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Ausgleichsleistungsanspruch eines Fluggastes wegen Flugannullierung

AG Rüsselsheim, Az.: 3 C 3043/15 (31), Urteil vom 18.05.2016

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu je ¼ zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) 261/2004 (nachfolgend „VO“ genannt) wegen der Annullierung eines Fluges.

Die Kläger buchten über einen Reiseveranstalter bei der Beklagten für den 29.07.2015 einen Flug von Hammamet, Tunesien, nach Düsseldorf (Flug DE 3929). Die Kläger nahmen die Buchung als „Joker-Gäste“ vor; die Besonderheit dieses Angebots – hierauf wurde auf der Buchungsbestätigung hingewiesen – bestand darin, dass die sich Fluggäste zwischen 48 h und 24 h vor Rückflug selbstständig die Flugzeiten rückbestätigen lassen müssen.

Der Beklagten lagen infolge der Buchung über einen Reiseveranstalter keine Kontaktdaten der Kläger vor. Diese waren wegen der Buchung im „Jokertarif“ für die Beklagte auch nicht über Aushänge oder Informationstreffen der Reiseleitung in einem Hotel erreichbar.

Am 26.06.2015 kam es in Sousse, Tunesien, zu einem Terroranschlag in einem Urlaubshotel, bei dem 38 Menschen getötet und viele verletzt wurden. Das Auswärtige Amt veröffentlichte Reise- und Sicherheitshinweise für Tunesien.

Der klägerseits gebuchte Flug wurde annulliert. Die Kläger selbst wurden von der Annullierung erst kurzfristig informiert. Mit der von der Beklagten angebotenen Ersatzbeförderung erreichten die Kläger Düsseldorf erst mit einer Verspätung von über 4 h. Die Flugentfernung betrug 1717 km.

Die … machte behauptete Ansprüche der Kläger mit Schreiben vom 06.10.2015 außergerichtlich gegenüber der Beklagten geltend und forderten diese zur Zahlung des Ausgleichsbetrags in Höhe von je EUR 400,00 vor dem 21.10.2015 auf.

Ausgleichsleistungsanspruch eines Fluggastes wegen Flugannullierung
Symbolfoto: kasto/Bigstock

Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger je EUR 400,00, insgesamt EUR 1600,00, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus ab dem 21.10.2015 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, den klägerseits gebuchten Flug wegen des vorangegangenen Terroranschlages annulliert zu haben. Sie habe den Reiseveranstalter der Kläger am 10.07.2015 über die Annullierung und Ersatzbeförderung der Kläger informiert.

Die Beklagte ist der Auffassung, es habe ein außergewöhnlicher Umstand vorgelegen, da ihr Flüge nach Tunesien angesichts der Gefahrenlage nicht zuzumuten gewesen seien.

Das Gericht hat auf Grundlage des Beweisbeschlusses vom 04.03.2016 durch Vernehmung der Zeugin … Beweis erhoben über die Behauptungen der Beklagten, sie habe den Reiseveranstalter der Kläger am 10.07.2015 über die Annullierung und Ersatzbeförderung der Kläger informiert. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 13.04.2016, Bl. 34 ff. d.A., verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerseite hat keinen Anspruch auf Leistung von Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b), Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO. Ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen ist gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) i) VO ausgeschlossen, da eine hinreichende Unterrichtung gemäß der vorgenannten Vorschrift mindestens 2 Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit erfolgt ist.

Eine persönliche Unterrichtung der Kläger durch die Beklagte ist unstreitig nicht erfolgt. Die Pflicht der Beklagten zur persönlichen Unterrichtung der Kläger gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) i) VO ist jedoch nach § 275 Abs. 1 BGB entfallen. Der Beklagten war eine persönliche Unterrichtung der Kläger unmöglich. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Beklagten selbst infolge der Buchung über einen Reiseveranstalter keine Kontaktdaten der Kläger bekannt waren. Sie war wegen der Buchung im „Jokertarif“ auch nicht in der Lage, die Kläger über Aushänge oder Informationstreffen der Reiseleitung in einem Hotel zu erreichen.

Der Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB steht nicht entgegen, dass es sich bei den Fällen der Unterrichtung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO um – gegebenenfalls eng auszulegende – Ausnahmetatbestände handelt. Sollte ein Luftfahrtunternehmen aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen schlicht nicht in der Lage sein, den Fluggast rechtzeitig über eine Annullierung zu unterrichten, kann dies nach der ratio der Norm – trotz Ausnahmecharakter – nicht dazu führen, dass die Annullierung gleichwohl durch Entstehung des Ausgleichsanspruchs „sanktioniert“ wird.

Ist dem Luftfahrtunternehmen eine persönliche Unterrichtung der Fluggäste über eine Annullierung unmöglich, ist es vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des Art. 5 VO vielmehr ausreichend – aber auch erforderlich -, dass das Luftfahrtunternehmen jedenfalls den vermittelnden Reiseveranstalter rechtzeitig über die Annullierung unterrichtet (a.A. für den Fall einer bloßen Unterrichtung des Reiseveranstalters ohne Unvermögen auf Seiten des Luftfahrtunternehmens noch LG Frankfurt am Main, Urteil vom 01.09.2011, 2-24 S 92/11).

Die Beklagte hat den Reiseveranstalter jedenfalls vor dem 10.07.2015 – und damit mehr als zwei Wochen vor geplantem Abflug – über die vorgesehene Annullierung des betroffenen Fluges DE 3929 am 29.07.2015 unterrichtet.

Dies steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der Vernehmung der Zeugin … . Die Zeugin hat ausgesagt, dass sie als Mitglied der Flugsteuerung von … (sogar schon) am 01.07.2015 erfahren habe, dass der Flug von Hammamet nach Düsseldorf habe storniert werden sollen. Die Flugsteuerung selbst sei dann am 10.07.2015 tätig geworden und habe eine Information an die Kundenbetreuung von … herausgegebenen, damit diese die Kunden über die Annullierung und die Alternativen informiere. Die Flugsteuerung habe durch eine E-Mail eines weiteren Mitarbeiters von …, …, vom 01.07.2015 von der Annullierung erfahren. Die E-Mail, die der Zeugin vorliege, enthalte eine Aufstellung aller (etwa 50) annullierten Flüge; dort werde auch der klägerseits gebuchte Flug benannt. … habe die Information zuvor seinerseits von der Beklagten erhalten. Zu welchem Zeitpunkt ihr Kollege … seinerseits die Information von der Beklagten erhalten habe, sei der Zeugin nicht bekannt; jedenfalls habe … am 10.07.2015 von der Annullierung des hier betroffenen Fluges gewusst. Was die Kundenbetreuung dann weiter veranlasst hat, sei der Zeugin im Einzelnen nicht bekannt.

Die Schilderungen der Zeugin bestätigten die Behauptungen der Beklagten, den Reiseveranstalter rechtzeitig informiert zu haben. Die Schilderungen sind glaubhaft, da sie spontan erfolgten und detailreich, lebensnah sowie in sich frei von Widersprüchen waren. Die Zeugin konnte die wesentlichen zeitlichen Abläufe konkret und lückenlos wiedergeben. Die Zeugin hat schlüssig bekundet, dass ihr das Geschehen im Juli 2015 aus eigener Wahrnehmung bekannt war; als Mitglied der Flugsteuerung sei sie selbst von einem Kollegen bei … von der Annullierung informiert worden.

Die Aussage erfolgte auch – wenngleich die Zeugin als Mitarbeiterin eines mit der Beklagten gesellschaftsrechtlich verbundenen Unternehmens ersichtlich in deren „Lager“ steht – sachlich und ohne erkennbaren Eifer zur Entlastung der Beklagten. Gründe für einen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin sieht das Gericht nicht.

Es ist vor dem vorgenannten Hintergrund unerheblich, ob der Reiseveranstalter die Fluggäste seinerseits rechtzeitig unterrichtet hat, nachdem die Beklagte durch die Unterrichtung des Reiseveranstalters der ihr obliegenden Pflicht nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) i) VO Genüge getan hat.

Da ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen bereits gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) i) VO ausgeschlossen ist, kann auch dahinstehen, dass der Vortrag der Beklagten zu einem behaupteten außergewöhnlichen Umstand wegen politischer Unruhen in Tunesien zum geplanten Flugtermin nicht hinreichend substantiiert gewesen und das erforderliche Vorbringen zu konkreten Gefahren für den hier betroffenen (Rück-)Flug bzw. dessen Landung nicht erfolgt ist. Deswegen kommt es auch nicht darauf an, ob der Terroranschlag vom 26.06.2015 ausschlaggebend für die Annullierung gewesen ist.

Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vertretbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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