OLG Köln – Az.: 5 U 59/17 – Beschluss vom 06.12.2017
Die Berufung der Beklagten gegen das am 8. März 2017 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 3 O 348/16 – wird zurückgewiesen.
Die Streithelferin der Beklagten trägt ihre im Berufungsverfahren entstandenen Kosten selbst. Im Übrigen werden die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferin des Klägers der Beklagten auferlegt.
Das angefochtene Urteil und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger oder die Streithelferin des Klägers vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Gründe
I.
Der am 22.10.1982 geborene Kläger leidet an einer Noncompaction Kardiomyopathie, einer angeborenen Herzerkrankung. Am 23.4.2004 erfolgte die Implantation eines Defibrillators. Nachdem am 1.4.2005 eine Herzrhythmusstörung aufgetreten war, setzten die Ärzte im Krankenhaus der Beklagten den Betablocker Bisoprolol ab und verabreichten das Antiarrhythmikum Amiodaron. Am 2.4.2005 verließ der Kläger das Krankenhaus. Am 4.4.2005 kam es zu schweren Herzrhythmusstörungen und einem Herz-Kreislaufstillstand. Nach der Reanimation blieb beim Kläger eine hypoxische Hirnschädigung mit Tetraparese zurück. Er befindet sich seitdem im Wachkoma.
Der Kläger hat die Beklagte im Vorprozess auf die Zahlung eines Schmerzensgeldes und die Feststellung der Ersatzpflicht in Anspruch genommen. Das Landgericht Bonn hat die Beklagte nach Einholung eines kardiologischen Gutachtens von Prof. Dr. T durch das am 4.2.2010 verkündete Urteil zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 200.000 EUR verurteilt und dem Feststellungsantrag, soweit er sich auf materielle und zukünftige, nicht vorhersehbare immaterielle Schäden bezog, stattgegeben.
Im Berufungsverfahren hat der Senat, nachdem er zu den Umständen der Entlassung des Klägers und dem Inhalt der Sicherungsaufklärung Beweis erhoben hatte, mit Beschluss vom 22.9.2010 einen Abfindungsvergleich über 500.000 EUR vorgeschlagen. Nach Einholung eines weiteren kardiologischen Gutachtens von Prof. Dr. F und Anhörung des Sachverständigen hat der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 19.3.2012 zunächst einen Abfindungsvergleich über 750.000 EUR angeregt und sodann die Berufung der Beklagten mit am 6.6.2012 verkündeten Urteil zurückgewiesen. Er hat festgestellt, dass der Kläger, bevor er die Klinik gegen ärztlichen Rat verlassen habe, nicht ausreichend therapeutisch über die Risiken der medikamentösen Neueinstellung aufgeklärt worden sei. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 26.2.2013 zurückgewiesen.
Die Bevollmächtigten des Klägers, die Partnergesellschaft R & Partner, und die Haftpflichtversicherung der Beklagten, die S Versicherung, welche vorab 600.000 EUR zahlte, führten daraufhin Vergleichsverhandlungen. Am 17.10.2013 erklärte sich der Kläger, vertreten durch seine Betreuerin und Mutter, wegen aller materiellen und immateriellen Ansprüche gegen die Beklagte oder gegen sonstige Personen wegen der Behandlung im April 2005 nach Zahlung von weiteren 1.050.000 EUR zuzüglich Rechtsanwaltsgebühren für endgültig abgefunden. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten zahlte die Beträge in den folgenden Tagen.
Mit Beschluss vom 24.2.2014 bestellte das Amtsgericht Siegburg Rechtsanwalt Q zum weiteren Betreuer des Klägers. Der Aufgabenkreis umfasste unter anderem die Überprüfung der Vergleichsvereinbarung mit der Beklagten und die Geltendmachung etwaiger weiterer Forderungen.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Abfindungserklärung unwirksam sei. Die erforderliche Genehmigung des Betreuungsgerichts sei nicht beantragt und erteilt worden. Der geschlossene Vergleich sei ein anderer als der vom Oberlandesgericht vorgeschlagene. Der Kläger beziffert die in der Vergangenheit entstandenen Pflegekosten mit 1.541.847,50 EUR, seinen Erwerbsschaden mit 1.223.000 EUR, die Kosten für behindertengerechte Fahrzeuge und den Bau eines behindertengerechten Hauses mit 100.000 EUR und 450.000 EUR sowie die zukünftigen Pflegekosten mit 7.095.000 EUR.
Der Kläger hat seiner Mutter und Betreuerin den Streit verkündet, die ihm daraufhin als Streithelferin beigetreten ist. Der Partnergesellschaft R & Partner ist der Streit vom Kläger, der Streithelferin des Klägers und der Beklagten verkündet worden. Sie ist der Beklagten als Streithelferin beigetreten.
Der Kläger und die Streithelferin des Klägers haben beantragt, festzustellen, dass die Rechte des Klägers aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Bonn vom 4.2.2010 in Sachen I ./. B Klinik T2 GmbH Az. – 9 O 425/08 – durch die Abfindungserklärung der Betreuerin des Klägers, Frau D I2 vom 17.10.2013, in welcher für den Kläger erklärt wird, dass dieser sich wegen aller materiellen und immateriellen Ansprüche aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, mögen sie bekannt, vorhersehbar und in die Verhandlungen mit einbezogen sein oder nicht, gegen die B Klinik T2 GmbH oder gegen sonstige Personen wegen der Behandlung im April 2005 nach Zahlung von weiteren 1.050.000 EUR (insgesamt 1.650.000 EUR) zuzüglich Rechtsanwaltsgebühren für endgültig abgefunden erklärt, nicht erloschen sind.
Die Beklagte und die Streithelferin der Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die Berufung auf die Unwirksamkeit des Vergleichs gegen Treu und Glauben verstoße. Ihre Haftpflichtversicherung habe im guten Glauben an die Einholung der betreuungsgerichtlichen Genehmigung den Abfindungsbetrag von 1.050.000 EUR ausgezahlt. Es sei treuwidrig, wenn der Kläger die Summe vereinnahme und sich wenige Monate später auf die Unwirksamkeit des Abfindungsvergleichs berufe. Die Streithelferin der Beklagten hat darüber hinaus geltend gemacht, dass eine Genehmigung des Betreuungsgerichts entbehrlich gewesen sei, weil der Vergleich einem gerichtlichen Vergleichsvorschlag entsprochen habe.
Das Landgericht hat der Klage stattgeben. Das erforderliche Feststellunginteresse liege vor. Die Abfindungserklärung, die als Vergleich einzuordnen sei, sei mangels Genehmigung des Betreuungsgerichts gemäß §§ 1908i Abs. 1, 1822 Nr. 12 BGB unwirksam. Die Einholung der Genehmigung sei nicht nach § 1822 Nr. 12 2. Halbsatz entbehrlich gewesen. Der mit der Abfindungserklärung abgeschlossene Vergleich habe keinem der beiden gerichtlichen Vergleichsvorschläge entsprochen. Dies gelte trotz des Umstands, dass die Abfindungserklärung den Kläger besser stelle, als er bei Annahme der Vergleichsvorschläge des Senats gestanden hätte. Die Verhandlungsbasis habe sich bis zum Abschluss des Vergleichs durch das vom Kläger eingeholte kardiologisch-internistische Gutachten von Prof. Dr. T3 vom 24.4.2012 verändert, das von einer nicht wesentlich verminderten Lebenserwartung des Klägers ausgegangen sei. Zudem spreche der Zeitablauf von 1 ½ Jahren dafür, dass eine Genehmigung des Betreuungsgerichts nicht entbehrlich sei. Es sei nicht treuwidrig, dass sich der Kläger auf die fehlende Genehmigung des Betreuungsgerichts berufe. Der Betreuer habe allein nach dem Interesse des Betreuten zu entscheiden, ob er eine für einen geschlossenen Vertrag erforderliche Genehmigung einhole. Selbst bei Einholung sei er nicht verpflichtet, die Genehmigung mitzuteilen. Daraus, dass der Kläger die Gegenleistung bereits empfangen habe, ergebe sich nicht anderes. Auch hier stehe die Schutzwürdigkeit des Betreuten im Vordergrund. Der Vertragspartner sei über die Regelungen der ungerechtfertigten Bereicherung ausreichend geschützt. Zudem seien die Beklagte und ihre Haftpflichtversicherung nicht in besonderer Weise schutzwürdig. Sie hätten wissen müssen, dass zur Wirksamkeit des Vertrags eine Genehmigung des Betreuungsgerichts und deren Mitteilung erforderlich seien.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter verfolgt. Die Bestimmung des § 1822 Nr. 12 BGB sei teleologisch zu reduzieren, wenn – wie hier – ein Elternteil als Betreuer bestellt sei. In diesen Fällen bestehe aus generellen Gründen kein Bedürfnis für einen Mündelschutz. Denn nach § 1643 Abs. 1 BGB sei für Eltern eine Genehmigung von Rechtsgeschäften nach § 1822 Nr. 12 BGB nicht erforderlich. Diese gesetzgeberische Wertung müsse auch bei Volljährigkeit des Nachkommen gelten. Jedenfalls entspreche die Abfindungsvereinbarung einem gerichtlichen Vergleichsvorschlag. Das Gesetz sehe für die Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlags, der die betreuungsgerichtliche Genehmigung entbehrlich mache, keine Fristen vor. Darauf, dass das Oberlandesgericht das kardiologisch-internistische Gutachten von Prof. Dr. T3 bei seinem Vergleichsvorschlag nicht habe berücksichtigen können, könne es nicht ankommen. Hätten die Parteien sofort einen Abfindungsvergleich über 500.000 EUR vereinbart, wäre dieser Vergleich ohne Genehmigung wirksam. Er hätte dem gesetzlich geforderten Mündelschutz entsprochen. Ein Vergleich, welcher zugunsten des Betreuten über den Vergleichsvorschlag des Gerichts hinausgehe, bedürfe dann erst recht keiner betreuungsgerichtlichen Genehmigung.
Der Kläger und die Streithelferin des Klägers verteidigen das angefochtene Urteil. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die Berufung der Beklagten war gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Die Berufung hat nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Hierzu wird auf den Senatsbeschluss vom 12.10.2017 verwiesen. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist. Die Stellungnahme der Beklagten vom 1.12.2017 rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Gegenüber den Ausführungen des Senats, nach denen der der Abfindungserklärung vom 17.10.2013 zugrunde liegende Vergleich gemäß §§ 1908i Abs. 1 S. 1, 1822 Nr. 12 BGB einer Genehmigung des Betreuungsgerichts bedurfte, welche weder beantragt noch erteilt worden ist, erhebt die Beklagte keine konkreten Einwendungen.
Die Beklagte weist zwar im Ausgangspunkt zu Recht darauf hin, dass die vom Landgericht ausgesprochene und vom Senat bestätigte Feststellung, dass die Rechte des Klägers aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Bonn vom 4.2.2010 durch die Abfindungserklärung der Betreuerin nicht erloschen sind, zur Folge hat, dass der Vergleich keinen Rechtsgrund für die von der Beklagten und ihrer Haftpflichtversicherung erbrachten Zahlungen begründet. Ein möglicher Rückgewähranspruch der Beklagten aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist aber nicht streitgegenständlich. Aus diesem Grund war und ist ein weiter gehender Vortrag des Klägers zu den einzelnen Schadenspositionen im vorliegenden Rechtsstreit nicht erforderlich. Ob die sich aus dem schadensursächlichen Behandlungsfehler ergebenden Ersatzansprüche des Klägers ihrerseits in vollem Umfang oder teilweise einen Rechtsgrund für die erbrachten Zahlungen darstellen oder gemäß § 242 BGB in vollem Umfang oder teilweise eine Rückforderung durch die Beklagte hindern, ist erst in einem etwaigen Folgeprozess zu prüfen. Das Gleiche würde für eine Aufrechnung mit Ersatzansprüchen gegen einen Rückforderungsanspruch gelten.
Die von der Beklagten in ihrer Stellungnahme angesprochene Vorschrift des § 814 BGB steht einer Rückforderung, sofern man die Darlegungen des Senats im Beschluss vom 12.10.2017 zugrunde legt, nicht entgegen. Der Senat hat nicht ausgeführt, dass die Beklagte und ihre Haftpflichtversicherung gewusst hätten, dass sie zur Leistung nicht verpflichtet seien, sondern er hat festgestellt, dass sie um das Genehmigungserfordernis hätten wissen müssen. Dies stellt einen Fahrlässigkeitsvorwurf und nicht die Kenntnis der Nichtschuld dar.
Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass die Berufung auf die Unwirksamkeit des mit der Abfindungserklärung vom 17.10.2013 verbundenen Vergleichs trotz der Leistung und der Entgegennahme der Vergleichssumme nicht gegen Treu und Glauben verstößt. Hierzu wird auf die Ausführungen unter II 3 im Senatsbeschluss vom 12.10.2017 verwiesen. Aus der Stellungnahme der Beklagten vom 1.12.2017 folgt nichts anderes. Den Erklärungen des Klägers und seiner Betreuer sowie ihrem Verhalten lässt sich nicht entnehmen, dass sie die von der Beklagten und ihrer Haftpflichtversicherung erbrachten Zahlungen nach Rechtskraft des Feststellungsurteils als freies Geld behalten wollen, ohne die Beträge auf die sich aus dem schadensursächlichen Behandlungsfehler ergebenden Ersatzansprüche anzurechnen. Die vorliegende Klage dient ausweislich der Klageschrift dazu, nach einem stattgebenden Urteil Ersatzansprüche geltend machen zu können, die nach der Vorstellung und Berechnung des Klägers insgesamt höher als die Vergleichssumme sind.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Berufungsstreitwert: 1.650.000 EUR