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Auffahrunfall auf Autobahn – Haftungsverteilung

OLG München, Az.: 10 U 601/15, Urteil vom 31.07.2015

1. Auf die Berufung des Klägers vom 17.02.2015 wird das Endurteil des LG München I vom 29.01.2015 (Az. 17 O 5715/14) samt dem zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG München I zurückverwiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG München I vorbehalten. Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz, sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Auffahrunfall auf Autobahn – Haftungsverteilung
Symbolfoto: Von Stanislav Duben /Shutterstock.com

Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend. Er verlangt – über die erstinstanzlich zugesprochenen Beträge hinaus – ein angemessenes Schmerzensgeld, beziffert in erster Instanz mit mindestens 800,- €, sowie Wiederherstellungs-, Gutachter- und Folgekosten von insgesamt 10.834,11 €, jeweils zuzüglich – hinsichtlich Teilbeträgen zeitlich gestaffelter – Verzugszinsen.

Zugrunde liegt ein Verkehrsunfall vom 06.09.2013 gegen 15.48 Uhr zwischen dem Pkw Daimler-Benz des Klägers, amtl. Kennzeichen HM …, gesteuert von seiner Tochter, und dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten und vom Beklagten zu 1) gefahrenen Kraftomnibus Setra, amtl. Kennzeichen B – … Der Unfall ereignete sich auf der Bundesautobahn A 9, Abschnitt 1060 (entspricht Kilometer 11.000), in Richtung München, im Gemeindegebiet von Neufahrn. Der Beklagte zu 1) fuhr aus streitigem Grund auf das vor ihm fahrende Fahrzeug des Klägers auf. Der Kläger wurde leicht verletzt und sein Fahrzeug schwer beschädigt. Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 29.01.2015 (Bl. 121/133 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht München I hat nach Beweisaufnahme die Klage fast vollständig (zu 90 Prozent) abgewiesen, weil der Kläger aufgrund eines – ihm als Mitverschulden zuzurechnenden – schwerwiegenden straßenverkehrsrechtlichen Fehlverhaltens seiner Fahrerin lediglich ein Drittel seiner Schäden ersetzt verlangen könne. Darüber hinaus hat das Erstgericht einzelne Schadenspositionen abgelehnt oder gekürzt, weil diese aus Rechtsgründen nicht oder nicht in vollem Umfang erstattungsfähig seien. Zuletzt wurde das begehrte Schmerzensgeld grundsätzlich für angemessen gehalten, jedoch aufgrund des Bemessungsgesichtspunkts des Mitverschuldens ein deutlich geringerer Betrag ausgeurteilt. Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 125/133 d. A.) des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses ihm am 03.02.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger mit beim Oberlandesgericht München am 17.02.2014 eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt (Bl. 136/137 d. A.) und diese mit Schriftsatz vom 01.04.2015, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag begründet (Bl. 141/150 d. A.). Mit Schriftsatz vom 18.06.2015 hat er seine Anträge ergänzt (Bl. 161 d. A.).

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils,

– die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen,

– die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an den Kläger 10.834,11 € zu bezahlen,

– Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus den vorstehenden Beträgen zuzusprechen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat gemäß Beschluss vom 08.07.2015 mit Zustimmung der Parteien schriftlich entschieden, § 128 II ZPO; als Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, wurde der 23.07.2015 bestimmt (Bl. 177/178 d. A.). Der Kläger hat ergänzend vorsorglich beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (Schriftsatz v. 18.06.2015, Bl. 161 d. A.).

Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsschrift, die Berufungserwiderung vom 03.07.2015 (Bl. 162/176 d. A.), die Hinweisverfügung des Senatsvorsitzenden vom 02.06.2015 (Bl. 153/160 d. A.), und den Schriftsatz des Klägers vom 30.04.2015 (Bl. 151/152 d. A.) Bezug genommen.

B.

Die statthafte, sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache vorläufig Erfolg.

I. Das Landgericht hat entschieden, dass Schadensersatzansprüche des Klägers aus Verschuldenshaftung des Fahrzeugführers (§§ 18I, 7 I StVG), sowie aus unerlaubter Handlung (§ 823 BGB), nur zu einem Drittel gerechtfertigt seien (EU 5, 11 = Bl. 125, 131 d. A.), weil der Verkehrsunfall durch einen Fahrfehler der Fahrerin des Klägerfahrzeugs verursacht worden sei und der Kläger sich dies als Mitverschulden zurechnen lassen müsse (EU 5, 9/10 = Bl. 125, 129/130 d. A.). Das Erstgericht hat sich davon überzeugt, dass die klägerische Fahrerin auf der Autobahn fahrend ohne Grund stark abgebremst, nämlich ihre Geschwindigkeit von etwa 80 km/h schlagartig auf 30 km/h verringert, somit Schäden und Verletzungen des Klägers weit überwiegend selbst verursacht und verschuldet habe, während den Beklagten (wohl nur) ein zu geringer Sicherheitsabstand vorzuwerfen sei (EU 10/11 = Bl. 130/131 d. A.).

Diese Ergebnisse entbehren angesichts einerseits mangelhafter Tatsachenfeststellung, insbesondere Beweiswürdigung, andererseits fehlerhafter Rechtsanwendung einer überzeugenden oder auch nur ausreichenden Grundlage. Auch die Darstellung des Meinungsbildungsprozesses ist oberflächlich und deshalb unzureichend geblieben, weil sich die von § 286 I 1 ZPO geforderte umfassende Würdigung aller Beweismittel und sonstigen Erkenntnisquellen in ihrer wechselseitigen Beziehung in den leitenden Gründen (§ 313 III ZPO) nicht widerspiegelt.

1. Das Ersturteil stellt die für den Streitgegenstand entscheidungserheblichen Tatsachen (unstreitiger Tatbestand einerseits, BGH NJW 2011, 3299 [3300]; WM 2011, 309; OLG Rostock MDR 2011, 217, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung andererseits, Senat, Urt. v. 24.01.2014 – 10 U 1673/13 [juris, Rz. 16]) weder vollständig, noch zutreffend fest, sodass konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Tatsachenfeststellung ersichtlich werden. Die Beweiswürdigung des Erstgerichts offenbart offensichtliche Lücken, Widersprüche oder Mängel, sodass der Senat nicht nach § 529 I Nr. 1 ZPO gebunden (BGH NJW 2005, 1583, 1585), und eine erneute Sachprüfung eröffnet ist. Nachdem – wenigstens teilweise – die erstinstanzlichen Feststellungen angegriffen wurden, kommt es auf die umstrittene Frage, ob insoweit eine Prüfung von Amts wegen ohne Bindung an das Berufungsvorbringen vorzunehmen ist (so BGH [V. ZS] NJW 2004, 1876; [VI. ZS] NJW 2014, 2797 ohne nähere Begründung), nicht entscheidend an.

a) Das Landgericht stützt die streitentscheidende Tatsache, dass die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs auf der Autobahn ohne verkehrsbedingten Anlass eine Vollbremsung gemacht habe (EU 5/6, 9/10 = Bl. 126/127, 129/130 d. A.), im Wesentlichen auf die Aussagen der Zeugen R. und S., sowie die Angaben des Beklagten zu 1). Diese Äußerungen werden jedoch unzureichend geprüft und bewertet:

aa) Der Zeuge R. schilderte ausweislich der Urteilsgründe (EU 7/8 = Bl. 127/128 d. A.) zunächst, dass der Reisebus der Beklagten auf dem rechten regulären Fahrstreifen gefahren sei, was sich jedoch weder mit der Unfallskizze des Sachverständigen (Anl. A1 zum Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 16.12.2014, S. 3 = Bl. 90 d. A.), noch mit den polizeilichen Lichtbildern (Aktenheftung der VPI F., BY 1170-007297-13/2, Bl. 33/34) in Einklang bringen lässt.

Weiterhin soll der Zeuge bekundet haben, in einer Entfernung von 25-30 Metern habe sich, von links kommend, ein jedenfalls heller Golf vor den Bus gesetzt, während in der Vernehmung in mündlicher Verhandlung (Protokoll v. 16.12.2014, S. 3 = Bl. 90 d. A.) Unsicherheiten hinsichtlich der Fahrzeugfarbe erst auf Vorhalt eingeräumt wurden. Weder hinterfragt, noch geklärt hat das Erstgericht die Tatsachen, dass das klägerische Fahrzeug unstreitig ein Mercedes B 180 gewesen ist, und sonst keiner der Beteiligten ein Einscheren des klägerischen Fahrzeugs von links wahrgenommen hatte.

Zudem hat der Zeuge, bestätigt durch das Protokoll der mündlichen Verhandlung (v. 16.12.2014, S. 3 = Bl. 90 d. A.), angegeben, dass die Geschwindigkeit des Reisebusses etwa 100 km/h, und der Abstand des eingescherten Fahrzeugs 25 bis 30 Meter betragen habe. Jedoch hat das Erstgericht jede Prüfung und jede Auseinandersetzung mit der Frage unterlassen, dass eine Halbierung des notwendigen Sicherheitsabstands eingetreten wäre und eine sofortige Reaktion des Busfahrers erfordert hätte (Anhalteweg aus einer Geschwindigkeit von 100 km/h bei einer Bremsverzögerung von 8,5 m/s², einer Reaktionszeit von 0,8 Sekunden und einer Bremsschwellzeit von 0,5 Sekunden: 74,29 Meter).

Gleiches gilt für die Äußerung des Zeugen, dieses Fahrzeug habe sofort, keine 5 bis 6 Sekunden später, eine Vollbremsung zum Stillstand gemacht (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 16.12.2014, S. 3/4 = Bl. 90/91 d. A.), denn bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h werden in 5 bis 6 Sekunden 139 bis 166 Meter zurückgelegt. Einerseits lässt sich dies nicht mit dem Gefühl des Zeugen, die Vollbremsung sei „sofort“ erfolgt vereinbaren, andererseits hat der Sachverständige ermittelt, dass das klägerische Fahrzeug im Zeitpunkt des Anstoßes keineswegs gestanden, sondern noch mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h gefahren sei (EU 8 = Bl. 128 d. A.).

Zuletzt ist auch die Mutmaßung des Zeugen, der Bus habe sich nach dem Anstoß noch 5 bis 6 Meter nach vorne bewegt (EU 8 = Bl. 128 d. A.; Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 16.12.2014, s. 3 = Bl. 90 d. A.) mit den Ermittlungen des Sachverständigen unvereinbar (Anlage A1 zum Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 16.12.2014), die eine Auslaufstrecke von mindestens 15 Metern nahe legen.

Bei dieser Sachlage hätte das Erstgericht eine nachvollziehbare und Einzelheiten bietende Begründung liefern müssen, warum die Aussage des Zeugen R. als glaubhaft einzustufen sei und die Richtigkeit seiner Beobachtungen erweise. Dies gilt umso mehr, als das Ersturteil lediglich Zweifel an den Wahrnehmungsfähigkeiten des Zeugen aufgrund seiner ungünstigen Sitzposition und seiner Schwierigkeiten, Entfernungen zu schätzen, äußert (EU 10 = Bl. 130 d. A.). Darüber hinaus weist die protokollierte Aussage des Zeugen sprachlich und inhaltlich unklare Formulierungen und durch Fragezeichen gekennzeichnete Auslassungen auf (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 16.12.2014, S. 4 = Bl. 91 d. A.), ohne dass der genaue Inhalt geklärt worden wäre (Hinweise des Senatsvorsitzenden v. 02.06.2015, S. 4 = Bl. 156 d. A., 2. Abs. ).

bb) Der Zeuge S. berichtete zunächst, dass über einen Zeitraum von sicherlich zwei Minuten ein Fahrzeug im Abstand von 35 bis 40 Metern vor dem Bus hergefahren sei (EU 8 = Bl. 128 d. A.; Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 16.12.2014, S. 5 = Bl. 92 d. A.). Ausgehend von einer Geschwindigkeit des Reisebusses von 100 km/h hätte dies zur Folge, dass der Beklagte zu 1) über eine Entfernung von 3,3 Kilometern durchgängig den notwendigen Sicherheitsabstand mit gerade der Hälfte drastisch unterschritten hätte, im Übrigen ohne jeden nachvollziehbaren Grund. Diese Ungewöhnlichkeit hat das Erstgericht weder in der mündlichen Verhandlung durch Fragen und Vorhalte aufgeklärt, noch im Urteil dargestellt. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Zeuge nicht einmal Farbe und Typ des vorausfahrenden kleineren Fahrzeugs angeben konnte.

Bei dieser Sachlage wäre wiederum im Rahmen der Darstellung der Beweiswürdigung eine stimmige Begründung erforderlich gewesen, warum der Zeuge den Verkehrsunfall richtig beobachtet und wiedergegeben habe. Dies versagt sich das Erstgericht mit der bloßen Mitteilung, die Aufmerksamkeit des Zeugen sei durch die Bremslichter auf das klägerische Fahrzeug gelenkt worden, zudem sei die Unfalldarstellung mit den Feststellungen des Sachverständigen vereinbar (EU 10 = Bl. 130 d. A.). Jedoch kann der erstgenannte Gesichtspunkt nicht erklären, dass auch das Geschehen vor der Bremsung aufmerksam beobachtet worden sei, während der zweite Gesichtspunkt unerheblich ist. Der Sachverständige konnte keine Aussage treffen, warum die klägerische Fahrerin gebremst habe, und hat dies nicht getan. Zuletzt sind die Überlegungen zur Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht zielführend, da diese eine Bestätigung der Glaubhaftigkeit der Aussage voraussetzen.

cc) Die Überlegungen des Erstgerichts zur Glaubwürdigkeit der Zeugen sind nicht ausreichend, weil sie sich allein auf fehlendes Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits stützen (EU 10 = Bl. 130 d. A.). Dagegen fehlt jede Auseinandersetzung mit der Erfahrungstatsache, dass Aussagen von Bus- oder Straßenbahninsassen überproportional häufig zugunsten des Fahrers ausgehen. Insoweit wird ergänzend auf die Hinweise des Senatsvorsitzenden (v. 02.06.2015, S. 4 = Bl. 156 d. A.) verwiesen.

dd) Das Erstgericht hat den Beklagten zu 1) als Partei angehört, der bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h einen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug von etwa 50 Metern eingehalten haben, jedoch die technischen Sicherungssysteme ausgeschaltet haben will (EU 6 = Bl. 126 d. A.; Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 23.09.2014, S. 3, 5 = Bl. 63, 65 d. A.). Während das Ersturteil zwar einen Abstandsverstoß feststellt (EU 10 = Bl. 130 d. A.), wird jedoch jegliche Aufklärung und Begründung unterlassen, aus welchem Grund über eine längere Fahrtstrecke nachhaltig gegen elementare Verkehrsvorschriften (§ 4 I 1 StVO) verstoßen wurde, und welche Auswirkungen dieser Umstand auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Beklagten zu 1) und die Glaubwürdigkeit seiner Person haben kann.

Ebenso wäre von wesentlicher Bedeutung gewesen, aus welchem Grund Notbremsassistent und automatische Abstandseinhaltung ausgeschaltet worden waren. Das Erstgericht versagt sich eine Klärung und Darlegung im Urteil (EU 10 = Bl. 130 d. A.), obwohl nicht fernliegt, der Beklagte zu 1) habe die Sicherungssysteme absichtlich ausgeschaltet, um einen Abstand von 50 Metern einhalten zu können, in der rechtsirrigen Auffassung, § 4 III StVO erlaube dies auch bei Geschwindigkeiten von 100 km/h.

b) Das Ersturteil enthält keine Darstellung und Auseinandersetzung mit der Frage, welche Ursachen der angenommene Fahrfehler der klägerischen Fahrerin gehabt haben könnte (EU 5 = Bl. 125 d. A.). Dies wäre schon deswegen notwendig gewesen, weil unterschiedliche Grade der Verkehrswidrigkeit, der Vorwerfbarkeit und des Mitverschuldens nicht auszuschließen sind, und diese, wie auch das Erstgericht erkennt (EU 10/11 = Bl. 130/131 d. A.), unmittelbare Auswirkung auf die Haftungsverteilung haben müssen.

c) Der Senat verkennt nicht, dass grundsätzlich die Würdigung des Beweisergebnisses ureigenste Aufgabe des Tatrichters ist (BGH NJW 2015, 74 [75]; BayObLG NZM 2002, 449), und nicht durch bloß abweichende Auffassungen der Parteien oder des Senats ersetzt werden darf. Deswegen wäre nicht zu beanstanden gewesen, wenn das Ersturteil unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die Unfalldarstellung des Klägers verworfen, und hierfür eine denkgesetzlich mögliche, widerspruchsfreie und nachvollziehbar begründete (BGH NJW 2012, 3439 [3442]; NJW-RR 2011, 270) Würdigung der Zeugenaussagen geliefert hätte (BGH NJW 1988, 266; s. a. BGH NJW 1988, 566).

Jedoch wurde der Verpflichtung nicht entsprochen, in einer Gesamtschau der gesamten Beweisaufnahme zu entscheiden, welcher Unfallhergang als erwiesen zu gelten hat (BGH NJW 2015, 74 [75, 76]), und dabei den gesamten Inhalt der Verhandlungen, insbesondere die Beteiligtenangaben, auch unter Berücksichtigung sonstiger Beweisergebnisse (BGH a.a.O. ; NJW 1992, 1966: „Es versteht sich, dass die eigenständige Beurteilung der Glaubwürdigkeit … das Gericht im Übrigen nicht davon entbindet, seine Überzeugung von der Wahrheit der beweisbedürftigen Tatsache unter Berücksichtigung des gesamten Streitstoffs zu bilden“; NJW 1997, 1988: „… tatrichterliche(n) Gesamtwürdigung“) individuell zu würdigen.

d) Die Entscheidungsgründe des Ersturteils lassen besorgen, dass die Grundsätze des Anscheinsbeweises missachtet wurden, weil die im Streitfall für den Kläger und gegen die Beklagten streitende Anscheinsbeweislage nicht einmal erwähnt wurde. Derzeit ist dies nicht entscheidungserheblich, weil das Erstgericht sich davon überzeugt hat, dass den Beklagten der Vollbeweis eines atypischen Geschehensablaufs gelungen ist (EU 10 = Bl. 130 d. A.), also weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt seien, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene „Typizität“ sprechen (BGH NJW-RR 1986, 383; NJW 1996, 1828; 2012, 608). Mindestens widersprüchlich ist hingegen die Überzeugung des Landgerichts, ein verkehrsbedingter Anlass für die Bremsung der klägerischen Fahrerin habe nicht festgestellt werden können (EU 9 = Bl. 129 d. A.). Sollte unaufgeklärt bleiben, aus welchen Gründen das Klägerfahrzeug eine Bremsung vorgenommen hat, wären die Hinweise des Senatsvorsitzenden (v. 02.06.2015, S. 5 = Bl. 157 d. A.) zu berücksichtigen.

2. Zudem hat das Landgericht auch entscheidende sachlich-rechtliche Fragen, nämlich die der Haftungsverteilung und der Feststellungslast, unzutreffend beantwortet und nicht nachvollziehbar begründet.

a) Zutreffend ist allerdings der Ansatz des Ersturteils, dass die Beklagten grundsätzlich für Schäden des bei einem Verkehrsunfall verletzten und in seiner Gesundheit, seinem Eigentum und Vermögen geschädigten Klägers haften, sowohl aus vermutetem Verschulden des Fahrzeugführers (§ 18 I StVG), als auch aus nachzuweisendem Verschulden des unerlaubt handelnden Fahrers (§ 823 I, II BGB). Für die Beklagte zu 2) beruht dies auf §§ 115I 1 Nr. 1, 4 VVG, 1 PflVG (EU 5 = Bl. 125 d. A.). Die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters (§ 7 I StVG) greift dagegen nicht ein, weil der Halter des Beklagtenfahrzeugs nicht verklagt worden war.

b) Grundsätzlich genügt der Kläger seiner Darlegungs- und Beweislast mit der – hier unstreitigen – Behauptung, sein Kraftfahrzeug und sein Körper seien im Straßenverkehr durch einen Zusammenstoß mit dem Fahrzeug, das vom Beklagten zu 1) gefahren und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert sei, beschädigt und verletzt worden. Dagegen obliegt den Beklagten jeweils Darlegung und Nachweis, dass entweder die Ersatzpflicht mangels ursächlichen Verschuldens ihres Fahrzeugführers ausgeschlossen sei (§ 18 I 2 StVG), oder ein Fall höherer Gewalt (§ 7 II StVG) oder eines unabwendbaren Ereignisses (§§ 18 III, 17 III StBG) eine Haftung entfallen lasse, oder Schäden und Verletzungen jedenfalls ganz überwiegend vom klägerischen Fahrzeug verursacht oder mitverschuldet worden seien (§ 254 I BGB), so dass der eigene Verursachungsbeitrag und Verschuldensanteil vernachlässigt werden dürfe. Auch dafür, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs durch dessen Fahrweise wesentlich erhöht gewesen sei, oder die klägerische Fahrerin an dem Unfall ein Verschulden treffe, sind grundsätzlich die Beklagten darlegungs- und beweispflichtig. Erst wenn die Beklagten nachgewiesen hätten, dass den Kläger ein ihm zuzurechnendes Mitverschulden seiner Fahrerin treffe, hätten sich für diesen Beweisführungs- und Feststellungslast hinsichtlich der die Beklagten treffenden Verursachungsbeiträge und Verschuldensanteile ergeben.

c) Die Ausführungen des Erstgerichts lassen besorgen, dass diese Grundsätze verkannt wurden: Ein schuldhafter Fahrfehler der klägerischen Fahrerin lässt sich nicht deswegen für erwiesen halten (EU 5 = Bl. 125 d. A.), weil ein verkehrsbedingter Grund für eine starke Bremsung nicht erweislich gewesen sei (EU 9 = Bl. 129 d. A.). Vielmehr tragen die Beklagten die Beweislast auch für eine nicht verkehrsbedingte Bremsung, wobei zusätzlich ein Anscheinsbeweis gegen sie spricht. Klarzustellen ist, dass Verkehrsverstöße des Beklagten zu 1) nicht zu einem Mitverschulden (EU 10 = Bl. 130 d. A.) führen, sondern ursprüngliches, haftungsbegründendes Verschulden bilden.

Bei dieser Sachlage ist bisher nicht vertretbar, Sorgfaltspflichtverletzung und Verschulden des Beklagten zu 1) für geringfügig, und das Mitverschulden des Klägers für weit überwiegend zu halten.

II. Der Senat hat eine eigene Sachentscheidung nach § 538 I ZPO erwogen, sich aber aus folgenden Gründen dagegen entschieden:

1. Eine erheblich fehlerhafte Beweiswürdigung stellt einen Verfahrensverstoß dar, welcher zur Zurückverweisung gemäß § 538 II 1 Nr. 1 ZPO berechtigt (BGH NJW 1957, 714 = ZZP 71 [1957] 470; OLG Köln VersR 1977, 577; 1997, 712; Senat, Urt. v. 14.07.2006 – 10 U 5624/05 [juris]; v. 01.12.2006 – 10 U 4328/06; v. 04.09.2009 – 10 U 3291/09; v. 06.11.2009 – 10 U 3254/09; v. 19.03.2010 – 10 U 3870/09 [juris, dort Rz. 23]; v. 25.06.2010 – 10 U 1847/10 [juris, dort Rz. 13]; VersR 2011, 549 ff.; v. 22.07.2011 – 10 U 1481/11 [juris, dort Rz. 8]; OLG Bremen OLGR 2009, 352), weil der Senat für eine neue Beweiswürdigung die gesamte Beweisaufnahme wiederholen müsste. Diese wäre umfangreich und aufwändig (§ 538 II 1 Nr. 1, 2. Satzhälfte ZPO), weil der Senat sich nicht darauf beschränken dürfte, einzelne Zeugen zu vernehmen. Vielmehr wären sämtliche in erster Instanz vernommene Zeugen zu befragen, die Parteien anzuhören und die sachverständige Begutachtung zu wiederholen, denn eine Beurteilung sowohl der Glaubhaftigkeit der Sachdarstellung, als auch der Glaubwürdigkeit der Zeugen und Parteien anhand ihrer erstinstanzlichen Aussagen wäre rechtsfehlerhaft, wenn der Senat auf einen eigenen persönlichen Eindruck verzichten wollte (s. etwa BGH r + s 1985, 200; NZV 1993, 266; NJW 1997, 466; VersR 2006, 949). Durch die gebotene Beweisaufnahme würde der Senat zu einer mit der Funktion eines Rechtsmittelgerichts unvereinbaren vollständigen Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens (Senat VersR 2011, 549 ff.) gezwungen.

2. Der durch die Zurückverweisung entstehende grundsätzliche Nachteil einer Verzögerung und Verteuerung des Prozesses muss hingenommen werden, wenn ein ordnungsgemäßes Verfahren in erster Instanz nachzuholen ist und den Parteien die vom Gesetz zur Verfügung gestellten zwei Tatsachenrechtszüge erhalten bleiben sollen (Senat NJW 1972, 2048 [2049]; OLG Naumburg NJW-RR 2012, 1535 [1536]); eine schnellere Erledigung des Rechtsstreits durch den Senat ist im Übrigen angesichts seiner außerordentlich hohen Geschäftsbelastung vorliegend nicht zu erwarten.

III. Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann (OLG Köln NJW-RR 1987, 1032; Senat in st. Rspr., zuletzt VersR 2011, 549 ff.; NJW 2011, 3729).

Die Gerichtskosten waren gemäß § 21 I 1 GKG niederzuschlagen, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel – nur ein solcher kann zur Aufhebung und Zurückverweisung führen (§ 538 II 1 Nr. 1 ZPO) -, denknotwendig eine unrichtige Sachbehandlung i. S. des § 21 I 1 GKG darstellt.

§ 21 I 1 GKG erlaubt auch die Niederschlagung von Gebühren des erstinstanzlichen Verfahrens (vgl. OLG Brandenburg OLGR 2004, 277; OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 1151; Senat, Beschl. v. 17.09.2008 – 10 U 2272/08, st. Rspr., zuletzt Urt. v. 19.03.2010 – 10 U 3870/09 [juris, dort Rz. 93] und v. 27.01.2012 – 10 U 3065/11 [juris, dort Rz. 12]).

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 S. 1 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf §§ 775Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (BGH JZ 1977, 232; Senat in st. Rspr., zuletzt u. a. VersR 2011, 549 ff. und NJW 2011, 3729), allerdings ohne Abwendungsbefugnis (Senat a.a.O. ). Letzteres gilt umso mehr, als das vorliegende Urteil nicht einmal hinsichtlich der Kosten einen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweist.

V. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben.

Weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache (BVerfG NJW 2014, 2417 [2419, Tz. 26 – 32]; BGH NJW-RR 2014, 505) noch die Fortbildung des Rechts (BVerfG, a.a.O. [2419/2420, Tz. 33]) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (BVerfG, a.a.O. [2420, Tz. 34]; BGH NJW 2003, 1943) erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Entscheidung weicht nicht von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung ab und betrifft einen Einzelfall, der grundlegende Rechtsfragen nicht aufwirft.

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