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Fahrverbot – Absehen aus beruflichen Gründen

Oberlandesgericht Hamm

Az: 3 Ss OWi 414/07

Beschluss vom 27.11.2007


Zu den Anforderungen an die Entscheidung, von einem Fahrverbot aus beruflichen Gründen absehen zu wollen.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Halle (Westf.) vom 12.02.2007 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 11. 2007 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gem. § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde an das Amtsgericht Halle (Westf.) zurückverwiesen.

Gründe:

I.
Das Amtsgericht Halle (Westf.) hat durch Urteil vom 12.02.2007 gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 374,00 EUR verhängt.

Nach den Urteilsfeststellungen überschritt der Betroffene als Fahrer des von ihm geführten PKW am 13.09.2006 um 16.42 Uhr in Versmold auf der Borgholzhausener Straße in Höhe des Hauses Nr. 27 die in diesem außerhalb geschlossener Ortschaften befindlichen Bereich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 53 km/h.

Den Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht wie folgt begründet:

„Das Gericht hat gegen den Betroffenen wegen der Tat eine Geldbuße in Höhe von 374,00 EUR verhängt. Von der Verhängung eines Fahrverbots hat es abgesehen. Zwar kommt bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 53 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines Fahrzeugführers in der Regel in Betracht. Aufgrund der Erfüllung dieses Tatbestandes ist ein grober Verstoß i. S. d. § 25 Abs. 1 StVG indiziert. In Ausnahmefällen kann jedoch ein Abweichen von dem vorgesehenen Regelverbot gerechtfertigt sein, wenn nämlich der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen wesentliche Besonderheiten aufweist, die sich insbesondere aus den Tatumständen und der Person des Betroffenen ergeben können. Ein derartiger Ausnahmefall in hier im Hinblick auf besondere Umstände in der Person des Betroffenen gegeben. Der Betroffene hat glaubhaft darlegen können, dass ein einmonatiges Fahrverbot in Bezug auf seine berufliche Existenz zu einer besonderen Härte führen würde. Dabei ist dem Gericht bewusst, dass nicht jeder berufliche Nachteil eine Ausnahme vom Fahrverbot rechtfertigt, sondern grundsätzlich nur eine besondere Härte ohne eine Vielzahl für sich genommen durchschnittliche Gründe. Der Betroffene hat hier jedoch dem Gericht glaubhaft überzeugend vermitteln können, dass ein einmonatiges Fahrverbot die Existenz seiner Firma akut gefährdet. Als Fahrzeuglackierer bringt der Betroffene regelmäßig Fahrzeuge zu den Kunden. Dabei handelt es sich um Fahrzeuge verschiedenster Typen und Größen. Die bei ihm angestellten Gesellen und Lehrling haben selbst nur den üblichen Kfz-Führerschein, nicht einen Führerschein für weitere Fahrzeugtypen wie Lkw etc.. Der Betroffene kann seine Tätigkeit ohne Führerschein nicht ausüben, ohne seinen Betrieb ernsthaft zu gefährden. Die Lackiererei kann ihren Kundenstamm gerade deshalb halten, weil sie auch bereit ist, Fahrzeuge von den Kunden abzuholen und dorthin zu bringen. Da der Betroffene der einzige in der Firma ist, der über einen solchen Führerschein auch für größere Fahrzeuge verfügt, kann die Arbeit auch nicht für den Monat des Fahrverbots auf einen anderen Mitarbeiter übertragen werden. Der Betroffene kann das Fahrverbot auch nicht in eine Urlaubszeit legen, da der glaubhaft bekundet hat, sich derzeit bei der wirtschaftlichen Situation seiner Firma gar keinen Urlaub leisten zu können. Die Firma würde bei einem Ausfall seiner Arbeitskraft für einen ganzen Monat sicherlich Insolvenz anmelden müssen. Das Gericht hält es unter diesen Umständen für gerechtfertigt, unter Verdoppelung der Regelgeldbuße auf 374,00 EUR von einem Fahrverbot abzusehen, zumal nach Auffassung des Gerichts der mit dem Fahrverbot erstrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt nach dem Eindruck in der Hauptverhandlung den bislang nicht vorbelasteten Betroffenen auch durch eine Verdoppelung der Geldbuße erreicht werden kann.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird und die sich insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung des Fahrverbots richtet.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde unter ergänzenden Ausführungen beigetreten.

II.
Die bei zutreffender Auslegung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils im Rechtsfolgenausspruch.

Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäss von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Anordnung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. Senatsentscheidung vom 12.04.2006 – 3 SsOWi 140/06 -; vom 04.03.2005 – 3 SsOWi 3/05 -; vom 04.03.2004 – 3 SsOWi 769/03 -; vom 04.07.2002 – 3 SsOWi 339/02 -; vom 06.06.2000 – 3 SsOWi 237/00 -).

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung hat der Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z. B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12.04.2006 – 3 SsOWi 140/06 -; vom 04.03.2005 – 3 SsOWi 3/05 -; vom 04.03.2004 – 3 SsOWi 769/03 -; vom 11.05.2004 -3 SsOWi 239/04 -; vom 26.02.2002 – 3 SsOWi 1665/01 -; vom 06.06.2000 – 3 SsOWi 237/00 -; BayObLG NZV 2002, 143; Frankfurt/Main NStZ-RR 2000, 312; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 25 StVG Rdnr. 25 m. w. N.). Dass die Verhängung des Fahrverbots vorliegend mit derart schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen verbunden ist, hat das Amtsgericht nicht in nachvollziehbarer Weise festgestellt. Aus den Urteilsgründen lässt sich nämlich schon nicht entnehmen, in welchem konkreten Umfang größere Fahrzeuge, wie etwa Lkw von dem Betroffenen von den Kunden abzuholen oder dorthin zurückzubringen sind und in wieweit tatsächlich der Bestand der von dem Betroffenen betriebenen Firma von diesen konkreten Kundenaufträgen abhängt. Soweit der Betroffene abweichend von den amtsgerichtlichen Feststellungen über seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 23.07.2007 hat ausführen lassen, dass er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit täglich darauf angewiesen sei, mit eigenen Fahrzeugen Kundenfahrzeuge auf Schleppwagen oder Anhänger zum Betrieb zu holen, da diese aufgrund von Unfallereignissen im öffentlichen Straßenverkehr nicht mehr betrieben werden können, ist dieses Vorbringen nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Denn im Regelfall wird davon auszugehen sein, dass ein bei einem Unfall beschädigtes Fahrzeug zunächst repariert wird, bevor an ihm Lackierungsarbeiten durchgeführt werden.

Die Entscheidung über das Absehen von dem Regelfahrverbot ist außerdem eingehend zu begründen mit ausreichenden Tatsachen zu belegen (vgl. Senatsbeschluss vom 04.03.2004 – 3 SsOWi 769/03 – m. w. N.). Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen, bedarf der positiven Feststellung durch den Tatrichter, der die entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen darlegen muss. Die ungeprüfte Wiedergabe einer für nicht widerlegt gehaltenen Einlassung des Betroffenen reicht insoweit nicht aus. Der Amtsrichter hat vielmehr die Angaben des Betroffenen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und darzulegen, aus welchen Gründen er diese für glaubhaft erachtet. Die Ausführungen des Amtsgerichts beruhen jedoch, wie auch die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, allein auf der nicht näher geprüften Einlassung des Betroffenen. Das Amtsgericht hat keine eigenen Feststellungen zu den Vermögensverhältnissen des Betroffenen selbst und der wirtschaftlichen Lage seines Unternehmens getroffen. Es hat sich auch nicht näher damit befasst, um welche konkrete Fahrerlaubnis es sich handelt, über die ausschließlich der Betroffene innerhalb seines Betriebes verfügt und die nach seinen Angaben erforderlich ist, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Schließlich hätte sich das Amtsgericht, worauf auch die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob nicht an Stelle des gänzlichen Wegfalls des Fahrverbots ein auf bestimmte Fahrzeugklassen beschränktes Fahrverbot zur Abwendung einer möglicherweise drohenden Existenzgefährdung in Betracht kommen könnte.

Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Urteils im gesamten Rechtsfolgenausspruch, da zwischen der verhängten Geldbuße und dem Fahrverbot eine Wechselwirkung besteht. Eine Entscheidung des Senats gem. § 79 Abs. 6 OWiG kommt nicht in Betracht, weil weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen sind.

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