Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 4 U 28/18 – Urteil vom 13.12.2018
Die Berufung der Beklagten gegen das am 01.02.2018 verkündete Urteil des Landgerichts Halle wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss: Der Streitwert des Berufungsrechtszuges wird auf 6.320,52 € festgesetzt.
Gründe
I.
Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird gemäß §§ 540 II; 313a I S. 1; 543 I; 544 ZPO in Verb. mit § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg, da das angefochtene Urteil auf keiner Rechtsverletzung im Sinne von § 513 I ZPO beruht. Zutreffend hat das Landgericht die Beklagte in Höhe von 6.320,52 € nebst Zinsen nach den §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 VVG, 1 PflVG, 249 BGB zur Zahlung verurteilt.
Aufgrund der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme hat sich der Senat eine den Maßstäben des § 286 ZPO genügende Überzeugung gebildet, dass die vom Landgericht zugesprochenen Schadenspositionen nicht von dem unstreitigen Vorschadensereignis herrühren. Der Inhalt des Schriftsatzes der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 22. November 2018 gibt keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (§§ 525, 156 ZPO).
1. Nach der ganz herrschenden Rechtsprechung (vgl. KG Berlin, Hinweisbeschluss vom 22.03.2010, Az.: 12 U 128/09; sowie vom 31.07.2008, Az.: 12 U 137/08; OLG Köln, Beschluss vom 08.04.2012 – 11 U 214/12) muss im Falle von unstreitigen oder bewiesenermaßen vorliegenden Vorschäden im Schadensbereich des nunmehr streitgegenständlichen Unfallgeschehens der Geschädigte den Beweis (§ 286 ZPO) führen, dass die streitgegenständlichen Schäden nicht auf dem Vorschadensereignis beruhen. Er muss dezidiert vortragen, welche Art von Vorschäden wo vorlagen und wann diese von wem und durch welche konkreten Maßnahmen und Verwendung welcher Ersatzteile wie beseitigt worden sind. Gemessen an diesen Maßstäben ist es dem Kläger nicht gelungen, einen Nachweis für eine vollumfängliche und fachgerechte Reparatur aller Vorschäden an seinem Pkw zu erbringen, da eine Achsvermessung unstreitig nicht erfolgt ist. Grundsätzlich kann ein Geschädigter, dessen Sache bereits einen Vorschaden erlitten hatte, nur Ersatz verlangen, wenn er nachweist, dass dieser Schaden vollumfänglich behoben wurde.
Etwas anderes muss jedoch für diejenigen Schäden an einer Sache gelten, die von dem Vorschadensereignis überhaupt nicht betroffen waren. Hierfür notwendig ist ein Vortrag des Geschädigten, der dem Gericht eine den Maßstäben des § 286 ZPO genügende Feststellung darüber erlaubt, welche streitgegenständlichen Schadenspositionen nicht von dem Vorschadenereignis berührt gewesen sein können (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 08.04.2013 – 11 U 214/12). Gemäß § 286 I S. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder unwahr zu erachten ist. Eine unumstößliche Gewissheit, ob eine Behauptung war und erwiesen ist, ist hierbei nicht erforderlich. Vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet. Entscheidend ist, ob das Gericht die an sich möglichen Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann (BGH, Urteil vom 18. Januar 2000 – VI ZR 375/98).
Das Landgericht hat seiner Entscheidung vorangestellt, dass für die Haftungsausfüllung der Beweismaßstab des § 287 I ZPO anzuwenden sei. Im Rahmen dieser Prüfungsstufe und anhand dieses Beweismaßstabes hat das Landgericht aber auch die Frage beurteilt, ob der Kläger auch Vorschäden mitabrechnet, bzw. die Beseitigung von Vorschäden mit der vorliegenden Klage begehrt. Denn so führt das Landgericht auf Seite 7, 2. Absatz aus: „Im Hinblick auf das bei der Haftungsausfüllung geltende Beweismaß des § 287 Abs. 1 ZPO kann diese Formulierung aber nur dahingehend verstanden werden, dass der Kläger seiner Beweislast für die fachgerechte Behebung der Vorschäden nachgekommen ist, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass die Schäden, deren Erstattung verlangt wird, bereits im Rahmen eines Vorschadens entstanden sind.“ Zuvor hatte das Landgericht aus dem Beschluss des OLG Köln vom 08.04.2013 – 11 U 214/12 das Folgende zitiert: „Bei unstreitigen Vorschäden und bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens muss der Geschädigte im Einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs bereits zuvor vorhanden waren, wofür er bei unstreitigen Vorschäden im Einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behauptete Reparatur vortragen muss“.
Zu der Überzeugung, dass die abgerechneten Schäden sämtlich durch den streitgegenständlichen Unfall verursacht wurden, hätte das Landgericht aber in einem gewissermaßen vorgelagerten Prüfungsschritt anhand des Beweismaßstabes des § 286 ZPO kommen müssen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 22. März 2010 – 12 U 128/09 –; Münchener Kommentar, Straßenverkehrsrecht, § 249 BGB, Rn. 362; Böhm, DAR 2011, 666, 667).
Allerdings ist der Senat nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Kläger die in Rede stehenden Vorschäden fachgerecht beseitigt, bzw. fachgerecht reparieren hat lassen. So hat der Zeuge E. bei der Wiederholung der Beweisaufnahme in seiner Vernehmung vor dem Senat glaubhaft geschildert, wie er den Vorschaden an dem hinteren Radhaus beseitigt hat. Der Senat hält den Zeugen für glaubwürdig. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es insoweit unschädlich, dass der Zeuge sich nicht mehr an das genaue Datum seiner Reparatur erinnern kann. Denn aufgrund der vom Kläger eingeholten Gutachten des Sachverständigenbüro S. nach dem Vorschadensereignis und nach dem streitgegenständlichen Unfall hat der Senat keine Zweifel, dass der Zeuge E. die Reparatur des Vorschadens vor dem streitgegenständlichen Unfall durchgeführt hat.
Nach der Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dipl. Ing. J. hat der Senat auch keinerlei Zweifel, dass der Zeuge E. die in Rede stehende Reparatur des Vorschadens – soweit er sie vorgenommen hat – fachgerecht ausgeführt hat. Zudem ist der Senat mit den Ausführungen des Sachverständigen davon überzeugt, dass der Kläger die beschädigte hintere Tür hat austauschen lassen und diese Maßnahme als fachgerecht und hinreichend anzusehen ist. Wegen der Vorschäden an der vorderen linken Tür hat bereits das Landgericht sachverständig beraten Abzüge vorgenommen.
Auf die unterbliebene Achsvermessung kommt es für die Frage der vollständigen und fachgerechten Reparatur der Vorschäden nicht an.
2. Die vom Landgericht zugesprochenen Mietwagenkosten stehen dem Kläger in gleicher Höhe unter dem Gesichtspunkt der Nutzungsentschädigung für die im Gutachten als erforderlich erachtete Wiederbeschaffungszeit von zwei Wochen zu. Dem Eigentümer eines privat genutzten Pkw, der die Möglichkeit zur Nutzung seines Fahrzeugs eingebüßt hat und bei bestehendem Nutzungswillen gleichwohl auf die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs verzichtet, steht ein Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung zu (Palandt/Grüneberg, 77. Aufl., § 249, Rn. 40). Da der Kläger den verunfallten PKW für den im Gutachten angegebenen Restwert bereits veräußert hatte, kommt es auf dessen Fahrfähigkeit nicht an. Entgegen der Ansicht der Beklagten verstößt der Kläger auch nicht gegen seine Schadensminderungspflicht, wenn er den verunfallten PKW veräußert, bevor er eine Ersatzbeschaffung vornimmt. Im Übrigen hat der Kläger dem Gebot der Wirtschaftlichkeit genüge getan und sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 BGB gezogenen Grenzen bewegt, indem er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornahm, den ein vom ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert ermittelt hatte (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2004 – VI ZR 119/04).
Der Kläger begehrt Nutzungsersatz für die im Gutachten bescheinigte Wiederbeschaffungsdauer. Von einer hypothetischen Nutzungsmöglichkeit ist auszugehen. Die Höhe des Anspruchs wird nach den Tabellen von Sanden/Danner/Küppersbusch bemessen (vergleiche Palandt/Grüneberg, 77. Auflage, § 249 Rn. 42, 43). Daher führt der Anspruch im vorliegenden Fall wirtschaftlich betrachtet zum gleichen Ergebnis wie ein Ersatz der Mietwagenkosten für 14 Tage.
3. Zu Recht hat das Landgericht keinen Ausschluss des Ersatzes der Sachverständigengutachten der Firma S. gesehen. Denn dieses Gutachten erwies sich als geeignete Grundlage der Schadensermittlung, auch wenn der Kläger angab, dass vollständig reparierte Vorschäden vorlagen. Grundsätzlich kann dem Geschädigten nicht entgegengehalten werden, dass der von ihm beauftragte Sachverständige einen unzutreffenden Fahrzeugschaden ermittelt. Dies ist allerdings dann anders zu beurteilen, wenn der Geschädigte selber einen erheblichen Vorschaden verschwiegen hat, und deshalb der Sachverständige unzutreffend einen allein dem Unfallereignis zuzuordnenden Schaden angenommen hat. Denn in diesem Fall hat es der Geschädigte selbst zu verantworten, dass es sich bei dem eingeholten Gutachten um keine taugliche Regulierungsgrundlage handelt (vgl. OLG Köln, Urteil vom 23.02.2012 – 7 U 134/11). So liegt der Fall hier aber nicht. Zum einen hatte das Sachverständigenbüro S. auch den Vorschaden begutachtet, sodass dieser bekannt war. Der Kläger hatte den Vorschaden anhand der Vorgaben des Gutachtens im Wesentlichen, mit Ausnahme der Achsvermessung, beseitigen lassen. Das streitgegenständliche Parteigutachten der Firma S. stellt somit eine taugliche Schätzgrundlage dar, und konnte von dem gerichtlich beauftragten Sachverständigen verwendet werden.
4. Die vom Kläger mit 30 € bezifferte Kostenpauschale begegnet keinen Bedenken. Typischerweise entstehen durch Unfallereignisse Auslagen wie Telefon-, Porto- und Fahrkosten kleineren Umfangs. Soweit solche Aufwendungen nicht im Einzelnen belegt werden können, dürfen sie im Rahmen einer Unfallkostenpauschale in geschätzter Höhe beansprucht werden. Sie sind angesichts der vorstellbaren tatsächlichen Belastung bei pauschaler Berechnung vorliegend mit 30 € als angemessen bewertet.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 II S. 1 ZPO bestehen nicht. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
Der Streitwert ist nach den §§ 47 I S. 1, 43 I, 48 I GKG, § 3 ZPO festgesetzt.