BUNDESGERICHTSHOF
Az.: 3 StR 284/05
Beschluss vom 20.04.2006
In der Strafsache wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion u. a. hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 20. April 2006 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Kammergerichts Berlin vom 18. März 2004 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
1.
Die Rüge, die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens seien verletzt worden, weil die Vorsitzende in der Sitzungsverfügung Personen unter 16 Jahren den Zutritt versagt habe, ist unbegründet. Ist – wie hier – die Sicherheit im Gerichtsgebäude nicht ohne weiteres gewährleistet, dürfen im Rahmen einer Sicherheitsverfügung Maßnahmen, die den Zugang zu einer Gerichtsverhandlung regeln, getroffen werden, wenn für sie ein verständlicher Anlass besteht, wobei die Entscheidung hierüber im pflichtgemäßen Ermessen des die Sitzungspolizei ausübenden Vorsitzenden steht (BGHSt 27, 13 ff.).
Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass die Vorsitzende in Ziffer 2 dieser Verfügung Personen, die jünger als 16 Jahre sind, den Zugang generell versagt hat. Nach § 175 Abs. 1 GVG war sie befugt, unerwachsene Personen von der Teilnahme an der Hauptverhandlung auszuschließen. Dass sie diese Befugnis im Rahmen einer Sicherheitsverfügung pauschal in der Weise ausgeübt hat, dass damit junge Menschen, die mehr als zwei Jahre unter der Volljährigkeitsgrenze sind, allgemein erfasst wurden, zeigt keinen Rechtsfehler auf. In Anbetracht der erforderlichen umfangreichen und personalintensiven Eingangskontrollen, die Wachtmeistern und Polizeikräften übertragen werden mussten, kann jedenfalls für diese Altersgruppe, bei der eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Fehlen der Erwachsenenreife spricht, eine individuelle Prüfung dieser Reife durch das Gericht nicht gefordert werden. Die Entscheidung des Reichsgerichts in RGSt 47, 375 f. steht dem nicht entgegen, da ihr keine vergleichbare Situation, die eine Sicherheitsverfügung erforderlich machte, zugrunde lag. Im Übrigen betraf sie 17-jährige Zuschauer und hatte für diese das Erfordernis einer individuellen Prüfung mit spezifischen Argumenten für diese Altersgruppe begründet (Heiratsfähigkeit, Zulassung zum Militärdienst).
2.
Das Kammergericht hat das gesamte abgeurteilte Geschehen beim Angeklagten zu Unrecht nur als eine Tat bewertet. Zwar trifft es grundsätzlich zu, dass das Verbrechen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a Abs. 1 StGB in Tateinheit zu Straftaten steht, die der Täter als Mitglied der Vereinigung begeht (BGHSt 29, 288 ff. zu § 129 StGB). Mehrere solcher Straftaten, die untereinander in Tatmehrheit stehen würden, können jedoch nur dann durch die Klammerwirkung des Organisationsdelikts des § 129 a StGB zu einer Handlung zusammengefasst werden, wenn sie im Verhältnis zu ihm leichter oder annähernd gleichwertig sind (BGHSt 29, 288, 291). Dies ist bei Verbrechen des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion nach § 311 Abs. 1 StGB aF nicht der Fall, da sie mit einer Höchststrafe von 15 Jahren gegenüber 10 Jahren bei § 129 a Abs. 1 StGB bedroht sind (vgl. Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. § 52 Rdn. 30). Der Angeklagte H. ist indes dadurch nicht beschwert.
3.
Mit der sachlich-rechtlichen Beanstandung, die Voraussetzungen einer tätigen Reue nach § 129 a Abs. 7 i. V. m. § 129 Abs. 6 StGB seien zu Unrecht verneint worden, kann die Revision keinen Erfolg haben. Nach den zum Ende der Vereinigung getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte H. zusammen mit jedenfalls den weiteren Mitgliedern B. und G. der terroristischen Vereinigung bis zumindest März 1995 angehört. Zu welchem Zeitpunkt danach und unter welchen Umständen die Vereinigung beendigt worden ist, konnte dagegen nicht festgestellt werden. Ebenso wenig konnte geklärt werden, ob – und gegebenenfalls unter welchen Umständen – der Angeklagte H. schon vorher ausgeschieden war.
a) Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Kammergericht die Voraussetzungen einer tätigen Reue ohne Rechtsfehler verneint. Die Vorschrift des § 129 Abs. 6 StGB setzt insoweit voraus, dass der Täter freiwillige und ernsthafte Bemühungen entfaltet, die darauf gerichtet sind, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern. Aus Wortlaut und Sinn der Vorschrift folgt dabei zum einen, dass vor Beginn der Bemühungen die Vereinigung als solche noch bestanden hat, also ihre Zwecke oder Tätigkeiten nach wie vor darauf gerichtet waren, Straftaten im Sinne der §§ 129, 129 a StGB zu begehen; zum anderen ist Voraussetzung, dass nach der Vorstellung des Täters ohne sein Eingreifen die Vereinigung fortbestehen würde, er aber durch sein Bemühen das Fortbestehen verhindern will.
b) Eine solche Tätigkeit hat das Kammergericht bei keinem der Angeklagten feststellen können, es musste sie auch nicht nach dem Zweifelssatz zu ihren Gunsten unterstellen. Für entlastende Angaben eines Angeklagten gilt der Grundsatz, dass der Tatrichter sich eine Überzeugung von deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden hat. Er darf solche Angaben, für deren Richtigkeit keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen und seiner Entscheidung zugrunde legen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGHR StPO § 261 Einlassung 6 und Überzeugungsbildung 29; BGH NStZ 2002, 48). Für die bloße Unterstellung entlastender Sachverhaltsgestaltungen bei schweigenden Angeklagten gilt dies erst recht.
Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass entsprechende Verhinderungsbemühungen eines oder mehrerer der Beteiligten stattgefunden hatten, ergeben sich entgegen der Auffassung der Revision nicht allein daraus, dass die Vereinigung ihre Tätigkeit – irgendwann nach dem März 1995 – eingestellt hat. Denn es sind mehrere Sachverhaltsgestaltungen denkbar und sogar nahe liegend, die zu einer Beendigung auf andere Weise geführt haben: Möglich erscheint es etwa, dass eines oder mehrere der verbliebenen Mitglieder ihre Mitarbeit einseitig aufgegeben haben, weil sie – wie zuvor die früheren Mitglieder S. und E. – ein Weitermachen für sinnlos erachtet haben oder wie M. aus sonstigen Gründen ausgeschieden sind, ohne dass sie sich bemüht haben, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern. Auch könnte zwischen den Restmitgliedern ein unüberbrückbarer Streit über die weitere Strategie entstanden sein, der zur Beendigung der Vereinigung geführt hat.
c) Schließlich hat das Kammergericht die Voraussetzungen einer tätigen Reue zutreffend auch für den Fall verneint, dass die verbliebenen Mitglieder einvernehmlich zum Ergebnis gekommen sind, dass sich ihre Ziele nicht erreichen lassen und ein Weitermachen somit sinnlos geworden ist. Ein solches Scheitern steht der Annahme von Freiwilligkeit entgegen; es kann auch nicht davon die Rede sein, dass ein sonst zu erwartendes Fortbestehen verhindert worden wäre. Insoweit liegen die Umstände anders als in dem von der Verteidigung herangezogenen Fall des „Autonomen Zusammenschlusz Magdeburg (AZ-MD)“, bei dem ein Teil der Mitglieder einen Auflösungsbeschluss initiiert und dabei erwartet hatte, dass die Mitglieder, die an sich weitermachen wollten, das Ergebnis eines solchen Beschlusses akzeptieren würden (vgl. OLG Naumburg, Urt. vom 21. Oktober 2003 – 2 StE 8/03-2(1/03)).