskörper einer parallel zur Bundesstraße verlaufenden Bahnlinie geschleudert. Die Zeugin konnte den beschädigten Wagen noch rechtzeitig verlassen, bevor ein ICE den Wagen erfasste und ca. 100 Meter mitschleifte. Am Fahrzeug entstand Totalschaden.

Der Kläger ist der Auffassung, der Beklagte habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil der fragliche Streckenabschnitt nicht abgestreut gewesen sei und müsse deshalb für den eingetretenen Schaden haften.

Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 14.01.2010, auf das vollumfänglich Bezug genommen wird, abgewiesen.

Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen die Klageabweisung. Er ist der Auffassung, die Beklagte hätte die B 8 am Neujahrsmorgen abstreuen müssen, da sie im Bereich der Löwenwand – für den Kraftfahrer nicht erkennbar – besonders glättegefährdet sei und die Straße eine zentrale Verkehrsbedeutung habe.

Er beantragt in der Berufungsinstanz:

Unter Abänderung des am 14.01.2010 verkündeten Urteils des Landgerichts Passau, Az. 1 O 350/09 den Beklagten zur Zahlung von 14.420,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus dem Verkehrsunfall der Brigitte S. vom 1.1.2009 auf der B 8 an der Löwenwand noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Dritte übergegangen ist.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen

Im Termin vom 22.07.2010 hat der Senat die Zeugin …………. vernommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung war zurückzuweisen. Zu Recht hat das Landgericht eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten verneint. Insbesondere teilt der Senat die Rechtsauffassung des Landgerichts, dass sich der Unfall außerhalb der zeitlichen Grenzen der Verkehrssicherungspflicht ereignet hat. Der Beklagte musste angesichts des zu erwartenden geringen Verkehrsaufkommens am Neujahrsmorgen nicht bereits vor 7.28 Uhr dafür Sorge tragen, dass die B 8 im Bereich der „Löwenwand“ abgestreut ist.

1. Zur Frage der Grenzen der Räum- und Streupflicht gibt es in der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefestigte Grundsätze, denen die Oberlandesgerichte folgen und die – soweit ersichtlich – auch in der Kommentarliteratur nicht angezweifelt werden. Es gibt hierzu nicht nur die zentrale Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1963 (BGHZ 40, 379), sondern zahlreiche, auch neuere Urteile, in denen sich die seit Jahrzehnten maßgeblichen Kriterien wiederfinden.

Demnach gilt: Da es praktisch unmöglich ist, alle Straßen zu jeder Tages- und Nachtzeit bei Eis- und Glättebildung durch Streuen in einen ungefährlichen Zustand zu versetzen oder ständig darin zu halten, verlangt der BGH für Fahrbahnen und Wege innerhalb geschlossener Ortschaften ein Streuen nur an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen. Für Fahrbahnen außerhalb geschlossener Ortschaften sind nur die besonders gefährlichen Stellen abzustreuen, bei denen der Verkehrsteilnehmer bei der für Fahrten auf winterlichen Straßen zu fordernden schärferen Beobachtung des Straßenzustandes und der damit gebotenen erhöhten Sorgfalt den die Gefahr bedingenden Zustand der Straße nicht rechtzeitig erkennen und deshalb die Gefahr nicht meistern kann (vgl. etwa BGH vom 20.10.1994, Az. III ZR 60/94 = VersR 1995, 721).

Auch hinsichtlich der zeitlichen Grenzen wägt der BGH die Sicherheitsbelange des Verkehrs einerseits und die zumutbaren Möglichkeiten der streupflichtigen Körperschaft andererseits ab, wobei auf die jeweiligen konkreten Verhältnisse abzustellen ist (BGH vom 26.03.1992, Az. III ZR 71/91). Grundsätzlich sind Straßen und Wege nur für den normalen Tagesverkehr gegen Glätte zu sichern, wobei gebotene Streumaßnahmen morgens so rechtzeitig durchgeführt werden müssen, dass der vor dem allgemeinen Tagesverkehr liegende Hauptberufsverkehr geschützt wird. Da an Samstagen, Sonn- und Feiertagen signifikant weniger Verkehrsteilnehmer vor 8 Uhr bzw. 9 Uhr morgens unterwegs sind, als an einem normalen Arbeitstag unter der Woche, außerdem am Wochenende bzw. an Feiertagen Sicherungskräfte in nur geringerer Anzahl vorgehalten werden, um die Personalkosten in vertretbaren Grenzen zu halten, genügt die Körperschaft ihrer Verkehrssicherungspflicht an diesen Tagen regelmäßig mit Streumaßnahmen ab 8 Uhr bzw. 9 Uhr (BGH a.a.O.). Die Rechtsprechung stellt demnach durchaus differenzierte Anforderungen an die Streupflicht, je nachdem ob es sich um einen normalen Arbeitstag, Wochenendtag oder einen Feiertag handelt.

Dass die öffentliche Hand nicht verpflichtet ist, für ihre Straßen einen nächtlichen Streudienst einzurichten oder gefährliche Stellen vor Beginn des Hauptverkehrs oder Durchgangsstraßen zur Nachtzeit bei plötzlicher Eisbildung zu bestreuen, hat der BGH im Jahr 1963 ausdrücklich festgehalten (BGH vom 21.11.1963, Az. II ZR 148/62 = BGHZ 40, 379). In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 1972 hat er daran festgehalten, dass der Verkehrssicherungspflichtige für Schnellstraßen einen nächtlichen Streudienst nicht einzurichten braucht (BGH vom 21.02.1972, Az. III ZR 134/68). Die letztgenannte Entscheidung betraf – wie vorliegend – einen Unfall auf einer Bundesstraße außerhalb geschlossener Ortschaften an einer (nach Vortrag des Klägers) besonders gefährlichen Stelle. Bestätigt hat der BGH die dargestellten Grundsätze nochmals in seinem Urteil vom 20.12.1984, Az. III ZR 19/84. Auch in dieser Entscheidung hat der BGH betont, dass eine Bundesstraße außerhalb geschlossener Ortslagen selbst an besonders gefährlichen Stellen nicht in den frühen Morgenstunden (im fraglichen Fall um 6.20 Uhr) abgestreut sein muss. Dass sich seit 1984 das Verkehrsaufkommen und die Bedeutung des Kraftfahrzeugverkehrs so wesentlich geändert hätten, dass diese Grundsätze heutzutage keine Gültigkeit mehr beanspruchen könnten, ist nicht ersichtlich. Vielmehr entscheiden die Obergerichte bis heute entsprechend den dargestellten Kriterien. Entscheidungen zu den zeitlichen Grenzen der Streupflicht auf Straßen außerhalb geschlossener Ortslage sind beispielsweise vom erkennenden Senat (Beschluss vom 10.03.2008, Az. 1 U 1691/08), dem OLG Celle (Beschluss vom 11.3.1998, Az. 9 U 142/97) und dem OLG Hamm (Beschluss vom 02.03.2001, Az. 9 U 133/00) ergangen.

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Entscheidungen zu den zeitlichen Grenzen der Streupflicht für innerörtliche Straßen und Wege, für die in dieser Frage nichts anderes gilt. Auch dort verneint die Rechtsprechung einhellig unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit und unter Berücksichtigung des geringen Verkehrsaufkommens eine Streupflicht für die Zeit vor 8 Uhr an Samstagen bzw. 9 Uhr an Sonn- und Feiertagen (vgl. z.B. OLG Köln VersR 97, 506). Soweit der Kläger meint, die Anforderungen an die außerörtliche Streupflicht müssten höher angesetzt werden, als im innerörtlichen Bereich, kann dem nicht gefolgt werden. Weder Urteile des BGH noch Entscheidungen der Oberlandesgerichte bieten Ansätze dafür, dass der Verkehrssicherungspflichtige außerhalb geschlossener Ortslagen zu weitergehenden Streumaßnahmen verpflichtet wäre, als im Ort. Richtig ist zwar, dass das Verletzungsrisiko für einen Autofahrer auf einer Landstraße wegen der höheren Geschwindigkeit größer ist, als in einer Ortschaft. Die Rechtsprechung verlangt jedoch von einem Fahrer, dass er den winterlichen Verhältnissen Rechnung trägt und sein Tempo der möglichen Glättegefahr anpasst, gegebenenfalls also nicht schneller fährt als innerorts. Tendenziell stellt die Rechtsprechung auf Straßen außerhalb von Ortschaften sogar geringere Anforderungen an die Streupflicht, da dort nur – wie dargelegt – die besonders gefährlichen Stellen bestreut werden müssen.

Nach den üblichen Kriterien der Rechtsprechung ist demnach eine Streupflicht an der Unfallstelle zum Unfallzeitpunkt zu verneinen. Ob Unfallursache eine nicht erkennbare überraschende Glätte war oder Fahrfehler der Zeugin ……., kann ebenso dahinstehen, wie die Frage, welche Umstände die fragliche Strecke möglicherweise besonders anfällig für Glätte macht.

2. Anerkanntermaßen sind die Anforderungen an die Räum- und Streupflicht objektiv anhand der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Überobligatorische Maßnahmen des Verkehrssicherungspflichtigen (hier: behauptete Glättekontrollen während der Nacht) begründen keine gesonderten Pflichten.

3. Von einer aus dem üblichen Rahmen völlig heraus fallenden, ganz außergewöhnlich großen und vorhersehbaren Gefahrenlage, die einen nächtlichen Streudienst ausnahmsweise erforderlich machen würde (z.B. eine kurz zuvor beendete Massenveranstaltung in der Nähe des Unfallortes), kann keine Rede sein. Am Feiertag gibt es keinen LKW-Verkehr. Die Mehrzahl der Erwerbstätigen muss nicht zur Arbeit und frühstückt nicht vor 8 Uhr morgens. Gerade an Neujahr kommt hinzu, dass viele Menschen erst spät in der Nacht schlafen gehen und morgens tendenziell noch länger schlafen, als sonst üblich. Gerade morgens um 7.30 Uhr ist deshalb an einem Neujahrsmorgen selbst auf einer ansonsten frequentierten Bundesstraße nur mit geringem Verkehr zu rechnen. Die Zeugin …… hat dies bestätigt. Sie bekundete, dass sie an diesem Morgen bei ihrer Fahrt von ….. bis zum Unfallort praktisch allein auf der Straße war.

Zusammenfassend lässt sich damit feststellen, dass der Kläger die Anforderungen an die Streupflicht des Beklagten überspannt, wenn er für die fragliche Bundesstraße am Neujahrsmorgen einen Streudienst zwischen 5 und 6 Uhr morgens fordert. Zu Recht wurde die Klage vom Landgericht abgewiesen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe für eine Revisionszulassung bestehen nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO). Wie dargelegt, gibt es zu den zeitlichen Grenzen der Räum- und Streupflicht außerhalb geschlossener Ortschaften eine einheitliche ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung, die auch in der Literatur nicht in Frage gestellt wird. Es liegen weder Anhaltspunkte dafür vor, dass in dieser Frage ein grundlegender Meinungswandel stattgefunden hätte, noch dass sich die tatsächlichen Verhältnisse seit den maßgeblichen BGH-Entscheidungen grundlegend geändert hätten und damit Veranlassung zu einer Korrektur der gefestigten Rechtsprechung bestehen würde.

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