OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN
Az. 20 W 339/01
Beschluss vom 13.03.2003
Vorinstanz: LG Frankfurt – Az.: 2/9 T 747/00; AG Frankfurt – Az.: 54 VI G 137/99
In der Nachlasssache hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3) gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27.06.2001 am 13.03.2003 beschlossen:
Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Etwaige außergerichtliche Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde haben die Beteiligten zu 2) und 3) der Beteiligten zu 1) zu erstatten.
Geschäftswert: 5.000 DM = 2.556,46 EUR
Gründe:
Die 1973 und 1975 geborenen Beteiligten zu 2) und 3) sind die ehelichen Söhne des Erblassers, dessen Ehe mit der Mutter der Beteiligten zu 2) und 3) im Zeitpunkt seines Todes noch nicht geschieden war. Die Beteiligte zu 1) ist die Lebensgefährtin des Erblassers. Der Erblasser errichtete am 19.10.1998 ein notarielles Testament, in dem er in § 2 der letztwilligen Verfügung die Beteiligte zu 1) zu seiner alleinigen und ausschließlichen Erbin einsetzte und alsdann folgende Bestimmung traf:
„§ 3
Sonstiges
Weitere Bestimmungen will ich heute nicht treffen. Nach Hinweis des Notars auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht erkläre ich: Pflichtteilsrechte bleiben bei dieser Urkunde unberührt.“
Der Erblasser verstarb am 04.06.1999. Mit Schreiben vom 02.06.2000, eingegangen beim Nachlassgericht am Montag, dem 05.06.2000, haben die Beteiligten zu 2) und 3) das Testament des Erblassers angefochten. Auf das an das Nachlassgericht gerichtete Anfechtungsschreiben wird verwiesen (Bl. 51 ff der Akte 54 IV G 137/99 Amtsgericht Frankfurt am Main).
Die Beteiligte zu 1) hält Anfechtungsgründe nicht für gegeben. Sie hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, welcher sie als testamentarische Alleinerbin des Erblassers ausweist.
Am 03.11.2000 hat das Amtsgericht einen Vorbescheid (Bl. 56 ff. d. A.) erlassen und angekündigt, es werde der Beteiligten zu 1) antragsgemäß einen Erbschein erteilen.
Gegen diesen Vorbescheid haben die Beteiligten zu 2) und 3) Beschwerde eingelegt, die das Landgericht durch Beschluss vom 27.06.2001 (Bl. 90 ff. d. A.) zurückgewiesen hat.
Die wiederum dagegen gerichtete weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3) ist zulässig (§§ 27, 29 I, IV, 21 FGG), aber nicht begründet. Die Entscheidung des Landgerichts ist weder verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, noch beruht sie auf einem Rechtsfehler. Nur darauf war die Entscheidung im Verfahren der weiteren Beschwerde nachzuprüfen. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, die Erbfolge richte sich nach dem notariellen Testament des Erblassers vom 19.10.1998, da der Erblasser bei Errichtung des Testaments nicht testierunfähig gewesen sei und eine wirksame Testamentsanfechtung nicht vorliege.
Unter der Testierfähigkeit ist die Fähigkeit zu verstehen, ein Testament zu errichten, abzuändern oder aufzuheben. Sie ist zwar ein Unterfall der Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB) gleichwohl aber unabhängig von ihr geregelt (§ 2229 BGB). Sie setzt nach allgemeiner Meinung die Vorstellung des Testierenden voraus, dass er ein Testament errichtet und welchen Inhalt die darin enthaltenen letztwilligen Verfügungen aufweisen. Er muss in der Lage sein, sich ein klares Urteil zu bilden, welche Tragweite seine Anordnungen haben, insbesondere welche Wirkungen sie auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen ausüben. Das gilt auch für die Gründe, welche für und gegen die sittliche Berechtigung der Anordnungen sprechen. Nach seinem so gebildeten Urteil muss der Testierende frei von Einflüssen etwa interessierter Dritter handeln können. Da die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, ist ein Erblasser solange als testierfähig anzusehen, als nicht die Testierunfähigkeit zur vollen Gewissheit des Gerichts feststeht (Palandt- Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Aufl. 2003, § 2229 BGB Rn 1, 7, 11 je m.w.N.).
Die Frage, ob die genannten Voraussetzungen der Testierunfähigkeit nach § 2229 IV BGB gegeben sind, liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Die Tatsachenfeststellungen können im Verfahren der weiteren Beschwerde nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatsachenrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG), bei der Erörterung des Beweisstoffs alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (§ 25 FGG) und dabei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze und feststehende Erfahrungssätze oder gegen Verfahrensrecht verstoßen hat. Dabei müssen die tatsächlichen Folgerungen nicht die einzig möglichen oder schlechthin zwingend sein (Keidel/ Kuntze/ Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl. 2003, § 27 Rn. 42).
In diesem Prüfungsrahmen sind die Ausführungen des Landgerichts nicht zu beanstanden, insbesondere hat das Landgericht seine Pflicht zur Amtsermittlung nicht verletzt. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Formulierung in dem – nicht vorgelegten – Merkblatt zur Bronchoskopie lediglich dahin gehe, dass der Patient kurz nach dem Eingriff keine wichtigen Entscheidungen treffen solle. Diese Formulierung besage, dass der Patient grundsätzlich entscheidungsfähig sei, und nur aus ärztlicher Sicht empfohlen werde, Entscheidungen möglichst zu vertagen. Bei diesem Ausgangspunkt bestand kein Anlass für die Vorinstanzen , den von den Beteiligten zu 2) und 3) geäußerten Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit des Erblassers weiter nachzugehen, denn allein der abstrakte Hinweis auf die mögliche Beeinträchtigung des Urteilsvermögens im Anschluss an den Eingriff ist kein Anhaltspunkt dafür, dass es bei dem Erblasser auch zu einer solchen Beeinträchtigung seiner Geistestätigkeit gekommen ist. Hinzu kommt, dass der beurkundende Notar anlässlich der Testamentsprotokollierung Feststellungen zur Testierfähigkeit des Erblassers getroffen und das Bestehen der Testierfähigkeit positiv festgestellt hat. In einem solchen Fall hätte es seitens der Beteiligten zu 2) und 3) der Darlegung bedurft, wann und in welchem Umfang es bei dem Erblasser im Zusammenhang mit der Bronchoskopie zu ernsthaften Ausfällen gekommen ist, um dem Tatsachengericht Anlass zu geben, weitere Ermittlungen anzustellen. Derartige Darlegungen fehlen aber im Vortrag der Beteiligten zu 2) und 3), so dass es auch nicht darauf ankommt, ob die Bronchoskopie erst nach der Testamentserrichtung vorgenommen wurde, wie die Beteiligte zu 1) vorgetragen hat.
Einen Anfechtungsgrund hat das Landgericht im Ergebnis ebenfalls zu Recht verneint. Nach § 2078 II BGB, um dessen Anwendungsbereich es hier nur gehen kann, kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, soweit der Erblasser zu der Verfügung durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstands oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Jedoch ist damit die Anfechtung nicht schrankenlos möglich, so dass nicht jede Fehlvorstellung ausreicht. Vielmehr setzt die Anfechtung besonders schwerwiegende Umstände voraus, die gerade diesen Erblasser unter Berücksichtigung seiner ihm eigenen Vorstellungen mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu testieren (Palandt-Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Aufl. 2003, § 2078 BGB Rn 4 m. w. N.)
Auch diese Frage liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet, mit dem oben aufgezeigten eingeschränkten Prüfungsrahmen des Senats. Dem Landgericht ist aber auch bei diesem Problemkreis weder ein Aufklärungsfehler unterlaufen, noch beruht die Entscheidung auf einem Rechtsfehler.
Die Beteiligten zu 2) und 3) haben vorgetragen, dass sich die Beteiligte zu 1) nach der Testamentserrichtung zwischen die Familie des Erblassers und seine Freunde gestellt habe, so dass selbst ihre Besuche nur durch Vermittlung der Ärzte möglich gewesen seien. Auch nach dem Tode des Erblassers werfen sie der Beteiligten zu 1) Fehlverhalten vor. So habe die Beteiligte zu 1) versucht, die Bestattungsfeierlichkeiten ohne sie vorzubereiten und sie nach dem Tode des Erblassers aus ihren „Kinderzimmern“ zu verdrängen. Sie habe den Nachlass als überschuldet bezeichnet und kein Nachlassverzeichnis vorgelegt. Der Erblasser habe außerordentlich hohe Gehaltseinkünfte gehabt. Er hätte es deswegen nicht hingenommen, dass die Beteiligte zu 1) ihn als mittellos darstelle.
Das Landgericht brauchte vorliegend keine Feststellungen treffen, ob sich die Beteiligte zu 1) so verhalten hat, wie ihr von den Beteiligten zu 2) und 3) vorgeworfen wird oder ob die abweichende Schilderung der Beteiligten zu 1) zutrifft. Diese Ereignisse könnten nur dann von Bedeutung sein, wenn der Erblasser hinsichtlich dieses behaupteten Verhaltens der Beteiligten zu 1) bestimmte gegenläufige Erwartungen oder Vorstellungen gehabt hätte. Dafür wurden aber keine konkreten Tatsachen dargelegt, sondern lediglich allgemeine Anschuldigungen, Vermutungen und Wertungen der Beteiligten zu 2) und 3) vorgetragen. Es gibt keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beteiligte zu 1) sich mit ihrem Verhalten gegen den Erblasser und seine Intentionen gestellt hat. In dieser Allgemeinheit fügen sich die Vorwürfe der Beteiligten zu 2) und 3) lediglich in das Bild eines streitig geführten Scheidungsverfahrens ein, wobei schon aufgrund der Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse nicht ohne weiteres unterstellt werden kann, dass der Erblasser auftretende Streitigkeiten zum Anlass genommen hätte, von einer Begünstigung der Beteiligten zu 1) als seiner Lebensgefährtin abzusehen.
Die Erklärung des Erblassers in dem notariellen Testament, Pflichtteilsrechte blieben unberührt, zwingt nicht zu dem Schluss, der Erblasser sei davon ausgegangen, die Beteiligte zu 1) werde sich den Beteiligten zu 2) und 3) gegenüber kooperativ bei der Erstellung des Nachlassverzeichnisses zeigen und ihre gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen. Erst recht ergibt sich daraus kein Anhalt für die Annahme, dass der Erblasser die Beteiligte zu 1) nicht als Erbin eingesetzt hätte, wenn er die nachfolgenden Streitigkeiten gekannt hätte. Eine solche Wertung verkennt, dass der Erblasser die Beteiligten zu 2) und 3) durch das notarielle Testament von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen und nur den – von wenigen Ausnahmen (§ 2333 BGB) abgesehen – nicht entziehbaren Pflichtteilsanspruch unangetastet gelassen hat.
Ungeeignet als Begründung eines Anfechtungsrechts ist auch das Vorbringen der Beteiligten zu 2) und 3), zwischen der Beteiligten zu 1) und ihrem Ehemann sei entgegen einer im Jahr 1998 gegenüber dem Erblasser gemachten Äußerung noch kein Scheidungsverfahren anhängig. Die Beteiligte zu 1) hat dazu vorgebracht, der Erblasser habe kein Problem damit gehabt, dass sie noch nicht geschieden gewesen sei. Der Erblasser sei ursprünglich davon ausgegangen, dass seine Ehe im Frühjahr 1997 geschieden werde, was die Mutter der Beteiligten zu 2) und 3) geschickt verhindert hätte. Ihre Ehescheidung habe sie erst beantragen wollen, nachdem die „unendliche Scheidungsgeschichte“ des Erblassers, die sie beide stark belastet hätte, zu Ende gebracht worden sei. Es ist nicht ersichtlich, welchen Irrtum das nicht eingeleitete oder nicht betriebene Scheidungsverfahren der Beteiligten zu 1) beim Erblasser erregt haben könnte. Falls die Beteiligten zu 2) und 3) damit möglicherweise andeuten wollten, die Beteiligte zu 1) habe sich nicht scheiden lassen wollen, ist der Vorwurf zu vage, als dass die Vorinstanzen ihn hätten aufgreifen müssen.
Die Beteiligten zu 2) und 3) können auch kein Anfechtungsrecht daraus herleiten, dass die Beteiligte zu 1) ihnen ihre „Kinderzimmer“ nicht erhalten, bzw. wie sie vorgebracht haben, sie aus denselben „verdrängt“ hat. Die Beteiligten zu 2) und 3) hatten diese „Kinderzimmer“ im Hause des Erblassers neben ihren auswärtigen Studienunterkünften behalten, als ihre Mutter Anfang 1996 ausgezogen war. Der Erblasser hatte dieses Haus von seiner Arbeitgeberin gemietet. Die Arbeitgeberin hatte nach dem Tod des Erblassers, die Schlüssel ausgetauscht, so dass die Beteiligten zu 2) und 3) ihre Zimmer vorübergehend nicht mehr nutzen konnten. Deswegen haben sie gegen die Arbeitgeberin eine einstweilige Verfügung erwirkt und das angestrengte einstweilige Verfügungsverfahren später für erledigt erklärt. Aus dem bei den Akten befindlichen Urteil des Amtsgericht (33 C 2239/99 Amtsgericht Frankfurt am Main) ergibt sich, dass das Haus wieder von der Ehefrau des Erblassers bewohnt wird. Es brauchte hier nicht aufgeklärt zu werden, auf wessen Veranlassung der Schlüsselaustausch durch die Arbeitgeberin durchgeführt wurde und welche Motive die Beteiligten zu 1) in Bezug auf das Haus hatte. Die Beteiligte zu 1) hat im Erbscheinserteilungsverfahren erklärt, dass der Schlüsseltausch durch die Arbeitgeberin für sie kein Problem gewesen sei, da sie nach dem Tod des Erblassers gewusst habe, dass sie in dem Haus aus finanziellen Gründen nicht bleiben wolle und könne. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es der Erblasser als selbstverständlich zu Grunde gelegt hat, dass die Beteiligte zu 1) den Beteiligten zu 2) und 3) diese Unterkunft erhalten werde und Streit mit den Beteiligten zu 2) und 3) über die Wohnungsfrage ihn von einer Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1) abgehalten hätte. Es gelten auch hier die obigen Ausführungen hinsichtlich der Bewertung der allgemeinen Zwistigkeiten.
Auf derselben Ebene liegt auch der Vorwurf der Beteiligten zu 2) und 3), dass die Beteiligte zu 1) die Anwälte, nicht aber das Schulgeld für den Beteiligten zu 2) bezahlt habe. Auch hier gibt es keine konkreten Anhaltspunkte, die Anlass zu der Annahme böten, dass der Erblasser von der Beteiligten zu 1) ein anderes Verhalten erwartet hätte und sie bei Kenntnis der späteren Streitigkeiten nicht als Erbin eingesetzt hätte.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 13 a I 2 FGG, 131 II, 30 KostO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt in Anlehnung an die nicht angegriffene Wertfestsetzung des Landgerichts.