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Berufsunfähigkeitszusatzversicherung – Neurodermitis-Erkrankung

BGH

Az: IV ZR 148/09

Urteil vom 11.05.2011


Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2011 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main – 3. Zivilsenat – vom 3. Juni 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihre bei der Beklagten genommene Risikolebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung fortbestehe. Außerdem beansprucht sie für den Zeitraum von Juni bis Dezember 2006 Zahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente und Freistellung von der Beitragszahlungspflicht.

Dem Vertragsschluss ging der von der Klägerin unterzeichnete schriftliche Antrag vom 28. Mai 2003 voraus. Die Gesundheitsfragen in dem Antragsformular beantwortete die Klägerin unter anderem wie folgt:

„1.

Bestehen oder bestanden in den letzten 5 Jahren Krankheiten, Unfallfolgen oder körperliche Schäden

1.1

der Atmungsorgane (auch Nasennebenhöhleninfektion, Heuschnupfen, Kehlkopferkrankung)?

nein

1.10

der Haut (auch Allergie)?

ja

3.

Nehmen oder nahmen Sie in den letzten 5 Jahren regelmäßig Medikamente ein (…..h. mehr als 1 Monat lang täglich Medikamente oder an mehr als 20 Tagen im Jahr ein gleichartiges Medikament; …)?

nein

6.

Sind Sie in den letzten 5 Jahren von Ärzten, Heilpraktikern oder Psychologen untersucht, beraten oder behandelt worden (auch Operationen, Strahlen-, Chemotherapie)?

nein“

Zu der Frage 1.10 ergänzte die Klägerin handschriftlich: „Neurodermitis seit Geburt“. Dazu nannte sie die Medikamente „Loragamma“ und „Dermatop“ mit der Erläuterung „bei Bedarf max. 2x/Woche 1 Tablette“. Als behandelnden Arzt gab sie Dr. …. an.

Für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung verlangte die Beklagte wegen „Neurodermitis einschließlich eventuell eintretender Folgen“ einen Leistungsausschluss, der Inhalt des am 1. Juli 2003 beginnenden Versicherungsverhältnisses wurde.

Infolge einer Brustkrebserkrankung war die Klägerin in ihrem Beruf als Erzieherin von Juni bis Dezember 2006 zu 100% berufsunfähig. Nachdem sie Ende Mai 2006 Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung beantragt hatte, holte die Beklagte im Rahmen der Leistungsprüfung Auskünfte ein. Aus diesen ergab sich, dass der Allgemeinmediziner F. die Klägerin unter anderem vom 26. August 1998 bis 19. November 2002 wegen Asthma bronchiale behandelt und ihr die Medikamente „Zyrtec“ und „Terfenadin“ verordnet hatte. Daraufhin erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 28. August 2006 den Rücktritt vom Versicherungsvertrag und dessen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.

Die Klägerin meint, sie habe ihre vorvertragliche Anzeigepflicht erfüllt und insbesondere die Gesundheitsfrage 1.10 zutreffend beantwortet. Das Krankheitsbild der Neurodermitis umfasse sämtliche Allergien, auch das so genannte allergische Asthma. Die von dem Arzt F. verordneten Medikamente hätten ebenfalls der Behandlung der Neurodermitis gedient.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts greift die von der Beklagten erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht durch. Zwar habe die Klägerin ihre Asthmaerkrankung auf die Frage nach Erkrankungen der Atmungsorgane nicht mitgeteilt. Sie habe dies aber plausibel damit erklärt, dass sie eine Verbindung zwischen der angegebenen Neurodermitis und dem allergischen Asthma gesehen habe. Diese Auffassung der Klägerin werde durch den von der Beklagten vorgelegten „Wikipedia“-Auszug zum Thema Neurodermitis gestützt. Daraus ergebe sich, dass ein Großteil der Patienten mit Neurodermitis zusätzlich unter Allergien leide und bei Patienten mit atopischen Ekzemen neben den Hauterscheinungen in einigen Fällen Heuschnupfen oder Asthma aufträten. Überdies seien bei der Frage nach Erkrankungen der Haut in dem Klammerzusatz auch Allergien genannt worden. Die Klägerin habe ihr allergisches Asthma nur der falschen Rubrik zugeordnet. Die ihr verordneten Antihistaminika „Zyrtec“ und „Terfenadin“ habe sie zwar nicht angegeben, indessen bei den Erläuterungen zur Frage 1.10 die Medikamente „Loragamma“ und „Dermatop“ genannt. Hierzu habe sie in der mündlichen Verhandlung erklärt, „Loragamma“ sei an die Stelle der beiden erstgenannten Medikamente getreten. Daher könne nicht von einem Verschweigen einer Medikation in Täuschungsabsicht ausgegangen werden.

Die Antragsfrage nach Behandlungen und Untersuchungen in den letzten fünf Jahren habe die Klägerin objektiv falsch beantwortet, indem sie die Asthmabehandlungen nicht mitgeteilt habe. Da sie aber angegeben habe, seit Geburt unter Neurodermitis zu leiden, und diese Krankheit nach dem „Wikipedia“-Auszug als nicht heilbar gelte, habe sich der Beklagten aufdrängen müssen, dass diese Frage unzutreffend beantwortet worden sein müsse. Wenn die Beklagte ungeachtet dessen einen klärenden Hinweis oder eine klärende Nachfrage unterlassen habe, könne sie sich nicht auf ihr Rücktritts- oder Anfechtungsrecht berufen.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stan…..

1.

Das Berufungsgericht hat der Beklagten zu Unrecht die Arglistanfechtung und den Rücktritt vom Versicherungsvertrag wegen Verletzung der Nachfrageobliegenheit versagt.

a)

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss der Versicherer beim künftigen Versicherungsnehmer nachfragen, wenn dieser bei Antragstellung ersichtlich unvollständige oder unklare Angaben macht (Senatsurteil vom 5. März 2008 – IV ZR 119/06, VersR 2008, 668 Rn. 10 m.w.N.). Aufgrund solcher Angaben ist dem Versicherer eine ordnungsgemäße Risikoprüfung nicht möglich (Senatsurteil vom 5. März 2008 aaO). Diese soll die Schaffung klarer Verhältnisse in Bezug auf den Versicherungsvertrag schon vor Vertragsschluss gewährleisten und darf deshalb nicht auf die Zeit nach Eintritt des Versicherungsfalles verschoben werden (Senatsurteile vom 5. März 2008 aaO; vom 11. November 1992 – IV ZR 271/91, VersR 1993, 871 unter 3 b m. Anm. Lorenz; vom 25. März 1992 – IV ZR 55/91, BGHZ 117, 385, 388). Unterlässt der Versicherer eine ihm obliegende Rückfrage und sieht er insoweit von einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung ab, so ist es ihm im Weiteren nach Treu und Glauben verwehrt, gestützt auf die Unvollständigkeit der Angaben des Versicherungsnehmers wirksam vom Versicherungsvertrag zurückzutreten (Senatsurteile vom 5. März 2008 aaO Rn. 12; vom 3. Mai 1995 – IV ZR 165/94, VersR 1995, 901 unter 3; vom 2. November 1994 – IV ZR 201/93, VersR 1995, 80 unter II 2 b; vom 11. November 1992 aaO; vom 25. März 1992 aaO).

b)

Eine Nachfrageobliegenheit hat das Berufungsgericht mit nicht tragfähiger Begründung angenommen. Allein deshalb, weil die Klägerin erläuternd zu der Frage 1.10 angegeben hatte, sie leide seit Geburt an Neurodermitis, musste es sich der Beklagten nicht aufdrängen, dass die Frage nach ärztlichen Behandlungen und Untersuchungen in den letzten fünf Jahren unzutreffend beantwortet war. Eine Nachfrage obliegt dem Versicherer nur dann, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bisher von dem Versicherungsinteressenten erteilten Auskünfte nicht abschließend oder nicht richtig sein können und deshalb weitere Informationen für eine sachgerechte Risikoprüfung erforderlich sind (vgl. Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. §§ 16, 17 Rn. 25; Knappmann in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 2. Aufl. § 14 Rn. 61). So liegt der Fall hier nicht. Daraus, dass die Klägerin im Zusammenhang mit ihrer Neurodermitis die Medikamente „Loragamma“ und „Dermatop“ und als behandelnden Arzt Dr. B. genannt hatte, konnte die Beklagte lediglich ersehen, dass die Antragsfragen 3 und 6 in Bezug auf diese Erkrankung nicht richtig beantwortet waren. Dies musste die Beklagte nicht zu einer Nachfrage veranlassen, weil sie die Medikation sowie den Namen des behandelnden Arztes aus den ergänzenden Angaben zu der Frage 1.10 entnehmen konnte. Sie brauchte aber nicht anzunehmen, dass die Klägerin wegen weiterer Krankheiten, selbst wenn diese mit der Neurodermitis zusammenhingen, von anderen Ärzten behandelt worden war.

c)

Zudem hat das Berufungsgericht verkannt, dass der Versicherer das Recht zur Arglistanfechtung nicht schon deshalb verliert, weil er seine Nachfrageobliegenheit verletzt hat (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2007 – IV ZR 170/04, VersR 2007, 1256 Rn. 2; vom 15. März 2006 – IV ZA 26/05, VersR 2007, 96 m. Anm. Lorenz; offen gelassen im Senatsurteil vom 10. Oktober 2001 – IV ZR 6/01, VersR 2001, 1541 unter II 2; vgl. Senatsurteil vom 7. März 2001 – IV ZR 254/00, VersR 2001, 620 unter 2 b bb). An der früheren Rechtsprechung, nach der sich ein Versicherungsnehmer auch bei arglistiger Verletzung seiner Anzeigeobliegenheit auf die Verletzung einer Nachfrageobliegenheit durch den Versicherer berufen kann (so noch Senatsurteil vom 25. März 1992 aaO), hat der Senat ausdrücklich nicht festgehalten.

2.

Aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat nicht ausschließen, dass die von der Beklagten erklärte Anfechtung durchgreift. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Versicherer die Beweislast für die Täuschungsabsicht des Versicherungsnehmers trägt. Weiterhin hat es richtig gesehen, dass den Versicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast trifft, wenn objektiv falsche Angaben vorliegen; er muss plausibel darlegen, wie und weshalb es zu den objektiv falschen Angaben gekommen ist (Senatsbeschlüsse vom 7. November 2007 – IV ZR 103/06, VersR 2008, 242 Rn. 1 m.w.N.; vom 12. März 2008 – IV ZR 330/06, VersR 2008, 809 Rn. 8). Ob die Klägerin nachvollziehbar erklären kann, warum sie die Asthma-Behandlungen nicht in dem Versicherungsantrag angegeben hatte, wird das Berufungsgericht nunmehr zu prüfen haben. Falls es auch insoweit eine arglistige Täuschung verneint, wird es sich erneut mit den Voraussetzungen des Rücktrittsrechts zu befassen haben.

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