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Aussteigen aus PKW – Verkehrsunfall und Haftungsverteilung

Bundesgerichtshof

Az: VI ZR 316/08

Urteil vom 06.10.2009


Leitsätze:

Die Sorgfaltsanforderung des § 14 Abs. 1 StVO erfasst auch Situationen, in denen der Insasse eines Kraftfahrzeugs sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kraftfahrzeug beugt, um etwa Gegenstände ein- oder auszuladen oder einem Kind beim Ein- oder Aussteigen zu helfen.

Kommt es dabei zur Berührung der geöffneten Fahrzeugtür mit einem in zu geringem Abstand vorbeifahrenden LKW, kann eine hälftige Schadensteilung gerechtfertigt sein.


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 31. August 2009 für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 20. November 2008 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Im Oktober 2006 wurde die geöffnete hintere linke Tür des parkenden PKW des Klägers durch einen vorbeifahrenden vom Beklagten zu 2 gesteuerten, bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten LKW beschädigt. Der Kläger verlangt von den Beklagten Ersatz des dadurch entstandenen Schadens.

Zum Unfallzeitpunkt parkte der Kläger sein Fahrzeug in einer Parkbucht. Diese ist zwei Meter, die Fahrbahn ist weitere 7 Meter breit. An dem Fahrzeug des Klägers war die. hintere linke Tür zum Teil geöffnet. Der Kläger stand in der geöffneten Tür, um sein auf dem linken hinteren Rücksitz sitzendes Kind abzuschnallen. Der Beklagte zu 2 fuhr mit seinem LKW mit Anhänger an dem PKW in einem Abstand von ca. 0,95 Meter vorbei. Dabei wurde die Tür des PKW aus unbekanntem Grund, sei es durch den Kläger oder durch. den Luftzug des vorbeifahrenden LKW, weiter geöffnet. Der. LKW stieß deshalb mit dem Anhänger dagegen. Zum Zeitpunkt der Kollision hatte die Tür die maximale Öffnungsweite von einem Meter erreicht.

Das Amtsgericht hat der Klage auf der Grundlage einer Quote von 40 : 60 zu Lasten der Beklagten stattgegeben. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg, auf die Anschlussberufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Verurteilung der Beklagten lediglich auf der Grundlage einer Quote von 50 : 50 gebilligt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht führt aus: Für den Beklagten zu 2 sei bei der Annäherung an das Fahrzeug des Klägers erkennbar gewesen, dass die hintere linke Tür zum Teil geöffnet war und dass eine Person in der Tür stand. Der Beklagte zu 2 habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass die erkennbar schon geöffnete Tür sich nicht weiter öffnen werde. Es könne nicht mehr geklärt werden, ob der Kläger beim Abschnallen seines Kindes gegen die Tür gestoßen sei und diese weiter geöffnet habe oder aber ob die Tür sich durch den Luftzug des vorbeifahrenden LKW weiter geöffnet habe. Mit beiden Möglichkeiten habe der Beklagte zu 2 rechnen müssen. Er habe gewusst, dass er einen sehr großen LKW fahre, der einen erheblichen Luftzug verursache, der ausreichen‘ könne, eine Kraftfahrzeugtür weiter zu öffnen, wenn diese nicht ordnungsgemäß festgehalten werde. Er habe auch die Möglichkeit einkalkulieren müssen, dass der Kläger die Tür nicht ordnungsgemäß festhalte oder dass er an die Tür stoße und diese weiter öffne und dass durch eine solche Bewegung die Tür ihren maximalen Öffnungswinkel erreiche. Vor diesem Hintergrund sei der gewählte Sicherheitsabstand zu gering gewesen. Der Beklagte zu 2 habe notfalls auf die Gegenfahrbahn ausweichen oder, wenn dies infolge Gegenverkehrs nicht möglich gewesen sei, sein Fahrzeug anhalten müssen. Der Beklagte zu 2 habe bei gehöriger Beobachtung der Situation auch erkennen können, dass der Kläger ihm den Rücken zuwandte, und habe deshalb nicht darauf vertrauen dürfen, dass er die Annäherung des LKW bemerken und sich darauf einstellen würde.

Auf der anderen Seite habe der Kläger durch das Öffnen der linken Tür, die, während er sich hineingebeugt habe, zumindest den Rand des rechten Fahrstreifens tangiert oder möglicherweise in diesen hineingeragt habe, eine Gefahrenquelle geschaffen. Er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass vorbeifahrende Fahrzeuge einen auch bei einer‘ sich weiter öffnenden Tür ausreichenden Sicherheitsabstand einhalten würden. Er sei, auch wenn er im Fahrzeug hantierte, verpflichtet gewesen den sich von hinten nähernden Verkehr zu beobachten. Hier habe er den sich nähernden LKW alleine aufgrund der Geräuschentwicklung eines solch großen Fahrzeugs leicht wahrnehmen können und sich darauf einstellen müssen. Er habe dann, obwohl er dabei gewesen sei, das Kind abzuschnallen, die Tür gegen ein weiteres Öffnen durch Festhalten sichern müssen.

Bei dieser Sachlage sei eine Haftungsverteilung von 50 : 50 angemessen.

II.

Die dagegen gerichtete Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg.

1.

Die in der Revisionsbegründung erhobene Rüge, das Berufungsgericht habe in falscher Besetzung entschieden, hat sich erledigt, nachdem das Berufungsgericht durch Beschluss vom 24. April 2009 das Rubrum seines Urteils berichtigt hat.

2.

Die hälftige Quotierung des Schadens durch das Berufungsgericht lässt entgegen der Ansicht der Revision keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind (vgl. Senatsurteile vom 16. Januar 2007 – VI ZR 248/05 – VersR 2007, 557, 558; vom 23. Januar 2007 – VI ZR 146/06 – VersR 2007, 558, 559; vom 13. März 2007 – VI ZR 216/05 -VersR 2007, 1095, 1096, jew. m.w.Nachw.). Dies ist vorliegend der Fall.

a)

Die Revision beanstandet ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe das Verhalten des Klägers am Maßstab des § 14 Abs. 1 StVO gemessen.

Nach dieser Vorschrift muss sich, wer ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist (vgl. KG, NZV 2008, 245 f.). Erfasst sind insbesondere auch Situationen, in denen der Insasse eines Kraftfahrzeugs sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kraftfahrzeug beugt, um etwa Gegenstände ein- oder auszuladen oder – wie hier – einem Kind beim Ein- oder Aussteigen zu helfen (vgl. OLG Bremen, NJW-RR 2008, 1203 f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. Januar 2006 – I-1 U 102/05 – […] Rn. 5 ff.; OLG Hamburg, OLGR 2005, 84; OLG Hamm, NZV 2004, 408 f. ; LG Berlin, VersR 2002, 864 f. ). Die Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO beschränkt sich entgegen der Ansicht der Revision nicht ausschließlich auf solche Vorgänge, bei denen sich durch das unvorsichtige Öffnen einer Fahrzeugtür ein Überraschungsmoment für andere Verkehrsteilnehmer ergibt (in dieser Richtung allerdings OLG Bremen, aaO; LG Berlin, aaO). Das Gesetz stellt nicht auf das überraschende Öffnen einer Fahrzeugtür ab, sondern auf das Aus- und Einsteigen als solches, da ein solcher Vorgang aus unterschiedlichen Gründen mit erheblichen Gefahren für den fließenden Verkehr verbunden sein kann. Zwar ergeben sich die Gefahren beim Aussteigen vielfach daraus, dass eine Fahrzeugtür durch einen für den fließenden Verkehr nicht erkennbaren Fahrzeuginsassen überraschend geöffnet wird. Doch beschränkt sich der vom Gesetz erfasste Gefahrenkreis nicht ausschließlich darauf. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Sorgfaltsanforderung auch für Einsteigevorgänge gilt, bei denen der Einsteigende in der Regel für den fließenden Verkehr erkennbar ist.

Im Streitfall beruht der Unfall auch darauf, dass der Kläger beim Aussteigen nicht die nötige Sorgfalt hat walten lassen. Entweder hat er, ohne auf den vorbeifahrenden LKW zu achten, die Tür weiter geöffnet oder diese jedenfalls nicht ausreichend festgehalten, um ein weiteres Öffnen durch die Sogwirkung des LKW zu verhindern. Wird beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht im Übrigen schon der Beweis des ersten Anscheins für fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden (vgl. OLG Düsseldorf, aaO; OLG Hamburg, aaO; OLG Hamm, NZV 2000, 209 f.; KG, DAR 2005, 217; Heß in: Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl., § 14 StVO Rn. 2; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 14 StVO Rn. 9). Dieser Anschein ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall nicht erschüttert.

Ob etwas anderes gilt, wenn feststeht, dass sich der Ein- oder Aussteigende vor und während des Ein- oder Aussteigens vergewissert hat, dass sich kein rückwärtiger Verkehr nähert, und dass der Unfall ausschließlich auf einen zu geringen Seitenabstand des Vorbeifahrenden zurückzuführen ist (dahin gehend OLG Bremen, aaO; vgl. auch OLG Nürnberg, VersR 2001, 1042 ; abweichend OLG Düsseldorf, aaO), kann hier dahinstehen. Dass es für die Frage, ob die Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO erfüllt ist, auf die Umstände des Einzelfalls ankommt, hat der erkennende Senat bereits früher entschieden (Senatsurteil vom 16. September 1986 – VI ZR 151/85 – VersR 1986, 1231, 1232).

b)

Danach ist die Abwägung, die das Berufungsgericht gemäß § 17 StVG vorgenommen hat, nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht berücksichtigt, dass den Beklagten zu 2 eine erhebliche Mitverantwortung für den Unfall trifft, weil er angesichts der Umstände einen zu geringen Seitenabstand eingehalten hat. Dabei zieht es – entgegen der Annahme der Revision – im Ergebnis auch die wegen der möglichen Sogwirkung erhöhte Betriebsgefahr des LKW in Betracht. Feststellungen dazu, dass die Einhaltung eines Seitenabstandes von 0,95 m angesichts der gegebenen Situation grob fahrlässig gewesen sein könnte, hat das Berufungsgericht nicht getroffen; die Revision zeigt insoweit keinen Verfahrensfehler auf. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht bei der Abwägung auch keine Umstände zu Lasten des Klägers berücksichtigt, die nicht unstreitig oder bewiesen sind. Dass es die beiden in Betracht kommenden Möglichkeiten, dass der Kläger entweder die Tür trotz der Vorbeifahrt des LKW weiter geöffnet oder diese jedenfalls nicht ausreichend festgehalten hat, gleich bewertet, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die vom Berufungsgericht für angemessen gehaltene Quotierung ist in der Rechtsprechung auch anderweit bei einem ähnlichen Sachverhalt ausgeurteilt worden (OLG Hamm, aaO). Dagegen bestehen aus Rechtsgründen keine Bedenken.

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