Oberlandesgericht Hamm
Az: 6 U 71/10
Urteil vom 25.11.2010
Auf die Berufung der Beklagten wird – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – das am 23.03.2010 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.223,76 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.723,76 Euro seit dem 14.05.2009 und aus 500,00 Euro seit dem 20.08.2009 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszuges tragen die Beklagten 21% und der Kläger 79%. Von den Kosten des zweiten Rechtszuges tragen die Beklagten 22% und der Kläger 78%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2, 313a ZPO)
I.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz seines materiellen und immateriellen Schaden gegen die Beklagten aus dem Verkehrsunfall vom 03.03.2009 auf der BAB 33 nur in Höhe von 3223,76 Euro aus §§ 7, 18 StVG, 115 VVG.
1.
Materiellen Schadensersatz kann der Kläger nur in Höhe von 2723,76 Euro beanspruchen. Angesichts des Schreibens der E vom 25.10.2010 (Bl. 158 d. A.) konnte die Aktivlegitimation des Klägers auch bzgl. des Fahrzeugschadens nicht mehr zweifelhaft sein. Hinsichtlich Nutzungsausfall und Kostenpauschale war dies hier ohnehin nicht fraglich (vgl. BGH NJW 1981, 750 und OLG Hamm NZV 1998, 158).
Dass eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach besteht, war nicht streitig. Ein unabwendbares Ereignis nach § 17 Abs. 3 StVG lag für keinen der beiden Fahrzeugführer vor.
Bei der Abwägung im Rahmen des § 17 Abs. 1 StVG war auf Seiten der Beklagten ein schuldhafter Verstoß des Beklagten zu 1) gegen § 7 Abs. 5 StVG sowie die Betriebsgefahr des von ihm geführten Sattelzug zu berücksichtigen. Der Beklagte zu 1) hat einen Fahrstreifenwechsel von der rechten auf die linke Fahrspur der Autobahn vollzogen, ohne dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, hier des von hinten mit hoher Geschwindigkeit auf der linken Fahrspur herannahenden Klägers, ausgeschlossen war. Der Spurwechsel fand so knapp vor dem Fahrzeug des Klägers statt, dass dieser bei der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit sein Fahrzeug nicht mehr so weit herunter bremsen konnte, dass er eine Kollision mit dem Sattelzug hätte verhindern können.
Auf Seiten des Klägers ist (lediglich) die Betriebsgefahr seines PKW in die Abwägung einzustellen. Allerdings tritt diese nicht – wie das Landgericht meinte – hinter das auf Beklagtenseite zu berücksichtigende Verschulden zurück. Der Kläger näherte sich dem Unfallort mit einer Geschwindigkeit, die nach den Feststellungen des Sachverständigen mindestens 160 km/h betrug und damit mindestens 30 km/h, also deutlich, über der auf Autobahnen geltenden Richtgeschwindigkeit lag. Das begründet zwar keinen Verschuldensvorwurf. In einem solchen Fall tritt aber die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Geschädigten jedenfalls dann nicht zurück, wenn sich die erhöhte Geschwindigkeit nachweislich betriebsgefahrerhöhend ausgewirkt hat (OLG Hamm NZV 1994, 193, OLG Hamm NZV 2002, 373). Letzteres ist hier der Fall. Nach den Feststellungen des Sachverständigen wäre ein Auffahren bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit durch den Kläger ohne weiteres vermeidbar gewesen. Auf die Frage, ob eine Erhöhung der Betriebsgefahr schon dann angenommen werden kann, wenn der Betroffene lediglich nicht nachweisen kann, dass sich die Geschwindigkeit im konkreten Fall nicht betriebsgefahrerhöhend ausgewirkt hat (vgl. OLG Hamm NZV 2000, 42, 43), kommt es vorliegend daher nicht an.
Die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs bewertet der Senat mit 20%. Für eine Erhöhung dieses Prozentsatzes (etwa auf 25 %) sieht er keinen Anlass, da die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit einerseits zwar deutlich war, anderseits aber in der Bandbreite der als deutlich zu bezeichnenden Richtgeschwindigkeitsüberschreitungen eher im unteren Bereich angesiedelt werden kann.
Der Hinweis des Klägers auf die Entscheidung des OLG Jena vom 17.06.2009 – 5 O 797/08 (NJW-RR 2009, 1622), in der trotz Richtgeschwindigkeitsüberschreitung eine Mithaftung des Geschädigten abgelehnt wurde, verfängt alleine schon deshalb nicht, weil dort noch weitere Umstände vorlagen, über deren Vorliegen hier nichts bekannt ist.
Auf der Basis der gefundenen Haftungsquote berechnet sich der Anspruch auf materiellen Schadensersatz wie folgt:
48.722,00 Euro (Netto-Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert)
+ 3.279,94 Euro (Sachverständigenkosten)
+ 2.450,00 Euro (Nutzungsausfall)
+ 25,00 Euro (Unkostenpauschale)
= 54.476,84 Euro
davon 80% = 43.581,47 Euro
abzgl. gezahlter 40.857,71 Euro
= 2.723,76 Euro.
2.
Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Schmerzensgeld (§ 253 BGB) von noch 500 Euro zu. Angesichts der Verletzungen des Klägers (Hämatom am Kinn, Bewegungseinschränkung und Druckschmerz an der Halswirbelsäule und kleine Brandwunde auf dem Handrücken mit bleibender Hautverfärbung) hält der Senat unter Berücksichtigung der Haftungsquote in Schmerzensgeld vom 1000 Euro für angemessen. Hierauf hat die Beklagtenseite bereits 500 Euro gezahlt.
3.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 284, 286, 288 BGB.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.