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Rechtsanwaltsvertrag – Vorliegen eines Fernabsatzvertrags

LG Köln – Az.: 29 S 248/18 – Urteil vom 13.06.2019

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28.11.2018 verkündete Urteil des Amtsgerichts Köln, 112 C 204/18, aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, an die Beklagte 2.482,46 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.10.2018 zu zahlen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beklagte ist eine auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisierte, bundesweit tätige Anwaltskanzlei mit Hauptsitz in L und Kontaktstellen in Frankfurt a.M. Hamburg und München. Der Kläger ist Student der Fernuniversität J und mandatierte die Beklagte im Zusammenhang mit einer Prüfungsanfechtung. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Rückzahlung einer geleisteten Anzahlung, die Beklagte macht widerklagend restliche Honoraransprüche aus einer Schlussrechnung vom 06.12.2017 geltend.

Der Kläger erhob persönlich am 04.02.2017 Klage vor dem Verwaltungsgericht B gegen einen Notenbescheid seiner Universität. Der Kläger ging zunächst davon auf, dass der Allgemeine Studierendenausschluss (AStA) die Kosten für das verwaltungsgerichtliche Verfahren übernehmen werde. Eine Mitarbeiterin des AStA, mit der der Kläger in Kontakt stand, wandte sich an die Beklagte. Ende März 2017 erhielt der Kläger vom AStA die Nachricht, dass die Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht übernommen werden. Daraufhin wandte sich der Kläger telefonisch an die Beklagte, weil diese bereits durch den AStA mit dem Fall vorbefasst war. Der Kläger erhielt nach einer telefonischen Erstberatung per E-Mail von der Beklagten eine Honorarvereinbarung und eine Prozessvollmacht zugesandt, die er am 28.03.2017 unterschrieb und seinerseits per E-Mail an die Beklagte zurückschickte. Die Honorarvereinbarung sah ein Pauschalhonorar von 5.000,00 EUR nebst einer einmaligen Pauschale von 250,00 EUR vor. Wegen der weiteren Regelungen der Honorarvereinbarung wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie (Bl. 9 f GA) Bezug genommen. Der Kläger leistete einen Vorschuss von 3.271,50 EUR.

In dem Internetauftritt der Beklagten heißt es u.a.:

„Wir freuen uns auf ein persönliches Kennenlernen, stehen aber selbstverständlich auch telefonisch oder elektronisch jederzeit für Sie bereit.“

„Durch die zunehmende Spezialisierung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten verliert der Ortsbezug immer mehr an Bedeutung. Nicht die vermeintliche persönliche Erreichbarkeit ist entscheidend, sondern der Grad der Spezialisierung wir zum maßgeblichen Entscheidungskriterium.

Dank unserer modernsten technischen Ausstattung mit mehreren Servern, speziellen Firewalls und umfangreichen internen wie externen Backup-Lösungen können wir ihr Anliegen schnell und ohne Zeitverlust bearbeiten. …“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Kopien des Internetauftritts der Beklagten (Bl. 147 ff GA) verwiesen. Die Beklagte erhält bis zu 200 Neuanfragen pro Monat von Mandanten. Die Annahme eines Mandats erfolgt stets nach einer anwaltlichen Erstberatung, wobei die Beklagte nicht jedes ihr angetragene Mandat übernimmt.

Mit Schreiben vom 30.11.2017 widerrief der Kläger gegenüber der Beklagten die Honorarvereinbarung.

Für die weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das amtsgerichtliche Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Rechtsanwaltsvertrag - Vorliegen eines Fernabsatzvertrags
(Symbolfoto: Amnaj Khetsamtip/Shutterstock.com)

Mit Urteil vom 28.11.2018 hat das Amtsgericht die Beklagte zur Rückzahlung des geleisteten Vorschusses nebst Zinsen verurteilt und die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dem Kläger habe nach §§ 312 c, 312 d, 312 g BGB i.V.m. § 355 BGB ein Widerrufsrecht zugestanden. Auf den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag fänden die Regelungen zum Fernabsatzrecht Anwendung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 23.11.2017, I ZR 30/15) könnten auch Anwaltsverträge den Regeln über Fernabsatzverträge unterworfen sein. Im Streitfall sei der Anwaltsvertrag zwischen den Parteien unstreitig unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden. Die Beklagte habe nicht darlegen können, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt sei. Nach überwiegender Ansicht sei das Tatbestandsmerkmal des Fernabsatzsystems erfüllt, wenn der Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen habe, die notwendig seien, um regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen. Für Anwaltsverträge bedeute dies, dass ein hinreichendes Fernabsatzsystem vorliege, wenn ein Rechtsanwalt seinen Betrieb so organisiere, dass Verträge mit Verbrauchern regelmäßig auch im Fernabsatz abgeschlossen und abgewickelt werden können. Dies sei bei der Beklagten der Fall. Die Beklagte habe ausgeführt, dass angesichts von bis zu 200 erreichenden Neuanfragen pro Monat eine persönliche Mandatierung in den Kanzleiräumen weder möglich noch von den Mandanten gewünscht sei. Auf der Internetseite werbe die Beklagte damit, dass der Ortsbezug an Bedeutung verliere, die persönliche Erreichbarkeit nicht entscheidend sei und Entfernung keine Rolle spiele. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten sei eine persönliche Beratung zwar anheimgestellt, aber nicht zwingend. Aus der Gesamtschau der Tatsachen folge, dass die Beklagte gerade damit werbe, über ein System zu verfügen, das es ihr ermögliche die Vertragsanbahnung und anschließende Mandatierung ausschließlich im Wege des Einsatzes von Fernkommunikationsmitteln zu unternehmen. Die von der Beklagten angeführten Umstände, insbesondere die von ihr dargestellte Vorgehensweise bei Mandatierungen nach individueller anwaltlicher Beratung, die fehlende zur Verfügungsstellung von Blankovollmachten und die anschließenden nicht mittels Serienbriefen geführten Gerichtsverfahren stünden der Annahme eines Fernabsatzsystems nicht entgegen. Zwar spreche zugunsten der Beklagten, dass sie ihre Mandate – anders als in dem vom Bundesgerichtshof zu entschiedenen Fall – nicht im Rahmen von standardisierten Massenverfahren abwickele, eine solche Beschränkung lasse sich dem Urteil des Bundesgerichtshof jedoch nicht entnehmen. Die Gefahren des Fernabsatzgeschäfts lägen bei der Beklagten ebenso vor, obwohl sie kein Massengeschäft betreibe. Denn auch das System der Beklagten berge das Risiko, dass sich der Verbraucher ohne persönlichen Kontakt keinen gleich umfassenden Eindruck vom Dienstleister und den zu erwartenden Dienstleistungen verschaffen könne. § 312c BGB bzw. die Richtlinie 2011/83/EU verlange nicht, dass ein Fernabsatzsystem inhaltlich dazu genutzt werde, ein standardisiertes Verfahren zu betreiben, sondern stelle rein formal und technisch auf die Nutzung eines Fernabsatzsystems für die Vertragsanbahnung und den Vertragsschluss ab.

Gegen dieses Urteil, auf das wegen der weiteren Einzelheiten ergänzend verwiesen wird, wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerechten Berufung.

Sie meint, das Amtsgericht sei rechtsirrig davon ausgegangen, dass bei der Beklagten ein für den Fernabsatz organisiertes Struktur- und Vertriebssystem gegeben sei. Sie verweist auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der bereits vom Amtsgericht herangezogenen Entscheidung, nach der elektronische Postfächer, Telefon- und Faxanschlüsse zur Bewältigung des Betriebs einer Anwaltskanzlei bereits grundsätzlich erforderlich seien, ohne dass hierdurch ein für den Fernabsatz organisiertes Struktur- und Vertriebssystem vorliege. Auch die weiteren Kriterien, anhand derer der Bundesgerichtshof in dem entscheidenden Verfahren das Vorliegen eines Fernabsatzsystems bejaht habe, seien vorliegend nicht erfüllt. Die allgemeinen Ausführungen des Amtsgerichts führten zu dem Schluss, dass bei einem Rechtsanwalt grundsätzlich ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vorliege. Gerade dies habe der Bundesgerichtshof jedoch verneint. Rückschlüsse von der Anzahl von Mandantenanfragen auf die realiter abgeschlossenen Verträge, deren Vertragspartner auch nicht ausschließlich Verbraucher seien, würden sich verbieten.  Überhaupt nicht thematisiert habe das Amtsgericht, dass es sich bereits nicht um im Internet bereitgestellte Angebote der Beklagten handele, da die Annahme eines Mandats von zahlreichen Faktoren abhängig sei und ausschließlich durch die Beklagte und nicht etwa durch den Verbraucher erfolge. Auch hierin unterscheide sich der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall erheblich. Im Gegensatz zu einer im Internethandel feilgebotenen Dienstleistung, welche ein Verbraucher tatsächlich annehmen könne, sei bei der Beklagten immer ein weiteres Verfahren vorgeschaltet, die anwaltliche Erstberatung. Vor diesen Hintergrund fehle es bereits an einem Angebot der Beklagten. Hinsichtlich der kumulativ zu erfüllenden Voraussetzung, dass auch das Vertriebssystem auf Vertragsabschlüsse in großem Umfang im Fernabsatz ausgerichtet sein müsse, verhalte sich die Entscheidung des Amtsgerichts nicht. Die Beklagte bediene sich gerade keiner standardisierten Schreiben, keiner Blanko-Vollmachten und keiner zwischengeschalteten Personen. Vielmehr finde sich bei der Beklagten lediglich das vor, was den durchschnittlichen Anforderungen an eine zeitgemäße Anwaltskanzlei entspreche: ein Internetauftritt mit Kontaktformular, Computer, ein Computernetzwerk, ein Telefax und Telefone. Im Gegensatz zu zahlreichen Kanzleien, die ihre anwaltliche Dienstleistung über Internetportale wie anwalt.de zum Festpreis anbiete und der Rechtssuchende eine Dienstleistung zum Festpreis buche, nehme die Beklagte weder an solchen noch an ähnlichen Angeboten teil. Ebenfalls sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte ihre Kanzlei in äußerst repräsentativen Räumlichkeiten unterhalte. Daher sei die Darstellung der Beklagten im Internet durchaus auf einen persönlichen Termin ausgerichtet. Hierfür sprächen zudem die auf den Internetseiten transparent veröffentlichen Honorarstrukturen, angesichts derer in Verbindung mit der bildlichen Darstellung der Kanzleiräumlichkeiten davon auszugehen sein dürfte, dass die angesprochenen Verkehrskreise eine persönliche  Beratung wünschten. Die in diesem Zusammenhang vom Amtsgericht bemühten Aussagen der Beklagten seien zutreffend, aber nicht relevant. Bei verständiger Würdigung dieser Aussage erschöpfe sich deren Inhalt in der Aussage, dass ein persönlicher Termin nicht nötig sei. Damit werde aber kein Abschluss im Wege des Fernabsatzes beworben sondern lediglich auf dessen Möglichkeit hingewiesen. Hierfür spreche außerdem der vom Amtsgericht nicht annähernd thematisierte Umstand, dass die Beklagte Kontaktmöglichkeiten in anderen Städten unterhalte, die als Zweigstellen geführt würden. Das Struktur- und Vertriebssystem der Beklagten müsste gerade für – mithin zielgerichtet – den Fernabsatz organisiert sein und damit über die generelle Eignung hierfür nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinausgehen. Dies sei indes nicht der Fall, weil die Beklagte bereits aufgrund ihrer Spezialisierung in einem eng umrissenen, sehr überschaubaren Nischengebiet einerseits und ihrer Honorarstrukturen anderseits sich gar nicht an jedermann oder an eine Vielzahl von Personen richte. Darüber hinaus bestünden konkrete Zweifel im Hinblick auf die tatsächlichen Feststellungen, da sich das Amtsgericht in Widerspruch zu der in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs verhalte. Das Amtsgericht habe nicht anhand eines einzigen Kriteriums den von ihm bei der Beklagten bejahten „für den Fernabsatz organisierten Dienstleistungs- und Strukturvertrieb“ positiv festgestellt. Dann könne es der Beklagten nicht vorhalten, deren Nichtvorhandensein nicht hinreichend dargelegt und bewiesen zu haben.

Die Beklagte beantragt, wie erkannt.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Vorschusses zu. Hingegen kann die Beklagte von dem Kläger die Zahlung des restlichen Honorars gemäß § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. dem zwischen den Parteien geschlossenen Anwaltsvertrages nebst Honorarvereinbarung verlangen. Entgegen der vom Amtsgericht geäußerten Rechtsauffassung, liegt hier kein Fernabsatzgeschäft im Sinne von § 312c Abs. 1 BGB vor.

Zwar ist unstreitig, dass der Vertragsschluss ausschließlich durch den Einsatz von Fernkommunikationsmitteln (Telefon, E-Mail) zustande gekommen ist. Damit wird zunächst, allerdings widerleglich, gemäß § 312 c Abs. 1 BGB vermutet, dass der Vertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems geschlossen worden ist (vgl. die bereits vom Amtsgericht herangezogene Entscheidung des BGH, Urteil vom 23.11.2017, IX ZR 204/16; zitiert – wie alle nachfolgenden Entscheidungen – nach Juris). Hier hat die Beklagte aber hinreichend dargelegt, dass bei ihr kein Fernabsatzsystem im Sinne der genannten Vorschrift vorliegt.

Wie bereits vom Amtsgericht zutreffend ausgeführt, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vor, wenn der Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen (BGH, a.a.O.). Ausreichend ist dabei die planmäßige Werbung eines Unternehmers mit dem Angebot telefonischer Bestellung und Zusendung der Ware (BGH, a.a.O). Insoweit ist hier zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, dass sie auf ihrer Homepage unter dem Stichwort „Kontakt“ darauf hinweist, dass sie jederzeit auch telefonisch oder elektronisch für interessierte Mandanten bereit steht und auch unter dem Stichwort „Mandatserteilung“ darauf hinweist, dass Entfernung keine Rolle spielt und auf ihre modernste technische Ausstattung hinweist. Darin kann eine planmäßige Werbung im oben genannten Sinne zu sehen sein. Weiter verkennt die Kammer nicht, dass aufgrund dieser Äußerungen im Rahmen des Internetauftritts der Beklagten bei einer verobjektivierten Mandantensicht (vgl. insoweit Münchener Kommentar/Wendehorst, BGB, 7. Auflage 2016, § 312 c Rn 25 und Dr. N, AnwBl. 2018, 214 ff) der Eindruck erweckt wird, dass die Beklagte regelmäßig und nicht nur in Ausnahmefällen Verträge mittels Fernkommunikationsmitteln schließt. Diese Umstände sind allerdings nach Ansicht der Kammer hier nicht ausreichend, um bei der Beklagten von einem für den Fernabsatz organisiertem Vertriebs- und Dienstleistungssystem ausgehen zu können. Es ist nämlich weiter zu berücksichtigen, dass bei einem Rechtsanwalt ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem nicht bejaht werden kann, wenn dieser lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrages im Fernabsatz, etwa einen Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und Faxanschlüsse vorhält (BGH, a.a.O.). Darüber hinaus ist vorliegend nach dem von dem Kläger nicht hinreichend bestrittenen Vortrag der Beklagten, wie es im Falle des Einsatzes elektronischer Mittel oder des Telefons zum Vertragsschluss kommt, unter Beachtung des Schutzzwecks der Vorschriften über den Fernabsatz und der Erwägung des Verbraucherschutzes das Vorliegen eines typischen für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems ausgeschlossen. Nach dem Sinn und Zweck der verbraucherschützenden Regelungen für Vertragsabschlüsse im Fernabsatz sind Fernabsatzverträge dadurch gekennzeichnet, dass Anbieter und Verbraucher sich physisch nicht begegnen und der Verbraucher die vom Unternehmer angebotene Ware in der Regel nicht vor Vertragsschluss in Augenschein nehmen kann oder sich Kenntnis von den Eigenschaften der Dienstleistung verschaffen kann (BGH, a.a.O.). Um der daraus erwachsenden Gefahr von Fehlentscheidungen des Verbrauchers zu begegnen, wird ihm ein Widerrufsrecht eingeräumt. Vorliegend wird das in der Zusendung einer Vollmacht und der Honorarvereinbarung zu sehende Angebot der Beklagten zum Abschluss eines Anwaltsvertrages nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten potentiellen Mandanten allerdings nicht generell und unabhängig von der Konstellation des jeweiligen Einzelfalls unterbreitet. Vielmehr findet zuvor eine Erstberatung statt, bei der sich der Mandant (Verbraucher) bereits einen ersten Eindruck von Qualität und Überzeugungskraft der anwaltlichen Dienstleistung machen kann. Zudem behält sich die Beklagte ausdrücklich – und wiederum nicht konkret von dem Kläger bestritten – vor, an sie herangetragene Mandate abzulehnen. Ein Fall, wie ihn der BGH zu entscheiden hatte oder das Amtsgericht Brandenburg, dessen Entscheidung das Amtsgericht hier ebenfalls herangezogen hat, bei dem der Anwalt ohne Kenntnis der Einzelheiten des Falles bereits ein Vertragsangebot durch Zusendung oder Übermittlung von Blankovollmachten unterbreitet hatte, das der Mandant ohne vorherigen persönlichen Kontakt annehmen konnte, womit das dem Fernabsatzgeschäft typischerweise innewohnende Risiko eines Vertragsschlusses ohne vorherige Möglichkeit der Beurteilung der Qualität der Dienstleistung gegeben ist, liegt bei der von der Beklagten geschilderten Vorgehensweise gerade nicht vor. Ebenso wenig ist die Beklagte Teil einer Anwaltshotline oder ähnlichem. Vielmehr steht bei der geschilderten Vorgehensweise die persönliche und individuelle Beratung des Mandanten im Vordergrund.

Weiter kann vorliegend ausgeschlossen werden, dass die Beklagte den AStA als ein fremdes Organisations- und Dienstleistungssystem, zur Mandatsanbahnung nutzt. Soweit der Kläger vorgetragen hat, das Mandat sei in seinem Fall durch Vermittlung des AStA zustande gekommen, ist  dies durch den weiteren Vortrag des Klägers und die von ihm vorgelegten Unterlagen widerlegt. Denn nach eigenem Vortrag des Klägers hat er sich an die Beklagte gewandt, weil diese bereits mit seinem Fall (durch den AStA) vorbefasst war. Diese Vorbefassung hat jedoch nicht darauf beruht, dass der AStA für oder im Auftrag des Klägers mit der Beklagten Kontakt aufgenommen hat, damit dieser auf eigenes Kostenrisiko einen Vertrag mit der Beklagten schließt, sondern weil die Beteiligten, insbesondere die Mitarbeiterin des AStA und der Kläger zunächst davon ausgegangen sind, dass der AStA die Kosten des Verfahrens übernimmt. Das weitere konkrete Vorbringen der Beklagten zur Zusammenarbeit mit dem AStA ist von dem Kläger nicht bestritten worden und kann damit als zugestanden angesehen werden.

Eine Sittenwidrigkeit des Honorars gemäß § 138 BGB ist nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere reicht nach der von dem Kläger in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10.11.2016, IX ZR 119/14, nicht aus, dass das vereinbarte Honorar die gesetzlichen Gebühren, ggfls. um ein Vielfaches übersteigt. Denn die gesetzlichen Gebühren allein sind keine ausreichende Vergleichsgrundlage für ein den Schluss auf eine Sittenwidrigkeit ermöglichendes Missverhältnis. Denn sie bilden nicht in allen Fällen die marktangemessene, adäquate Vergütung für die aufgrund eines konkreten Mandats geschuldete Leistung eines Anwalts ab, sondern werden auf einer anderen Grundlage festgesetzt. Dies gilt insbesondere, wenn – wie auch hier – Fest- oder Regelstreitwerte vorgesehen sind (s. BGH, a.a.O). Demnach muss der Mandant, der geltend macht, die mit dem Anwalt getroffene Vergütungsvereinbarung sei sittenwidrig und daher nichtig, und sich hierzu auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung und dem vereinbarten Honorar beruft, nicht nur dartun, dass die vereinbarte Vergütung die gesetzlichen Gebühren überschreitet, sondern zudem darlegen und beweisen, dass nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandats geschuldeten anwaltlichen Tätigkeiten objektiv nur eine geringere als die vereinbarte Vergütung marktangemessen ist (BGH, a.a.O.). Hierzu hat der Kläger jedoch nichts vorgetragen.

Die von dem Kläger herangezogene Überschreitung der gesetzlichen Gebühren um das Zehnfache könnte nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls für eine etwaige Herabsetzung nach § 3a Abs.2 Satz 1 RVG in Betracht kommen. Auf diese hat sich der Kläger jedoch nicht ausdrücklich berufen. Zudem muss vorliegend trotz einer etwaigen Vermutung unter Zugrundelegung des unstreitigen Sachvortrags der Parteien davon ausgegangen werden, dass das vereinbarte Honorar für das konkrete Mandat angemessen gewesen ist. Dies muss zwar der Anwalt darlegen und beweisen (BGH, a.a.O.). Dabei sind die Maßstäbe des Marktes nicht der entscheidende Bezugspunkt für die Angemessenheit. Vielmehr kommt es darauf an, ob die vereinbarte Vergütung unter Berücksichtigung aller Umstände angemessen ist. Dabei kommt es nicht nur auf die Schwierigkeit und den Umfang der Sache an. Im Rahmen der Abwägung sind jedoch auch die Bedeutung für den Auftraggeber und das Ziel zu berücksichtigen, das der Auftraggeber mit dem Auftrag anstrebt und in welchem Umfang das Ziel des Auftraggebers durch die Tätigkeit des Rechtsanwalts erreicht worden ist (BGH, a.a.O.). Für eine Herabsetzung ist danach nur Raum, wenn es unter Berücksichtigung aller Umständen unerträglich und mit den Grundsätzen des § 242 BGB unvereinbar wäre, den Mandanten an seinem Honorarversprechen festzuhalten (BGH, a.a.O.). Vor dem Hintergrund, dass der Kläger nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten eine der bundesweit führenden Kanzleien im Bereich des Prüfungsanfechtungsrechts beauftragt hat, die mit Stundensätzen von rund 500,00 EUR abrechnet, muss auch ohne die weiteren Gesichtspunkte hier von einer Angemessenheit ausgegangen werden, zumal die Beklagte das nach ihrer Webseite eigentlich abzurechnende Pauschalhonorar von 7.500,00 EUR um einen nicht unerheblichen Betrag von 2.500,00 EUR unterschritten hat.

Die Honorarvereinbarung hält auch einer Inhaltskontrolle nach § 307 ff BGB stand. Insbesondere ist die Regelung in Ziffer 9 der Vereinbarung auch bei verwenderunfreundlichem Verständnis nicht dahin zu verstehen, dass bei vorzeitiger Beendigung nach Stundensätzen angerechnet werden kann, die über dem Pauschalhonorar liegen. Vielmehr ergibt sich aus dem letzten Satz der Regelung hinreichend deutlich, dass es allein um eine Rückerstattung des Pauschalhonorars für den Fall der Unterschreitung des Pauschalbetrags bei Stundenabrechnung und damit nur um eine für den Mandanten günstige Regelung geht.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288, 291 BGB, die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 713 ZPO.

Die Revision wird zugelassen. Zwar ist die Frage, ob Anwaltsverträge grundsätzlich dem Fernabsatzrecht unterfallen, bereits durch die angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.11.2017, IX ZR 204/16, geklärt.  Allerdings hat der Bundesgerichtshof in der dortigen Entscheidung ausdrücklich offen gelassen, ob und gegebenenfalls welche weiteren (Mindest-)Anforderungen bei einem Rechtsanwalt an ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem zu stellen sind. Die Frage, ob außerhalb von sog. Massengeschäften, Anwaltshotlines oder Sammelverfahren allein der Hinweis auf der Homepage eines Rechtsanwalts auf die Möglichkeit der telefonischen und elektronischen Kontaktaufnahme ausreichend ist, um ein Fernabsatzsystem annehmen zu können, betrifft eine Vielzahl von Fällen. Ihr kommt deshalb grundsätzliche Bedeutung zu. Denn sie ist vor dem Hintergrund der zunehmenden Technisierung der Justiz und des Anwaltsberufs in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten und berührt damit das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts (vgl. Zöller-Heßler, ZPO, 31. Auflage, § 543 Rn. 11).

Berufungsstreitwert: 5.754,96 EUR (nach der nicht angegriffenen Festsetzung durch das Amtsgericht).

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