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Ausnahmen und Befreiungen vom Fällverbot geschützter Bäume

VG Weimar – Az.: 7 K 1392/12 We – Urteil vom 04.08.2014

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Ausnahmen und Befreiungen vom Fällverbot geschützter Bäume
Symbolfoto: Von SERGEI PRIMAKOV/Shutterstock.com

Die Beteiligten streiten um die Erteilung einer Fällgenehmigung für eine Fichte.

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks F… in W…; sie bewohnen dort eine Doppelhaushälfte. Im Hausgarten des Grundstücks steht unter anderem eine 18 m hohe Fichte mit einem Stammumfang von ca. 1,75 m in einer Entfernung von ca. 11 m zur Doppelhaushälfte.

Am 24.07.2011 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Erteilung einer Fällgenehmigung für verschiedene, auf ihrem Grundstück gewachsene Bäume: einen Nussbaum, eine Buche sowie zwei Fichten. Sie führten an, dass die Standsicherheit der Bäume nicht mehr gewährleistet sei, die Bäume von Borkenkäfern befallen gewesen seien und die Wurzeln aus dem Erdreich hervorträten, so dass die Bäume keinen Halt im Boden fänden. Aus diesem Grund bestehe eine nicht unerhebliche Gefährdung ihres Eigentums wie auch der angrenzenden Bebauung.

Die Beklagte gab dem Antrag der Kläger mit Bescheid vom 30.09.2011 (Postausgang 07.10.2011) teilweise statt, versagte aber eine Fällgenehmigung für eine der beiden Fichten: Gründe für eine Ausnahme oder Befreiung nach der Baumschutzsatzung der Stadt W… lägen nicht vor. Die Fichte sei zum Zeitpunkt der Besichtigung als vital und standsicher eingeschätzt worden. Über das normale Maß hinausgehende Gefahren für Personen und Sachen seien nicht festgestellt worden. Auch sei die Nutzungsfähigkeit des Grundstücks durch das Vorhandensein des Baumes nicht in unzumutbarem Maß eingeschränkt.

Gegen den Bescheid, soweit er die Fällgenehmigung der Fichte versagt, erhoben die Kläger mit Schreiben vom 31.10.2011, eingegangen am 07.11.2011, Widerspruch: Mit der Verweigerung der Fällgenehmigung werde eine ungeheuerliche Gefährdung von Hab und Gut ihres und ihrer Nachbarn Eigentum heraufbeschworen. Außerdem werde das Wohlbefinden von Bürgern der Stadt in deutlichem Maß gestört, da sie in ständiger Angst auch vor persönlichen Schäden leben müssten. Sie – die Kläger – hätten den Walnussbaum seinerzeit gesetzt, weil sie ihn als Ersatz für die älteren Fichten betrachtet hätten, deren Fällung sie bereits damals ins Auge gefasst hätten. Ihr Garten sei ein Haus- und Gemüsegarten, der einen viel zu großen Baumbestand gehabt habe und mit den Fichten nicht der Wohngegend angepasst sei. Im Zusammenhang mit einem Fällantrag im Jahr 2002 habe seinerzeit der städtische Mitarbeiter Herr G… eine intensive Prüfung ihres Baumbestandes vorgenommen. Die Fichte habe er damals zwar als standfest eingeschätzt, er habe aber darauf hingewiesen, dass die Kläger immer den Wurzelbereich beobachten sollten und dass erkennbare Veränderungen wie das Heraustreten von Wurzelabschnitten aus der Erd- bzw. Wiesenfläche die Standfestigkeit des Flachwurzlers negativ beeinflussen könnten. Derartige Veränderungen hätten sie im Verlauf des vergangenen Jahres beobachtet. Um Stolpergefahren für die Kinder zu reduzieren, hätten sie die Bereiche neben den hervortretenden Wurzeln mit Erde und Steinen aufgefüllt und „geglättet“. Die jetzige Sachbearbeiterin Frau R… habe gemeint, sie – die Kläger – interpretierten die von Herrn G… gemachte Aussage falsch. Frau R… habe die Standfestigkeit der Fichte allein nach dem Aussehen des Stammes und seiner Rinde eingeschätzt. Dies sei eine einseitige Betrachtungsweise, die zu einer Fehleinschätzung der einzeln stehenden Fichte habe führen müssen.

Dem Widerspruch war ein Schreiben der die andere Doppelhaushälfte bewohnenden Nachbarin vom 27.10.2011 beigefügt: Sie unterstütze den Antrag auf Fällung der Fichte, die – so das Schreiben – ihrem Garten stets die Sonne nehme und eine Gefahr für ihr Grundstück und ihr Haus darstelle.

In dem angeführten Bescheid der Beklagten vom 28.02.2002 war wörtlich ausgeführt:

„… Es wird eine Ausnahmegenehmigung bzw. Befreiung gemäß § 6 der Baumschutzsatzung erteilt. Dem Antrag wird stattgegeben.

Begründung: Birke: Baum ist abgestorben, Bestandsregulierung

Fichte: Befall mit Fichtenröhrenlaus, Baum ist abgängig. …

Die beiden auf Stand- und Bruchsicherheit zu kontrollierenden Fichten sind zum Zeitpunkt der Besichtigung als verkehrssicher einzuschätzen. Eine regelmäßige Kontrolle des Baumbestandes wird empfohlen. …“

In dem vorangegangenen Antrag vom 24.02.2002 hatten die Kläger gebeten:

„… Zusätzlich zum Fällantrag haben wir an Sie folgende Anfrage: Die Fichten 1 bis 3 haben wie die Fichte 4 ein Alter von 50 bis 80 Jahren (Hausbau 1918). Der Zustand ist u.E. noch gut. Können Sie uns Vorschläge unterbreiten zur weiteren Pflege, Erhaltung ggf. Fällung dieser Bäume insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Standfestigkeit, Gefährdung von Personen und Gebäuden bei unvorhersehbarem Fall der Bäume?“

In einem behördeninternen Schreiben des Grünflächenamtes der Beklagten vom 16.11.2011 heißt es u.a.:

„… Es ist typisch für das Senkerwurzelsystem von Fichten, dass die meist sehr flach unter der Oberfläche liegenden Wurzeln durch Dickenwachstum aber auch Abtrag und Verdichtung des Bodens infolge Nutzung in Teilbereichen häufig direkt an der Oberfläche sichtbar sind. Veränderungen im Wurzelbereich von Bäumen – wie sichtbare Eingriffe oder Wurzelbeschädigungen, Bodenrisse oder windseitige Bodenwölbungen mit gegenüberliegenden Bodensenken – können neben Veränderungen des Rindenbildes am Stamm, dem Verlauf des Leittriebes des Baumes usw. Anzeichen einer mangelnden Standfestigkeit eines vitalen Baumes sein. Der Baum und mögliche Symptome sind jedoch immer ganzheitlich zu betrachten und zu bewerten.

Dies erfolgte auch im konkreten Fall. Die Sachbearbeiterin hat die Standfestigkeit der Fichte keinesfalls nur nach dem Aussehen des Stammes und seiner Rinde eingeschätzt. So wurden z.B. auch der Stammumfang über dem Wurzelanlauf und die Höhe der Fichte gemessen, um den Schlankheitsgrad des Baumes als wichtigem Kriterium zur Beurteilung des Versagensrisikos freigestellter Bäume zu ermitteln. Die strittige Fichte hat mit H/D von ca. 33 einen optimalen Schlankheitsgrad.

Im Ergebnis der qualifizierten Sichtkontrolle insgesamt wurde die Fichte Nr. 2 als verkehrssicher eingeschätzt. …“

Im Abgabeschreiben der Stadt an das Thüringer Landesverwaltungsamt vom 12.07.2012 heißt es u.a. wörtlich:

„… Die erneute Prüfung des Sachverhaltes, die auch die Rücksprache mit dem zitierten Sachbearbeiter des früheren Vorgangs einschloss, ergab keinen neuen Sachverhalt. …

Das von den Widerspruchsführern in ihrem Schreiben an den Oberbürgermeister zusätzlich als Bestätigung ihrer Befürchtungen angebrachte Zitat aus der Genehmigung von 2002, nämlich die Empfehlung einer regelmäßigen Kontrolle des Baumbestandes, war und ist allgemein für jeden älteren Baumbestand in Bereichen mit gewissen Verkehrssicherheitsanforderungen wie Siedlungen, Straßen usw. gültig und deutet insofern mitnichten auf ein konkretes Gefahrenpotential. …“

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2012, nach dem Klägervortrag zugestellt am 13.10.2012, wies das Thüringer Landesverwaltungsamt den Widerspruch zurück:

Das Fällen der streitgegenständlichen Fichte falle unter den Verbotstatbestand des § 5 Abs. 1 Buchstabe a der Satzung. Die Fichte sei weder abgestorben noch krank, so dass keine Ausnahmeerteilung nach § 6 Abs. 1 Buchstabe a der Satzung zulässig sei. Auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Buchstabe c der Satzung, wonach eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen sei, wenn von einem Baum Gefahren für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert ausgingen und diese Gefahren nicht auf andere Weise mit zumutbarem Aufwand zu beheben seien, lägen nicht vor.

Die Widerspruchsführer stützten ihre Ansicht, dass von der Fichte eine Gefahr ausgehe, auf Aussagen eines Sachbearbeiters aus dem Jahr 2002, wonach das Heraustreten von Wurzelabschnitten aus der Erd- bzw. Wiesenfläche die Standfestigkeit des Flachwurzlers negativ beeinflussen könne. Die angebliche Aussage sei – so der Widerspruchsbescheid – insofern sicher eine Fehlinterpretation, als es typisch für das Senkerwurzelsystem von Fichten sei, dass die meist sehr flach unter der Oberfläche liegenden Wurzeln durch Dickenwachstum aber auch Abtrag oder Verdichtung infolge Nutzung unbefestigter Flächen in Teilbereichen häufig direkt an der Oberfläche sichtbar seien. Richtig sei, dass außer dem Abtrennen oder Beschädigen von Wurzeln auch Veränderungen im Wurzelbereich, wie tangentiale Bodenrisse, windseitige Bodenwölbungen mit gegenüberliegenden Bodensenken neben Veränderungen des Rindenbildes am Stamm, dem Verlauf des Leittriebes usw. Anzeichen einer mangelnden Standfestigkeit sein könnten. Der Baum und mögliche Symptome seien jedoch immer ganzheitlich zu betrachten und zu bewerten. Die Stadt habe insofern nicht nur Stamm und Rinde, sondern auch Krone, insbesondere Wipfel, Vitalität und den konkreten Standort besichtigt. Auch der Stammumfang über dem Wurzellauf und die Höhe der Fichte seien gemessen worden, um den Schlankheitsgrad des Baumes als wichtiges Kriterium zur Beurteilung des Versagensrisikos freigestellter Bäume zu ermitteln. Die Fichte habe einen optimalen Schlankheitsgrad und sei als verkehrssicher eingeschätzt worden. Eine konkrete Gefahr gehe von der Fichte nicht aus. Eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließe, sei jedoch unerreichbar und müsse nach der Rechtsprechung auch nicht vorgenommen werden.

Ein weiteres Argument der Widerspruchsführer zum Vorliegen einer Gefahr sei der Hinweis des damaligen Sachbearbeiters in dem Schreiben vom 28.02.2002 gewesen, wonach eine regelmäßige Kontrolle des Baumbestandes empfohlen werde. Dies gelte jedoch für jeden älteren Baumbestand in Bereichen mit gewissen Verkehrssicherheitsanforderungen wie in Siedlungen oder an Straßen und deute somit nicht auf ein konkretes Gefahrenpotenzial hin. Das Vorliegen einer konkreten Gefahr für Personen oder Sachen müsse hier verneint werden.

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 6 Abs. 2 und Abs. 3 der Satzung lägen ebenfalls nicht vor. Die Versagung der Genehmigung stelle weder eine unzumutbare Härte dar noch diene das Fällen des Baumes der Bestandsregulierung einer größeren Baumgruppe. Bereits das Fällen eines anderen Baumes auf dem Grundstück sei als Bestandsregulierung genehmigt worden und hierfür sei keine Ersatzpflanzung angeordnet worden.

Am 12.11.2012, einem Montag, haben die Kläger Klage erhoben. Sie tragen im Wesentlichen vor: Eine Genehmigung zum Fällen der Fichte sei gemäß § 6 Abs. 1, 3 der Baumschutzsatzung der Stadt W… in Verbindung mit §§ 17, 36a Thüringer Naturschutzgesetz zu erteilen, da die Voraussetzungen sowohl für eine Ausnahmegenehmigung als auch für eine Befreiung von den Verboten des § 5 Baumschutzsatzung vorlägen.

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Es könne eine Ausnahmegenehmigung nach § 6 Abs. 1 Buchstabe a und c der Satzung erteilt werden. Voraussetzung nach § 6 Abs. 1 Buchstabe a der Satzung sei, dass der in Rede stehende Baum abgestorben oder erkrankt sei und eine Erhaltung auf Grund öffentlicher Belange sowie mit zumutbarem Aufwand nicht möglich sei. Die streitgegenständliche Fichte sei erkrankt. Dies zeige sich unter anderem am Erscheinungsbild sowie den Veränderungen im Wurzelbereich, wie beispielsweise dem Ablösen von Rindenschichten und vermehrt absterbenden sowie abgestorbenen Ästen. Die Erhaltung sei ebenso wenig auf Grund öffentlicher Belange geboten, da der Ortsteil, in dem das Grundstück liege, insgesamt einen hohen Grünflächenanteil aufweise und sich durch die Beseitigung des Baumes keine nachteiligen Veränderungen für das Umfeld ergäben. Demgegenüber sei der Sicherungsaufwand zur Abwendung von Schäden erheblich, da der Baum permanent fachkundig überwacht werden müsse. Ferner gehe von der Fichte eine Gefahr für Personen und Sachen von bedeutendem Wert nach § 6 Abs. 1 Buchstabe c der Satzung aus. Die Standsicherheit der Fichte sei auf Grund erheblicher nachteiliger Veränderungen im Wurzelbereich nicht mehr gegeben, da Wurzeln in erheblichem Umfang aus dem Boden träten und schon augenscheinlich keinen Halt mehr finden könnten. Hinzu komme, dass die Kläger bereits vielfach die Baumscheibe mit neuem Erdreich angefüllt hätten, weil die Wurzeln aus dem Boden herausragten und dies zu Verletzungs- bzw. Sturzgefahr führe. Dennoch träten die Wurzeln trotz des Anfüllens wieder aus dem Untergrund hervor. Eine Standsicherheit bestehe dadurch nicht mehr. Hieraus folge eine Gefährdungslage für das Wohnhaus der Kläger. Bei Sturmereignissen falle die Fichte unmittelbar und ungehindert auf das Objekt. Zusätzlich seien auch nachbarliche Belange betroffen, denn die unmittelbar angrenzenden Grundstücke verfügten ebenfalls über eine Wohnbebauung.

Zudem habe die Beklagte das ihr zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt und falsche Schlüsse aus der Besichtigung des Baumes gezogen. Die Mitarbeiter der Beklagten hätten einzig Stamm und Krone der Fichte bei der Beurteilung des Baumzustands und der Standsicherheit berücksichtigt. Der frühere Mitarbeiter Herr G… sei schon vor einigen Jahren zu einem anderen Ergebnis gelangt. Dies zeige, dass selbst die interne Bewertung bei der Beklagten zu widersprüchlichen Ergebnissen führe.

Schließlich sei auch die Tatbestandsvoraussetzung für eine Befreiung im Einzelfall gemäß § 6 Abs. 3 der Satzung erfüllt. Dazu müsse die Versagung der Genehmigung zu unzumutbaren Härten führen und die Erteilung dürfe nicht mit dem öffentlichen Interesse unvereinbar sein. So sei es hier. Die Kläger hätten ein legitimes Interesse am Erhalt und an der Sicherheit ihres Grundstücks. Ein öffentliches Interesse am Fortbestand des Baumes bestehe nicht.

Schließlich seien auch die klägerischen Belange aus ihren Eigentumsbefugnissen zu berücksichtigen. Die Versagung der Befreiung beeinträchtige die Kläger unzumutbar in ihrer grundgesetzlich geschützten Befugnis zur Nutzung ihres Eigentums nach Art. 14 Grundgesetz – GG -. Ihr Grundstück weise einen weit überdurchschnittlichen und mehr als zumutbaren Baumbestand auf und könne dadurch nicht in der angestrebten und für Stadtgärten anerkannten Weise genutzt werden, denn durch den hohen Baumbestand und die konkrete Lage träten erhebliche Verschattungen auf; von dem Schattenwurf nachteilig betroffen sei auch das Nachbargrundstück.

Die Kläger beantragen wörtlich:

Die Beklagte wird verpflichtet, unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 30.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2012 den Klägern die am 24.07.2011 beantragte Fällgenehmigung zu erteilen.

Hilfsweise: Der Bescheid der Beklagten vom 30.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2012 wird teilweise aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über die Erteilung der am 24.07.2011 beantragten Genehmigung zur Fällung von Bäumen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt im Wesentlichen vor: Eine Erkrankung der Fichte sei nicht festgestellt worden. Das schuppenförmige Ablösen der Borke sei typisches Merkmal von Fichten. Abgefallene Rindenschuppen oder Bohrmehl durch den behaupteten Borkenkäferbefall seien nicht festgestellt worden. Das Absterben von Ästen an Bäumen sei eine natürliche Reaktion des Lebewesens Baum auf geänderte Lebensbedingungen und könne ganz verschiedene Ursachen, wie Lichtmangel, Temperaturunterschiede, aber auch Versorgungsmangel infolge von Verletzungen usw. haben. Tote Äste an sich deuteten also nicht automatisch und ausschließlich auf eine Krankheit hin. Anzeichen einer verstärkten Totholzbildung seien am Baum nicht festgestellt worden. Im Übrigen handele es sich beim Sterben von Ästen oder ganzer Bäume in der Regel um einen langsamen Prozess, der sich bei natürlichen Ursachen über einen Zeitraum von mehreren Jahren, je nach Baumart sogar Jahrzehnten erstrecken könne.

Die Fichte sei auch als ausreichend vital und standsicher eingeschätzt worden. Über das normale Maß hinausgehende Gefahren für Personen oder Sachen seien nicht festgestellt worden. Zur angeblich nicht mehr gegebenen Standfestigkeit der Fichte wiederholt die Beklagte die bisherigen behördlichen Ausführungen zum Senkerwurzelsystem von Fichten. Andere auffällige Bodenveränderungen, wie tangentiale Bodenrisse, windseitige Bodenwölbungen mit gegenüberliegenden Bodensenken oder ähnliches seien jedoch nicht festgestellt worden. Auch aus dem unauffälligen Rindenbild am Stammfuß, dem Verlauf des Leittriebes und der Klopfprobe sei keine mangelnde Standsicherheit abzuleiten. Aus der Besichtigung der Krone, insbesondere des Wipfels – auch aus der Ferne der umgebenden Straßen – hätten Rückschlüsse auf die Vitalität gezogen werden können. Wegen des konkreten Standortes in der Nähe der Wohnhäuser sei sogar der Stammumfang über dem Wurzelanlauf und die Höhe der Fichte gemessen worden, um den Schlankheitsgrad des Baumes – als wichtigem Kriterium zur Beurteilung des Versagensrisikos freigestellter Bäume – zu ermitteln. Die Fichte habe mit H/D von ca. 33 einen optimalen Schlankheitsgrad. Ein Baum als Lebewesen mit der Fähigkeit, wachstums- oder eingriffsbedingte Defekte z.B. durch Kompensationswachstum in gewissen Grenzen auch zu reparieren, sei immer ganzheitlich zu betrachten und zu bewerten.

Dass bei Sturm die Fichte unmittelbar und ungehindert auf das Wohnhaus fallen könne und auch die Nachbargrundstücke betroffen wären, stelle allenfalls ein allgemeines potentielles Gefahrenrisiko dar, das eine Ausnahmegenehmigung nach der Baumschutzsatzung nicht rechtfertigen könne, denn es bestehe genauso wie die Gefahr, dass der Sturm ein Hausdach abdecke. Solche Gefahren seien rein fiktiv und gehörten zum allgemeinen Lebensrisiko.

Eine konkrete Gefahr setze voraus, dass der Eintritt eines Schadens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Dies werde bei einem Verwaltungsverfahren zur Entscheidung über eine Fällgenehmigung im Rahmen der fachlich qualifizierten Inaugenscheinnahme durch den zuständigen Mitarbeiter abgeschätzt. Durch die Erfassung von Größe, Wuchs und äußerer Erscheinung des Baumes einschließlich seines Wurzelbereichs, von Defekten und Schadsymptomen, sei unter Beachtung baumartspezifischer Eigenschaften und der Vitalität die Stand- und Bruchsicherheit von Bäumen einzuschätzen. Dabei werde immer auch der Standraum auf ggf. vorhandene Gefahrenpotentiale oder Schäden an Sachen von bedeutendem Wert untersucht und geprüft, ob diese Gefahren oder Schäden nicht auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand zu beheben seien, ohne dass der Baum gefällt werden müsse. Im Ergebnis der qualifizierten Sichtkontrolle insgesamt sei die Fichte als verkehrssicher eingeschätzt worden, von der zum Zeitpunkt der Besichtigung keine konkrete und somit tatsächliche Gefahr ausgegangen sei.

Eine Fällgenehmigung für die Fichte sei auch nicht auf der Grundlage des § 6 Abs. 3 der Satzung zu erteilen gewesen. Von außergewöhnlichen Aufwendungen zum Erhalt des Baumes sei ebenso wenig auszugehen wie von einer wirtschaftlichen Notsituation der Baumeigentümer. Zu dem Argument, dass das Grundstück einen mehr als zumutbaren Baumbestand aufweise und durch den hohen Baumbestand erhebliche Verschattungen auch des Nachbargrundstücks aufträten, werde darauf hingewiesen, dass Schattenwurf nach gängiger Rechtsprechung zu den natürlichen Lebensäußerungen eines Baumes gehöre und damit grundsätzlich hinnehmbar sei. Außerdem seien zumindest zeitweise besonnte Gartenanteile auf dem Grundstück der Kläger vorhanden. Da die Fichte in der Nähe der südlichen Gartengrenze stehe, das Grundstück der Nachbarin sich jedoch nördlich in einem Abstand von mehr als 7 m anschließe, könne auch kaum von einer unzumutbaren Verschattung dieses Nachbargrundstücks ausgegangen werden.

Im Erörterungstermin am 23.07.2014 hat das Gericht die Örtlichkeit in Augenschein genommen; auf die Niederschrift wird Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie den vorgelegten Verwaltungsvorgang der Beklagten (eine Heftung).

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 101 Abs. 2 VwGO im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, hat keinen Erfolg.

I. Die Klage ist zwar zulässig, insbesondere ist die Klagefrist von einem Monat (§ 74 VwGO) mit der am 12.11.2012 erfolgten Klageerhebung eingehalten, denn der Widerspruchsbescheid vom 10.10.2012 wurde den Klägern nach ihrem Vorbringen am 13.10.2012 zugestellt. Im Übrigen wäre selbst im Fall einer früheren Zustellung des Widerspruchsbescheides – am 11.10.2012 – die Klagefrist eingehalten, denn dann endete die Klagefrist, da der 11.11.2012 ein Sonntag war, ohnehin erst mit Ablauf des 12.11.2012 (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Zivilprozessordnung – ZPO -, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB -).

II. Die Klage ist indes nicht begründet. Die Kläger haben weder einen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Fällgenehmigung noch etwa – wie sie geltend machen – auf erneute Entscheidung über ihren Antrag; der Bescheid vom 30.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2012 ist, soweit er angegriffen wird, rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

1. Die streitgegenständliche Fichte auf dem klägerischen Grundstück unterfällt der Baumschutzsatzung der Beklagten in der Fassung der 3. Änderung vom 15.12.2008: Danach sind gemäß § 3 der Baumschutzsatzung „geschützte Bäume im Sinne der Satzung“ unter anderem:

„…

a) stammbildende Gehölze, ausgenommen Obstbäume, jedoch einschließlich Walnuss, Esskastanie und Zierobstbäume mit einem Stammumfang von mindestens 50 cm, gemessen in einer Stammhöhe von 100 cm vom Erdboden; …,

…“.

Hierunter fällt die streitgegenständliche Fichte mit ihrem darüber hinausgehenden Stammumfang.

2. Gemäß § 5 Abs. 1 der Baumschutzsatzung ist es verboten, „im Geltungsbereich dieser Satzung geschützte Bäume oder Teile von ihnen ohne Ausnahme oder Befreiung nach § 6 … zu beseitigen, zu zerstören, abzubrennen oder zu beschädigen …“, mithin auch geschützte Bäume ohne Ausnahme oder Befreiung zu fällen.

3. Vorliegend kommt weder eine Ausnahme zur Erteilung einer Fällgenehmigung nach § 6 Abs. 1 der Baumschutzsatzung noch eine Befreiung nach § 6 Abs. 2 oder 3 der Satzung in Betracht. Es kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass die Fichte erkrankt ist oder nicht ausreichend stand- oder bruchsicher ist bzw. insoweit ein weiterer Sachaufklärungsbedarf bestünde; auch führt hier die Versagung der Fällgenehmigung nicht etwa zu einer unzumutbaren Härte, auch müssen hier nicht etwa einzelne Bäume eines größeren Baumbestandes im Interesse des übrigen Baumbestandes zur Bestandsregulierung entfernt werden:

a. Unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen von den Verboten möglich sind, regelt § 6 Abs. 1 der Baumschutzsatzung unter anderem wie folgt:

„(1) Von den Verboten des § 5 ist im Einzelfall eine Ausnahmegenehmigung durch das Umwelt- und Grünflächenamt, Abt. Grünflächen, zu erteilen, wenn

a) der Baum abgestorben oder krank ist und die Erhaltung nicht auf Grund öffentlicher Belange geboten und mit zumutbaren Aufwand möglich ist,

b) …

c) von einem Baum Gefahren für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert ausgehen und diese Gefahr nicht auf andere Weise mit zumutbaren Aufwand zu beheben ist,

d) …“

Die Voraussetzungen der Buchstaben a und c des § 6 Abs. 1 der Satzung liegen hier nicht vor.

Es liegen bereits keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die streitgegenständliche Fichte abgestorben oder krank im Sinne des § 6 Abs. 1 Buchstabe a der Baumschutzsatzung sein könnte. Ebenso wenig gehen von der Fichte – gerade auch mangels Anzeichen einer Erkrankung – Gefahren für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert im Sinne des § 6 Abs. 1 Buchstabe c der Satzung aus. Insoweit besteht auch kein weiterer Sachaufklärungsbedarf:

aa. Zunächst enthält die Fichte bereits keine Anzeichen für eine Erkrankung im Sinne des § 6 Abs. 1 Buchstabe a der Baumschutzsatzung. Die Begutachtung durch eine Fachkraft der Beklagten wie auch die Inaugenscheinnahme durch das Gericht hat ergeben, dass es sich bei der Fichte um einen gesunden und vitalen Baum handelt. Beim Augenschein waren keine auf eine Erkrankung des Baumes hindeutenden Anzeichen festzustellen.

Vielmehr ist die Krone des Baumes grün und erscheint gesund. Im Bereich der Krone ist kein Totholz zu erkennen. Die dortigen Triebspitzen sind grün. Wie die zuständige Sachbearbeiterin der Beklagten im Ortstermin am 23.07.2014 plausibel vorgetragen hat, handelt es sich insoweit um phototropes Wachstum; dies sei – so die Beklagte nachvollziehbar – für die Vitalität des Baumes entscheidend.

Auch die Rinde der Fichte enthält keine Anzeichen einer Erkrankung. Die Fachkraft der Beklagten hat im Ortstermin anschaulich darauf hingewiesen, dass es sich um ein normales klassisches Rindenbild einer Fichte handelt. Fichtenrinde weist sich im Gegensatz etwa zur glatten Rinde der Buche gerade durch Borkenbildung aus.

Soweit der Kläger zu 2. in diesem Zusammenhang im Ortstermin am 23.07.2014 auf einzelne Stellen der Rinde mit Harzausfluss verwiesen hat, ist dies (allein) kein Indiz für eine Erkrankung des gesamten Baumes. Zunächst handelt es sich lediglich um wenige Stellen mit Harzausfluss. Zudem hat sich die Sachbearbeiterin der Beklagten im Ortstermin plausibel dahingehend eingelassen, dass die einzelnen Stellen unerheblich seien und keine Anzeichen für eine Erkrankung bildeten. Deshalb kommt es hier auch nicht weiter darauf an, ob der Harzausfluss an den wenigen Stellen „freiwillig“ oder etwa nach Anbohren oder Anschneiden der Rinde ausgetreten ist (an einer anderen Stelle der Rinde war ein Nagel eingeschlagen, an einer weiteren Stelle der Rinde war die Zielscheibe für ein Pfeilspiel angebracht, so die Inaugenscheinnahme im Ortstermin). Zudem hat die Beklagte im Verwaltungsverfahren wie auch schriftsätzlich im gerichtlichen Verfahren zurecht mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Baum als Lebewesen mit wachstumsbedingten oder eingriffsbedingten Defekten jedenfalls immer ganzheitlich zu betrachten und zu bewerten ist. Insoweit kommt es hier auch nicht mehr darauf an, ob selbst bei Annahme einer Erkrankung dieser wenigen Stellen mit Harzausfluss die Erhaltung des Baumes nicht ohnehin mit zumutbarem Aufwand im Sinne des § 6 Abs. 1 Buchstabe a der Satzung möglich wäre, etwa mittels baumchirurgischer Eingriffe.

Auch dem Wurzelbereich der Fichte sind keine Anhaltspunkte für eine Erkrankung zu entnehmen. Fichten sind Flachwurzler. Bei ihrem Wurzelwerk handelt es sich um ein sog. Senkerwurzelsystem. Typisch für das Senkerwurzelsystem ist, dass die meist sehr flach unter der Oberfläche liegenden Wurzeln durch Dickenwachstum häufig direkt an der Oberfläche sichtbar sind. Ergänzend wird auch auf die diesbezüglichen Ausführungen im Widerspruchsbescheid des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 10.10.2012 gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen, die sich das Gericht zu Eigen macht.

Hiernach scheidet eine Ausnahme vom Fällverbot gemäß § 6 Abs. 1 Buchstabe a der Satzung aus.

bb. Von dem Baum gehen auch keine Gefahren für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert im Sinne des § 6 Abs. 1 Buchstabe c der Satzung aus. Weil die Fichte nicht erkrankt ist und hier auch keine sonstigen Anzeichen für eine fehlende Standsicherheit oder für einen Bruch vorliegen, kommt auch eine Ausnahme nach § 6 Abs. 1 Buchstabe c der Satzung nicht in Betracht:

Eine Gefahr im Sinne des § 6 Abs. 1 Buchstabe c der Satzung liegt vor, wenn der Eintritt eines Schadens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Kläger zur Begründung ihres Begehrens einen Sachverhalt darlegen, der den Schadenseintritt wahrscheinlich erscheinen lässt. Hierzu genügt es, wenn sie einen Tatbestand darlegen, der nach allgemeiner Lebenserfahrung auf den künftigen Eintritt eines Schadens hinweist (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 21.03.2011 – 25 K 6448/10 – juris Rdnr. 16f.; vgl. OVG Münster, Beschluss vom 04.01.2011 – 8 A 2003/09 – m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die allgemeine Gefahr des Umsturzes eines Baumes bei einem Sturm reicht demgegenüber nicht als Gefahr im Sinne der Baumschutzsatzung aus, da sie für jeden Baum besteht, unabhängig davon, ob er krank oder gesund ist. Wollte man dies anders sehen, so könnte jeder Baum gefällt werden; ein solches Ergebnis wäre mit dem Sinn der Baumschutzregelungen unvereinbar (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 21.03.2011 – 25 K 6448/10 – juris Rdnr. 26).

Der Umstand, dass auch ein gesunder Baum bei starken Stürmen entwurzelt werden kann bzw. dass in einer solchen Situation eine Bruchgefahr der Äste gegeben sein kann und sich hierdurch eine Gefahr für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert realisieren könnte, rechtfertigt damit noch keine Ausnahme nach § 6 Abs. 1 Buchstabe c der Baumschutzsatzung. Bei der Gefahr, dass Bäume, die ggf. Gebäude überragen, bei starken Stürmen umstürzen oder dass sie vom Blitz getroffen werden können, handelt es sich um allgemeine, grundsätzlich auch jeden gesunden Baum bei derartigen extremen Wetterbedingungen möglicherweise treffende – katastrophale – Folgen, die als solche eine Ausnahmegenehmigung nicht zu rechtfertigen vermögen; das Gleiche gilt für bei starken Unwettern abbrechende gesunde Äste. Derartige Unglücksfälle gehören zum allgemeinen Lebensrisiko; sie ließen sich, wenn überhaupt, allenfalls dadurch vermeiden, dass in besiedelten Bereichen sämtliche größeren Bäume beseitigt würden (vgl. VG München, Urteil vom 02.07.2012 – M 8 K 11.4105 – juris Rdnr. 35f.).

Gemessen hieran ist eine Gefahrenlage, bei der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit dem Eintritt eines Schadens zu rechnen wäre, vorliegend nicht erkennbar.

Nach den Feststellungen der fachkundigen Mitarbeiter der Beklagten und der Inaugenscheinnahme durch das Gericht am 23.07.2014 handelt es sich bei der Fichte um einen gesunden und vitalen Baum. Umstände, die diese fachliche Einschätzung in Frage stellen könnten und Anlass zu weiteren Sachaufklärungsmaßnahmen geben könnten, liegen nicht vor; sie waren auch im Ortstermin am 23.07.2014 nicht ersichtlich. Wie die Beklagte geht das Gericht davon aus, dass der Baum derzeit hinreichend bruch- und standsicher ist und somit die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 6 Abs. 1 Buchstabe c der Satzung nicht vorliegen.

Soweit der Kläger zu 2. – so im Ortstermin am 23.07.2014 – im verstärkten Kronenwachstum eine „Kopflastigkeit“ des Baumes und insoweit Gefahren sieht, ist dem entgegenzuhalten, dass ein vitales Kronenwachstum – wie bereits oben ausgeführt – umgekehrt ein Zeichen für die Vitalität eines Baumes ist.

Soweit der Kläger zu 2. in der breiten Krone eine größere Windangriffsfläche und damit eine größere Gefahr des Umstürzens des Baumes sieht, verkennt er, dass die Vitalität eines Baumes die Gefahr seines Umstürzens vielmehr reduziert. Zudem kann in einem breiten Kronenbereich auch eine Windwiderstandsfläche gesehen werden.

Im Hinblick auf vorhandenes Totholz im unteren Bereich des Baumes hat die Beklagte im Ortstermin zutreffend darauf hingewiesen, dass solches Totholz jederzeit genehmigungsfrei entfernt werden kann bzw. dessen Entfernung zur laufenden Pflege und Erhaltung eines Baumes gehöre (vgl. VG München, Urteil vom 02.07.2012 – M 8 K 11.4105 – juris Rdnr. 37).

Soweit die Klägerseite wegen der flachen Wurzeln der Fichte befürchtet, dass diese mit der von ihr im Ortstermin geäußerten „Kopflastigkeit“ des Baumes zu seinem Umstürzen führen könne, hat dem die fachkundige Sachbearbeiterin im Ortstermin angesichts des bei der Inaugenscheinnahme sichtbaren breiten, ausladenden Wurzelwerkes plausibel entgegen gehalten, dass unter den sichtbaren Wurzeln jeweils unterirdische Senkerwurzeln den Baum verankerten.

Nichts anderes kann aus dem von der Klägerseite herangezogenen Hinweis in einem Bescheid der Beklagten vom 28.02.2002 über die Genehmigung zur Fällung zweier Bäume hergeleitet werden. Der Bescheid enthält neben der Fällgenehmigung den Hinweis, wonach zwei auf Stand- und Bruchsicherheit zu kontrollierende Fichten im Zeitpunkt der Besichtigung als verkehrssicher einzuschätzen seien; zugleich wurde eine regelmäßige Kontrolle des Baumbestandes empfohlen. Die behördliche Empfehlung erging auf Veranlassung der Kläger; vorausgegangen war in deren Fällantrag vom 24.02.2002 die konkrete Bitte der Kläger, die Beklagte möge zu den noch vorhandenen Fichten Vorschläge zur weiteren Pflege, Erhaltung und ggf. Fällung unterbreiten. Zudem hat das Thüringer Landesverwaltungsamt im Widerspruchsbescheid vom 10.10.2012 zu der Empfehlung regelmäßiger Kontrolle des Baumbestandes zurecht darauf hingewiesen, dass eine solcherart Empfehlung für jeden älteren Baumbestand in Bereichen mit Verkehrssicherungsanforderungen wie in Siedlungen gelte. Die Fichten selbst schätzte der damalige Bearbeiter Herr G… im Übrigen ausdrücklich „als verkehrssicher“ ein – so der Bescheid vom 28.02.2002 -; auch die Kläger befanden seinerzeit deren Zustand für „gut“ – so die Ausführungen in dem andere Bäume betreffenden Fällantrag aus dem Jahr 2002 -. Hiernach ist dem Hinweis bereits nicht das Gewicht beizumessen, wie es die Kläger im vorliegenden Verfahren für sich beanspruchen möchten. Zudem ist aus dem Hinweis jedenfalls nicht abzuleiten, die streitgegenständliche Fichte sei derzeit nicht standsicher. – Ungeachtet dessen sind die Kläger auch weiterhin gehalten, die Bruch- und Standsicherheit der Fichte regelmäßig zu kontrollieren, da es sich hierbei um älteren Baumbestand in einem Bereich mit Wohnbebauung und damit erhöhten Verkehrssicherungsanforderungen handelt. –

Ein – wie die Kläger vorbringen – darüber hinausgehender ausdrücklicher Hinweis des früheren Bearbeiters, die Kläger sollten stets den Wurzelbereich der Fichte im Blick haben, da ein Hervortreten der Wurzeln mangelnde Standfestigkeit verursache, findet mit dieser Festlegung in dem Bescheid vom 28.02.2002 keine Stütze. Insoweit führt auch der klägerische Vorhalt, die Beklagte ziehe widersprüchliche Schlüsse, hier ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Ungeachtet eines Streits um mögliche frühere Aussagen von Mitarbeitern der Beklagten ist es jedenfalls – wie inzwischen mehrfach plausibel von Beklagtenseite vorgebracht und wie bereits oben ausgeführt – typisch für das Senkerwurzelsystem von Fichten, dass die meist sehr flach unter der Oberfläche liegenden Wurzeln häufig direkt an der Oberfläche sichtbar sind. Die Beklagte hat im Ortstermin am 23.07.2014 auf die gleichwohl bestehende Verankerung der Fichten durch unterirdische Senkerwurzeln unter den ggf. sichtbaren Wurzeln hingewiesen. Darüber hinaus ist ein Baum – wie von Beklagtenseite mehrfach vorgetragen und wie bereits oben ausgeführt – ohnehin immer ganzheitlich zu bewerten. Hier sind zur Einschätzung der Vitalität und Standsicherheit der Fichte neben dem Wurzelsystem zutreffend auch andere Faktoren herangezogen worden, wie etwa Bodenveränderungen, Stamm, Rindenbild oder Krone. Wie seitens der Beklagten, auch im Ortstermin, wie auch im Widerspruchsbescheid vom 10.10.2012 plausibel ausgeführt, verfügt die streitgegenständliche Fichte darüber hinaus über einen optimalen Schlankheitsgrad. Damit spricht auch dies – als ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Standsicherheit eines Baumes – für die Vitalität und Standsicherheit der Fichte.

Angesichts dieser Umstände bedurfte es hier keiner weiteren Sachaufklärung, weder zu Gesundheitszustand und Vitalität der Fichte noch zur Stand- und Bruchfestigkeit des Baumes; insbesondere war auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens, wie von Klägerseite schriftsätzlich angeregt, nicht weiter erforderlich.

Hiernach liegen die Voraussetzungen einer Ausnahme von den Verboten gemäß § 6 Abs. 1 der Baumschutzsatzung nicht vor.

cc. Wie die vorstehenden Ausführungen belegen hat die Beklagte entgegen dem Einwand der Klägerseite bei ihrer Beurteilung des Zustands und der Standsicherheit des Baumes auch nicht etwa einseitig lediglich Stamm und Krone der Fichte berücksichtigt. Aus dem Bescheid vom 30.09.2011 in der Fassung jedenfalls, die er durch den umfangreich begründeten Widerspruchsbescheid vom 10.10.2012 gefunden hat, sowie aus dem Verwaltungsvorgang insgesamt ergibt sich hinreichend deutlich, dass die Beklagte etwa auch Wurzelbereich, Bodenveränderungen, Rindenbild und Schlankheitsgrad des Baumes berücksichtigt hat. Eine fehlerhafte Ermessensausübung – wie die Kläger meinen – steht nicht im Raum.

b. Auch eine Befreiung nach § 6 Abs. 2 und 3 der Baumschutzsatzung kommt hier nicht in Betracht:

Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung von den Verboten des § 5 der Satzung erteilt werden kann, regelt § 6 Abs. 2 und 3 der Satzung wie folgt:

„(2) Die Befreiung von den Verboten des § 5 kann im Einzelfall erteilt werden, wenn

a) eine aktenkundige Abwägung zwischen den Belangen des Baumschutzes und den Festlegungen der zulässigen Bebaubarkeit einer Grundstücksfläche bei Bauvorhaben im B-Plan im Innenbereich und bei Bebauung nach § 34 BauGB stattgefunden hat, die schriftlich zu begründen ist, wenn …

b) wenn im Rahmen dieser Abwägung festzustellen ist, dass bei der Durchsetzung der Belange des Baumschutzes und des Baumerhaltes eine zulässige Nutzung unmöglich ist oder …

die §§ 48, 49 des Thüringer Gesetzes über Naturschutz und Landespflege … bleiben unberührt.

(3) Die Befreiung von den Verboten des § 5 kann im Einzelfall erteilt werden, wenn

a) die Versagung zu einer unzumutbaren Härte führen würde und die Erteilung mit dem öffentlichen Interesse zu vereinbaren ist,

b) einzelne Bäume eines größeren Baumbestandes im Interesse des übrigen Baumbestandes zur Bestandsregulierung entfernt werden müssen.

(4) Die Ausnahmegenehmigung oder Befreiung kann mit Nebenbestimmungen und Auflagen entsprechend § 9 verbunden werden.“

Anhaltspunkte für eine Befreiung nach § 6 Abs. 2 der Baumschutzsatzung liegen bereits nicht vor.

Die von Klägerseite wie auch vonseiten der Nachbarin der Kläger angeführten Beeinträchtigungen durch eine Verschattung ihrer Grundstücke durch den Baumbestand stellen sich nicht als unzumutbare Beeinträchtigungen dar; die Versagung der Fällgenehmigung erweist sich insoweit nicht als unzumutbare Härte im Sinne des § 6 Abs. 3 Buchstabe a der Baumschutzsatzung:

Zur Bestimmung dessen, was der Betroffene noch hinzunehmen hat, lassen sich keine allgemeingültigen Aussagen treffen. Die typischen Baumimmissionen aber, also insbesondere der Laub- und Nadelfall, das Herabfallen von Früchten und Samen wie auch die Verschattungswirkung gehören im Allgemeinen zu den Einwirkungen, die grundsätzlich hinzunehmen sind, da sie sich allenfalls als Belästigungen darstellen (vgl. VG München, Urteil vom 28.03.2011 – M 8 K 10.2378 – juris Rdnr. 34 m.w.N.; VGH Mannheim, Urteil vom 02.10.1996 – 5 S 831/95 – juris). Derartige natürliche Einwirkungen auf das Grundstück sind – wie andere natürliche Einflüsse auch – hinzunehmen (vgl. VG München, Urteil vom 28.03.2011 – M 8 K 10.2378 – juris Rdnr. 34 m.w.N.). Eine unzumutbare Beeinträchtigung wird regelmäßig nur dann angenommen werden können, wenn die von dem geschützten Baum ausgehenden Immissionen oder sonstigen Auswirkungen nach Art und Intensität die Nutzung bzw. Nutzbarkeit des Grundstücks erheblich beeinträchtigen. Die Beeinträchtigungen müssen deutlich über das Maß bloßer Belästigungen hinausgehen (vgl. VG München, Urteil vom 28.03.2011 – M 8 K 10.2378 – juris Rdnr. 32f.). So kann eine unzumutbare Beeinträchtigung etwa vorliegen, wenn der Schattenwurf eines Baumes dazu führt, dass beispielsweise Wohnräume auch während des Tages nur mit künstlichem Licht genutzt werden können (vgl. VG München, Urteil vom 28.03.2011 – M 8 K 10.2378 – juris Rdnr. 34; vgl. VG München, Urteil vom 27.09.1999 – M 8 K 99.1508 – juris). Der Regelungszweck der Baumschutzsatzung – nämlich den Bestand größerer Bäume im städtischen Gebiet zu erhalten – erfordert es, die Schwelle der Zumutbarkeitsgrenze hoch anzusetzen, weil insbesondere eine Verschattung durch das Nebeneinander von größeren und somit geschützten Bäumen und Wohngebäuden gerade in verdichteten, innerstädtischen Siedlungsbereichen vorgegeben ist (vgl. VG München, Urteil vom 28.03.2011 – M 8 K 10.2378 – juris Rdnr. 38).

Eine im vorgenannten Sinne erhebliche, weil intensive Beeinträchtigung des Grundstücks oder des Wohnhauses der Kläger durch Verschattungswirkungen der Fichte ist hier weder substantiiert geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich. Die Kläger haben in der Klageschrift ihr Vorbringen zum Schattenwurf zunächst maßgeblich auf den Baumbestand in ihrem Hausgarten insgesamt bezogen. Zwar tragen sie zuletzt vor, der Grad der Verschattungen werde „maßgeblich negativ von der streitigen Fichte geprägt“. Sie konkretisieren auch dies indes nicht näher. Sie stützen ihr Vorbringen zur Verschattungswirkung vielmehr im Wesentlichen darauf, ihr Grundstück weise insgesamt einen weit überdurchschnittlichen und mehr als zumutbaren Baumbestand auf. Auch soweit sie zuletzt vorbringen, „der Vollständigkeit halber bleibe festzuhalten, dass der Grad der Verschattungen des klägerischen Grundstücks außerordentlich hoch“ sei, findet keine Substantiierung statt. Hiernach ist eine unzumutbare Härte für die Kläger weder dargelegt noch sonst ersichtlich.

Die Nachbarin bezog in ihrem Schreiben vom 27.10.2011 mögliche Beeinträchtigungen durch Schattenwurf der Fichte allein auf ihren Garten. Angesichts des Abstands zwischen der Fichte und dem Garten der Nachbarin von mehr als 7 m (so unwidersprochen die Beklagte) ist von den Klägern auch nicht hinreichend dargetan worden oder sonst ersichtlich, dass die Ablehnung der Fällung der Fichte eine unzumutbare Härte für die Nachbarin bedeutete. Im Übrigen heißt es in der Klageschrift insoweit (lediglich), das Nachbargrundstück sei von dem Schattenwurf „nachteilig betroffen“.

4. Auf die allgemeine Kritik des Klägers zu 2. im Ortstermin am 23.07.2014, in den Städten und Gemeinden werde häufig politisch entschieden, welche Bäume unter Baumschutz stehen, wird lediglich angemerkt, dass es grundsätzlich im freien Ermessen des Ortsgesetzgebers steht, welche Baumarten er über eine Baumschutzsatzung schützen möchte. Dem Hinweis des Klägers zu 2. auf Baumschutzsatzungen anderer Städte, die etwa Nadelbäume nicht unter Schutz stellten, hat der Vertreter der Beklagten überzeugend die Wohlfahrtswirkungen dieser Bäume am vielbefahrenen Stadtring in W… entgegengehalten. Baumschutzregelungen fallen im Übrigen regelmäßig nicht unter den Tatbestand der Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG, sondern stellen Bestimmungen über Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. etwa OVG Koblenz, Urteil vom 12.07.2012 – 1 C 11236/11 – juris Rdnr. 51). Jedenfalls sind Bedenken dagegen, dass die Unterschutzstellungen nach der vorliegenden Baumschutzsatzung in der Fassung der 3. Änderung vom 15.12.2008 etwa nicht mit Art. 14 GG vereinbar wären, weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Nach alldem war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung – ZPO -.

Beschluss: Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).

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