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Tod eines einfachen Streitgenossen – Verfahrensaussetzung

OLG Frankfurt – Az.: 17 W 31/22 – Beschluss vom 02.12.2022

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und klarstellend neu gefasst wie folgt:

Das Verfahren wird in Bezug auf den Beklagten zu 1. ausgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf immateriellen und materiellen Schadensersatz in Anspruch. Darüber hinaus begehrt sie die Feststellung des Ersatzes zukünftiger Schäden, soweit kein gesetzlicher Forderungsübergang erfolgt ist.

Sie hat behauptet, der Beklagte zu 1. habe sie in dem Zeitraum vom 3. September 2015 bis 19. Mai 2017 (grob) fehlerhaft zahnärztlich in regiones 35, 46 und 47 im Zuge der Versorgung mit Implantaten behandelt. Ferner mangele es an einer hinreichenden Risikoaufklärung durch die Beklagte zu 2.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte zu 1. unterliege einer deliktischen und die Beklagte zu 2. (auch) einer vertraglichen Haftung.

Die Beklagten sind dem entgegengetreten. Zudem hat die Beklagte zu 2. dem Beklagten zu 1. den Streit verkündet, was diesen veranlasst hat, auf Seiten der Beklagten zu 2. beizutreten.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines zahnmedizinischen Sachverständigengutachtens, das der beauftragte Sachverständige ### am 10. Februar 2022 erstellt hat. Im Zuge der Stellungnahmen zu dem Gutachten haben die Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1. dessen Ableben am 6. Januar 2022 mitgeteilt und den Antrag gestellt, das Verfahren „im Verhältnis zu ihm“ auszusetzen.

Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 2. haben in dem Schriftsatz vom 15. Juni 2022 unter Verweis auf eine Fundstelle in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 62, Rn. 29, angeregt, das Verfahren insgesamt bis zur Aufnahme durch die Rechtsnachfolger des Beklagten zu 1. „ruhend zu stellen“. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben mit Schriftsatz vom 8. Juli 2022 „…dem im Schriftsatz der Gegenseite vom 15.06.2022 vorgeschlagenen Vorgehen…zugestimmt“.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht das Verfahren insgesamt ausgesetzt und dies (vertiefend in der Nichtabhilfeentscheidung vom 23. September 2022) damit begründet, die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Teilurteils lägen wegen der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen nicht vor, es läge in der Hand der Klägerin, die Erben des Beklagten zu 1. in Erfahrung zu bringen. Das prozessuale Verhalten der Klägerin sei wegen der Aussetzungsentscheidung widersprüchlich, weil sie der von der Beklagten zu 2. angeregten Aussetzung des gesamten Verfahrens zugestimmt habe.

Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin, mit der sie u. a. auf die Schwierigkeiten einer Erbenermittlung und die nicht bestehende Gefahr sich widersprechender Entscheidungen hinweist.

Die Beklagte zu 2. stützt die Entscheidung des Landgerichts.

In dem Beschwerdeverfahren teilen die Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1. mit, die Witwe und die gemeinsame minderjährige Tochter des Beklagten zu 1. seien aller Voraussicht nach Erben. Ein Erbschein sei für beide Ende September 2022 beantragt worden und bis zur Erteilung würden voraussichtlich noch mehrere Wochen vergehen. Weder die Witwe noch die minderjährige Tochter und der (ausschlagende) volljährige Sohn seien bereit, den Rechtsstreit aufzunehmen.

II.

Die sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 246 Abs. 1 ZPO auch in Bezug auf die Beklagte zu 2. kommt nicht in Betracht. Die dahingehenden Erwägungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung überzeugen von Rechts wegen nicht. Der Senat hat daher den angefochtenen Beschluss insgesamt aufgehoben und klarstellend neu gefasst dahin, dass das Verfahren nur in Bezug auf den Beklagten zu 1. ausgesetzt wird.

Es kann dahingestellt bleiben, ob das Landgericht vorliegend überhaupt befugt war, sich über den Antrag des Beklagten zu 1., das Verfahren nur in Bezug auf diesen auszusetzen, hinwegzusetzen. Immerhin unterliegt die Aussetzungsentscheidung gemäß § 246 Abs. 1 ZPO zwingend dem Antragserfordernis und sei es vom Prozessgegner. Soweit überwiegend in den Fällen der notwendigen Streitgenossenschaft nach Maßgabe des § 62 ZPO angenommen wird, es komme zu einer Unterbrechung des gesamten Verfahrens beim Tod eines notwendigen Streitgenossen (vgl. Stadler: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 239 ZPO, Rn. 3 mwN unter Fn. 22) und in diesen Fällen das Gericht auch ohne Antrag befugt sei, das Verfahren insgesamt auszusetzen (vgl. so Jaspersen: BeckOK ZPO, Stand 1. September 2022, § 246 ZPO, Rn. 17), kann vorliegend die Aussetzung des Verfahrens auch gegenüber der Beklagten zu 2. daraus nicht hergeleitet werden, weil es sich hier nicht um eine notwendige, sondern eine einfache Streitgenossenschaft handelt. Dass die Beklagte zu 2. dem Beklagten zu 1. den Streit verkündet und dieser auf Seiten der Beklagten zu 2. beigetreten ist, ändert an der einfachen Streitgenossenschaft nichts.

Selbst für den Fall, dass unterstellt werden könnte, das Landgericht sei auch ohne Antrag amtswegig befugt, über die Aussetzung des Verfahrens insgesamt zu befinden, lägen die Voraussetzungen für eine Aussetzung auch gegenüber der Beklagten zu 2. nicht vor, weil der Tod des Beklagten zu 1. als einfachem Streitgenossen nur zu einer Aussetzung ihm gegenüber berechtigt (vgl. Stackmann: Münchener Kommentar, ZPO, 6. Aufl., § 239 ZPO, Rn. 12; Stadler, aaO).

Im Ansatz noch zutreffend weist das Landgericht darauf hin, dass im Falle der (Teil-)Entscheidung des Rechtsstreits gegenüber der Beklagten zu 2. die Möglichkeit widersprüchlicher Entscheidungen nicht auszuschließen sei, wenn das Verfahren zu einem späteren Zeitpunkt gegenüber den Rechtsnachfolgern des Beklagten zu 1. fortgesetzt würde. Mit Blick darauf wäre ein Teilurteil gegenüber der Beklagten zu 2. gemäß § 301 ZPO nicht zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2006 – X ZR 149/04 -).

Dies rechtfertigt vorliegend allerdings nicht die Aussetzung des Verfahrens auch gegenüber der Beklagten zu 2.

In der Rechtsprechung ist, was der Senat für überzeugend hält, anerkannt, dass das Teilurteilsverbot nicht gilt, wenn über das Vermögen eines einfachen Streitgenossen ein Insolvenzverfahren eröffnet und deshalb gemäß § 240 ZPO das Verfahren insoweit unterbrochen worden ist. Das Verfahren gegen die übrigen Streitgenossen wird durch die Unterbrechung des Verfahrens gegen einen einfachen Streitgenossen nicht berührt. In diesen Fällen wird trotz der Gefahr, dass bei Aufnahme des durch die Insolvenz unterbrochenen Verfahrens eine abweichende Entscheidung ergehen könnte, stets die Möglichkeit bejaht, ein Teilurteil zu erlassen. Diese Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein Teilurteil dann nicht ergehen darf, wenn die Gefahr widerstreitender Erkenntnisse besteht, ist im Falle der Unterbrechung des Verfahrens durch Insolvenz eines einfachen Streitgenossen regelmäßig gerechtfertigt, weil die Unterbrechung zu einer faktischen Trennung der Verfahren führt. Die Dauer der Unterbrechung ist in der Regel ungewiss. Sie endet, wenn das Verfahren nicht nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen wird, erst dann, wenn das Insolvenzverfahren beendet ist. Die übrigen Streitgenossen haben keine prozessuale Möglichkeit, die Aufnahme des Verfahrens und damit auch den Fortgang des Prozesses insgesamt zu bewirken. Es wäre mit dem Anspruch der übrigen Prozessbeteiligten auf einen effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar, wenn die Unterbrechung des Verfahrens eine Entscheidung nur deshalb nachhaltig verzögern würde, weil die Gefahr einer widersprüchlichen Entscheidung nach einer eventuellen Aufnahme des Verfahrens besteht. Anders kann es zu beurteilen sein, wenn Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass das unterbrochene Verfahren alsbald fortgesetzt werden kann.

Diese Grundsätze gelten gleichermaßen für eine Verfahrensunterbrechung durch den Tod einer Prozesspartei (vgl. insgesamt BGH, Urteil vom 7. November 2006 – X ZR 149/04 mwN).

Belastbare Anhaltspunkte, das Verfahren werde infolge der geklärten Rechtsnachfolge nach dem Beklagten zu 1. zeitnah fortgeführt, so dass die Aussetzung des gesamten Verfahrens (noch) vertretbar wäre, bestehen nicht. Die Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1. haben – im Gegenteil – darauf verwiesen, die Rechtsnachfolge nur aller Voraussicht nach beurteilen zu können, obwohl der Beklagte zu 1. bereits im Januar des Jahres verstorben ist. Die Erteilung eines Erbscheins stehe seit Ende September aus und bis zur Erteilung sollen noch mehrere Wochen verstreichen. Darüber hinaus beabsichtigten die Rechtsnachfolger des Beklagten zu 1. nicht, den Rechtsstreit aufzunehmen, so dass die Aufnahme nur durch den Kläger gemäß § 239 Abs. 2, Abs. 3 ZPO erzwungen werden könnte. Dass über die Aufnahme sodann zeitnah befunden werden könnte, unterliegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt einer nicht zielführenden spekulativen Betrachtung.

Soweit sich die Prozessbevollmächtigten der Klägerin zunächst mit einer Aussetzung auch gegenüber der Beklagten zu 2. einverstanden erklärt haben, steht dies einer davon abweichenden Teilaussetzung nur gegenüber dem Beklagten zu 1. nicht entgegen, mag dieses Verhalten auch widersprüchlich sein. Es steht nicht zur Disposition der Parteien, über den Umfang einer gemäß § 246 Abs. 1 ZPO zwingenden Aussetzung durch das Gericht zu befinden.

Eine Kostenentscheidung ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht veranlasst, weil die insoweit entstandenen Kosten Bestandteil der Kostenentscheidung in der Hauptsache sind (vgl. BGH, Beschluss vom 9.März 2021 – II ZB 16/20 -).

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