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Schwerbehinderter – außerordentliche Kündigung

BUNDESARBEITSGERICHT

Az.: 2 AZR 380/00

Urteil vom 15.11.2001

Vorinstanzen:

I. Arbeitsgericht Berlin, Az.: 23 Ca 27433/98, Urteil vom 04.02.1999

II. Landesarbeitsgericht Berlin, Az.: 3 Sa 1021/99, Urteil vom 07.12.1999


Leitsätze:

Liegt die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zu einer außerordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB vor, so kann der Arbeitgeber diese Kündigungserklärungsfrist voll ausschöpfen und muss nicht unverzüglich kündigen.

Die dem Schutz des Arbeitgebers dienende Regelung des § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 ergänzt als speziellere Regelung §626 Abs. 2 BGB nur nach Ablauf der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist und führt nicht zu deren Verkürzung.


In Sachen hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2001 für Recht erkannt:

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 7. Dezember 1999 – 3 Sa 1021/99 -wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der 1941 geborene Kläger war seit 1983 in der Klinik der Beklagten als Krankenpfleger, zuletzt auf der Intensivstation beschäftigt. Er ist Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 50. Auf Grund einzelvertraglicher Inbezugnahme gelten für das Arbeitsverhältnis die Regelungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT).

Mit Schreiben vom 11. Juni 1985 erteilte die Beklagte dem Kläger eine schriftliche Ermahnung wegen unkollegialen Verhaltens. Mit Schreiben vom 15. Februar 1989 ermahnte sie ihn erneut wegen eines Pflegefehlers und seines unangemessenen Tons gegenüber der betroffenen Patientin. Am 30. August 1990 mahnte sie ihn wegen der nicht erfolgten Säuberung einer Patientin ab. Mit Schreiben vom 3. Juli 1998 erhielt der Kläger eine weitere Abmahnung, mit der ihm vorgeworfen wurde, er habe am 20. Juni 1998 mutwillig eine mit Patientenblut gefüllte Spritze auf den Arm einer Kollegin entleert.

Am 27. Juli 1998 oblag es einer Ärztin im Praktikum und dem Kläger als Krankenpfleger, für die Beatmung eines gerade operierten Patienten zu sorgen. Nachdem die Ärztin dem Patienten im Röntgenraum den von dessen Finger abgefallenen Sensor wieder aufgesteckt und eine hundertprozentige Sauerstoffsättigung festgestellt hatte, rief der Kläger der Ärztin zu, der Patient sei nicht beatmet. Die Ärztin stellte dies in Abrede. Daraufhin hantierte der Kläger an der mit dem Beatmungsgerät verbundenen Sauerstofflasche. Nach Abschluss der Röntgenaufnahme fiel der Ärztin auf, dass das Beatmungsgerät nicht arbeitete. Es stellte sich heraus, dass die Sauerstofflasche zugedreht war. In diesem Fall erhält ein Patient nur noch für ca. 30 Sekunden Sauerstoff. Ein Schaden trat beim Patienten dennoch nicht ein.

Am 20. August 1998 litt eine beatmete Patientin nach einer gerade durchgeführten Operation an einem sog. „Pneumothorax“. Wegen des akut lebensbedrohlichen Zustands entschloss sich die zuständige Fachärztin für Anästhesie, eine Thoraxdrainage noch im sog. „Aufwachraum“ zu legen. Für die Beatmung der Patientin war neben dem Kläger ein Assistenzarzt zuständig. Nachdem die Drainage gelegt worden war, wurde die Patientin erneut geröntgt und vom Assistenzarzt und dem Kläger in die Intensivstation gebracht. Dort stellte die Krankenschwester fest, dass der Schlauch der Drainage durch eine Metallklemme abgeklemmt war, so dass die Drainage nicht funktionieren konnte.

Die Pflegedienstleitung erfuhr am 26. August 1998 durch den Leiter der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin von den Vorfällen vom 27. Juli und 20. August 1998. Mit Schreiben vom 27. August 1998 informierte sie den bei ihr gebildeten Betriebsrat über die beabsichtigte außerordentliche Kündigung des Klägers. Ihr Schreiben erhielt sie ohne weitere Stellungnahme des Betriebsrats am 1. September 1998 zurück. Mit Bescheid vom 8. September 1998, der Beklagten am 9. September 1998 zugegangen, erteilte die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Sein Widerspruch blieb erfolglos. Am 9. September 1998 überbrachte ein Bote der Beklagten den empfangsberechtigten Prozessbevollmächtigten des Klägers das von der nach der Satzung bestellten stellvertretenden Verwaltungsleiterin B. unterzeichnete Kündigungsschreiben vom 7. September 1998, mit dem die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos kündigte. Mit Schreiben vom 11. September 1998 wiesen die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Kündigung wegen nicht beigefügter Vollmachtsurkunde zurück.

Mit seiner beim Arbeitsgericht am 10. September 1998 eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses gewandt. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei wegen Verstoßes gegen den Sonderkündigungsschutz des Schwerbehindertengesetzes unwirksam. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden, weil ihm nicht alle notwendigen Daten mitgeteilt worden seien. Die gerügten Arbeitsfehler rechtfertigten nicht den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund. Er habe am 27. Juli 1998 an der Sauerstofflasche gedreht, um sie zu öffnen und dabei übersehen, dass er seitenverkehrt gestanden habe. Am 20. August 1998 habe er unter erheblichem Druck gearbeitet, die Intensivstation sei mit Pflegepersonal unterbesetzt gewesen. Er habe die ärztliche Anordnung, das Schlauchsystem nicht abzuklemmen, befolgt und die vorhandenen Metallklemmen entfernt. In der Hektik habe er es versäumt, eine weitere Plastikklemme zu entfernen.

Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 7. September 1998, zugegangen am 9. September 1998, aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, das Kündigungsschreiben sei ihrem Boten am 9. September 1998 erst übergeben worden, nachdem der Zustimmungsbescheid der Hauptfürsorgestelle per Post eingegangen sei. Auf die telefonische Anfrage ihrer Personalabteilung habe der zuständige Sachbearbeiter der Hauptfürsorgestelle S. am 8. September 1998 lediglich mitgeteilt, die Stellungnahme werde am 9. September 1998 bei ihr eingehen. Ihre stellvertretende Verwaltungsleiterin habe das Kündigungsschreiben unterzeichnet, so dass der Kläger die fehlende Beifügung der Vollmachtsurkunde nicht erfolgreich rügen könne. Auf Grund seines eigenmächtigen, anweisungswidrigen Tuns und der daraus resultierenden Gefahr für den Leib und das Leben der ihm anvertrauten Patienten sei eine Weiterbeschäftigung des Klägers für sie nicht mehr zumutbar gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos beendet.

A.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die außerordentliche Kündigung sei rechtswirksam. Sie sei nicht mangels Vorlage einer auf die Person der damaligen stellvertretenden Verwaltungsleiterin lautenden Vollmacht nach § 174 BGB unwirksam. Die Kündigung verstoße auch nicht gegen §§21, 15 SchwbG 1986. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die stellvertretende Verwaltungsleiterin die Übergabe des Kündigungsschreibens an den Botendienst erst in die Wege geleitet habe, nachdem ihr eine Mitarbeiterin den Bescheid der Hauptfürsorgestelle vorgelegt habe. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB habe erst am 9. September 1998 geendet. Der Zugang der Kündigung sei deshalb an diesem Tag noch fristgerecht erfolgt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß zu der Kündigung nach § 102 BetrVG angehört worden. Schließlich sei die Kündigung auch materiell-rechtlich gemäß §§ 55, 54 BAT i. V. m. § 626 BGB nicht zu beanstanden. Die Pflichtverletzungen vom 27. Juli und vom 20. August 1998 stellten einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar. Der Kläger habe in zwei kurz aufeinander folgenden Fällen gegen ärztliche Anweisungen bzw. Hinweise gehandelt und die Patienten jeweils in eine lebensbedrohliche Gefahr gebracht.

B.

Dem folgt der Senat im Ergebnis und auch in wesentlichen Teilen der Begründung.

I.

Die außerordentliche Kündigung der Beklagten ist aus wichtigem Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB, § 54 Abs. 1 BAT gerechtfertigt. Die Revision rügt zu Unrecht eine Verletzung des § 626 Abs. 1 BGB.

1.

Die Prüfung, ob ein bestimmter Sachverhalt die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes erfüllt, ist vorrangig Sache der Tatsachengerichte. Es handelt sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Diese kann vom Revisionsgericht nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 626 BGB Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen eine außerordentliche Kündigung sprechen, beachtet hat (st. Senatsrechtsprechung, zuletzt beispielsweise Urteile 12. August 1999 – 2 AZR 748/98 – AP SchwbG 1986 §21 Nr. 7 = EzA SchwbG 1986 §21 Nr. 10; 18. Oktober 2000 – 2 AZR 131/00 -AP BGB § 626 Nr. 169 = EzA BGB § 626 nF Nr. 183). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das Berufungsurteil stand.

2.

Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass der Begriff des wichtigen Grundes in § 54 Abs. 1 BAT keine andere Bedeutung hat als der in § 626 Abs. 1 BGB (vgl. zuletzt Senat 8. Juni 2000 – 2 AZR 638/99 – AP BGB § 626 Nr. 163 = EzA BGB § 626 nF Nr. 182).

3.

Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht angenommen hat, das Verhalten des Klägers am 27. Juli und 20. August 1998 stelle einen an sich geeigneten wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB dar. Erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen, in deren Folge besonders schwere Schäden an Leib und Leben eines in die Verantwortung des Pflegers in der Intensivmedizin übergebenen Patienten entstehen können, rechtfertigen an sich eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dies gilt umso mehr, wenn es sich nicht nur um ein einmaliges, sondern um ein wiederholtes Fehlverhalten handelt und der Pfleger ärztliche Anweisungen missachtet.

Von einem solchen mehrfachen, gegen ärztliche Anweisungen verstoßenden Fehlverhalten des Klägers ist das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei ausgegangen. Nach dem gesamten Inhalt der Verhandlung und dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme stand es zur Überzeugung des Berufungsgerichts nach § 286 Abs. 1 ZPO fest, dass der Kläger mindestens zweimal, am 27. Juli und 20. August 1998, seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich verletzt, gegen ärztliche Anweisungen verstoßen und die von ihm betreuten Patienten einer nicht unerheblichen Gefahr für ihre Gesundheit und ihr Leben ausgesetzt hat. Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, sie wird von der Revision auch nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen. Deshalb sind die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen, die nicht nur, wie der Kläger meint, einen Verdacht belegen, für das Revisionsgericht nach § 561 Abs. 2 ZPO bindend.

4.

Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung (§ 626 Abs. 1 BGB) hält sich im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz.

a) Im Revisionsverfahren kann die durch das Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung nur darauf überprüft werden, ob bei der Zumutbarkeitsprüfung alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls gewürdigt worden sind. Die Bewertung der für und gegen die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sprechenden Umstände liegt weitgehend im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz und kann vom Revisionsgericht nicht durch seine eigene Wertung ersetzt werden (st. Rspr. zuletzt Senat 8. Juni 2000 aaO; 21. Juni 2001 – 2 AZR 325/00 – EzA BGB § 626 nF Nr. 189).

b) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers den Ausschluss der ordentlichen Kündigung nach § 53 Abs. 3 BAT, seine langjährige Betriebszugehörigkeit, sein Lebensalter und seine Schwerbehinderung berücksichtigt. Wenn es unter Berücksichtigung aller dieser für den Kläger sprechenden Umstände dennoch zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Interessen der Beklagten an einer fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegen, weil die Beklagte sich auf Grund des Verhaltens des Klägers nicht mehr auf ihn bei der Ausübung seiner Riegertätigkeit in der Intensivmedizin verlassen könne und er ein nicht mehr hinnehmbares Risiko für die zu betreuenden Patienten darstelle, so lässt diese Bewertung keinen Rechtsfehler erkennen. Die Beklagte brauchte es nicht hinzunehmen, in absehbarer Zukunft die Gesundheit oder das Leben von Patienten erneut durch ein eigenmächtiges oder sorgloses Handeln des Klägers zu gefährden.

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Die weitere Rüge des Klägers, die Interessenabwägung sei deshalb nicht hinreichend, weil sie die Beklagte selbst – im Gegensatz zum Berufungsgericht – gar nicht durchgeführt habe, ist unbeachtlich. Die Beklagte hat die für die Interessenabwägung notwendigen Daten und Informationen, insbesondere zum Lebensalter, zur Schwerbehinderung, zur Betriebszugehörigkeit und zur tariflichen Unkündbarkeit, dem Betriebsrat mitgeteilt und schon hierdurch zum Ausdruck gebracht, dass sie diesen Aspekten bei ihren Erwägungen vor dem Ausspruch der Kündigung Beachtung geschenkt hat.

II.

Die Kündigung ist auch nicht aus anderen Gründen rechtsunwirksam.

1.

Sie ist nicht, wie die Revision geltend macht, wegen fehlender vorheriger Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nach § 21 Abs. 1, § 15 SchwbG 1986 rechtsunwirksam.

a) Die Kündigung des mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehinderten Klägers bedurfte nach § 15 SchwbG 1986 der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lag bei Zugang der Kündigungserklärung die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle vor. Das Landesarbeitsgericht hat auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt, dass die stellvertretende Verwaltungsleiterin das vorgefertigte Kündigungsschreiben dem Boten erst übergeben hat, nachdem der Bescheid der Hauptfürsorgestelle eingegangen war. Diese das Revisionsgericht bindenden Feststellungen hat die Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffen (§ 561 Abs. 2 ZPO).

b) Entgegen der Auffassung der Revision ist die außerordentliche Kündigung auch nicht deshalb rechtsunwirksam, weil die Beklagte sie nicht unverzüglich nach der Zustimmungserteilung durch die Hauptfürsorgestelle ausgesprochen hat.

aa) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Personalabteilung der Beklagten die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle bereits einige Tage vor dem 9. September 1998 bekannt gewesen ist, was der Kläger im Anschluss an die Vernehmung der Zeugin B. behauptet hat, wofür aber nach dem gesamten Inhalt der Verhandlung wenig spricht.

bb) Die Beklagte hat die außerordentliche Kündigung jedenfalls noch innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB wirksam ausgesprochen. Mit Kenntnis der Pflegedienstleitung von den Vorfällen vom 27. Juli und 20. August 1998 am 26. August 1998 begann die gesetzliche Ausschlussfrist. Sie endete damit am 9. September 1998. Die Beklagte war aber selbst dann nicht verpflichtet, die Kündigung gegenüber dem Kläger früher als bis zum 9. September 1998 auszusprechen, wenn die Hauptfürsorgestelle ihre Zustimmung bereits einige Tage zuvor erteilt hätte. Zwar muss der Arbeitgeber in Fällen, in denen die Entscheidung der Hauptfürsorgestelle erst nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgt, die außerordentliche Kündigung nach § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklären. Liegt jedoch die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB vor, so muss der Arbeitgeber die Kündigung nicht unverzüglich erklären, sondern kann die gesetzliche Zwei-Wochen-Frist voll ausschöpfen (KR-Etzel 5. Aufl. § 21 SchwbG Rn. 29 a; GK-SchwbG/Großmann 2. Aufl. §21 Rn. 117; Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 5. Aufl. §21 SchwbG Rn. 16; Fenski BB2001, 570, 572). § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 ergänzt insoweit § 626 Abs. 2 BGB (Senat 12. August 1999 – 2 AZR 748/98 – aaO). § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 stellt klar, dass nach erteilter Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nicht eine neue Ausschlussfrist läuft (Senat 3. Juli 1980 -2 AZR 340/78- BAGE 34, 20; 22. Januar 1987 aaO; Wiegand SchwbG Stand Januar 2001 § 21 Rn. 27). Als speziellere Regelung geht § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 dem § 626 Abs. 2 BGB aber nur dann vor, wenn die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bereits abgelaufen ist.

cc) Soweit der Senat im Beschluss vom 22. Januar 1987 (- 2 ABR 6/86 – BAGE 55, 9) angenommen hat, § 626 Abs. 2 BGB werde durch die Regelung des § 18 Abs. 2 SchwbG 1979 (jetzt § 21 Abs. 5 SchwbG 1986) verdrängt, wird daran nicht mehr festgehalten. Für eine nur eingeschränkte Ergänzung des § 626 Abs. 2 BGB durch das Schwerbehindertengesetz spricht sowohl der Wortlaut des § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 als auch dessen Sinn und Zweck. Nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 kann die Kündigung auch nach Ablauf der Frist aus § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich erklärt wird. § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 will dem Umstand Rechnung tragen, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer auch noch die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle, auf deren Erteilung und die Durchführung des Verwaltungsverfahrens er keinen Einfluss hat, einzuholen (siehe zuletzt Senat 8. Juni 2000 aaO). § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 dient somit dem Schutz des Arbeitgebers. Ist hingegen die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB noch nicht abgelaufen, bedarf es der Ausnahmevorschrift des § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 nicht. Die zum Schutz des Arbeitgebers geschaffene Regelung würde sich sonst sogar in ihr Gegenteil verkehren und dem Arbeitgeber die allgemein geltende Frist des § 626 Abs. 2 BGB ohne Grund verkürzen. Deshalb kann und muss es bei der Anwendung der Grundfrist des § 626 Abs. 2 BGB verbleiben, wenn noch während deren Lauf eine Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur außerordentlichen Kündigung vorliegt.

2.

Die Kündigung ist nicht deshalb rechtsunwirksam, weil die Beklagte den Betriebsrat nach § 102 BetrVG fehlerhaft angehört hätte.

a) Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist eine Kündigung nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat vorher angehört zu haben, sondern auch dann, wenn er seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachgekommen ist (Senat 22. September 1994-2 AZR 31/94 – BAGE 78, 39; 17. Februar 2000 – 2 AZR 913/98 -BAGE93, 366).

b) Die Beklagte hat den Betriebsrat mit dem Schreiben vom 27. August 1998 und dessen Anlage über den aus ihrer Sicht maßgeblichen Kündigungssachverhalt ordnungsgemäß unterrichtet.

aa) Die fehlende Mitteilung des Familienstandes oder der Unterhaltspflichten des Klägers führen nicht zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats. Grundsätzlich gehören zwar zur Bezeichnung der zu kündigenden Person neben Namen, Vornamen und Geburtsdatum auch die grundlegenden sozialen Daten des Arbeitnehmers, wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit, der Familienstand und die Unterhaltspflichten. Es entsprach aber ersichtlich der subjektiven Vorstellung der Beklagten, unabhängig von den für den Kläger bestehenden Unterhaltsverpflichtungen und seines Familienstandes das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen wegen schwerer arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen zu kündigen. Die fehlenden Daten hinsichtlich der Unterhaltspflichten hätten nur dann eine Bedeutung für den Kündigungsgrund im Rahmen der Interessenabwägung gehabt, wenn diese persönlichen Umstände im unmittelbaren Zusammenhang mit der Pflichtverletzung gestanden hätten, was vom Kläger nicht behauptet und mit der Revision nicht gerügt wird (vgl. Senat 2. März 1989 -2AZR 280/88 – AP BGB § 626 Nr. 101).

bb) Entgegen der Rüge der Revision hat die Beklagte ihren Betriebsrat auch über die wesentlichen Kündigungsgründe ausreichend unterrichtet. Sie hat mit der Anlage zu dem Anhörungsschreiben vom 27. August 1998 dem Betriebsrat die für sie maßgebenden Sachverhalte vom 27. Juli 1998 und vom 20. August 1998 im einzelnen dargelegt. Dies hat das Berufungsgericht für das Revisionsgericht bindend festgestellt (§ 561 Abs. 2 ZPO). Rügen hiergegen werden vom Kläger nicht erhoben. Entgegen der Auffassung der Revision war es darüber hinaus nicht erforderlich, dass sie dem Betriebsrat die in der Vergangenheit dem Kläger erteilten Er- und Abmahnungen im einzelnen darlegte. Die Beklagte hat im Rahmen der Betriebsratsbeteiligung deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie bereits die zwei Vorfälle vom 27. Juli und 20. August 1998 als ausreichend für den Ausspruch einer außerordentlichen Beendigungskündigung erachtete. Aus ihrer Sicht war es nicht erforderlich, zusätzlich die Er- und Abmahnungen, die bereits für eine bestehende Belastung des Arbeitsverhältnisses sprechen, in das Anhörungsverfahren mit einzubringen.

3.

Ohne Rechtsfehler ist das Landesarbeitsgericht schließlich davon ausgegangen, die Kündigung sei nicht nach § 174 Satz 1 BGB rechtsunwirksam.

Die satzungsgemäß bestellte stellvertretende Verwaltungsleiterin B. hat die dem Kläger am 9. September 1998 zugegangene außerordentliche Kündigung wirksam im Namen der Beklagten erklärt. Die Kündigung scheitert nicht an der fehlenden Vorlage einer Vollmachtsurkunde. Die Regelung des § 174 BGB kommt für die stellvertretende Verwaltungsleiterin B. als besonders bestellte Vertreterin der Beklagten nach §§ 86, 30 BGB nicht zur Anwendung. Die Norm setzt grundsätzlich eine rechtsgeschäftlich erteilte Bevollmächtigung voraus. Sie findet keine Anwendung auf die gesetzlichen oder ihnen gleichzustellenden Vertreter, wie den besonderen Vereinsvertreter i. S. v. § 30 BGB (Senat 18. Januar 1990 – 2 AZR 358/89 – AP BGB § 30 Nr. 1) und den nach § 86 BGB besonders bestellten Vertreter einer Stiftung.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

 

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