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Verkehrsunfall – Kollision bei Ausfahrt aus Grundstücksausfahrt zum Linksabbiegen

OLG Frankfurt – Az.: 2 U 7/14 – Urteil vom 01.08.2014

Auf die Berufung des Klägers und der Widerbeklagten zu 2) wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13.12.2013 (Geschäfts-Nr. 2-12 O 370/13) teilweise abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger € 2.411,24 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.05.2013 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, zur Entlastung des Klägers an die Rechtsanwälte …, € 211,47 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 29.06.2013 zu zahlen.

Auf die Widerklage werden der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) als Gesamtschuldner zu einer Zahlung in Höhe von € 3.146,06 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.05.2013 an den Beklagten zu 1) verurteilt.

Der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, € 193,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 08.08.2013 an den Beklagten zu 1) zu zahlen.

Der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, € 232,69 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 08.08.2013 an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu zahlen.

Im Übrigen werden Klage und Widerklage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten der ersten Instanz haben der Kläger allein zu 7%, der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) als Gesamtschuldner zu 23%, der Beklagte zu 1) allein zu 53% und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 17% zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu 17% und der Beklagte zu 1) allein zu 53% zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Widerbeklagten zu 2) hat zu 70% der Beklagte zu 1) zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) hat jeweils zu 30% der Kläger zu tragen. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung für die Kosten der ersten Instanz nicht statt.

Die Gerichtskosten der Berufungsinstanz haben der Beklagte zu 1) allein zu 76% und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 24% zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu 24% und der Beklagte zu 1) allein zu 76% zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Widerbeklagten zu 2) hat der Beklagte zu 1) zu tragen. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung für die Kosten der Berufungsinstanz nicht statt.

Dieses Urteil und das mit der Berufung angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatz (Teilklage und Teilwiderklage) nach einem Verkehrsunfall am ….04.2013 auf der A-Straße in Stadt1 in Höhe des Parkplatzes „Stadt1 Markt“.

Verkehrsunfall - Kollision bei Ausfahrt aus Grundstücksausfahrt zum Linksabbiegen
Symbolfoto: Von Dmitry Kalinovsky /Shutterstock.com

Zur Zeit des Unfalls stand auf der A-Straße in Fahrtrichtung Stadt2 am rechten Fahrbahnrand nach der Ausfahrt des Parkplatzes „Stadt1 Markt“ ein LKW, der entladen wurde. Der Beklagte zu 1), der Eigentümer und Halter des Unfallfahrzeugs ist, fuhr unmittelbar neben der Laderampe des LKW vom Parkplatz herunter und bog nach links in die A-Straße Richtung Stadt3 ab. Der Kläger befuhr als Eigentümer und Halter des weiter am Unfall beteiligten Fahrzeugs die A-Straße in Richtung Stadt2. Dabei kam es zum Zusammenstoß, bei dem die rechte Vorderfront des Fahrzeugs des Klägers und das Fahrzeug des Beklagten zu 1) nicht unerheblich beschädigt wurden.

In der ersten Instanz hat der Kläger von den Beklagten als Gesamtschuldnern im Wege der Teilklage den Ersatz der folgenden Schadenspositionen verlangt:

Voraussichtliche Reparaturkosten netto:     € 3.052,25

Gutachterkosten netto: € 366,38

Allgemeinkostenpauschale:   € 26,00

Gesamt: € 3.444,63

Außerdem hat er die Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von € 302,10 nebst Zinsen an seine Prozessbevollmächtigten zu seiner Entlastung beantragt.

Der Beklagte zu 1) macht im Wege der Teilwiderklage gegen den Kläger und die Widerbeklagte zu 2) als Gesamtschuldner den Ersatz der folgenden

Schadenspositionen geltend:

Sachverständigenkosten brutto:   € 1.077,66

Reparaturkosten brutto: € 8.129,22

Wertminderung: € 1.250,00

Unkostenpauschale: € 30,00

Nutzungsausfallentschädigung:   € 645,00

Gesamt: € 11.131,88

Darüber hinaus verlangt er vom Kläger und der Widerbeklagten zu 2) als Gesamtschuldner die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 775,64 gegenüber seinen Prozessbevollmächtigten.

Die geltend gemachten Schadenspositionen und die Nebenansprüche waren und sind zwischen den Parteien nicht im Streit.

Der Kläger hat behauptet, vor ihm sei der Zeuge Z1 gefahren, der seine Geschwindigkeit verringert habe. Der Kläger sei davon ausgegangen, dass der Zeuge Z1 entweder auf den Parkplatz abbiegen wolle, aus dem der Beklagte zu 1) herausgefahren sei, oder hinter dem LKW anhalten wolle.

Der Beklagte zu 1) hat behauptet, der Zeuge Z1 habe mit seinem PKW vor der Parkplatzausfahrt angehalten und ihm zu verstehen gegeben, dass er abbiegen könne. Daraufhin sei der Beklagte zu 1) nach Sichtkontrolle in beide Richtungen vorbei an dem wartenden PKW des Zeugen Z1 nach links abgebogen. Der Beklagte zu 1) habe nicht damit rechnen müssen, dass der Kläger das wartende Fahrzeug des Zeugen Z1 überhole, ohne die Verkehrslage überblicken zu können.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 179 – 182 der Akte) verwiesen.

Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von € 861,16 nebst Zinsen an den Kläger und zur Zahlung von € 75,53 nebst Zinsen an die Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Entlastung des Klägers verurteilt. Auf die Widerklage hin hat es den Kläger und die Widerbeklagte zu 2) als Gesamtschuldner verurteilt, an den Beklagten zu 1) € 7.865,16 und € 483,75, jeweils nebst Zinsen, und an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten € 581,73 nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es Klage und Widerklage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Kläger habe gegen die Beklagten einen Anspruch auf Erstattung von 25% des hier geltend gemachten Schadens, der Beklagte zu 1) habe gegen die Widerbeklagten einen Anspruch auf Erstattung von 75% des hier geltend gemachten Schadens, und zwar jeweils gemäß §§ 7, 17,18 StVG, § 254 BGB, § 3 Abs. 1 Nr. 1 PflVG. Der Beklagte zu 1) habe bei der Grundstückausfahrt die Pflicht nach § 10 StVO, die Gefährdung anderer auszuschließen. Wenn es bei der Grundstücksausfahrt zur Kollision mit dem Querverkehr komme, spreche zunächst der Beweis des ersten Anscheins für einen Verstoß des Ausfahrenden gegen § 10 StVO, was grundsätzlich zu einer Alleinhaftung des Ausfahrenden führe, sofern nur eine einfache Betriebsgefahr des Unfallgegners entgegenstehe.

Hier sei jedoch die Betriebsgefahr des Klägers deutlich erhöht, auch wenn man berücksichtige, dass an der Unfallstelle kein grundsätzliches Überholverbot bestehe. Der Kläger habe gegen § 1 StVO verstoßen, weil er mit dem Verhalten des Beklagten zu 1) habe rechnen und hierauf unfallvermeidend habe reagieren müssen. Nach der eigenen Aussage des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Anhörung habe er den Beklagten zu 1) wahrgenommen und auch noch erkannt, dass dieser nur nach rechts in Richtung des parkenden LKW geschaut habe. Damit habe sich für den Kläger die Gefahr aufgedrängt, dass der Beklagte zu 1) das Vorfahrtsrecht des Klägers missachten könnte. Der Kläger habe damit mit sofortiger Bremsbereitschaft fahren müssen.

Überdies sei der Kläger nicht nur nicht bremsbereit, sondern auch mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Dies sei auf der Grundlage der Aussage des Zeugen Z1 festzustellen. Im Zusammenhang mit der weiteren unstreitigen Verkehrslage sei die Aussage des Zeugen dahingehend zu verstehen, dass eine unübersichtliche Verkehrssituation bestanden habe. Auch nach dem eigenen Vortrag des Klägers sei die Verkehrssituation unübersichtlich gewesen, weil der Kläger nicht gewusst haben wolle, ob der Zeuge Z1 nur anhalten oder abbiegen wolle.

Aus den getroffenen Feststellungen resultiere eine Verursachungsquote von 25% zu 75% zu Lasten des Klägers.

Gegen das ihnen am 19.12.2013 zugestellte Urteil haben der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) am 14.01.2014 Berufung eingelegt und diese am 22.01.2014 begründet. Sie greifen das landgerichtliche Urteil nur insoweit an, als ihrer Auffassung nach eine Quote von 75% zu 25% zugunsten des Klägers zugrunde zu legen sei.

Der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) rügen, dem Kläger könne kein Verstoß gegen § 1 StVO angelastet werden. Vielmehr greife zu seinen Gunsten der Vertrauensgrundsatz dahingehend ein, dass der Beklagte zu 1) die Vorfahrt des Klägers, die für die gesamte Straßenbreite gelte, beachten würde. Das Ausfahren aus einem Grundstück sei erst dann beendet, wenn sich das ausfahrende Fahrzeug in den fließenden Verkehr endgültig eingeordnet habe. Bis dahin sei vom Beklagten zu 1) die besondere Sorgfalt aus § 10 StVO zu beachten gewesen und von einer durchgängigen Anscheinslage auszugehen, und zwar von dem Anschein eines Verschuldens „höchsten Grades“ für den gesamten Vorgang des Herausfahrens.

Dass der Kläger den Beklagten zu 1) rechtzeitig vor dem Zusammenstoß wahrgenommen habe und erkannt hätte, dass der Beklagte zu 1) nur nach rechts in Richtung des parkenden LKW geschaut habe, ergebe sich aus der informatorischen Anhörung des Klägers nicht. Vielmehr habe der Kläger dort angegeben, dass er den Beklagten zu 1) erst gesehen habe, als er auf der Straße gewesen sei. Seine Äußerungen hätten sich also nicht auf einen Zeitpunkt bezogen, als sich der Beklagte zu 1) noch in der Grundstücksausfahrt befunden habe, sondern auf den Zeitpunkt unmittelbar vor der Kollision, als der Kläger schon keine Chance mehr gehabt hätte, einen Zusammenstoß zu vermeiden.

Zu Lasten des Klägers dürfe keine überhöhte Geschwindigkeit berücksichtigt werden. In die Abwägung der Verursachungsbeiträge an einem Verkehrsunfall dürften nur bewiesene oder unstreitige Tatsachen eingestellt werden, die sich nachweislich im Unfallhergang niedergeschlagen hätten. Aus der Aussage des Zeugen Z1 könne eine relevante erhöhte Geschwindigkeit des Klägers zum Unfallzeitpunkt nicht abgeleitet werden. Geschwindigkeitsschätzungen von Zeugen in der Momentaufnahme der Wahrnehmung eines Unfalls seien keine taugliche Grundlage für den Vorwurf einer relevanten konkreten Geschwindigkeitsüberschreitung des anderen Beteiligten. Überdies habe der Zeuge bestätigt, er habe gesehen, dass das klägerische Fahrzeug hinter ihm losgefahren sei. Der Zeuge habe den PKW des Klägers also nur über eine kurze Strecke von wenigen Fahrzeuglängen gesehen. Der Anscheinsbeweis aus § 10 StVO sei erst dann erschüttert, wenn dem Vorfahrtsberechtigten ein krasser Tempoverstoß nachgewiesen werden könne. Dies sei hier nicht der Fall.

Der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) beantragen, unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Frankfurt vom 13.12.2013 – 2-12 O 370/13 – von neuem erkennend,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger € 2.583,47 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.05.2013 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, zur Entlastung des Klägers an die Rechtsanwälte …, € 226,58 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Zustellung der Klage zu zahlen;

3. auf die Widerklage hin den Kläger und die Widerbeklagte zu 2) als Gesamtschuldner zu einer Zahlung von € 2.621,72 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.05.2013 an den Beklagten zu 1) zu verurteilen;

4. auf die Widerklage hin den Kläger und die Widerbeklagte zu 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, € 161,25 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit an den Beklagten zu zahlen;

5. auf die Widerklage hin den Kläger und die Widerbeklagte zu 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, € 193,91 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu zahlen.

Die Beklagten und Widerkläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und meinen, der Kläger zu 1) habe den Unfall durch sein grob verkehrswidriges Überholen trotz unklarer Verkehrslage verursacht, so dass die Haftungsquotierung der ersten Instanz nicht zu beanstanden sei. Das Landgericht habe zutreffend festgestellt, dass ein Anscheinsbeweis zugunsten des Klägers im vorliegenden Fall ausscheide. Außerdem bestehe zugunsten des Klägers auch kein Vertrauensgrundsatz. Der Kläger habe das Fahrzeug des Zeugen Z1, das vor einer Ausfahrt angehalten habe, überholt. Dabei hätte der Kläger auch damit rechnen müssen, dass der Zeuge Z1 nicht grundlos angehalten habe, und die Möglichkeit einkalkulieren müssen, dass Fahrzeuge aus der Ausfahrt auf die A-Straße abbiegen, denen der Zeuge Z1 die Vorfahrt gewährt habe.

Neben der fehlenden Bremsbereitschaft sei dem Kläger auch überhöhte Geschwindigkeit vorzuwerfen. Diese sei nach der Aussage des Zeugen Z1 festgestellt.

Das Gericht hat Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 10.07.2014 durch Vernehmung des Zeugen Z1. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 10.07.2014 (Bl. 240 – 244 der Akte) verwiesen. Die Akten der Polizeistation Stadt2 zum Aktenzeichen … waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die Berufung des Klägers und der Widerbeklagten zu 2) ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO). Dass der Kläger und Widerbeklagte zu 2) den Antrag auf anteilige Abänderung von Ziffer 6 der landgerichtlichen Verurteilung (vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten der Beklagten) nicht ausdrücklich schon in der Berufungsbegründung angekündigt hat, schadet nicht. Für § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO ist es ausreichend, dass sich der Umfang der Anfechtung wie hier aus dem Inhalt der Begründung ergibt (vgl. Heßler in: Zöller, ZPO, 30. Auflage 2014, § 520 Rdn. 32). Der Antrag auf weitergehende Abweisung der Widerklage ist konkludent in den gestellten Berufungsanträgen enthalten.

Die Berufung des Klägers zu 1) und der Widerbeklagten zu 2) ist überwiegend begründet. Die Klägerin und Widerbeklagte zu 2) kann von den Beklagten als Gesamtschuldner gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG, § 1 PflVG Ersatz von 70% des ihm entstandenen Schadens – das sind nach den in diesem Rechtsstreit geltend gemachten Positionen € 2.411,24 – verlangen. Die Beklagten können vom Kläger und der Widerbeklagten zu 2) als Gesamtschuldner aus dem gleichen Rechtsgrund Ersatz von 30% des ihnen entstandenen Schadens verlangen. Das sind nach den in diesem Rechtsstreit geltend gemachten Positionen insgesamt € 3.339,56.

Sowohl für den Kläger und die Widerbeklagte zu 2) als auch für die Beklagten sind die Tatbestandvoraussetzungen von §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG, § 1 PflVG erfüllt. Weder für den Beklagten zu 1) noch für den Kläger handelte es sich bei dem Unfall um ein unabwendbares Ereignis im Sinne von §§ 17 Abs. 3, 18 Abs. 3 StVG.

Liegen mithin die Voraussetzungen der §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 3 StVG vor, richtet sich die Haftungsverteilung nach den Umständen, insbesondere danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungsanteile können allerdings nur solche Umstände berücksichtigt werden, die entweder unstreitig oder beweisen sind. Auf ein Verschulden kommt es nur nachrangig an, da zunächst die objektiven Umstände der Unfallverursachung maßgeblich sind. Dabei hat jede Seite die Umstände zu beweisen, die für sie günstig, für die Gegenseite also ungünstig sind. Im vorliegenden Fall führt die Abwägung der Verursachungsbeiträge zu einer Haftung des Klägers und der Widerbeklagten zu 2) von 30% und der Beklagten von 70%.

Bei der Bewertung des Verursachungsanteils der Beklagtenseite ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1) von dem Parkplatz und damit aus einer Grundstücksausfahrt auf die Straße fahren wollte. Er hatte sich damit gemäß § 10 StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Ein Verstoß gegen § 10 StVO führt grundsätzlich zur Alleinhaftung des Ausfahrenden, sofern nur die einfache Betriebsgefahr des Gegners entgegensteht (vgl. nur OLG Hamm, Urteil vom 20.10.2005 (27 U 37/05), NZV 2006, 204). Für den vorliegenden Fall kommt hinzu, dass es sich bei dem Ausfahren aus einer Grundstücksausfahrt zum Zwecke des Linksabbiegens im vermeintlichen Schutz von eine Lücke freilassenden Fahrzeugen deshalb um ein besonders gefährliches Verkehrsmanöver handelt, weil der Verkehrsraum der Gegenfahrbahn, in den das Fahrzeug hineinbewegt werden soll, für den Fahrzeugführer zunächst nicht einsehbar ist. Auch das Befahren der linken Fahrbahnhälfte durch den Unfallgegner beseitigt die Verpflichtung des Ausfahrenden nicht, dem fließenden Verkehr den Vorrang zu lassen und diesen nicht zu behindern. Denn das Vorfahrtrecht des Klägers gilt für die gesamte Straße und damit für beide Fahrspuren. Mit Überholverkehr unter Mitbenutzung der Gegenfahrbahn muss der Ausfahrende rechnen (KG, Urteil vom 04.03.1996 (12 U 1032/95), NZV 1996, 365).

Bei der Bewertung des Verursachungsanteils der Klägerseite wirkt sich aus, dass den Kläger beim Vorbeifahren an einem haltenden Fahrzeug neben der im vorliegenden Fall nicht verletzten Pflicht aus § 6 StVO, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren zu lassen, die Pflichten aus § 1 StVO treffen.

Nicht entschieden werden muss im vorliegenden Fall, ob die Grundsätze der sogenannten Lückenfallrechtsprechung, wonach der vorfahrtsberechtigte Fahrzeugführer, der an einer zum Stillstand gekommenen Fahrzeugkolonne links vorbeifährt, bei Annäherung an eine Kreuzung oder Einmündung auf größere Lücken in der Kolonne zu achten und sich drauf einzustellen hat, dass sie von Querverkehr benutzt werden, auch für Grundstücksausfahrten gelten (dagegen KG, Urteil vom 04.03.1996 (12 U 1032/95), NZV 1996, 365; OLG Hamm, Urteil vom 20.10.2005 (27 U 37/05), NZV 2006, 204).

Denn im vorliegenden Fall ergibt sich ein Verstoß des Klägers gegen § 1 Abs. 1 StVO schon daraus, dass er bei unklarer Verkehrslage am Fahrzeug des Zeugen Z1 vorbeigefahren ist und am ausladenden LKW vorbeifahren wollte (Rechtsgedanke aus § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO) und dass er mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren ist. Dass eine unklare Verkehrslage vorlag, ergibt sich aus der Schilderung des Unfallhergangs durch die Parteien – soweit sie unstreitig ist – und aus den Lichtbildern in der beigezogenen Akte der Polizeistation Stadt2: Die einzige rechte Fahrspur war durch einen ausladenden LKW blockiert. Hinter diesem stand oder fuhr langsam ein weiteres Auto, von dem nicht klar war, ob es am LKW vorbeifahren oder auf den Parkplatz abbiegen wollte. Immer wieder kam Gegenverkehr und erschwerte das Vorbeifahren.

Dass der Kläger für diese Situation mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren ist, steht zur vollen Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der Aussage des Zeugen Z1. Der am Unfall unbeteiligte und mit den Parteien in keinen Beziehungen stehende Zeuge Z1 hat bei seiner Vernehmung angegeben, der Kläger habe „sehr rasant beschleunigt und überholt“ (Seite 3 des Protokolls vom 10.07.2014, Bl. 242 der Akte). Er habe sich gedacht, „wie kann der Idiot hier so schnell rausfahren“ und sei „baff über die Geschwindigkeit“ gewesen (Seite 4 des Protokolls vom 10.07.2014, Bl. 243 der Akte). Die Aussage ist glaubhaft und der Zeuge glaubwürdig. Dass der Zeuge Z1 bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht angegeben hat, er habe den Beklagten zu 1) vorbeifahren lassen wollen (Seite 2 des Protokolls vom 14.11.2013, Bl. 167 der Akte), während er bei der Vernehmung vor der Einzelrichterin mitgeteilt hat, er habe den Beklagten zu 1) nicht aus der Einfahrt „rausfahren lassen“ (Seite 4 des Protokolls vom 10.07.2014, Bl. 243 der Akte), ändert hieran nichts. Denn er hat dies auf Nachfrage der Beklagtenvertreterin dahingehend konkretisiert, dass er dem Beklagten zu 1) die „Freiheit gelassen“ habe, aus der Einfahrt herauszufahren.

Die Einzelrichterichterin verkennt nicht, dass Geschwindigkeitsschätzungen ungeschulter Zeugen ohne Einbeziehung ausreichender Bezugstatsachen sehr problematisch sind und nach obergerichtlicher Rechtsprechung für regelmäßig untauglich und daher unverwertbar angesehen werden (vgl. nur KG, Beschluss vom 27.03.2008 (12 U 235/07), NZV 2008, 626). Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die Bestimmung des absoluten Tempos des Klägers zur Zeit der Kollision, sondern darum, ob seine Geschwindigkeit der Situation angepasst war. Dies kann ein Zeuge im Wege der Schätzung feststellen.

Ein weiterer Verstoß des Klägers gegen § 1 StVO schon deswegen, weil er den Beklagten zu 1) wahrgenommen hätte, deswegen mit seinem Verhalten hätte rechnen müssen und hierauf hätte unfallvermeidend reagieren müssen (vgl. hierzu OLG Hamm, Urteil vom 20.10.2005 (27 U 37/05), NZV 2006, 204) liegt nicht vor. Denn bei seiner informatorischen Anhörung vor dem Landgericht hat der Kläger ausdrücklich angegeben, er habe den Beklagten zu 1) „erst gesehen, als er schon auf der Straße war“ (Seite 2 des Protokolls vom 17.10.2013, Bl. 157 der Akte). Dann kann er auch erst zu diesem Zeitpunkt bemerkt haben, dass der Beklagte zu 1) nur nach rechts in die andere Fahrtrichtung geschaut haben soll. Besondere unfallvermeidende Maßnahmen können vom Kläger im vorliegenden Fall damit nicht verlangt werden.

Die Abwägung dieser Umstände ergibt einen Verursachungsbeitrag des Klägers von 30% und des Beklagten zu 1) von 70%, so dass hieraus die entsprechende Haftungsquote folgt. Die Höhe der jeweils verfolgten Ansprüche und Nebenansprüche steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

Die jeweiligen Nebenansprüche ergeben sich aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1, 291 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, 100 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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