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Verdachtskündigung – Arbeitnehmeranhörung

LArbG Berlin-Brandenburg

Az.: 6 Sa 1121/09

Urteil vom 06.11.2009

Vorinstanz: ArbG Berlin, Urteil vom 24.04.2009, Az: 28 Ca 3702/09


1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des ArbG Berlin vom 24. April 2009 – 28 Ca 3702/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am … 1957 geborene Kläger trat am 01. Januar 1988 in die Dienste der Beklagten. Er bezog zuletzt als Filialleiter ein Monatsgehalt von 3.706 € brutto.

Nach Anhörung des Betriebsrates mit Schreiben vom 30. Januar 2009 ( Ablichtung Bl. 57 – 59 d.A. ) kündigte die Beklagte dem Kläger zunächst mit Schreiben vom 02. Februar 2009 ( Ablichtung Bl. 4 d.A. ) fristlos und sodann mit weiterem Schreiben vom 06. Februar 2009 ( Ablichtung Bl. 6 d.A. ) ordentlich zum 30. September 2009. Beide Kündigungen begründet die Beklagte mit dem Verdacht widerrechtlicher Aneignung von 5 € Fundgeld.

Das Arbeitsgericht Berlin hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch keine der beiden Kündigungen aufgelöst worden sei bzw. – seinerzeit – noch werde. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigungen seien als sog. Verdachtskündigungen unwirksam, weil die Beklagte den Kläger vorher nicht ausreichend angehört habe. Ein Gespräch des Bezirksverkaufsleiters mit dem Kläger am 28. Januar 2009 habe nicht den Abschluss der Ermittlungstätigkeit gebildet. Bei dem erneuten Gespräch, zu dem der Kläger für den nächsten Tag in die Zentrale der Beklagte bestellt worden sei, habe diese versäumt, auf die vom Kläger geäußerte Bereitschaft einzugehen, sich zu den zur Sprache gebrachten Verdachtsmomenten über seinen Anwalt zu äußern.

Gegen dieses der Beklagten am 07. Mai 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 03. Juni 2009 von ihr und der Erwerberin ihrer Betriebe als Streithelferin eingelegte und nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist am 22. Juli 2009 begründete Berufung. Beklagte und Streithelferin meinen, dass die Pflicht zur Anhörung des Klägers jedenfalls nicht schuldhaft verletzt worden sei. Vielmehr sei der Kläger bereits am 28. Januar 2009 vom Bezirksverkaufsleiter ausreichend angehört worden, der ihm lediglich die Möglichkeit gegeben habe, die Sache „zu überschlafen“, um ggf. weitere Stellungnahmen abzugeben. Davon habe der Kläger jedoch am nächsten Tag keinen Gebrauch gemacht und auch nicht erklärt, wann er sich über seinen Anwalt äußern werde und ob dies in schriftlicher Form oder bei einer erneuten Anhörung geschehen solle. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu der mündlichen Anhörung am 29. Januar 2009 habe er nicht verlangt. Bis zum Ausspruch der beiden Kündigungen sei dann auch keine anwaltliche Stellungnahme eingegangen. Schließlich habe die schriftsätzliche Einlassung im Rechtsstreit ohnehin keine den Kläger entlastende Darstellung gebracht, die sie zu einer anderen Bewertung des Sachverhaltes hätte kommen lassen.

Die Beklagte und Streithelferin beantragen, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt den Angriffen der Berufung entgegen und hält weiterhin die Betriebsratsanhörung für fehlerhaft, weil dem Betriebsrat die schriftliche Stellungnahme seiner Stellvertreterin zu dem Vorgang nicht vorgelegt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Die Berufung ist zulässig. Sie konnte außer von der Beklagten selbst zugleich auch von ihrer Streithelferin gem. §§ 66, 67 ZPO eingelegt werden, weil diese als Rechtsnachfolgerin der Beklagten gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ein rechtliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits zu deren Gunsten hat. Die Berufung ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO entsprechend begründet worden.

2. Die Berufung ist in der Sache unbegründet.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist weder durch die außerordentliche Kündigung vom 02. Februar 2009 fristlos noch durch die ordentliche Kündigung vom 06. Februar 2009 fristgemäß zum 30. September 2009 aufgelöst worden.

2.1 Beide Kündigungen stellten sich mangels ausreichender Anhörung des Klägers als unverhältnismäßig dar und entsprachen damit nicht den Anforderungen des § 626 Abs. 1 BGB bzw. des § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 KSchG, wie das Arbeitsgericht zutreffend dargelegt hat (§ 69 Abs. 2 ArbGG ).

2.1.1 Der Aufklärungsversuch des Bezirksverkaufsleiters am 28. Januar 2009 konnte entgegen der Ansicht der Berufung nicht als eine Anhörung des Klägers angesehen werden. Dies schon deshalb nicht, weil der Bezirksverkaufsleiter ausweislich der Darstellung in der schriftlichen Betriebsratsanhörung das Gespräch mit dem Kläger abbrach, als sich für ihn der Verdacht einer widerrechtlichen Aneignung der 5 € verstärkte, und den Kläger zu einem Gespräch am Folgetag in die Zentrale bat. Damit hatte er deutlich gemacht, dass das bisher mit dem Kläger geführte Gespräch noch keine Grundlage für eine abschließende Beurteilung der Vorgänge geliefert hatte. Dieses Vorgehen erschien auch durchaus sinnvoll, weil es bei spontanen Äußerungen erfahrungsgemäß leicht zu Fehlern bei der Erinnerungsleistung kommt, weshalb auch Zeugen der Gegenstand ihrer Vernehmung gem. § 377 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bei ihrer Ladung mitzuteilen ist.

Zudem genügt es für die Anhörung als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Verdachtskündigung nicht, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu den ihm bekannt gewordenen Verdachtsmomenten befragt. Er muss dabei vielmehr deutlich machen, dass er deshalb einen entsprechenden Verdacht gegen den Arbeitnehmer hegt und darauf ggf. eine Kündigung zu stützen beabsichtigt, um dem Arbeitnehmer die Bedeutung der von ihm erwarteten Stellungnahme deutlich zu machen ( Stephan Ebeling, Kündigung wegen Verdachts, 2006, S. 167 f.; ArbR-BGB/Corts, 2. Aufl. 2002, § 626 R 178 ). Dies ist vorliegend aber erst am 29. Januar 2009 geschehen. Auch hat nach der erstinstanzlichen Darstellung der Beklagten der Bezirksverkaufsleiter erst bei dieser Gelegenheit angeführt, ein dringender Tatverdacht bestehe deshalb, weil die erste Sachverhaltsdarstellung des Klägers nicht mit der Aussage der stellvertretenden Filialleiterin übereinstimme, mithin nicht schon aufgrund des Fehlverhaltens des Klägers im Zusammenhang mit dem Fund des Geldscheins und dessen Aufbewahrung über einen Zeitraum von mehreren Tagen.

2.1.2 Die Anhörung vom 29. Januar 2009 entsprach deshalb nicht den Anforderungen, weil die Beklagte versäumt hat, kurzfristig einen neuen Anhörungstermin anzusetzen, um dem Kläger Gelegenheit zu geben, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen ( zu diesem Erfordernis BAG, Urteil vom 13.03.2008 – 2 AZR 961/06 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 R 18 ) oder ihm eine Frist für die angebotene Stellungnahme durch einen Rechtsanwalt zu setzen, wodurch zugleich der Lauf der zweiwöchigen Ausspruchsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB gehemmt gewesen wäre. Stattdessen hat sie am nächsten Tag den Betriebsrat zu den beabsichtigten Kündigungen angehört und bereits vier Tage später, in die noch ein Wochenende fiel, die außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Dass sich der Kläger danach bis zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung nicht mehr über einen Anwalt geäußert hat, war unschädlich, zumal eine solche Kündigung nicht einmal avisiert worden war. Gleichermaßen unerheblich war, dass die spätere Einlassung des Klägers im Rechtsstreit aus Sicht der Beklagten zu keiner Entlastung geführt haben soll, weil das Ergebnis einer Anhörung ohne Einfluss auf ihre Erforderlichkeit ist.

Da die für die Beklagte verantwortlich Handelnden bewusst davon abgesehen haben, dem Kläger die Möglichkeit einer anwaltlichen Stellungnahme einzuräumen, konnte nicht von fehlendem Verschulden ausgegangen werden, weil ein entsprechender Rechtsirrtum als fahrlässig anzusehen wäre, was gem. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB genügt.

2.2 Die Kammer hat dem Vortrag der Beklagten unter Berücksichtigung der Einlassung des Klägers ohnehin keinen dringenden Verdacht einer widerrechtlichen Aneignung des am 22. Januar 2009 im Fußraum einer Kasse gefundenen Geldscheins zu entnehmen vermocht.

Dabei war im Hinblick auf die Pflicht zur Unterrichtung des Betriebsrates gem. § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG von der Darstellung der Beklagten gegenüber dem Betriebsrat auszugehen ( zur Vortrag beschränkenden Wirkung des Anhörungsverfahrens BAG, Urteil vom 07.11.2002 – 2 AZR 599/01 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 zu B I 1 a d.Gr. ). Danach soll der Kläger am 28. Januar 2009 zu seinem Arbeitsbeginn auf Frage seiner Stellvertreterin nach dem Verbleib der 5 € erklärt haben: „Die habe ich“, und auf weitere Nachfrage ergänzt haben: „Die habe ich am Mann.“ Auch soll der Kläger sodann im unmittelbaren Anschluss an die Beendigung seiner Tätigkeit an seinem Kassenplatz einen 5-€-Schein seiner Geldbörse entnommen und seine Stellvertreterin aufgefordert haben, diesen Betrag jetzt in ihre Kasse als Fundgeld einzugeben. Dies deckte sich mit der Einlassung des Klägers, den Schein bereits bei Dienstantritt aus seinem Fach aus dem Tresoraufsatz genommen und zunächst in seine Kitteltasche gesteckt zu haben, um ihn in die Kasse seiner Stellvertreterin einzuzahlen, die jedoch mit anderen Arbeiten befasst gewesen sei. Aus Sorge vor einer Revision will der Kläger den Schein dann erst in seine Geldbörse gesteckt haben, weil private Kleidung nicht durchsucht werden dürfe.

Wenn nun der Bezirksverkaufsleiter den Kläger so verstanden hat, den Schein erst aus dem Tresoraufsatz geholt zu haben, nachdem ihn seine Stellvertreterin darauf angesprochen habe, was diese jedoch aufgrund gezielter Beobachtung des Klägers und wegen Ausbleibens eines mit dem Öffnen der Tür zum Büro verbundenen Alarmsignals soll ausschließen können, erschien es nicht ausgeschlossen, dass es insoweit aufgrund der sprachlichen Verständigungsprobleme, die auch bei der Anhörung des Klägers im Verhandlungstermin zutage getreten sind, zu einem Missverständnis gekommen ist. Dann blieben zwar noch die objektiven Pflichtwidrigkeiten des Klägers beim Umgang mit dem Fundgeld, die jedoch angesichts dessen, dass der Kläger dabei keinerlei Heimlichkeit an den Tag gelegt hatte und von ihm auch unumwunden eingeräumt worden sind, keine hohe Wahrscheinlichkeit als Voraussetzung für einen dringenden Verdacht begründeten, der Kläger habe sich den Geldschein aneignen wollen, wie dies offenbar auch die Beklagte so gesehen hat.

3. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.

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