OLG Köln – Az.: 20 U 62/14 – Urteil vom 07.10.2014
Die Berufung der Klägerin gegen das am 7. März 2014 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen – 9 O 202/13 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin verfolgt gegen die Beklagte Ansprüche aus einer bei dieser unterhaltenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Die Parteien streiten vor allem darum, ob eine Klausel für solche Personen, die – wie die Klägerin – bei Eintritt der Berufsunfähigkeit in einem Ausbildungsverhältnis gestanden haben, Vertragsgegenstand geworden ist. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die tatbestandlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 7. März 2014 abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, Ansprüche aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung stünden der Klägerin nicht zu, weil die Beklagte sie – in Anwendung der Ausbildungsklausel, die Gegenstand des Vertrages sei – zu Recht abstrakt auf einen anderen Ausbildungsberuf (Ausbildung zur Bürokauffrau oder Ausbildung zur Fachangestellten für Arbeitsmarktdienstleistungen) verwiesen habe.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie sich gegen die Annahme des Landgerichts, die Ausbildungsklausel sei Vertragsbestandteil geworden, wendet. Diese Klausel sei im Versicherungsschein nicht angeführt; dieser habe die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich. Jedenfalls weiche die Annahmeerklärung der Beklagten von ihrer, der Klägerin, Erklärung im Antrag ab, so dass die Bestimmung des § 150 Abs. 2 BGB zur Anwendung komme. Den neuen Antrag (ohne die Klausel) habe sie, die Klägerin, konkludent angenommen. § 5 VVG greife nicht ein, weil es sich um eine Schutzbestimmung zugunsten des Versicherungsnehmers handele. Selbst wenn § 5 VVG Anwendung finden sollte, habe der Versicherungsnehmer bei unterlassener Belehrung ein Wahlrecht.
Ausgehend davon, dass die Klausel nicht Vertragsbestandteil geworden sei, sei die Klage begründet, weil die Beklagte bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit anerkannt habe. Auf den aktuell ausgeübten Beruf könne sie nicht verwiesen werden.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Aachen vom 7. März 2014 – 9 O 202/13 –
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 24.636,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit jeweils Monatsersten
a) aus je 742,00 EUR von Februar 2011 bis August 2011,
b) aus je 786,52 EUR von September 2011 bis August 2012 und
c) aus je 833,71 EUR von September 2012 bis Mai 2013 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 877,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit jeweils Monatsersten
a) aus je 31,80 EUR von Februar 2011 bis August 2011,
b) aus je 33,71 EUR von September 2011 bis August 2012 und
c) aus je 35,73 EUR von September 2012 bis Mai 2013 zu zahlen,
3. die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Juni 2013 aus der Berufsunfähigkeitsversicherung Nr. 4.x 5xx 6xx.9x Rente in Höhe von monatlich 833,71 EUR für die Zeit der Berufsunfähigkeit, längstens bis zum 31.08.2052, zu zahlen, zahlbar jeweils monatlich im Voraus,
4. die Beklagte zu verurteilen, sie ab Juni 2013 aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Lebensversicherung Nr. 4.x 5xx 6xx.9x für die Zeit der Berufsunfähigkeit, längstens bis zum 31.08.2052, von den Beiträgen zu dieser Hauptversicherung sowie allen Zusatzversicherungen freizustellen,
5. festzustellen, dass die Berufsunfähigkeitsrente aus der Versicherung Nr. 4.x 5xx 6xx.9x dynamisch jährlich um jeweils 6 %, beginnend zum 01.09.2013, zu erhöhen ist,
6. festzustellen, dass die Berufsunfähigkeitsrente aus der Versicherung Nr. 4.x 5xx 6xx.9x um die Überschussbeteiligungen zu erhöhen sind.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klage ist unbegründet. Ansprüche aus der streitgegenständlichen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung stehen der Klägerin jedenfalls deshalb nicht zu, weil die Beklagte sie wirksam auf den Ausbildungsberuf der Bürokauffrau verwiesen hat.
Die Ausbildungsklausel, die die Möglichkeit einer abstrakten Verweisung in den beiden ersten Ausbildungsjahren vorsieht, ist Vertragsbestandteil geworden. Sie war u.a. (neben anderen Regelungen wie das Recht auf Wertsicherungsoption und einer Rentenerhöhung aus Überschussanteilen, deren Geltung die Klägerin ersichtlich nicht in Frage stellen) will, Gegenstand des zum Antrag gehörenden Vorschlags (GA 41/42), der von der Klägerin gesondert unterzeichnet worden ist. Der Antrag ist von der Beklagten einschließlich der Ausbildungsklausel angenommen worden. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Beklagte den Antrag abweichend von den im Antrag bzw. dem dazu gehörenden Vorschlag ausdrücklich aufgeführten Bedingungen, zu denen die Ausbildungsklausel zählt, angenommen hat. Das konnte und durfte auch die Klägerin nicht erwarten. Dass der Versicherungsschein diese Klausel nicht ausdrücklich anführt, führt zu keiner anderen Betrachtung. Der Versicherungsschein mag grundsätzlich die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich haben, d.h. es mag vermutet werden, dass sonst keine Abreden getroffen worden sind, die aus dem Versicherungsschein nicht ersichtlich sind (vgl. Prölss in: Prölss/Martin, VVG. 28. Aufl., § 3 Rn. 2). Diese Vermutung ist jedoch widerleglich, und sie ist hier widerlegt durch das von der Klägerin unterzeichnete Formular, in dem die streitgegenständliche Klausel enthalten ist. Danach stand von vornherein nur ein Vertragsschluss unter Einbeziehung der Ausbildungsklausel in Frage, was für alle Beteiligten zweifelsfrei war.
Ausgehend davon, dass die Ausbildungsklausel Vertragsbestandteil geworden ist, stehen der Klägerin keine Leistungen zu. Die Klausel enthält eine abstrakte Verweisungsmöglichkeit beschränkt auf Personen, die sich bei Eintritt des Versicherungsfalls im ersten oder zweiten Ausbildungsjahr befinden. § 172 Abs. 3 VVG lässt eine abstrakte Verweisung ausdrücklich zu.
Bei einer abstrakten Verweisung trifft die Versicherung eine Aufzeigelast. Es reicht nicht, mögliche Vergleichsberufe schlicht namentlich zu bezeichnen; es gehört vielmehr zur Vortragslast des Versicherers, Vergleichsberufe, auf die er den Versicherten verweisen will, bezüglich der sie jeweils prägenden Merkmale (insbesondere erforderliche Vorbildung, übliche Arbeitsbedingungen, z.B. Arbeitsplatzverhältnisse, Arbeitszeiten, ferner übliche Entlohnung, etwa erforderliche Fähigkeiten oder körperliche Kräfte, Einsatz technischer Hilfsmittel) näher zu konkretisieren (vgl. BGH, VersR 1994, 1095). Dem ist die Beklagte hier gerecht geworden, indem sie die Klägerin abstrakt auf den Ausbildungsberuf der Bürokauffrau verwiesen hat (s. zum Berufsbild Anlage B 2). Diesem Vortrag ist die Klägerin nicht entgegengetreten. Sie hat weder vorgebracht, dass sie für diesen Ausbildungsberuf nicht geeignet ist noch dass ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen einer Ausbildung als Bürokauffrau entgegenstehen.
Auf die Möglichkeit einer konkreten Verweisung auf den aktuellen Ausbildungsberuf der Klägerin als Fachangestellte für Arbeitsmarktdienstleistungen kommt es nicht an.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
Berufungsstreitwert: bis 80.000,- EUR