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Baugenehmigung für Gartenhaus mit Überdachung

VG Cottbus – Az.: 3 K 1632/19 – Urteil vom 01.10.2021

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrags abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des in R…, gelegenen Grundstücks. Dieses ist im vorderen Bereich mit einem Wohngebäude, welches auch zu gewerblichen Zwecken genutzt wird, bebaut. Im rückwärtigen Bereich befindet sich ein eingeschossiges Nebengebäude. Das nördlich angrenzende Grundstück H… steht im Eigentum des Beigeladenen. Dieses ist mit Wohngebäuden und solchen Gebäuden, die gewerblich genutzt werden, bebaut. Der Beigeladene hat dort den Sitz eines Brennstoffhandels. Im Jahre 2015 erneuerte der Beigeladene den an der gemeinsamen Grenze befindlichen Zaun. Im mittleren Bereich wurde im Zeitraum 2015/2016 durch diesen ein „Gartenhaus“ und im rückwärtigen Bereich die bestehende Gartenlaube baulich umgestaltet. Im westlichen Bereich des Grundstücks in Höhe des Nebengebäudes der Klägerin wurde eine Überdachung errichtet, die die Fläche zwischen dem Nebengebäude auf dem Grundstück der Klägerin und einem auf dem Grundstück des Beigeladenen befindlichen Gebäudes überdeckt.

Der Beigeladene stellte am 20. Juni 2018 einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung mit Zulassung einer Abweichung für das Vorhaben Errichtung Gartenhaus und Überdachung. Der Abweichungsantrag betrifft die Überdeckung von Abstandsflächen auf dem Grundstück des Beigeladenen.

Nach der dem Bauantrag beigefügten Beschreibung der Maßnahme zur Errichtung des Gartenhauses und der Überdachung hat das Gartenhaus eine Abmessung von 3,09 m x 4,635 m und erfolgt die Nutzung durch Lagern und Abstellen von Gartengeräten, Gartenmöbeln u.s.w. Ferner heißt es dort: „Im großen Raum des Gartenhauses wurde auch eine Spüle installiert, welche zum Beispiel zum Waschen und Putzen der Gartenprodukte dient!“. Ferner heißt es, im Gartenhaus sei als Fußbodenbefestigung Granitsteinpflaster verlegt worden. Nach Textziffer 4.2.5. habe das Gartenhaus zwei Holztüren, eine davon sei eine Schiebetür; der große Raum habe an drei Seiten eine Fensterverglasung. Hinsichtlich des Bereiches zum Grundstück der Klägerin wurde eine Abstandsfläche nicht ausgewiesen, insoweit wurde Bezug genommen auf § 6 Abs. 8 Brandenburgische Bauordnung (BbgBO). Die Grundfläche des Hauptraums im Gartenhaus betrage 8,20 m², die Durchgangshöhe liege bei 2,18 m.

In Bezug auf die Überdachung enthalten die Bauvorlagen keine Aussagen zur Dachentwässerung.

Unter dem 25. Oktober 2018 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen die Baugenehmigung für das Vorhaben „Errichtung Gartenhaus und Überdachung“ auf dem Grundstück R…. Die Baugenehmigung wurde unter einer Abweichung entsprechend § 67 BbgBO erteilt.

Am 14. Oktober 2019 erhob die Klägerin gegen die Baugenehmigung Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, das Gartenhaus sei nicht nach § 35 Abs. 2 BauGB zulässig. Bei dem Bauvorhaben handele es sich um eine Erweiterung. Um eine tatsächliche Wohnnutzung angemessen zu erweitern, werde ein „Küchenbungalow“ geschaffen. Der erforderliche Mindestabstand von 3 m zur Grundstücksgrenze sei nicht eingehalten; eine Privilegierung nicht gegeben. Auch würde bei einer Addition aller Nebengebäude die Höchstgrenze von 15 m überschritten. Hinsichtlich der Überdachung sei es so, dass diese nicht auf dem Grundstück des Beigeladenen, sondern auch auf ihrem Grundstück errichtet worden sei. Einer Überbauung habe sie nicht zugestimmt.

In seiner Stellungnahme vom 28. Oktober 2019 führte der Beigeladene an, dass die Klägerin bis zum Frühjahr 2018 bei ihnen regelmäßig und vorwiegend durch das Tor, welches zwischen Gartenlaube und Holzhaus zu sehen sei, seit über 20 Jahren ein- und ausgegangen sei. Diese habe regelmäßig an Familienfeiern und Feiern im Freundeskreis teilgenommen. Die genannten Baumaßnahmen hätten im Frühjahr 2015 stattgefunden, und zwar während der Zeit der freundschaftlichen Nachbarschaft. Die Klägerin habe alle Bauarbeiten direkt mitverfolgt. Sie habe auch im Garten mitgefeiert. Hinsichtlich der Überdachung führte er aus, diese habe schon zu DDR-Zeiten bestanden und sei nur nach vorne etwas verlängert worden.

Mit Bescheid von 26. November 2019 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin habe ihre öffentlich-rechtlichen Abwehransprüche bereits vor Erteilung der Baugenehmigung verwirkt. Ein materiell-rechtliches Abwehrrecht, welches im Hinblick auf einen Schwarzbau verwirkt werde, lebe bei nachträglicher Legalisierung des Bauvorhabens nicht wieder auf. Materielle Abwehrrechte könnten schon vor und unabhängig von der Erteilung einer Baugenehmigung verwirkt werden. Nachbarn würden in einem besonderen „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis“ zueinanderstehen, welches nach Treu und Glauben von ihnen besondere Rücksichten gegeneinander fordere. Es verpflichte sie, durch ein zumutbares aktives Handeln mitzuwirken, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst niedrig zu halten. Der Nachbar müsse dieser Verpflichtung dadurch nachkommen, dass er nach Erkennen der Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen ungesäumt seine nachbarlichen Einwendungen geltend mache, wenn eben nicht der Grundsatz von Treu und Glauben später entgegenhalten werden solle. Vorliegend hätten die Baumaßnahmen im Frühjahr 2015 stattgefunden und seien noch im selben Jahr fertiggestellt worden. Die Klägerin hätte die Errichtung der Anlagen ohne Weiteres wahrnehmen können. Sie habe solche bei Gelegenheit auch für gut befunden. Bis im Frühjahr 2018 sei ein Widerspruch gegen die Baumaßnahmen nicht erfolgt. Die Mitnutzung der Anlagen auf dem Grundstück des Beigeladenen über Jahre hinweg habe nach den Umständen des Falls nur so verstanden werden können, dass sie gegen den Bau nicht mehr vorgehen werde. Von daher habe der Bauherr auch nicht damit rechnen müssen, dass nach Errichtung der Überdachung sowie des Gartenhauses und deren Nutzung noch ein Nachbar Widerspruch oder einen sonstigen Einwand dagegen erheben werde. Unabhängig davon sei die Baugenehmigung zu erteilen gewesen. Dem Vorhaben stünden öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegen. Insbesondere seien die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 8 Nr. 1 BbgBO zur abstandsflächenrechtlichen Privilegierung des Gartenhauses erfüllt. Eine Gesamtgebäudelänge von 9 m je Grundstücksgrenze werde nicht überschritten. Entsprechendes gelte für die 15-m-Forderung. Insoweit seien nur abstandsflächenrechtlich privilegierte Bebauungen zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Überdachung greife § 6 Abs. 1 S. 3 BbgBO. Auch sei ein Überbau nicht festzustellen. Im Lageplan sei dargestellt worden, dass die Grenze nicht überbaut werde. Nachbarrelevante Vorschriften würden nicht verletzt.

Die Klägerin hat am 23. Dezember 2019 Klage erhoben. Sie trägt vor, zunächst sei der Sachverhalt zu berichtigen dahingehend, dass im Frühjahr 2016 die Überdachung und das Gartenhaus errichtet worden seien. Die Klage sei auch begründet. Ein Verwirkungstatbestand sei nicht erfüllt. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass es nicht allein auf das Zeitmoment ankomme. Es bedürfe vielmehr auch eines Umstandsmomentes. Es bedürfe danach Umstände, wonach der Bauherr darauf schließen hätte können, dass der Nachbar seine Abwehrrechte nicht mehr geltend mache und er infolge dessen sich so eingerichtet habe, dass die verspätete Durchsetzung des Rechts für ihn ein unzumutbarer Nachteil bedeuten würde. Ein derartiges Verhalten liege durch sie – der Klägerin – nicht vor. Das bloße Schweigen zu einem Bauwerk stelle noch keine Willensbekundung dazu dar, die geeignet wäre, einen Vertrauenstatbestand zu begründen. Sie habe sich dazu nicht äußern können, da zu dem Zeitpunkt der Grenzverlauf für sie noch nicht klar gewesen sei. Erst im Frühjahr 2019 habe sie vom genauen Grenzverlauf Kenntnis erlangt. Erst dort sei ein Grenzstein unter dem Fundament der Gartenlaube aufgefunden worden. Sie habe im Jahr 2018 sämtlichen Vorhaben im Grenzbereich widersprochen. Auch stimme es nicht, wenn ausgeführt werde, dass sie sich gegenüber dem Beigeladenen positiv gegenüber der Bauausführung geäußert habe. Wenn sie etwas geäußert habe, dann, dass die Beseitigung ungeordneter Verhältnisse in der Nachbarschaft positiv bewertet werde. Jedoch habe sie im Jahr 2015 noch nicht gewusst, dass der Beigeladenen massiv und vorsätzlich die Grenze mehrfach überbaut habe. Die Teilnahme an etwaigen Feierlichkeiten würde in Bezug auf das Vorhaben einen Vertrauenstatbestand nicht begründen können. Schließlich müsse der Betroffene sein Vertrauen auch betätigt haben. Es mache jedoch keinen Unterschied, ob die Klägerin sofort nach der Errichtung oder erst zwei Jahre später dem Vorhaben widerspreche. Die Bauten seien vollständig hergestellt gewesen. Der Beigeladene habe sich nach der Herstellung nicht durch weitere Vorkehrungen oder Maßnahmen auf den Bestand eingerichtet. Im Übrigen verletzten die Vorhaben materielles Baurecht und sie in ihren Rechten. Die Überdachung sei über die Grenze gebaut und verstoße gegen Abstandsvorschriften und sei auch rücksichtslos. Dass eine Überbauung stattgefunden habe, sei durch die Vermessung im Jahr 2019 festgestellt worden. Auch sei ein Verstoß gegen drittschützende Abstandsregelungen gegeben. § 6 Abs. 1 S. 3 BbgBO greife hier nicht, da die Überdachung teilweise auf ihrem Grundstück liege. Bei einer hypothetischen Überlegung dahingehend, dass die Überdachung durch Beseitigung des Überbaus an der Grenze errichtet werde, fehle es an einer an der Grenze errichteten Außenmauer, so dass ein Grenzabstand gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 BbgBO erforderlich sei. Auch sei unter planungsrechtlichen Gesichtspunkten eine Grenzbebauung nicht zwingend erforderlich. In der näheren Umgebung stelle eine verdichtete Bebauung mit grenzständigen Bebauungen eher die Ausnahme dar. Eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften würde dadurch nicht begründet. Im Übrigen stelle sich das Vorhaben als rücksichtslos dar. Die Bebauung sei in diesem Bereich bereits extrem verdichtet. Aufgrund der Dachneigung zum klägerischen Schuppen sei die Außenwand durch Regenwasser belastet. Die Mauer weise aufgrund des Verbaus Feuchtschäden auf. Diese seien nicht nur auf die wahrscheinlich defekte Verrohrung zur Ableitung des Regenwassers, sondern auf mangelhafte Luftzirkulation und Besonnung zurückzuführen. Die Wand könne dann nicht mehr vollständig austrocknen. Das im Außenbereich errichtete Gartenhaus widerspreche materiellem Baurecht und verletze ebenfalls drittschützende Abstandsvorschriften wie auch das Rücksichtnahmegebot. Das Gartenhaus sei nur im Abstand von 75 cm von der Grundstücksgrenze errichtet. Eine Privilegierung sei nicht gegeben. Mit Blick auf das Gartenhaus und die Gartenlaube sei die vorgegebene Länge überschritten. Auch sei das Vorhaben, welches im Außenbereich gelegen sei wegen Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot unzulässig. Das Gartenhaus werde vom Frühjahr bis zum Herbst als Küche genutzt und sei auch entsprechend ausgebaut. Dort befinde sich nicht nur eine einfache Spüle, sondern eine Küchenspüle mit Aufsatz zum Spülen von Trinkgläsern sowie eine Kochstelle, ein größerer Grill, ein Thermomix, eine Arbeitsplatte, ein Kühl- und Geschirrschrank. Im Sommer seien dort Barhocker aufgestellt. Insoweit finde eine Nutzung des Gartenhauses für Besprechungen oder aber für diverse Veranstaltungen statt. Von diesem Küchenbungalow gingen erhebliche Belästigungen aus. Dessen Nutzung sei mit dem Charakter des Außenbereiches, wonach der hinter liegende Grundstücksbereich der Ruhe und der Erholung dienen solle, nicht vereinbar.

Baugenehmigung für Gartenhaus mit Überdachung
(Symbolfoto: Von Vrijestijl/Shutterstock.com)

Im Übrigen könne ihr eine Verwirkung deshalb nicht entgegengehalten werden, da ein schutzwürdiges Vertrauen des Bauherrn, der unter Verletzung der Grundstücksgrenze ein Gebäude teilweise auf dem Nachbargrundstück errichte, dann nicht entstehen, wenn dieser Überbau für ihn ohne weiteres erkennbar sei, etwa auch deshalb, weil der Bauherr die Grenzsteine selbst überbaut habe. Solange sie keine Kenntnisse von den Umständen habe, die eine Verwirkung hervorrufen könnte bzw. dafür die Voraussetzungen seien, könne auch ein berechtigtes Vertrauen des Bauherrn nicht entstehen. Der Beigeladene habe einen Überbau sowohl bei der Gartenlaube als auch bei dem Anbringen des Schleppdaches vorgenommen. Zudem sei es zu Änderungen im Jahr 2018 gekommen. Erst zu diesem Zeitpunkt sei die intensivere Nutzung aufgenommen worden. Schließlich sei beachtlich, dass die Baugenehmigung ein anderes Vorhaben abdecke als der tatsächliche Nutzungszweck belege. Hierbei sei einzustellen, dass wenn der Bauherr für ein bereits bestehendes Gebäude eine gänzlich andere Nutzung beantragte als er tatsächlich aufnehme, dies die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung zur Folge habe.

Nachdem die Klägerin zunächst lediglich die Aufhebung der Baugenehmigung beantragt hat, erweiterte sie diesen um einen Hilfsantrag mit Schriftsatz vom 24. August 2021 und beantragt nunmehr, die Baugenehmigung des Beklagten vom 25. Oktober 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2019 aufzuheben, hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, im Wege der bauaufsichtlichen Anordnung dem Beigeladenen die Nutzung des mit Bescheid vom 25. Oktober 2018 genehmigten Gartenhauses zu anderen Zwecken als zum Unterstellen von Gartenmöbeln und Gartengeräten sowie zum Waschen und Putzen von Gartenprodukten zu untersagen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er bezogen auf den Hauptantrag auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide. Zum Hilfsantrag führt er aus, dieser sei unzulässig. Vorliegend fehle es an einem vorausgegangenen Verwaltungshandeln. Eine Untätigkeit liege nicht vor.  Ein Anspruch auf Einschreiten sei nie verfahrensgegenständlich gewesen. Soweit nunmehr eine andersartige Nutzung in Rede stehe, sei ein Einschreiten bisher nicht beansprucht worden. Bei dem Termin vor Ort sei es nur um die Gartenlaube gegangen. Die Klägerin habe nicht wie in dem Verfahren betreffs der Gartenlaube ein bauaufsichtliches Einschreiten beantragt. Er habe deshalb keine Gelegenheit gehabt, hierüber zu entscheiden, so dass ein überholender Klageantrag – wie nunmehr gestellt – nicht zulässig sei.

Der Beigeladene trägt vor, im Jahre 2014 sei bezogen auf das Gartenhaus mit den Bauarbeiten begonnen worden (Abriss Altbestand, Gründungsarbeiten, Zuleitungen/Wegebau). Im April/Mai 2015 sei die Holzkonstruktion errichtet, im Mai 2015 seien die Dachklempnerarbeiten ausgeführt worden. Der Fenstereinbau sei im Oktober 2015 erfolgt. In der Holzhütte würden im Winter die Gartenmöbel eingelagert. Im Frühjahr würde die Arbeitsplatte für die Pflanzenaufzucht genutzt, später für das Waschen und Putzen der Gartenprodukte. Es würden Gegenstände zum Grillen vorhanden sein, auch Gläser und Teller. Eine Nutzung als Aufenthaltsraum erfolge jedoch nicht. Es gäbe gelegentlich Besuche und Treffen mit Mitarbeitern im Garten. Die Klägerin habe sich 15 Jahre lang regelmäßig im Garten aufgehalten und kenne die Gegebenheiten ganz genau. Sie hätten die Pläne gemeinsam durchgesprochen. Im Juni 2015 – nach der Rohbaufertigstellung – hätten sie zur Silberhochzeit gemeinsam im Garten gesessen, auch noch später. Sie habe sich immer positiv zu allen Baulichkeiten geäußert. Das Schleppdach sei 1980 erneuert worden. Unter dem Dach sei eine Pflasterung vorgenommen und die Dachentwässerung an den vorhandenen Regenwasserkanal angeschlossen worden. Eine Trockenlegung sei erfolgt. Die Dachentwässerung funktioniere.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die jeweils zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist ohne Erfolg.

1. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung des Beklagten vom 25. Oktober 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2019 nicht zur Seite, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dabei ist festzuhalten, dass die Baugenehmigung letztlich zwei Vorhaben zum Inhalt hat. Diese (Überdachung und Gartenhaus) sind einer gesonderten Betrachtung zugänglich. Die einzelnen Vorhaben sind räumlich getrennt, können gesondert errichtet werden und stehen – wie die nachstehenden Erwägungen zeigen – nicht in einem unauflösbaren rechtlichen Verbund.

1.1. Dabei bedarf es hinsichtlich der Überdachung keiner weiteren Erwägungen, ob dem Anspruch etwaige Gesichtspunkte einer Verwirkung entgegenstehen könnten. Unabhängig von der – hier nicht bekannten – Dauer der Errichtung des Vordaches hat der Beigeladene schon nicht einmal ansatzweise vorgetragen, dass er in Ansehung des „Nichtstuns“ der Klägerin darauf vertraut habe, dass sie etwaige Rechte nicht mehr ausüben werde und mit Blick auf dieses Vertrauen Aufwendungen getätigt hätte. Im Übrigen dürfte hier auch ein Fall vorliegen, wonach ein etwaiges Vertrauen deshalb nicht schutzwürdig sei, da – so die Klägerin – der von ihr als maßgeblich angesehene Aspekt der Überbauung der Grundstücksgrenze erst zu einem Zeitpunkt bekannt wurde, als das Bauvorhaben bereits realisiert worden war.

1.2. Die Klägerin kann allerdings deshalb mit ihrem Begehren nicht durchdringen, da die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung betreffs der Überdachung sie jedenfalls nicht in ihren Rechten verletzt.

1.2.1. Dies gilt zunächst hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Vorschriften des Abstandflächenrechtes. Insoweit ist unstreitig, dass das genehmigte Vorhaben an die Grenze und auch darüber hinaus errichtet wurde. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine solche Errichtung ohne Einhaltung der Abstandsflächen in dem hier relevanten Grundstücksbereich bauordnungsrechtlich zulässig. Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BbgBO ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Planungsrechtlich zulässig ist eine Bebauung an der Grundstücksgrenze ohne Einhaltung der Abstandsflächen nur, wenn in der maßgeblichen näheren Umgebung eine geschlossene Bauweise vorhanden ist und eine solche auch die in Rede stehende überbaubare Grundstücksfläche erfasst. Insoweit ist anerkannt, dass etwa bei einer geschlossenen Bauweise am Blockrand eines Straßenviertels Gebäude hinsichtlich der Bebauungstiefe (nur) insoweit ohne Abstandsflächen an der Grenze bebaut werden dürfen, als das Vorhaben im rückwärtigen Blockinnenbereich eine faktisch vorhandene Baugrenze nicht überschreitet (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. März 2013 – 10 B 4.12 –; Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 10 N 47.14 –, jeweils juris).

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Für die Frage, ob ohne Abstandsflächen auf einem Baugrundstück gebaut werden darf, genügt es nicht, allein festzustellen, ob etwa im straßennahen Bereich eine geschlossene Bauweise vorherrschend ist. Die bauplanungsrechtlichen Vorschriften hierzu, vgl. § 34 Abs. 1 BauGB bzw. § 22 Abs. 2 Satz und Abs. 3 BauNVO, zeigen, dass die Regelung über die Bauweise lediglich die Anordnung des Gebäudes auf dem Grundstück im Verhältnis zur seitlichen Grenze des Nachbargrundstücks bestimmt. Für die Frage der Erforderlichkeit von Abstandsflächen bzw. dafür, ob Außenwände an der Grundstücksgrenze errichtet werden dürfen, ist darüber hinaus ferner maßgeblich, ob sich das Vorhaben nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Dies ist jedenfalls in Bezug auf die geschlossene Bauweise dann der Fall, wenn eine hintere Baugrenze insoweit vorhanden ist. Für die Bestimmung der hinteren Baugrenze kommt es zunächst auf die Hauptanlage an. Nebenanlagen sind auszublenden, sofern ihnen die maßstabsbildende Kraft fehlt; für sie gelten, wie auch § 23 Abs. 5 BauNVO zeigt, gesonderte planungsrechtliche Vorschriften. Für die Frage der Bestimmung der maßgeblichen faktischen hinteren Baugrenze bedeutet dies, dass Nebengebäude letztlich nur dann beachtlich sind, wenn es ihnen an der räumlich-gegenständlichen Unterordnung fehlt. Diesen kann dann eine maßstabsbildende Kraft nicht abgesprochen werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. August 2014 – 2 S 65.13 – juris).

1.2.2. Vorliegend ist es sachgerecht, als maßgebliche Umgebung den von der Straße A… bis zum B…in die Betrachtung einzustellen. In diesem Bereich befinden sich bauliche Anlagen mit und ohne Grenzabstand als Hauptnutzungen am Straßenrand. Für den rückwärtigen Bereich ist kennzeichnend, dass derartige Anlagen unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtet sind. Dabei erfassen diese Anlagen von der Straße aus gesehen auch den rückwärtigen Bereich in Höhe der Überdachung. Dies gilt etwa für das Gebäude auf dem Grundstück der Klägerin (Flurstück 1…) und entsprechenden für das großräumige Nebengebäude auf dem Flurstück 1…. Insoweit ist zwar einzustellen, dass die Rechtsprechung eine Prägung dahingehend verlangt, dass die Umgebungsbebauung sowohl von der geschlossenen als auch von einer nicht geschlossenen Bebauung geprägt wird. Danach dürften einzelne Bauvorhaben, die im Gegensatz zu der Bebauung, die sonst in der näheren Umgebung zu finden ist, nicht maßstabsbildend sein (vergleiche hierzu: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Februar 2019 – 2 B 5.16 – juris Rn. 29). Allerdings kann ein Abstandsflächenerfordernis dann nicht bejaht werden, wenn nur ein kleiner Abschnitt der Bebauung heranzuziehen ist und dieser die eine wie die andere Bauweise aufweist. So liegt der Fall hier in Bezug auf die Hauptnutzungen und erst Recht in Ansehung der Nebenanlagen. Im Übrigen ist mit Blick auf die Nebenanlagen auf dem Flurstück des Beigeladenen und insbesondere dem Flurstück 1…festzuhalten, dass diesen die räumliche Unterordnung zu den Hauptnutzungen fehlt und mithin auch als maßstabsbildend herangezogen werden können. Von daher ist eine Bebauung an der südlichen Grundstücksseite vorgegeben und auch in der hier gegebenen Tiefe angezeigt. Auffällig ist, dass die nun verlängerte Dachkonstruktion baulich mit dem Nebengebäude der Klägerin im östlichen Grundstücksbereich abschließt.

1.2.3. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf § 13 BbgBO berufen. Danach müssen bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und gebrauchstauglich sein, dass durch Wasser, Feuchtigkeit, pflanzliche und tierische Schädlinge sowie andere chemische, physikalische oder biologische Einflüsse Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen. Hierbei kann offenbleiben, ob – was zwischen den Beteiligten streitig ist – die Dachentwässerung dergestalt war, dass es dadurch an der Wand des Nebengebäudes auf dem Grundstück der Klägerin zu Feuchtigkeitserscheinungen gekommen ist. Auch wenn die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung hierzu keine hinreichenden Aussagen enthält und Unklarheiten zulasten des Bauherrn gehen, muss vorliegend eingestellt werden, dass mittlerweile eine Ableitung des Regenwassers baulich vollzogen wurde, die selbst nach Einschätzung der Klägerin das Problem gelöst hat. Von weiteren Nässeeinträgen wird nicht berichtet. Von daher wäre unabhängig von der Frage, ob das Maß der Einwirkungen die Zumutbarkeitsschwelle überschritten hat oder überschreiten kann, zu berücksichtigen, dass bei dem jetzt gegebenen Zustand die Baugenehmigung dem Beigeladenen sofort wieder erteilt werden müsste. Insoweit ist anerkannt, dass Änderungen zugunsten des Bauherrn beachtlich und für den Nachbarn schädlich sind bzw. sein können.

Soweit – dies unterstellt – sich erst nachträglich, allerdings noch innerhalb der Klägerin zur Verfügung stehenden Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels, herausgestellt hat, dass der Grenzverlauf sich von dem unterscheidet, wie er zum Gegenstand der angegriffenen Baugenehmigung gemacht wurde, führt auch dies nicht zum Erfolg der Klage. Zwar ist nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BbgBO ein Gebäude auf mehreren Grundstücken nur zulässig, wenn öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass dadurch keine Verhältnisse eintreten können, die Vorschriften dieses Gesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes widersprechen. Allerdings kommt dieser Regelung für sich eine nachbarschützende Funktion nicht zu. Hierbei ist einschlägig, dass ein etwaiger Überbau nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts nicht verletzt. Die Bauordnung ist den Eigentumsverhältnissen gegenüber neutral. Sie wird auch nach brandenburgischen Recht unbeschadet der Rechte Dritter erteilt (§ 72 Abs. 5 BbgBO). Kann danach eine Baugenehmigung, welche einen Überbau zulässt, nicht mit einer verwaltungsrechtlichen Anfechtungsklage abgewehrt werden, muss dies auch dann gelten, wenn Gegenstand der Baugenehmigung ein Vorhaben ist, welches direkt an der Grundstückgrenze errichtet werden soll. Der Umstand, dass insoweit – dies unterstellt – die Bauvorlagen den tatsächlichen Eigentumsstand nicht ordnungsgemäß wiedergeben, vermittelt für sich keinen öffentlich-rechtlichen Anspruch des Nachbarn auf Aufhebung der darauf ergangenen Baugenehmigung (vgl. zu allem: OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 29. Januar 2020 – 3 LB 49/15 –, juris Rn. 31 ff. m.w.N.).

Wenn die Klägerin eine gefahrgeneigte Nutzung der Fläche unterhalb der Überdachung anspricht (Lagern von Fässern mit feuergefährlichen Stoffen), ist dies für die hier in Rede stehenden Genehmigung der baulichen Anlage ohne Relevanz.

2.  Soweit die Klägerin gegen die das Gartenhaus legalisierende Baugenehmigung des Beklagten vorgeht, bleibt die Klage ebenso ohne Erfolg. Die Klägerin hat den dies voraussetzenden materiell-rechtlichen Anspruch verwirkt.

2.1. Der Rechtsgedanke der Verwirkung als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben ist auch im öffentlichen Recht anwendbar. Dieser Einwand setzt neben dem Zeitablauf voraus, dass der Inhaber eines materiellen oder prozessualen Anspruchs oder Gestaltungsrechts innerhalb eines längeren Zeitraums unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. September 2018 – 4 B 34.18 – juris Rn. 15 ff.; vom 23. Dezember 2015 – 2 B 40.14 – juris Rn. 21; vom 11. Februar 1997 – 4 B 10.97 – juris Rn. 2 [für ungenehmigte Vorhaben]; und vom 5. September 2014 – 4 B 35.14 – juris Rn. 2 m.w.N., Urteil vom 16. Mai 1991 – 4 C 4.89 – juris Rn. 18 ff.).

Für eine Verwirkung kommt es darauf an, ob der Berechtigte während eines längeren Zeitraums ein ihm zustehendes Recht nicht geltend macht, obwohl er hierfür Anlass hat, und ob sein Verhalten geeignet ist, bei dem Verpflichteten den Eindruck zu erwecken, der Berechtigte werde sein Recht nicht (mehr) ausüben. Die Verwirkung eines Rechts setzt außer der Untätigkeit des Berechtigten während eines längeren Zeitraums (sog. Zeitmoment) ferner voraus, dass besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (sog. Umstandsmoment).

Was die Länge der Zeit anbetrifft, während der ein Recht nicht ausgeübt worden ist, obwohl dies dem Berechtigten möglich gewesen wäre, lassen sich grundsätzlich keine allgemeingültigen Bemessungskriterien nennen. Die Dauer des Zeitraums der Untätigkeit des Berechtigten, von der an im Hinblick auf die Gebote von Treu und Glauben von einer Verwirkung die Rede sein kann, hängt entscheidend von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Die Untätigkeit des Berechtigten während eines längeren Zeitraums verstößt insbesondere dann gegen Treu und Glauben, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. September 2018 – 4 B 34.18 – juris Rn. 15 m.w.N.).

Im Rahmen des Rechtsinstituts der Verwirkung kommt dem Umstandsmoment nach dem Verstreichenlassen eines Zeitraums, nach dem mit einem Tätigwerden schlechthin nicht mehr zu rechnen war, gegenüber dem Zeitmoment kein maßgebliches Gewicht mehr zu (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 9. Oktober 2014  8 B 12.1546 juris Rn. 18 m.w.N.; zustimmend: Charnitzky/Rung, Die Verwirkung nachbarlicher Abwehrrechte im Baurecht, BauR 2016, 1406 [1414]).

Der Rechtsgedanke der Verwirkung schützt das in das Verhalten des anderen gesetzte Vertrauen. Wo die letztlich schadensverursachende Maßnahme – also etwa die Bauarbeiten – nicht auf einem solchen Vertrauen beruht, sondern unabhängig von einem eventuellen Vertrauen vorgenommen worden ist, kann insoweit keine Verwirkung eintreten (vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Juni 2014 – 2 A 2757/12 – juris Rn. 133 f. m.w.N.; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 8. März 2012 – 10 A 214/10 – juris Rn. 48.).

Die Betätigung des Vertrauens wird dabei häufig in einer weiteren Bautätigkeit bestehen. Grundsätzlich ist aber jedes im Vertrauen auf ein künftiges Unterbleiben von Einwendungen des Nachbarn gegen eine bauliche Anlage an den Tag gelegte Verhalten des Bauherrn geschützt, durch das er sich auf den bestehenden Zustand eingerichtet hat und dessen spätere Änderung zu nicht unerheblichen Belastungen für ihn führen würde (vgl. zu allem: OVG NRW, Urteil vom 04. Dezember 2020 – 2 A 560/17 – juris).

Im Übrigen ist anerkannt, dass das materielle Recht auch gegenüber ungenehmigten Bauvorhaben verwirkt werden kann. Nachbarn stehen in einem besonderen „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis“ zueinander, das nach Treu und Glauben von ihnen besondere Rücksichten gegeneinander fordert. Es verpflichtet sie, durch ein zumutbares aktives Handeln mitzuwirken, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst niedrig zu halten; der Nachbar muss dieser Verpflichtung dadurch nachkommen, dass er nach Erkennen der Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen ungesäumt seine nachbarlichen Einwendungen geltend macht, wenn ihm nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegengehalten werden soll, weil er mit seinen Einwendungen länger als notwendig gewartet hat (BVerwGE 44, 294, 299 f., allerdings zur Bedeutung von Treu und Glauben für verfahrensrechtliche Rechte). Ob der Bauherr im Besitz einer Baugenehmigung ist, ist im Hinblick auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis unerheblich. Zur Wahrung seiner materiellen Rechte kann je nach den Umständen des Einzelfalles schon ein deutlicher Widerspruch des Nachbarn gegenüber dem Bauherrn genügen; ergänzend kann ferner bei Schwarzbauten gegenüber der Bauaufsichtsbehörde ein Anspruch auf Einschreiten in Betracht kommen. Entscheidend ist allein, ob der Nachbar in Kenntnis der ihn beeinträchtigenden Baumaßnahmen widerspruchslos hinnimmt, dass der Bauherr weitere Investitionen tätigt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. März 1988 – 4 B 50/88 –, darauf Bezug nehmend: BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 1997 4 B 10/97 – jeweils juris).

2.2. Von einer solchen Sachlage ist hier auszugehen.

2.2.1. Zunächst ist das Zeitmoment gegeben. Die Realisierung des Vorhabens hat sich fast ein ganzes Jahr hingezogen. Zur Überzeugung der Kammer wurde mit der Errichtung des Gartenhauses Ende 2014 begonnen und das Vorhaben jedenfalls nicht vor dem Einbau der Fenster und dem Anbringen des Rollos im Oktober/Dezember 2015 beendet.

Dies lässt sich mit hinreichender Sicherheit aus den von dem Beigeladenen vorgelegten Dokumenten sowie dem Inhalt der mündlichen Verhandlung ableiten. Mit seinem Schriftsatz vom 25. August 2021 legte der Beigeladene Fotos und Rechnungen vor, die das Baugeschehen nachvollziehbar aufzeichnen. Dabei bedarf es hier keiner Entscheidung, ob die Rechnungen nur das Gartenhaus oder aber andere Bauvorhaben des Beigeladenen betreffen bzw. bestimmte Maßnahmen in den Rechnungen zusammengefasst wurden. Hier genügt es, den Bauablauf im Groben nachzuzeichnen. So finden sich Aufnahmen vom Altbestand im Jahr 2014, der im Jahr 2015 nicht mehr vorhanden war. Auch belegt die Rechnung der Firma S… vom 08. September 2015 die Lieferung von Holz unter dem Betreff Grillplatzüberdachung/Gartenhäuschen. Dies passt zeitlich zu der Rechnung der Tischlerei G…vom 07. Oktober 2015, nach der die Schiebefenster, eine Schiebetür und einer Gartenhaustür am 5. Oktober 2015 geliefert und montiert wurden. Dies setzt – so wie es auch die Ehefrau des Beigeladenen als Zeugin vermerkte – voraus, dass der Rohbau des Gartenhäuschens zu diesem Zeitpunkt schon vorhanden gewesen ist. Auch haben der Beigeladene sowie die Zeugin übereinstimmend ausgeführt, dass zur Silberhochzeit (Juni 2015) das Gartenhaus mit Ausnahme der erst später eingebauten Türen und Fenster schon vorhanden und zu diesem Ereignis genutzt worden sei. Für den Wahrheitsgehalt dieser Aussage spricht die eindeutige Zuordnung zu einem wichtigen Ereignis und die detaillierte Beschreibung der Nutzung hierfür. Auch hatte der Beigeladene vorgetragen, dass zu diesem Ereignis ein Kühlschrank geschenkt wurde, der sofort im Gartenhaus aufgestellt worden sei. Dies belegt einerseits, dass die Errichtung des Rohbaus sich bis in den Juni 2015 hinzog und zudem noch bis Ende Oktober 2015/Dezember 2015 Maßnahmen zur Fertigstellung bzw. umfassenden Innutzungnahme realisiert wurden. Die Klägerin hatte mithin nahezu ein Jahr lang Zeit, einerseits von der Baumaßnahmen Kenntnis zu nehmen und andererseits sich gegenüber dem Beigeladenen oder aber der Bauaufsicht dahingehend zu erklären, dass sie mit der Baumaßnahmen nicht einverstanden ist bzw. dahingehende Rechtsmittel einzulegen. Dies ist erkennbar nicht erfolgt. Wenn die Klägerin die Errichtung des Gartenhauses zeitlich in das Frühjahr 2016 einordnet, hat sie dafür Belege nicht erbracht. Auch hat ihr Prozessbevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 03. Mai 2021 selbst vermerkt, dass nach der Errichtung des Gartenhauses im Jahr 2015 der Beigeladenen nur wenig später, nämlich im Sommer/Herbst 2016, Änderungen an der Gartenlaube vorgenommen habe (Bl. 57 GA).

Sofern es die von der Klägerin angesprochene (relevante) Nutzung betrifft, ist auch hier eine Erkennbarkeit jedenfalls zum Zeitpunkt der Silberhochzeit und des nachfolgenden Geburtstages des Beigeladenen (Juli), zu denen die Klägerin – nach den übereinstimmenden Angaben der Zeugin und des Beigeladenen und letztlich von der Klägerin, die sich auf Befragen nicht erinnern konnte, nicht substantiiert bestritten – eingeladen und anwesend war, einzustellen. Nach dem Vorbringen der Zeugin sowie des Beigeladenen wurde das Gartenhaus nicht nur zum Waschen und Putzen von Gemüse und reinen Gartentätigkeiten genutzt, sondern auch um Lebensmittel abzustellen, Getränke zu kühlen und Gläser abzuwaschen, letztlich für die Freizeitnutzung in diesem Bereich des Grundstücks. Auch konnten der Klägerin zu diesem Zeitpunkt die Maße am Bau sowie die Ausstattung mit großzügigen Fensterbereichen nicht verborgen geblieben sein bzw. hätte sie dieses mit Blick auf den damaligen Stand der Beziehungen zu dem Beigeladenen ohne weiteres erfragen können. Es liegt also kein Fall vor, wonach der Aspekt einer Verwirkung deshalb nicht greifen könnte, da der Berechtigte von den maßgeblichen Umständen keine Kenntnis hätte haben können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 2020 – 2 B 38/19 – juris Rn. 12). Hierbei genügt die Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen. Ob und inwieweit aus diesen Rechtsansprüche abgeleitet werden können, ist für die Frage der Verwirkung ohne Belang.

2.2.2. Die hier in Rede stehenden Zeiträume – einmal bis zur Errichtung des Rohbaus und sodann bis zur Fertigstellung – sind auch hinreichend lang. In diesen Zeiträumen (ca. 6 Monate, sodann ca. 3 Monate) kann auch erwartet werden, dass etwas unternommen wird, um dem – hier unterstellt – rechtswidrigen, Nachbarrechte verletzenden Zustand zu begegnen. Der Klägerin verblieb insoweit ein hinreichender Zeitraum, der deutlich länger ist als der üblicherweise für die Einlegung eines Rechtsmittels zur Verfügung stehende. Schließlich ist auch der Vertrauenstatbestand erfüllt. Der Beigeladene durfte sich darauf einrichten und einstellen, dass seitens der Klägerin Maßnahmen, die Errichtung des Gartenhauses betreffend, nicht (mehr) eingeleitet werden. Dieses Vertrauen hat er durch die endgültige Fertigstellung des Vorhabens hier insbesondere den Einbau von Fenstern und Türen und die Anschaffung des Rollos auch betätigt.

2.3. Dem Erlass der Baugenehmigung vom 25. Oktober 2018 kommt hinsichtlich des Verwirkungsgesichtspunkts keine weitergehende Bedeutung zu. Anders wäre es nur dann, wenn mit dieser dem Beigeladenen als Bauherrn weitergehende – nachbarbezogene – Recht eingeräumt worden wären (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 31. Juli 2020 – 15 B 19.832 – juris Rn. 30). Dies ist hier aber nicht der Fall.

2.3.1. Die Baugenehmigung des Beklagten vom 25. Oktober 2018 nimmt das Gartenhaus so auf, wie es errichtet wurde. Dies belegen die zum Gegenstand der Genehmigung gemachten Bauvorlagen, bei denen keine Zeichnungen von den Ansichten, sondern Fotos von der schon bestehenden Baulichkeit beigefügt wurden.

Auch geht die Genehmigung rechtlich nicht über das mit dem realisierten Bauvorhaben schon Vorhandene hinaus.

Zwar mag die in der Baugenehmigung zum Ausdruck gebrachte Auffassung hinsichtlich der Vereinbarkeit des Vorhabens mit den Vorschriften des Abstandsflächenrechts nicht mit den Vorschriften der Brandenburgischen Bauordnung in Übereinstimmung gebracht werden können, jedoch war der Verstoß insoweit auch schon vor Erlass der Baugenehmigung vorhanden.

2.3.2. Entgegen der Ansicht des Beklagten greift die Privilegierung nach § 6 Abs. 8 BbgBO hier schon deshalb nicht, da die vorgesehene Gebäudelänge je Grundstücksgrenze von 9 m überschritten wird. Maßgeblich ist die Grundstückslänge des Baugrundstücks, so dass es nicht darauf ankommt, ob sich an der Grenze des Baugrundstücks mehrere Nachbargrundstücke befinden bzw. welcher Teil zu dem Grundstück des klagenden Nachbarn gehört (vgl. Langer in Reimus/Semptner/Langer, Brandenburgische Bauordnung, Kommentar, 4. Aufl. Rn. 66 zu § 6; Dhom, in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Kommentar, Stand Dezember 2019, Rn. 563 zu Art. 6; insoweit missverständlich: Otto/Kemper/Schulz, Abstandsflächenrecht für Berlin und Brandenburg, Rn. 326, wonach sich die Zahl der Grundstücksgrenzen aus den dahinterliegenden, unmittelbar angrenzenden Grundstücken ergeben soll). Bei der Gebäudelänge im Sinn der genannten Vorschrift sind die Dachüberstände einzurechnen (vgl. Otto, Brandenburgische Bauordnung, 4. Aufl., Rn. 383 zu § 6). Zwar bestimmt § 6 Abs. 6 Nr. 1 BbgBO, dass bei der Bemessung der Abstandsflächen vor die Außenwand hervortretender Bauteile wie Gesimse oder Dachüberstände außer Betracht bleiben. Allerdings trifft der Gesetzgeber in § 6 Abs. 8 BbgBO eine anderweitige Regelung nämlich dahingehend, dass die Gebäudelänge (nicht die Wandlänge; vgl. insoweit Otto/Kemper/Schulz, a.a.O. Rn 324) beachtlich ist. Auch in Ansehung des Regelungsinhalts, wonach die in § 6 Abs. 8 BbgBO genannten Gebäuden ausnahmsweise an der Grundstücksgrenze zulässig sind, erscheint eine engere Auslegung sachgerecht, sodass etwaige Dachüberstände, die dann letztlich auch nicht mehr definiert wären, nicht herausgerechnet werden können. Ist dem so, sind die beiden auf dem Grundstück des Beigeladenen befindlichen im rückwärtigen Bereich belegenen Gebäude (Gartenhaus und Gartenlaube) mit einer Breite von 3,625 m und mindestens 6 m in Ansatz zu bringen. Dies folgt schon aus dem vom Beigeladenen im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens selbst eingereichten Lageplan mit Eintrag der Abstandsflächen vom 20. März 2018. Dort wird die Breite der Gartenlaube mit 6 m angegeben. Sofern die Breite des Gartenhauses dort mit 3.09 m vermerkt wurde, ist dies nicht zutreffend, da aus der weiteren Planzeichnung und dem Grundriss des Gartenhauses der Dachüberstand abgeleitet werden kann und mit der genannten Breite einzustellen ist.

Zudem greift die Privilegierung deshalb nicht, da sie nur für Gebäude ohne Aufenthaltsräume besteht, das Gartenhaus aber selbst einen Aufenthaltsraum aufweist.

Nach § 2 Abs. 5 BbgBO sind Aufenthaltsräume Räume, die zu einem nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind. Es dürften beide Voraussetzungen erfüllt sein.

Für die Annahme eines Aufenthaltsraums im Sinne der Vorschrift ist nicht erforderlich, dass dieser für einen dauerhaften Aufenthalt vorgesehen ist. Ausreichend ist ein längerer Aufenthalt, der von Menschen gewollt oder möglich sein muss. Keine Aufenthaltsräume sind solche, die nicht oder nur vorübergehend, also nur für kürzere Zeit zum Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind. Insoweit ist anerkannt, dass unter Aufenthaltsräumen etwa auch Kochküchen gehören, hingegen als Aufenthaltsräume nicht solche gesehen werden, die nur zur gelegentlichen Aufenthalt genutzt werden, wie Bügel-Nähräume, Fitnessräume, Lagerräume.

Vorliegend ist zunächst einzustellen, dass der Hauptraum im Gartenhaus ohne weiteres als Aufenthaltsraum geeignet ist. Nach den Vorgaben des § 47 BbgBO müssen Aufenthaltsräume eine lichte Raumhöhe von mindestens 2,40 m haben. Dies gilt nicht für Aufenthaltsräume in Wohngebäuden der Gebäudeklasse 1 und 2 sowie für Aufenthaltsräume im Dachgeschoss. Dabei dürfte es hier nicht darauf ankommen, dass es sich bei dem Gartenhaus nicht um ein Wohngebäude handelt. Auch wenn im Übrigen streng zwischen Wohngebäuden und sonstigen Wohnformen etwa des Freizeit- oder Ferienwohnens zu differenzieren ist, spielen hier bauplanungsrechtliche Aspekte keine Rolle. Es geht vielmehr um die Wahrung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Von daher kann auch für ein Gartenhaus Entsprechendes in Ansatz gebracht werden. Hier ist eine Raumhöhe von mehr als 2 m gegeben, die jedenfalls die Nutzung als Aufenthaltsraum ermöglicht. Auch ist nicht zweifelhaft, dass den Anforderungen nach § 47 Abs. 2 BbgBO entsprochen wird. Das Gartenhaus verfügt über eine Tür und ist mit Fenstern ausgestattet. Die Fenstergröße genügt ersichtlich den sich aus § 47 Abs. 2 Satz 2 BbgBO ergebenden Anforderungen, da ein Fenster an der schmalen Hausseite über die gesamte Front geht und links und rechts an den langen Wänden ebenfalls noch Fensterflächen vorhanden sind. Das erforderliche Maß einer Grundfläche von 8 m² (1 m²) wird damit deutlich überschritten.

Auch muss schon mit dem in der Baugenehmigung aufgenommenen Nutzungszweck davon ausgegangen werden, dass der Raum nicht nur vorübergehend genutzt wird. Hierbei ist beachtlich, dass der Raum mit einer Spüle ausgestattet wurde und das gesamte Gartenhaus eine hochwertige Ausstattung aufweist (Schiebetür/Granitsteinpflaster als Fußbodenbelag, großräumige Fensterfronten). Dies alles rechtfertigt die Annahme, dass der Raum nicht nur kurzfristig, sondern auch länger genutzt wird bzw. genutzt werden kann. Insoweit vermittelt auch die Baubeschreibung keine hinreichenden Abgrenzungskriterien. Insbesondere wird dort nicht vermerkt, dass die Spüle nur für unmittelbare Gartentätigkeiten genutzt wird, vielmehr wird dies nur als Beispiel genannt. Zudem fehlt ein Hinweis dahingehend, dass nur eigene Gartenprodukte behandelt werden sollen. Von daher ist es unter Beachtung des vorgegebenen Nutzungszwecks, der Ausstattung es nicht zweifelhaft, dass ein Aufenthaltsraum vorliegt. Die fehlende Privilegierung nach abstandsrechtlichen Vorschriften ist die Folge.

Die erforderlichen Abstandsflächen hält das Gartenhaus erkennbar nicht ein.

Betrachtungen zu einem etwaigen Etikettenschwindel müssen daher nicht angestellt werden. Auch wenn grundsätzlich – so der Beklagte – von dem vom Bauherrn unterbreiteten Nutzungszweck auszugehen ist und eine aufwändige Ausstattung eines Gartengerätehauses/Abstellgebäudes mit Glastüren und bodentiefen Fenstern nicht für sich bedeutet, dass dieses zu Aufenthaltszwecken genutzt werden soll (vergleiche hierzu VG Köln, Urteil vom 1. Oktober 2013 – 2 K 6059/12 – zitiert nach Schulte Beerbühl, a.a.O. Rn. 62), geht die von dem Beigeladenen zum Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens gemachte Nutzung über ein bloßes Abstellen von Sachen und Gegenständen erkennbar hinaus. Eine nur kurzfristige Nutzung des Gebäudes bei einem nicht eng begrenztes Handlungspektrum ist nicht vorgesehen.

Genau dieses Handlungsspektrum bzw. die Nutzung der Räumlichkeiten, die über ein bloßes Abstellen von Gartengeräten und ähnlichem hinausgeht, konnte der Klägerin aber nicht verborgen geblieben sein. Unabhängig davon, was zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen bzw. dessen Ehefrau besprochen wurde, kannte die Klägerin die Größe der Baulichkeit und ihr war auch dessen mögliche Nutzung bekannt. Das Gartenhaus wurde angesichts der Feierlichkeiten zum Unterstellen von Speisen und Getränken und als Küchenersatz (etwa zum Spülen von Gläsern) genutzt.

Selbst wenn die Klägerin die wahren Nutzungsabsichten noch nicht überschauen konnte (Küchenpavillion), muss ihr jedenfalls die Funktion als Aufenthaltsraum – wie ausgeführt – als bekannt entgegengehalten werden, so dass die Ausweisung der Nutzung für sich – hinsichtlich der Abstandsflächen – keine neue Qualität bedeutet.

Die von der Klägerin problematisierte (neue) Grenzsituation ist für das hier in Rede stehende Bauvorhaben ohne Bedeutung. Die bauliche Hülle erfasst das Grundstück der Klägerin nicht. Auch stellt sich die Abstandsflächenproblematik hier nicht wesentlich anders dar. Eine deutliche Überschreitung der erforderlichen Abstandsfläche war auch schon vor der neuerlichen Grenzvermessung gegeben.

3. Die Klägerin kann auch mit ihrem Hilfsantrag nicht durchdringen.

Der Antrag ist nicht zulässig. Der Hilfsantrag in der vorliegenden Form ist als Klageänderung im Sinne des § 91 VwGO anzusehen. Es handelt sich um einen nachgeschobenen Hilfsantrag (vgl. hierzu: W.-R. Schenke, in Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 26. Aufl. Rn. 2 zu § 91). Ein Fall des § 173 VwGO, § 264 Nr. 2 ZPO liegt nicht vor. Vorliegend wird der Klagegrund gewechselt. Es geht der Klägerin mit ihrem Hilfsantrag nicht mehr um die Aufhebung der nach ihrer Ansicht rechtswidrigen Baugenehmigung, sondern um das Begehren auf ein bauaufsichtliches Einschreiten hinsichtlich einer nicht baugenehmigungskonformen also davon abweichenden Nutzung. Damit ist nicht mehr die Baugenehmigung selbst Streitgegenstand, vielmehr wird sie in ihrem Bestand vorausgesetzt. Dadurch unterscheidet sich dieser Fall von dem einer Stufenklage oder aber eines Folgenbeseitigungsanspruchs, der mit dem ursprünglichen auf Aufhebung des Verwaltungsaktes (Baugenehmigung) geführten Verfahren verfolgt werden kann, ohne an die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 91 VwGO gebunden zu sein (vgl.  W.-R. Schenke, a.a.O., Rn. 10 zu § 91).

Nach § 91 Abs. 1 VwGO ist eine Änderung der Klage zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder aber das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

Hier fehlt es zunächst an der Einwilligung aller Beteiligten. Der Beklagte hat in seinem Schriftsatz vom 01. September 2021 die Klagänderung als unzulässig angesehen. Voraussetzung der Einwilligung ist ein sachliches Einlassen auf das neue Begehren. Keine Einlassung liegt vor, wenn zwar nicht die Zulässigkeit der Klageänderung, wohl aber – wie hier – die Zulässigkeit der geänderten Klage bestritten wird (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, Kommentar, 15. Aufl., Rn. 28 m.w.N.) Für die Frage, ob eine Einwilligung vorliegt, kommt es nur auf das gezeigte Prozessverhalten, nicht auf dessen Begründetheit an (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999 – 4 C 4/98 – juris Rn. 18).

Die Klageänderung ist auch nicht sachdienlich. Hierbei ist einerseits einzustellen, dass der Beklagte selbst eine Prüfung des neuen Begehrens in Aussicht gestellt hat und im Übrigen der Hilfsantrag eine Reihe von Fragen aufwirft – sei es im Tatsächlichen wie im Rechtlichen – die einer Erledigung des Verfahrens weiter verzögern würde. So wären unabhängig von den bereits angesprochenen Fragen des Bauordnungsrechts auch solche des Bauplanungsrechts in den Blick zu nehmen, insbesondere, ob die tatsächliche Nutzung von der genehmigten abweicht und mit dem Rücksichtnahmegebot vereinbar ist.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Von einer Überbürdung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen auf die Klägerin ist abzusehen, da der Beigeladene einen Antrag nicht gestellt und sich somit auch einem Kostenrisiko nicht ausgesetzt hat.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, §§ 708 ff. ZPO.

 

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