LG Karlsruhe – Az.: 3 T 51/21 – Beschluss vom 30.12.2021
Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 29.07.2021, Az. 38 M 4838/20, aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Antrag der Gläubigerin vom 05.12.2020, gerichtet auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, an das Amtsgericht Karlsruhe zurückverwiesen; diesem bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens vorbehalten.
Gründe:
I.
Die Gläubigerin betreibt die Vollstreckung gegen den Schuldner aus einem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hagen vom 28.10.1997, Gesch.-Nr. 97-2397402-0-5. Am 05.12.2020 beantragte sie den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses und fügte eine Forderungsaufstellung bei, in der u.a. im Zeitraum vom 12.12.1997 bis 13.09.2011 angefallene Vollstreckungskosten aufgeführt wurden, die bereits mit einer Zahlung vom 26.04.2012 seitens der Gläubigerin verrechnet worden sind.
Das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – Karlsruhe gab der Gläubigerin mit Verfügung vom 09.12.2020 auf, auch die ausweislich der eingereichten Forderungsaufstellung getilgten Kosten zu belegen, damit eine Prüfung der Gesamtforderung möglich sei.
Mit Verfügungen vom 18.01.2021 und 12.02.2021 erinnerte der Rechtspfleger an die Erledigung der mit Zwischenverfügung vom 09.12.2020 aufgegebenen Auflagen.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 17.03.2021 trat die Gläubigerin den Auflagen des Vollstreckungsgericht entgegen. Das Vollstreckungsgericht sei nicht befugt, eine vom Gläubiger vorgenommene Verrechnung vom Schuldner geleisteter Zahlungen auf ihre Richtigkeit gemäß § 367 Abs. 1 BGB zu überprüfen.
Mit Verfügung vom 18.03.2021 wies das Vollstreckungsgericht nochmals auf seine abweichende Rechtsauffassung hin und setzte der Gläubigerin eine Nachfrist von zwei Wochen. Nach fruchtlosem Ablauf einer weiteren, mit Verfügung vom 21.04.2021 gesetzten Nachfrist und weiterer Korrespondenz mit den Gläubigervertretern wies das Vollstreckungsgericht den Antrag der Gläubigerin vom 05.12.2020 durch Beschluss vom 29.07.2021 – 38 M 4838/20 – in vollem Umfang zurück.
Gegen diesen ihr am 11.08.2021 zugestellten Beschluss hat die Gläubigerin am 24.08.2021 unter vertiefter Darstellung der bereits zuvor vertretenen Rechtsauffassung sofortige Beschwerde beim Amtsgericht Karlsruhe eingelegt.
Das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – hat dem Rechtsmittel der Gläubigerin durch Beschluss vom 05.10.2021 – 38 M 4838/20 – nicht abgeholfen und hat die Akten dem Beschwerdegericht vorgelegt.
Die Akten des Amtsgerichts Karlsruhe 38 M 4838/20 lagen dem Beschwerdegericht vor.
II.
Das Rechtsmittel der Gläubigerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Es hat auch in der Sache Erfolg. Die sofortige Beschwerde führte zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – Karlsruhe. Dieses hat über den Antrag des Gläubigers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts erneut zu befinden.
1. Dem Amtsgericht ist zuzustimmen, dass gemäß § 788 Abs. 1 ZPO eine Prüfung des Vollstreckungsorgans stattfindet, ob Vollstreckungskosten angefallen sind und ob sie notwendig waren. Der Gläubiger muss dazu eine ordnungsmäßige Kostenberechnung vorlegen (Karsten Schmidt/Brinkmann in Münchner Kommentar, ZPO, 6. Aufl., § 788 Rn. 37, 38). Die Berücksichtigung der einzelnen Ansätze unterliegt, wie im Kostenfestsetzungsverfahren, dabei der Glaubhaftmachung, da die Notwendigkeit der Kosten zu den vom Gläubiger darzulegenden, anspruchsbegründenden Voraussetzungen gehört (Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Auflage 2021, § 788 Rn. 21).
Umstritten ist, wie weit die Prüfungsbefugnis des Vollstreckungsorgans reicht, wenn der Gläubiger nach Verrechnung gezahlter Teilbeträge restliche Vollstreckungskosten und die Hauptforderung geltend macht.
Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass das Vollstreckungsorgan die Notwendigkeit dieser Kosten und damit die Berechtigung der Verrechnung zu prüfen und ggfs. die Höhe des noch zu vollstreckenden Anspruchs bei abweichender Verrechnung selbst zu bestimmen hat (so z.B. LG Dortmund DGVZ 2000, 188, LG Siegen, DGVZ 1991, 27).
Diese Auffassung verkennt jedoch, dass die Gläubigerin mit ihrem Vollstreckungsauftrag Art und Umfang der Vollstreckung verbindlich bestimmt hat (Seibel, in Zöller, ZPO, 34. Aufl. Vorb. § 704 Rn. 19) Das Vollstreckungsorgan ist nicht befugt, eine von der Gläubigerin vorgenommene Verrechnung an ihn geleisteter Zahlungen auf ihre Richtigkeit gem. § 367 Abs. 1 BGB hin zu überprüfen.
Materiellrechtliche Fragen sind einer Prüfung durch das Vollstreckungsgericht im streng formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren grundsätzlich entzogen. Ob den Bestimmungen der §§ 366, 367 BGB gemäß verrechnet und insoweit Erfüllung der Forderungen des Gläubigerin gem. § 362 Abs. 1 BGB eingetreten ist, ist eine materiellrechtliche Frage und einer Überprüfung durch den Gerichtsvollzieher oder das Vollstreckungsgericht daher nicht zugänglich. Diese Überprüfung hat vielmehr im Rahmen einer vom Schuldner zu erhebenden Vollstreckungsgegenklage zu erfolgen (BGH, Beschluss vom 09.08.2021 – VII ZB 86/10, NJW 2012, 3308; BGH, Beschluss vom 15.6.2016 – VII ZB 58/15, NJW 2016, 2810).
Nach alledem durfte das Vollstreckungsgericht den Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht von der Glaubhaftmachung und dem Nachweis der von der Gläubigerin nicht zur Vollstreckung angemeldeten Kostenforderung abhängig machen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin war damit Erfolg beschieden.
Das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – wird über den Antrag auf Erlass des beantragten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts erneut zu befinden haben.
2. Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist nicht veranlasst. Aufgrund der Aufhebung und Verweisung war die Kostenentscheidung dem Erstgericht zu übertragen (Heßler in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 572 Rn. 47).
3. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO) sind nicht gegeben.