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Versicherungsleistung – Rückforderung der Versicherung

Oberlandesgericht Frankfurt/Main

Az: 7 U 200/06

Urteil vom 05.12.2007


Gründe:

I.
Der Kläger begehrt mit der Klage weitergehende Leistungen aus einer bei der Beklagten bestehenden Unfallversicherung, die Beklagte mit einer Widerklage die teilweise Rückzahlung bereits erbrachter Versicherungsleistungen.

Der Kläger schloss gemäß Versicherungsschein vom 21. Januar 1993 (Bl. 4 ff. d. A.) bei der Beklagten eine Unfallversicherung mit einer Versicherungssumme von DM 200.000,- für den Invaliditätsfall und DM 2.000,- pro Monat als lebenslange Unfallrente ab. Vereinbart waren die AUB 88, jedoch mit Nachrang gegenüber den geschriebenen und besonderen Bedingungen UBB 814, 954, 809 und 845. Nach UBB 809 wird ein Anspruch auf Unfallrente ab dem Unfalltag erst bei einem Invaliditätsgrad von über 50% begründet. UBB 814 enthält besondere Bedingungen für erhöhte Gliedertaxe, die auszugsweise wie folgt lauten:

In Abänderung von § 7 I. (2) a) und b) der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 88) gelten als feste Invaliditätsgrade – unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität – bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit

beider Beine oder Füße 100 Prozent

eines Fußes im Fußgelenk 40 Prozent

Am 28. Dezember 2001 stürzte der Kläger von einer Leiter aus 6 m Höhe auf den Bürgersteig und verletzte sich schwer an beiden Füßen. In Folge dessen besteht bei dem Kläger eine dauernde Funktionseinschränkung von 4/10-Fußwert rechts und 6/10-Fußwert links.

Nach Erhalt der entsprechenden gutachtlichen Feststellung rechnete die Beklagte mit Schreiben vom 4. November 2004 (Bl. 58/59 d. A.) wie folgt ab:

Betroffenes Körperteil Invaliditätsgrad Wert der teilweisen Invaliditätsgrad bzw. Sinnesorgan § 2 Nr. 1.2a) Beeinträchtigung/des AUB99-L teilw. Verlustes

rechten Fuß 40,00% 4/10 16,00%

linken Fuß 40,00% 6/10 24,00%

Summe 40,00%.

Auf der Grundlage der Versicherungssumme von EUR 102.259,- (entsprechend DM 200.000,-) billigte die Beklagte dem Kläger 40% = EUR 40.903,60 zu, die ihm ausgezahlt wurden. Weil der Invaliditätsgrad 50% nicht überschritten war, kam es zu keinem Rentenzahlungsanspruch.

Der Kläger erhob gegen diese Berechnung Beanstandungen. Er wies darauf hin, dass eine erhöhte Gliedertaxe vereinbart sei und übermittelte der Sachbearbeiterin per Fax vom 11. November 2004 die Vertragsgrundlage mit einem Anschreiben (Bl. 197/198 d. A.), in dem es heißt: „Sehr geehrte Frau A, ich bitte um Stellungnahme warum die erhöhte Gliedertaxe nicht einbezogen wurde.“

In Reaktion darauf übermittelte die Beklagte dem Kläger ein Schreiben vom 23. November 2004 (Bl. 60/61 d. A.) mit folgendem Inhalt:

Sehr geehrter Herr B,

wir haben Ihren Einwand bezüglich der Ihrem Vertrag zugrundeliegenden „Besonderen Bedingungen für die Invaliditätsversicherung mit erhöhter Gliedertaxe“ erhalten. Leider haben wir diese bei der Abrechnung vom 4. 11. 2004 nicht berücksichtigt und bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

Aufgrund der vertraglich vereinbarten erhöhten Gliedertaxe gilt bei vollständiger Funktionsunfähigkeit beider Füße ein Invaliditätsgrad von 100%. Da der rechte Fuß zu 4/10 und der linke Fuß zu 6/10 beeinträchtigt ist, liegt die Gesamtbeeinträchtigung bei 10/10.

Es ergibt sich folgende Leistungsabrechnung:

Invaliditäts-Versicherungssumme| EUR 102.259,00
Invaliditäts-Grad 100,00% = |EUR 102.259,00
abzügl. unserer Zahlung v. 4. 11. 04| EUR 40.903,60
Restbetrag EUR| 61.355,40

In Folge der Überschreitung des Invaliditätsgrades von 50% sah die Beklagte auch die Voraussetzung für die Zahlung einer monatlichen Unfallrente von EUR 1.023,- (entsprechend DM 2.000,-) als erfüllt an und entrichtete demgemäß für den Zeitraum 28. Dezember 2001 bis 31. Dezember 2004 für 36 Monate und 3 Tage einen Betrag von EUR 36.930,30 nach. Ab dem 1. Januar 2005 bis einschließlich November 2005 (11 Monate) zahlte sie in monatlichen Teilbeträgen insgesamt weitere EUR 11.253,- Rente an den Kläger aus.

Nachdem bei einer Innenrevision Ende 2005 festgestellt worden war, dass die Abrechnung zu beanstanden war, teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 16. November 2005 (Bl. 62 – 64 d. A.) mit, dass die Leistungsabrechnung vom 23. November 2004 auf einem Irrtum beruht habe und diejenige vom 4. November 2004 richtig sei. Die Beklagte erklärte zugleich die Anfechtung ihrer Abrechnung vom 23. November 2004 wegen Irrtums und forderte die ihrer Auffassung nach zu Unrecht ausgezahlten Beträge von insgesamt EUR 109.538,70,- vom Kläger zurück. Die Zahlung der monatlichen Renten stellte sie ab Dezember 2005 ein.

Dieser Leistungsablehnung und Rückforderung trat der Kläger mit der Klage entgegen, mit der er die Zahlung der (fälligen) Monatsrenten für Dezember 2005 und Januar 2006 (EUR 2.046,-) nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrte, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm weiterhin lebenslang eine Unfallrente von EUR 1.023,- monatlich zu zahlen. Eine ursprünglich noch erhobene negative Feststellungsklage, dass er nicht verpflichtet sei, der Beklagten die ausgezahlte Versicherungssumme von EUR 61.355,40 zurückzuzahlen, ist nach Erhebung der Leistungswiderklage durch die Beklagte übereinstimmend für erledigt erklärt worden.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Abrechnung der Beklagten vom 4. November 2004 sei richtig gewesen, ein Irrtum habe nicht vorgelegen. Die Beklagte habe ihren Standpunkt überprüft und sei danach in Kenntnis aller Unterlagen zu dem Ergebnis gelangt, das sie auch verlautbart habe. Sie habe auch ein Anerkenntnis abgegeben mit dem Zweck, die beiderseitige Interessenlage endgültig zu klären. Ein Widerrufsrecht wäre zudem als verwirkt anzusehen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 2.046,- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger weiterhin lebenslang eine Unfallrente in Höhe von EUR 1.023,- monatlich zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

sowie im Wege der Widerklage

den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte EUR 109.538,70 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 15. Dezember 2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat ihren Standpunkt aufrechterhalten, dass der Kläger überzahlt sei und den zu Unrecht empfangenen Betrag zurückzahlen müsse.

Der Kläger hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Es hat dahinstehen lassen, ob die korrigierte Berechnung der Invaliditätsleistungen durch die Beklagte sachlich zutreffend sei oder nicht, weil die Beklagte nach Treu und Glauben an der Rückforderung gehindert sei, da sie ihre Leistungspflicht in vollem Umfang geprüft und anerkannt habe.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie ihre bisherigen Anträge weiterverfolgt sowie die Widerklage um die Zahlung außergerichtlicher Anwaltskosten erweitert, was sie bereits in erster Instanz schriftsätzlich angekündigt, aber ausweislich des Protokolls in mündlicher Verhandlung nicht beantragt hatte.

Die Parteien wiederholen und vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Wiesbaden vom 8. September 2006, Aktenzeichen 3 O 346/05, die Klage abzuweisen sowie widerklagend den Kläger zu verurteilen, an sie EUR 109.538,70 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz ab 15. Dezember 2005 und EUR 1.044,12 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz ab Zustellung zu zahlen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung und die Widerklage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 17. November 2006 (Bl. 142 – 152 d. A.), 13. März 2007 (Bl. 175 – 177 d. A.) und 6. Juni 2007 (Bl. 195 – 196 d. A.) sowie auf denjenigen des Klägers vom 20. Februar 2007 (Bl. 168 – 173 d. A.) verwiesen.

II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat überwiegend Erfolg. Das Urteil des Landgerichts beruht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO) und kann daher nicht bestehen bleiben.

Der Kläger muss von den insgesamt empfangenen Zahlungen in Höhe von EUR 150.442,30 (EUR 102.259,- Versicherungssumme und EUR 48.183,30 Rentenzahlungen) die hälftige Versicherungssumme (EUR 51.129,50) und die gesamten Rentenzahlungen (EUR 48.183,30), insgesamt also EUR 99.312,80, an die Beklagte zurückzahlen, weil er diese Leistungen ohne rechtlichen Grund erlangt hat und er um sie ungerechtfertigt bereichert ist (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Einen Anspruch auf Rentenleistungen hat der Kläger nicht, sodass die Klage erfolglos bleiben muss. Die Widerklage dringt demgegenüber überwiegend durch.

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Die Beklagte ist nicht deswegen zur Weiterzahlung der monatlichen Rentenleistungen verpflichtet und an der teilweisen Rückforderung erbrachter Leistungen gehindert, weil sie mit ihrem Abrechnungsschreiben ein sogenanntes deklaratorisches Schuldanerkenntnis abgegeben hätte. Die Voraussetzungen eines solchen im Gesetz nicht ausdrücklich geregelten Anerkenntnisses liegen nicht vor.

Das deklaratorische Schuldanerkenntnis, das allerdings wie von jeder Partei auch von einer Versicherung abgegeben werden kann (Grimm, 4. Auf. 2006, Ziff. 9 AUB 99 Rn. 3; Bruck-Möller, 8. Aufl. 1978, Unfallversicherung Anm. G 291), soll eine bereits bestehende Schuld lediglich bestätigen, keine neue begründen, und stellt daher einen Schuldbestätigungsvertrag dar (Palandt/Sprau, 66. Aufl. 2007, § 781 BGB Rn. 3). Er setzt voraus, dass zwischen den Parteien Streit oder subjektive Ungewissheit über das Bestehen einer Schuld oder rechtserhebliche Punkte besteht und die Parteien durch das Anerkenntnis das zwischen ihnen bestehende Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit entziehen wollen (BGH NJW 1995, 960).

An der Erfüllung dieses Merkmals fehlt es, weil ein Streit oder eine Ungewissheit, der oder die durch ein bestätigendes Anerkenntnis ausgeräumt werden sollte, nicht bestand. Der Kläger hatte zwar die ursprüngliche Leistungsabrechung vom 4. November 2004 hinterfragt, sodass aus seiner Sicht eine klärungsbedürftige Lage gegeben war. Das genügte aber nicht, um aus der Sicht des Klägers den Abschluss eines Schuldbestätigungsvertrags mit der Beklagten annehmen zu können, weil die Beklagte keinen kontroversen Standpunkt einnahm und deshalb keinem Streit oder einer subjektiven Ungewissheit auf ihrer Seite abzuhelfen war. Die Ungewissheit war nicht beidseitig, weil die Beklagte ihre Abrechnung sogleich als unrichtig einordnete und sie korrigierte. Die Beklagte berichtigte lediglich ihre Abrechnung, indem sie sich dem Überprüfungsverlangen des Klägers gemäß Faxschreiben vom 11. November 2004 („Ich bitte um Stellungnahme, warum die erhöhte Gliedertaxe nicht einbezogen wurde.“) ohne weitere Erörterung sogleich zu seinen Gunsten anschloss. Mit ihrer Erklärung räumte die Beklagte somit keinen Streit und keine (beiderseitige) Ungewissheit aus, sondern gab nur eine (korrigierte) Erklärung über ihre Leistungspflicht im Sinne des § 11 AUB 88 ab, die zwar im Text der AUB als „Anerkenntnis“ bezeichnet wird, nach allgemeiner Ansicht aber nur eine einseitige Erklärung des Versicherers zur Information des Versicherungsnehmers darstellt, die nachträgliche Einwendungen nicht ausschließt (Grimm, aaO., Rn. 2). Der Versicherer wird dadurch nicht gehindert, eine bereits erbrachte Leistung zurückzufordern, wenn sich der zunächst anerkannte Anspruch als unbegründet erweist, was auch gefestigter Rechtsprechung entspricht (BGH NJW 1976, 1259).

Somit ist zu bestimmen, in welchem Umfang der Kläger Leistungen aus der Unfallversicherung zu beanspruchen hatte. Maßgebend dafür sind die Bestimmungen des Versicherungsvertrags, deren Verständnis durch Auslegung zu ergründen ist. Auszugehen ist davon, dass die zu beurteilenden Versicherungsbedingungen nach den Grundsätzen auszulegen sind, die für Allgemeine Geschäftsbedingungen gelten. Abzustellen ist danach auf ein Verständnis, wie es ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs gewinnt. Verbleiben danach mehrere Verständnismöglichkeiten, dann ist die dem Versicherungsnehmer günstigste heranzuziehen (Römer/Langheid, 2. Aufl. 2003, Vor § 1 VVG Rn. 16, 25 m.w.N.).

Bei Betrachtung der Besonderen Bedingungen für die Invaliditätsversicherung mit erhöhter Gliedertaxe (UBB 814) wird ein derartiger Versicherungsnehmer einen Vergleich der erhöhten Gliedertaxe mit den Invaliditätsgraden der Gliedertaxe nach § 7 I. (2) vornehmen und dabei feststellen, dass die festen Invaliditätsgrade teilweise angehoben worden sind, teilweise aber auch unverändert geblieben sind. Letzteres gilt gerade auch für den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit eines Fußes im Fußgelenk, der sowohl nach § 7 I. (2) AUB 88 als auch nach der erhöhten Gliedertaxe gleichermaßen mit 40% vereinbart ist. Über die AUB 88 hinaus wird allerdings in der erhöhten Gliedertaxe ein Invaliditätsgrad von 100% beim Verlust oder der Funktionsunfähigkeit beider Beine oder Füße vereinbart. Für den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit beider paariger Gliedmaßen weisen die AUB 88 keine Sonderregelung auf, sodass nach ihnen für den Verlust oder Funktionsunfähigkeit beider Füße im Fußgelenk 40% + 40% = 80% anzusetzen wären. Bei einem Teilverlust oder einer Funktionsbeeinträchtigung wird nach § 7 I. (2) b) AUB 88 der entsprechende Teil des Prozentsatzes nach a) angenommen. Diese Bestimmung wird in den Besonderen Bedingungen für die Invaliditätsversicherung zwar für abgeändert erklärt, aber jedenfalls nicht deutlich ausgeschlossen. Dass die erhöhte Gliedertaxe überhaupt nur dann gelten soll, wenn ein vollständiger Verlust oder eine gänzliche Funktionsunfähigkeit eingetreten ist, für den gesamten Bereich des Teilverlustes oder der Funktionsbeeinträchtigung aber keinerlei Wirkung haben soll, wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auf Grund dieser Regelung nicht annehmen. Bleibt die Regelung für Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung aber anwendbar, dann wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer jedenfalls auch zu dem vertretbaren und naheliegenden Verständnis gelangen, dass dies auch für den Teilverlust oder die Funktionsbeeinträchtigung beider Füße oder Beine gelten soll. Ob es überhaupt ein vertretbares Auslegungsergebnis darstellt, den Invaliditätsgrad von 100% ausschließlich beim völligen Verlust oder Funktionsunfähigkeit beider Beine oder Füße anzunehmen, wie dies die Beklagte vertritt, kann dahinstehen. Denn jedenfalls gibt es eine für den Versicherungsnehmer günstigere Verständnismöglichkeit, der der Vorzug zu geben ist.

Da bei dem Verlust oder der Funktionsunfähigkeit beider Füße statt von einem Invaliditätsgrad von 40% + 40% = 80% ein erhöhter Invaliditätsgrad von 100% vereinbart ist, wird die besondere Beeinträchtigung beider Füße durch eine Erhöhung von 25% gegenüber der nicht erhöhten Gliedertaxe ausgedrückt, die sich auf einen Teilverlust oder eine Funktionsbeeinträchtigung beider Gliedmaßen herunterrechnen lässt. Da bei dem Kläger die Funktionseinschränkung des rechten Fußes mit 4/10-Fußwert und die des linken Fußes mit 6/10-Fußwert anzusetzen ist, sind beide Werte um 25% anzuheben, sodass sich für den rechten Fuß 50% Fußwert und für den linken 75% Fußwert ergeben. Der Invaliditätsgrad des Klägers beläuft sich damit auf 20% + 30% = 50%. Ihm stehen demzufolge 50% der Versicherungssumme zu, während ein Anspruch auf Rentenzahlung nicht entstanden ist, weil ein Grad von 50% nicht überschritten ist.

Die Leistungsabrechnung vom 4. November 2004, die der Kläger nach wie vor als auch sachlich zutreffend verteidigt, konnte auf keinen Fall richtig sein, weil der Kläger danach so gestellt wurde, als hätte er beide Füße verloren oder als wären beide Füße funktionsunfähig, was nicht der Fall ist. Das ist so offensichtlich, dass dies der Kläger auch selbst hätte erkennen können und sollen.

Soweit sich die Beklagte für ihren Rechtsstandpunkt, dass die Invalidität von 100% als Sonderregelung ausschließlich für den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit beider Gliedmaßen gelte, sie sich jedoch nicht auf einen Teilverlust oder eine Funktionsbeeinträchtigung auswirke, auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stützt, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Den Entscheidungen lagen abweichende Fallgestaltungen zu Grunde.

Das Urteil des BGH vom 24. April 1974 (VersR 1974, 664) befasst sich mit § 8 II AUB 61, in denen für den Verlust beider Augen 100%, für den Verlust eines Auges 30% und für den Fall, dass das andere Auge vor Eintritt des Versicherungsfalls bereits verloren war, 70% als Invaliditätsgrad vorgesehen waren. Der damalige Kläger hatte ein vorgeschädigtes rechtes Auge, durch einen Unfall wurde das linke Auge so schwer verletzt, dass der Kläger praktisch erblindete. Die Versicherung hatte für das unfallgeschädigte linke Auge 30% reguliert, der Kläger wollte wegen seines vorgeschädigten rechten Auges aber die Erhöhung auf 70% erreichen, jedoch stellte das OLG keinen Verlust des anderen Auges, sondern nur eine Beeinträchtigung von 70% fest. Das OLG zog daraus aber nicht den Schluss, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine Erhöhung habe, sondern billigte aus der Differenz von 30 zu 70 einen Anteil von 70% zu. Der BGH hat zwar einen abweichenden methodischen Ansatz gewählt, ist aber ebenfalls zu einer Erhöhung gelangt, in dem er von dem erhöhten Wert von 70% ausging und davon einen Abzug machte.

Das Urteil des BGH vom 8. Juli 1987 (VersR 1987, 930) betrifft ebenfalls § 8 II AUB 61, jedoch in der Variante des Verlustes des Gehörs auf beiden Ohren. Die AUB 61 sahen für den gänzlichen Verlust des Gehörs auf beiden Ohren 60%, auf einem Ohr 15%, jedoch wenn das Gehör auf dem anderen Ohr vor Eintritt des Versicherungsfalls bereits verloren war, 45% vor. Im damaligen Fall hatte der Kläger, der durch einen Unfall auf beiden Ohren eine 10%-ige Gehörsminderung erlitten hatte, 10% des Grades von 60% = 6% begehrt, Dem folgte der BGH nicht, sondern vertrat die Auffassung, dass mit dem gleichzeitigen Verlust des ganzen Gehörs ein Einzelfall geregelt sei, der keinen Ansatz für Fälle gleichzeitigen beidseitigen Teilverlusts des Gehörs biete, bei denen an die beiden anderen Varianten (15% und 45%) anzuknüpfen sei. Er hielt es deshalb für zutreffend, den Grad für den Verlust eines Ohrs von 15% zu erhöhen, und zwar um einen Anteil der Differenz von 15% zu 45% = 30%. Diese Erhöhung betrug wegen der teilweisen Gehörsminderung nur 10% von 30% = 3%. Von dem erhöhten Betrag von 15% + 3% = 18% wurden sodann 10% = 1,8% ermittelt.

Aus diesen Darlegungen ergibt sich, dass den von der Beklagten angeführten Entscheidungen andere Bedingungen (AUB 61) zu Grunde lagen, die zwischen dem Invaliditätsgrad für den Verlust eines Sinnesorgans und dem beider Sinnesorgane noch eine Zwischenstufe aufwiesen, an die angeknüpft werden konnte. Bei den hier vorliegenden Bedingungen gibt es diese Zwischenstufe nicht, sodass die Ergebnisse nicht ohne weiteres übertragbar sind. In den angeführten Entscheidungen wird aber jedenfalls eine Erhöhung bei der Beeinträchtigung paariger Organe vorgenommen, lediglich wird der Höchstsatz für den Verlust beider Sinnesorgane nicht als Anknüpfungspunkt verwendet. Würde vorliegend nur dieser Teilaspekt aufrechterhalten, obwohl die Zwischenstufe weggefallen ist, käme es zu keinerlei Erhöhung bei beidseitigem Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung, was eine deutliche und unangemessene Verschlechterung der Rechtslage gegenüber den AUB 61 darstellen würde. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass sich die Auslegungsmaßstäbe für Allgemeine Versicherungsbedingungen seitdem auch erheblich gewandelt haben (vgl. Römer/Langheid Vor § 1 VVG Rn. 15).

Zu einer abweichenden Bewertung führt schließlich auch nicht das Urteil des BGH vom 24. Januar 1996 (VersR 1996, 493), das sich ebenfalls nur mit den AUB 61 befasst.

Ein Rückforderungsverbot gemäß § 814 BGB besteht nicht, weil nicht fest steht, dass die leistende Beklagte gewusst hat, dass sie zur Leistung nicht verpflichtet war. Eine solche Kenntnis ist nach Lage des Falles vielmehr auszuschließen. Dass der Beklagten alle Unterlagen vorlagen und sie nach ihrer Prüfung zu einer Abrechnung wie im Schreiben vom 23. November 2004 nicht hätte kommen dürfen, ist der erforderlichen positiven Kenntnis nicht gleichzusetzen (BAG NJW 2005, 3082 [LS]).

Die Rückforderung verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben (BGH NJW 1976, 1259, 1262), wie das Landgericht angenommen hat. Es kann dahinstehen, ob sich beim Kläger ein berechtigtes Vertrauen darauf bilden konnte, die Leistungen der Beklagten behalten zu dürfen. Der Vertrauensschutz des gutgläubigen Empfängers wird jedenfalls durch spezielle Vorschriften des Bereicherungsrechts (§ 818 Abs. 3 BGB) sichergestellt, zu deren Vorliegen nichts dargetan ist.

Auch der rechtliche Gesichtspunkt der Verwirkung greift nicht zu Gunsten des Klägers ein. Inwieweit der Verwirkung als Anwendungsfall des Grundsatzes von Treu und Glauben im Bereicherungsrecht eine eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. Palandt/Heinrichs § 242 BGB Rn. 99), kann offenbleiben, weil es jedenfalls an dem erforderlichen „Zeitmoment“ fehlt. Der Zeitraum, der bis zum Rückforderungsverlangen verstrichen ist, betrug nicht einmal ein Jahr. Auch ist der Umstand, dass einem Versicherer nach geltendem Recht die Möglichkeit eingeräumt ist, eine Klagefrist von sechs Monaten herbeizuführen (§ 12 Abs. 3 VVG), nicht geeignet, gesetzliche Ansprüche des Versicherers abzuschneiden. Bei § 12 Abs. 3 VVG handelt es sich um eine Ausnahmebestimmung, die über ihren Anwendungsbereich hinaus nicht ausgedehnt werden kann (vgl. Römer/Langheid, § 12 VVG Rn. 32).

Der Zinsanspruch auf die Hauptforderung ist gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 Satz 1 BGB gerechtfertigt. Der Kläger ist durch Schreiben der Beklagten vom 16. November 2005 unter Fristsetzung zum 15. Dezember 2005 zur Rückzahlung der Beträge aufgefordert worden. Da mit der Antragsfassung (5% über dem Basiszinssatz) offensichtlich auf den gesetzlichen Verzugszinssatz des § 288 Abs. 1 BGB abgestellt wird, hat der Senat den Ausspruch im Wege der Berichtigung dem Gesetz angepasst.

Die Zubilligung der außergerichtlichen Geschäftsgebühr beruht auf den §§ 280 Abs. 1, 2; 286 Abs. 1 BGB, die des zugehörigen Zinsanspruchs auf den §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) war nicht veranlasst.

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