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Arbeitnehmerkündigung Kleinbetrieb – Darlegungs- und Beweislast

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 6 Sa 191/15 – Urteil vom 08.03.2016

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 18. März 2015 – 6 Ca 604/14 P – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung.

Der 1966 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger trat zum 01. Juni 1992 als Auszubildender in die Dienste der R Schuhzentrum GmbH. Ab 01. November 1998 wurde der Kläger aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 24. November 1998 (Bl. 23 ff. d. A., im Folgenden: AV 1998) für die Beklagte, damals firmierend unter R Versandhandel GmbH, als Bereichsleiter Warenkoordination Vertrieb tätig. Vom 01. Juli 2004 bis 28. Februar 2007 arbeitete der Kläger kraft schriftlichen Arbeitsvertrages vom 16. Juli 2004 als Verkaufsleiter erneut für die R Schuhzentrum GmbH (Bl. 12 ff. d. A., im Folgenden: AV Schuh 2004). Der AV 1998 mit der Beklagten wurde weder gekündigt, noch durch schriftliche Vereinbarung aufgehoben. Der Kläger wurde in der Folge kraft Geschäftsführeranstellungsvertrages vom 16. März 2007 (Bl. 32 ff. d. A., im Folgenden: GF-V Schuh 2007) ab 01. März 2007 für die R Schuhzentrum GmbH als eingetragener Geschäftsführer der Gesellschaft tätig. Eine ausdrückliche schriftliche Vereinbarung über die Beendigung des zuvor mit der R Schuh GmbH bestehenden Arbeitsverhältnisses oder dessen Kündigung erfolgte nicht. Zum 01. September 2011 wurde das gesamte Geschäft der R Schuh GmbH im Wege des Betriebsübergangs auf die R Schuh GmbH übertragen.

Ab 01. Januar 2008 arbeitete der Kläger als eingetragener Geschäftsführer für die zur Unternehmensgruppe der Beklagten gehörende H R Group Verwaltungs GmbH, zuletzt nach Verschmelzung firmierend unter H R Group GmbH. Dieser Geschäftsführeranstellungsvertrag des Klägers wurde zum 31. Dezember 2015 gekündigt.

Die Beklagte wies mit Schreiben vom 17. Oktober 2014 darauf hin, dass sie den AV 1998 durch die in der Folge abgeschlossenen Geschäftsführeranstellungsverträge für aufgehoben halte, kündigte jedoch gleichzeitig vorsorglich das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Mai 2015.

Der Kläger, der im Parallelverfahren (Arbeitsgericht Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – 5 Ca 49/15 = LAG Rheinland-Pfalz 6 Sa 337/15) zugleich gegen die R Schuh GmbH gerichtlich den Bestand eines Arbeitsverhältnisses geltend macht, hat am 04. November 2014 beim Arbeitsgericht Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – gegen die Beklagte Kündigungsschutzklage erhoben und seine Weiterbeschäftigung verlangt.

Er hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, die Parteien hätten den Anstellungsvertrag vom 16. Juli 2004 zum Zeitpunkt des Abschlusses des Geschäftsführeranstellungsvertrages ruhend gestellt. Dies ergebe sich aus §§ 11, 13 Abs. 1 Satz 2 GF-V. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Selbst wenn die Beklagte weniger als zehn Mitarbeiter beschäftige, was mit Nichtwissen bestritten werde, bedürfe die Kündigung eines nachvollziehbaren Grundes.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die schriftliche Kündigung vom 17. Oktober 2014, zugegangen am 20. Oktober 2014, nicht mit Wirkung zum 31. Mai 2015 aufgelöst werden wird;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den Beendigungszeitpunkt hinaus fortbesteht;

3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu 1. und/oder zu 2 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkaufsleiter Deutschland weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die vorsorglich erklärte Kündigung sei aus betrieblichen Gründen erfolgt, da sie keiner geschäftlichen Tätigkeit mehr nachgehe, insbesondere nicht mehr als 5 bzw. 10 Arbeitnehmer beschäftige.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. März 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, das Arbeitsverhältnis der Parteien werde durch die Kündigung aufgelöst, da der Kläger die Behauptung, dass die Beklagte mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftige, nicht konkretisiert habe. Aufgrund des Vortrags der Beklagten, sie sei nicht mehr im Schuhhandel tätig und beschäftige keine Arbeitnehmer mehr, müsse davon ausgegangen werden, dass das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finde. Gründe, die die Kündigung als treuwidrig erscheinen ließen, habe der Kläger nicht vorgetragen. Der allgemeine Feststellungsantrag sei unzulässig, der Weiterbeschäftigungsantrag infolge Beendigung des Arbeitsverhältnisses unbegründet. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf Bl. 77 – 79 d. A. Bezug genommen.

Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 13. April 2015 zugestellte Urteil mit am 22. April 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 13. Juli 2015 mit Schriftsatz vom 13. Juli 2015, der bei Gericht am gleichen Tag eingegangen ist, begründet.

Der Kläger macht zur Begründung seiner Berufung nach Maßgabe seiner Berufungsbegründungsschrift vom 13. Juli 2015 und seiner Schriftsätze vom 22. Juni 2015 und 07. März 2016, auf die jeweils ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 113 ff., Bl. 149 ff. und Bl. 199 ff. d. A.) zweitinstanzlich im Wesentlichen geltend,

das Gericht habe die Behauptung der Beklagten, keiner geschäftlichen Tätigkeit mehr nachzugehen, nicht ohne weitere Prüfung als wahr unterstellen dürfen. Selbst wenn man von einer Nichtanwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes ausgehen würde, sei die Beklagte verpflichtet gewesen darzulegen, wann und auf welcher Grundlage der Betrieb eingestellt worden sei. Ihm sei mangels eigener Kenntnis ein entsprechender Beweis nicht möglich. Nach seinen Recherchen biete die R Gruppe im Internet über das Portal „preis.de“ Gutscheine für September 2015 an, die über die Kontaktadresse der Beklagten erworben werden könnten. Ergänzend sei darzulegen, dass es sich bei der Beklagten H R Group und ihren Untergesellschaften um einen gemeinsamen Betrieb iSd. § 23 KSchG handele und die Beklagte ihren Betrieb arbeitnehmerübergreifend mit institutioneller Leitung in sozialen und personellen Angelegenheiten durch die Geschäftsführer der mehr als 6.000 Mitarbeiter beschäftigenden H R Group GmbH, die auch Geschäftsführer der anderen zur Unternehmensgruppe gehörenden Gesellschaften seien, organisiere. Die Beklagte stelle mit dem Grundstück ein grundlegendes Betriebsmittel, welches gemeinsam genutzt werde. Auch sei sein Arbeitsverhältnis nach § 613 a BGB auf eine andere Gesellschaft übergegangen.

Der Kläger beantragt, unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 18. März 2014, 6 Ca 604/14 P, wird der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die schriftliche Kündigung vom 17. Oktober 2014, zugegangen am 20. Oktober 2014, nicht mit Wirkung zum 31. Mai 2015 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das vom Kläger angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 26. August 2015 und ihres Schriftsatzes 22. Januar 2016 auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 129 ff., 164 ff. d. A.) und trägt zweitinstanzlich im Wesentlichen vor,

das Arbeitsgericht habe zu Recht angenommen, dass das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar sei, weil sie eine Gesellschaft ohne operatives Geschäft sei, die lediglich innerhalb des Konzerns der H Group GmbH und Co. KG ihr Grundstück als Verwaltungssitz zur Verfügung stelle, was dem Kläger als Geschäftsführer innerhalb der Unternehmensgruppe auch bekannt gewesen. Sie betreibe (nach dem 31. Oktober 2013) keinen Internethandel oder Onlineshop mehr, mit dem Gutscheinportal „preis.de“ stehe sie in keinerlei geschäftlicher Beziehung und die genannten Kontaktdaten seien falsch. Die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Betrieb seien nicht gegeben, insbesondere keine einheitliche institutionelle Führung und Leitung in sozialen und personellen Angelegenheiten.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 08. März 2016 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht erfolgreich.

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, wurde vom Kläger nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 13. April 2015 mit am 22. April 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und innerhalb bis 13. Juli 2015 verlängerter Frist mit am gleichen Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 13. Juli 2015 rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 ZPO).

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Kündigung der Beklagten vom 17. Oktober 2014 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2015 beendet hat. Der vom Kläger fristgerecht iSd. § 4 Satz 1 KSchG erhobenen Kündigungsschutzklage blieb der Erfolg in der Sache versagt.

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1. Zwischen den Parteien bestand zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung durch die Beklagte mangels formwirksamer Beendigung gemäß § 623 BGB rechtlich ein Arbeitsverhältnis. Die Berufungskammer hat hierbei den klägerischen Antrag, der lediglich auf die Feststellung des Fortbestandes „des Arbeitsverhältnisses des Klägers“ gerichtet war, dahingehend ausgelegt, dass der Kläger den Fortbestand eines mit der Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnisses – AV 1998 – geltend machen will. Hierfür spricht, dass ein gegen die Beklagte gerichteter Kündigungsschutzantrag, mit dem der Kläger den Bestand eines anderweitigen Arbeitsverhältnisses verfolgen wollte, von vorneherein mangels Rechtsschutzbedürfnisses der Erfolg versagt wäre. Dafür, dass der Kläger, der zuletzt seine Weiterbeschäftigungsantrag als Verkaufsleiter (allein möglich nach AV Schuh 2004) nicht mehr verfolgt hat, eine unter diesem Gesichtspunkt aussichtslose Klage hätte erheben wollen, fehlt es an ausreichenden Anhaltspunkten.

1.1. Der vom Kläger und der Beklagten unter dem 24. November 1998 geschlossene Arbeitsvertrag AV 1998 ist zu keinem Zeitpunkt gemäß § 623 BGB, eingeführt durch Gesetz vom 30. März 2000 mit Wirkung zum 01. Mai 2000, formwirksam schriftlich gekündigt oder einvernehmlich aufgehoben worden. Zwar hat der Kläger eine Tätigkeit für die Beklagte ab Juli 2004 nicht mehr erbracht, da er am 16. Juli 2004 einen Arbeitsvertrag als Verkaufsleiter mit der R Schuhzentrum GmbH (AV Schuh 2004) geschlossen hat. Weder dieser Vertrag, noch die später mit der R Schuhzentrum GmbH oder verschiedenen anderen zur Unternehmensgruppe der Beklagten gehörenden Gesellschaften vereinbarten Geschäftsführeranstellungsverträge waren jedoch geeignet, im Hinblick auf eine unterstellt konkludente Aufhebungsvereinbarung mit der Beklagten die Schriftform nach § 623 BGB zu wahren. Auch wenn im Abschluss eines Geschäftsführer-Dienstvertrags durch einen Mitarbeiter im Zweifel die konkludente Aufhebung des bisherigen Arbeitsverhältnisses liegt und der schriftliche Geschäftsführer-Dienstvertrag regelmäßig das Formerfordernis des § 623 BGB für den Vertrag über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses wahrt (BAG 24. Oktober 2013 – 2 AZR 1078/12 – Rn. 24, 3. Februar 2009 – 5 AZB 100/08 – Rn. 8, mwN, jeweils zitiert nach juris), gilt dies nur, wenn die Parteien des Geschäftsführer-Dienstvertrags zugleich die Parteien des Arbeitsvertrags sind; anderenfalls gibt es kein schriftliches Rechtsgeschäft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in dem die Vereinbarung über die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses liegen kann (BAG 24. Oktober 2013 – 2 AZR 1078/12 – Rn. 25, aaO). Jedenfalls an einer schriftlichen Aufhebungsvereinbarung der Parteien fehlt es vorliegend.

1.2. Es kann dahinstehen, ob dem Kläger die Berufung auf den Formmangel nach § 623 BGB unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nach § 242 BGB verwehrt wäre. Ein Formmangel kann nach § 242 BGB nur ganz ausnahmsweise als unbeachtlich qualifiziert werden, wenn das Ergebnis für einen Vertragsteil schlechthin untragbar ist; hierfür reicht die Erfüllung der Voraussetzungen der Verwirkung nicht aus, es müssen vielmehr Umstände hinzukommen, die das Verhalten des Berechtigten in hohem Maße als widersprüchlich erscheinen lassen (BAG 17. Dezember 2015 – 6 AZR 709/14 – Rn. 51, 15. März 2011 – 10 AZB 32/10 – Rn. 18 mwN, jeweils zitiert nach juris). Ob diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt sind, bedarf letztlich keiner Entscheidung.

2. Selbst wenn sich der Kläger auf die fehlende Schriftform einer konkludenten Aufhebungsvereinbarung hinsichtlich des AV 1998 berufen dürfte und ihm zudem die Ausübung der Rechte aus dem ursprünglichen Arbeitsverhältnis nicht infolge Verwirkung versagt wäre (sei es in Form der Verwirkung materieller Rechte oder der Prozessverwirkung, vgl. BAG 25. November 2010 – 2 AZR 323/09 – Rn. 21, 23 mwN, zitiert nach juris), hat die von der Beklagten unter dem 17. Oktober 2014 vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis wirksam zum 31. Mai 2015 beendet. Hiervon ist das Arbeitsgericht zu Recht ausgegangen. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen ein anderes Ergebnis nicht.

2.1. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. Oktober 2014 ist nicht auf ihre soziale Rechtfertigung nach § 1 KSchG zu überprüfen, da der betriebliche Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes iSd. § 23 Abs. 1 KSchG nicht eröffnet ist.

a) Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG gilt der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes bis auf wenige Regelungen nicht in Betrieben mit in der Regel fünf oder weniger beschäftigten Arbeitnehmern nach der Zählweise des § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG. Dies entspricht der Rechtslage vor dem 1. Januar 2004 (Inkrafttreten des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl. I, S. 3002). Mit Überschreiten des Schwellenwerts findet dagegen grundsätzlich ua. § 1 KSchG Anwendung. § 23 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 KSchG schränkt diese Rechtsfolge ein: Nur wenn der Schwellenwert des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nach wie vor deshalb überschritten ist, weil die erforderliche Anzahl von Arbeitnehmern schon vor dem 1. Januar 2004 beschäftigt war („Alt-Arbeitnehmer”), ist der Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes – für diese – eröffnet. Arbeitnehmer, die ihre Beschäftigung erst nach dem 31. Dezember 2003 aufgenommen haben, können sich dagegen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 KSchG auf die Bestimmungen des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes nur und erst dann berufen, wenn im Betrieb in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind (BAG 23. Mai 2013 – 2 AZR 54/12 – Rn. 16 f.; 23. Oktober 2008 – 2 AZR 131/07 – Rn. 21 ff.; 21. September 2006 – 2 AZR 840/05 – Rn. 14, 15, jeweils zitiert nach juris).

Der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der in § 23 Abs. 1 KSchG geregelten betrieblichen Geltungsvoraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes (BAG 26. Juni 2008 – 2 AZR 264/07 – Rn. 17 ff., zitiert nach juris). Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast ist hierbei darauf zu achten, dass vom Arbeitnehmer nicht Darlegungen verlangt werden, die er mangels eigener Kenntnismöglichkeiten nicht erbringen kann. Vielmehr genügt er seiner Darlegungslast – bei fehlender eigener Kenntnismöglichkeit – bereits durch die bloße Behauptung, der Arbeitgeber beschäftige mehr als zehn Arbeitnehmer. Es ist dann Sache des Arbeitgebers, sich vollständig über die Anzahl der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer unter Benennung der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel zu erklären. Hierzu muss daraufhin der Arbeitnehmer Stellung nehmen und Beweis antreten. Hat der Arbeitnehmer keine eigenen Kenntnisse über die vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen, kann er sich auf die sich aus dem Vorbringen des Arbeitgebers ergebenden Beweismittel stützen und die ihm bekannten Anhaltspunkte dafür vortragen, dass entgegen den Angaben des Arbeitgebers der Schwellenwert doch erreicht ist (BAG 26. Juni 2008 – 2 AZR 264/07 – Rn. 26, aaO). Will sich der Arbeitnehmer auf die Maßgeblichkeit des abgesenkten Schwellenwerts des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG berufen, genügt er seiner Darlegungslast regelmäßig zunächst dadurch, dass er schlüssige Anhaltspunkte für die Beschäftigung der erforderlichen Anzahl von „Alt-Arbeitnehmern“ aufzeigt. Auf entsprechenden Vortrag muss sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen erklären und ggf. dartun, welche rechtserheblichen Tatsachen der Behauptung des Arbeitnehmers entgegenstehen sollen. Tut er dies, ist es erneut Sache des Arbeitnehmers darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der abgesenkte Wert maßgeblich ist (BAG 23. Mai 2013 – 2 AZR 54/12 – Rn. 35 mwN, aaO).

b) Ausgehend hiervon ist der Kläger der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast für die Eröffnung des betrieblichen Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes nicht nachgekommen.

aa) Die Beklagte hat auf die Behauptung des Klägers in der Klageschrift, sie beschäftige mehr als zehn Arbeitnehmer, dargelegt, sie sei nicht mehr im Schuhhandel tätig, betreibe nach dem 31. Oktober 2013 keinen Internethandel oder Onlineshop mehr und stelle lediglich ihr Grundstück als Verwaltungssitz zur Verfügung. Soweit der Kläger hierauf behauptet hat, auch in der Zurverfügungstellung eines Grundstückes liege eine geschäftliche Tätigkeit, mag dies zutreffen, ersetzt jedoch nicht die substantiierte Darlegung von Anhaltspunkten dafür, dass die Beklagte – selbst wenn die von ihr benannte Zeugin S ihre Arbeitnehmerin sein sollte – mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt oder zumindest insgesamt fünf „Alt-Arbeitnehmer“. Gleiches gilt für den Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren, die Anschrift der Beklagten sei als Kontaktadresse für eine Gutscheinaktion im September 2015 auf dem Online-Portal „preis.de“ angegeben. Abgesehen davon, dass die diesbezügliche Einlassung der Beklagten, in keinerlei geschäftlichem Kontakt mit dem Online-Anbieter zu stehen, welcher als bloßes Vergleichsportal ohne Zutun der Unternehmensgruppe der Beklagten falsche Kontaktdaten verwendet habe, der Berufungskammer nachvollziehbar erscheint, wäre es die Aufgabe des Klägers gewesen, zumindest schlüssige Anhaltspunkte dafür vorzutragen, aus welchen Gründen die Gutscheinaktion für die Beschäftigung einer den Schwellenwert nach § 23 Abs. 1 Satz 2, 3 KSchG überschreitenden Anzahl von Mitarbeitern zum Kündigungszeitpunkt spricht. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat, die Tatsache, dass sie letztlich eine Gesellschaft ohne operatives Geschäft sei, sei dem Kläger als Organgeschäftsführer innerhalb des Konzerns bekannt gewesen.

bb) Auch die vom Kläger erstmals im Berufungsverfahren verfolgte Argumentation, die Beklagte betreibe mit anderen Gesellschaften des Konzerns einen gemeinsamen Betrieb, führt nicht zur Eröffnung des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 30. Juni 2004 – 2 AZR 386/03 – Rn. 30 mwN, zitiert nach juris), der sich die Berufungskammer anschließt, ist der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz regelmäßig nicht unternehmens-, dh. arbeitgeberübergreifend ausgestaltet. Die ausnahmsweise Annahme eines arbeitgeberübergreifenden Kündigungsschutzes kommt nur in Betracht, wenn sich zwei oder mehrere Unternehmen zur gemeinsamen Führung eines Betriebs – zumindest konkludent – rechtlich verbunden haben, so dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird (BAG 13. Juni 2002 – 2 AZR 327/01 – Rn. 20, zitiert nach juris). Tatsächliche Anhaltspunkte für eine derartige institutionelle Leitung hat der Kläger in keiner Weise dargetan, sondern lediglich pauschal behauptet, die Beklagte organisiere ihren Betrieb arbeitnehmerübergreifend mit institutioneller Leitung in sozialen und personellen Angelegenheiten durch die personenidentischen Geschäftsführer der Hamm R Group. Allein die Tatsache, dass die Geschäftsführer mehrerer Gesellschaften personengleich sind, rechtfertigt nicht den zwingenden Schluss einer einheitlichen Ausübung der Rechte des Arbeitgebers in sozialen und personellen Angelegenheiten (vgl. LArbG Berlin-Brandenburg 27. Januar 2015 – 11 Sa 868/14 – Rn. 29, zitiert nach juris). Dass dies tatsächlich der Fall wäre, hat der Kläger nicht dargelegt. Ein – weitergehender – kündigungsschutzrechtlicher „Berechnungsdurchgriff im Konzern“ ist nicht verfassungsrechtlich geboten (vgl. BAG 16. Januar 2003 – 2 AZR 609/01 – Rn. 27, zitiert nach juris). Die Argumentation des Klägers, das Grundstück der Beklagten stelle ein wesentliches gemeinsam genutztes Betriebsmittel für die Gesellschaften dar, lässt ebenfalls nicht auf einen gemeinsamen Betrieb schließen, da in der Zur-Verfügung-Stellung des Grundstückes durch die Beklagte eine gemeinsame Nutzung nicht liegt.

2.2. Sonstige Unwirksamkeitsgründe für die Kündigung sind nicht ersichtlich. Weshalb ein Betriebsübergang – mit der Folge der etwaigen Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB – vorliegen sollte, erschloss sich der Berufungskammer nicht. Auf die Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nach Hinweis der Beklagten auf das Fehlen eines Betriebsrates nicht mehr berufen. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot (§ 612a BGB) oder eine sonstige Treuwidrigkeit der Kündigung (§ 242 BGB, vgl. BAG 21. Februar 2001 – 2 AZR 15/00 – Rn. 19 ff., zitiert nach juris) liegen nicht vor.

2.3. Da die Beklagte die Kündigungsfrist nach § 622 Abs. II Nr. 7 BGB eingehalten hat, hat die Kündigung das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2015 beendet.

B

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Gründe die eine Zulassung der Revision iSd § 72 Abs. 2 ArbGG veranlasst hätten, bestehen nicht.

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