LG Karlsruhe, Az.: 6 O 245/18, Urteil vom 10.04.2019
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Tatbestand
Die Parteien streiten als Grundstücksnachbarn um die Beseitigung von Abgrabungen und Schadensersatz.
Die Parteien sind Eigentümer angrenzender Grundstücke in B.. Das Grundstück der Kläger liegt im hinteren Gartenteil höher als das der Beklagten.
Die Kläger sind seit dem Jahr 2016 Eigentümer des benachbarten Grundstücks, das von ihnen mit einem Wohnhaus bebaut wurde. Die Beklagten errichteten im Jahr 2016 als Sichtschutz zum Grundstück der Kläger entlang der gesamten gemeinsamen Grundstücksgrenze eine Mauer. Die Kläger ließen im Jahr 2017 an der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf ihrem Grundstück die Grünfläche in der Höhe begradigen, begrünen und eine Steintreppe aus großen Natursteinen angelegen.
Am 25.07.2017 rutschte das Gelände der Kläger erstmals in Richtung des Grundstücks der Beklagten ab und drückte gegen deren Ziermauer, die dadurch in eine Schieflage geriet. Im August 2018 sackte das klägerischen Geländes wiederum ab, wodurch die Mauer der Beklagten teilweise einstürzte.
Die Kläger tragen vor:
Durch die Vertiefung des Grundstücks der Beklagten sei ihrem Grundstück die zuvor vorhandene und für den bestehenden Garten nebst den an der Grundstücksgrenze entlang gelegten Quadersteinen erforderliche Stütze genommen worden. Infolge dessen sei ihr Grundstück mehrfach abgesackt. Um ihren in Mitleidenschaft gezogenen Gartenteil mit Begrünung, Zaun sowie Steintreppe wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen, seien kostenintensive Bagger- und Entsorgungsarbeiten neben Baumaterialien mit voraussichtlichen Kosten in Höhe von brutto 5.324,06 € erforderlich.
Sie sind der Auffassung, die Beklagten seien zur Beseitigung der Vertiefung aus §§ 1004, 909 BGB verpflichtet. Den Beklagten hätte klar sein müssen, dass eine Vertiefung ihres Grundstücks ohne Absicherung zum Einsturz des Erdreichs auf dem klägerischen Grundstück führe. Die Beklagten seien auch zur Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1.086,23 € verpflichtet.
Die Kläger beantragen:
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, die auf ihrem Grundstück in B. vorgenommene Vertiefung zu beseitigen, so dass der Boden des Grundstücks des Klägers in B. entlang der östlichen Grundstücksgrenze in einer Länge von 5 m südlich und 3,5 m östlich wieder für die Bebauung mit einem Zaun, 4 dazugehörigen Zaunpfosten, 9 Quadersteinen für eine Steintreppe, Stromanschluss, Zysternenanschluss sowie Grünbepflanzung die erforderliche Stütze erhält, es sei denn, sie sorgen für eine genügende anderweitige Befestigung.
2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Kläger 4.474,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.08.2018 zu zahlen.
3. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Kläger die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.086,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.08.2018 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie tragen vor: Das derzeitige Niveau des Grundstückes der Beklagten sei im Rahmen der Bebauung des Einfamilienwohnhauses und der Anlegung der dazugehörigen Freianlage in den Jahren 2014 unverändert geblieben. Insbesondere habe eine Abgrabung überhaupt nicht stattgefunden. Vielmehr hätten die Kläger im Rahmen der Anlegung ihrer Freianlage eine Aufschüttung des vorhandenen Geländeniveaus vorgenommen. Sämtliche Angrenzergrundstücke befänden sich auf ursprünglichem Geländeniveau, ausgenommen hiervon sei alleine die Freianlage der Kläger. Der Schaden an der Begrünung, dem Zaun sowie der Steintreppe sei alleine dadurch entstanden, dass die von den Klägern vorgenommene Aufschüttung und die Quadersteine nicht ordnungsgemäß befestigt worden seien.
Das Gericht hat verhandelt am 16.1.2019 und die Parteien angehört. Es hat am 24.10.2018 und in der Verhandlung Hinweise gegeben.
Eine am 27.3.2019 bei Gericht eingereichte Widerklage wegen Schadensersatzansprüchen der Beklagten wurde nicht zugestellt und soll – nach Hinweis des Gerichts vom 4.4.2019 – als selbständige Klage geführt werden.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Beseitigung einer auf dem Grundstück der Beklagten vorgenommenen Vertiefung, um eine Befestigung für ihr Grundstück zu erhalten oder auf Ersatz von durch Geländeabsackungen auf ihrem Grundstück entstandene Schäden.
a. Nach Anhörung der Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 16.1.2019, insbesondere der Erläuterungen anhand der vorgelegten Lichtbilder und der verschiedenen Arbeiten an den Grundstücken, geht das Gericht von folgendem, zwischen den Parteien insoweit unstreitigen Sachverhalt aus:
Die Beklagten bebauten ihr Grundstück mit einem Wohnhaus vor dem Erwerb des Nachbargrundstücks durch die Kläger im Jahr 2016. Auf dem von den Klägern erworbenen Grundstück hatte die Voreigentümerin bereits eine Baugrube zur Errichtung des Wohnhauses ausgehoben. Nach Errichtung ihres Hauses legten die Kläger im Bereich des Carports bei der Terrassenfläche große Steinquader. Auf dem Nachbargrundstück stand zu diesem Zeitpunkt bereits die im Jahr 2016 errichtete Ziermauer. Anschließend füllten die Kläger ihr hinteres Grundstücksteil von der Ebene des Carports aus, die das ursprünglich beim Erwerb vorgefundene Niveau darstellt, um ca. 60-70 cm auf, um das ursprüngliche Grundstücksniveau, wie es vor dem Erwerb des Grundstücks bestand, wieder zu erreichen. Diesen so erhöhten Grundstücksteil erreichen sie von dem tiefer liegenden Carport über eine Steintreppe. Vor der Aufschüttung waren sie über ihren Bauunternehmer darüber informiert worden, dass die Ziermauer auf dem Nachbargrundstück diese Aufschüttung nicht halten werde.
b. Bei dieser Sachlage steht den Klägern kein Anspruch auf Beseitigung einer angeblichen Vertiefung auf dem Nachbargrundstück aus §§ 909, 1004 BGB oder aus einem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis zu.
aa. Nach § 909 BGB darf ein Grundstück nicht in der Weise vertieft werden, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, dass für eine genügende Befestigung gesorgt ist. § 909 BGB schützt die Festigkeit des Bodens eines im fremden Eigentum stehenden Nachbargrundstücks (BGHZ 103, 39). Eine Vertiefung im Sinne von § 909 BGB erfordert nicht die Herausnahme von Bodensubstanz; wesentlich ist nur, ob auf das Grundstück so eingewirkt wird, dass hierdurch der Boden des Nachbargrundstücks in der Senkrechten den Halt verliert oder dass die unteren Bodenschichten im waagerechten Verlauf beeinträchtigt werden (BGHZ 101, 290; BGHZ 85, 375). Dabei reicht die Veränderung des Bodenniveaus auf dem Nachbargrundstück durch Pressung des Untergrundes infolge des Eigengewichtes eines Neubaus aus (BGHZ 44, 130, 135).
Nach den Feststellungen des erkennenden Gerichts spricht der zeitliche und sachliche Zusammenhang zwischen den Arbeiten auf dem Baugrundstück der Kläger und dem Eintritt von Schäden an ihren Grundstücksteilen und sonstigen Gegenständen – hier der Gartenteil mit Begrünung, Zaun sowie Steintreppe – für die Annahme, dass diese Schäden durch die Kläger selbst bei Errichtung ihrer Stützmauer am Carport und Aufschüttung des hinteren Grundstücksteils verursacht worden sind. Die Beklagten haben zu Lasten des klägerischen Grundstücks weder im Jahr 2016 noch später eine Vertiefung vorgenommen, derentwegen die Kläger eine Beseitigung verlangen könnten. Die Kläger fanden das von ihnen erworbene Grundstück bei Erwerb bereits durch die Voreigentümerin gegenüber dem ursprünglichen Bodenniveau vertieft bzw. abgetragen vor. Die Zierwand auf der Grundstücksgrenze kann keine Schadensursache gesetzt haben, denn sie dient der Aufschüttung im hinteren Gartenteil durch die Kläger als – im Ergebnis unzureichende – Stütze. Ebenso können sich die Kläger nicht auf frühere Abgrabungen der Beklagten zur Errichtung ihres Wohnhauses berufen. Diese möglichen Vertiefungen auf dem Nachbargrundstück konnten dem klägerischen Grundstück eine Stütze nicht entziehen, da das klägerische Grundstück selbst durch die Voreigentümerin vom ursprünglichen Bodenniveau abgegraben bzw. vertieft worden war. Entscheidend ist nämlich, ob ein Grundstück zu Lasten des Nachbargrundstücks verbotswidrig vertieft wird (§ 909 BGB) und so der Störer (vgl. auch § 1004 BGB) das Eigentum des Nachbarn beeinträchtigt. Das war beim Abgraben der Böschung durch die Kläger zur Errichtung ihres Wohnhauses und dem Bau der Ziermauer nicht der Fall. Nach dem unstreitigen Sachverhalt haben nicht allein die Beklagten, sondern hat ebenso die frühere Eigentümerin des beeinträchtigten klägerischen Grundstücks selbst eine umfassende (Baugruben-) Vertiefung vorgenommen (vgl dazu auch BGHZ 91, 282). Schließlich ist für das Gericht nach den Angaben der Parteien in der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich, welche Festigkeit das durch die Voreigentümerin vor dem Erwerb durch die Kläger im Jahr 2016 abgegrabene Grundstück gehabt haben soll, die die Beklagten wegen vermeintlicher Vertiefungen im Zusammenhang mit der Errichtung ihres Wohnhauses wiederherzustellen verpflichtet sein sollen.
bb. Die Beklagten sind auch nicht aus § 1004 BGB verpflichtet, ihre im Jahr 2016 errichtete Ziermauer zu entfernen und dann ihr Grundstück an der Grenze bis zum Niveau des aufgeschütteten klägerischen Grundstücks aufzufüllen oder eine andere Befestigung zu errichten, die das höhere Geländeniveau des klägerischen Grundstücks abfängt (vgl. zur Beseitigung einer Eigentumsstörung und Wiederherstellung der durch diese Maßnahme beeinträchtigten Gestaltung des Grundstücks BGH, Urteil vom 24.01.2003 – V ZR 175/02, NJW-RR 2003, 953; BGHZ 135, 235, 238 m.w.N.). Der Eigentümer darf mit seinem Grundstück nach Belieben verfahren, auch wenn dies nachteilige Auswirkungen auf das Nachbargrundstück hat, solange ihm das Nachbarrecht seine Handlung nicht verbietet. Ein solches Verbot kann sich nur aus § 909 BGB ergeben. Die Entfernung der Ziermauer selbst stellt keine Vertiefung im Sinne von § 909 BGB dar; denn eine solche setzt – bezogen auf das Grundstück der Kläger – eine Senkung des Bodenniveaus voraus und umfasst nicht die Entfernung oberirdischer Gebäudeteile (vgl. BGH, Urteil vom 29.06.2012 – V ZR 97/11, NJW-RR 2012, 1160 m.w.N; RGZ 70, 200). Ein Grundstückseigentümer muss es nicht hinnehmen, dass eine auf seinem Grundstück stehende Mauer von dem Nachbarn als Abstützung für dessen Grundstücksaufschüttung zweckentfremdet wird; er darf die Mauer beispielsweise sogar dann abreißen, wenn das angrenzende Grundstück dadurch seinen Halt verliert. Es ist Sache des Aufschüttenden – hier: der Kläger -, die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Zu derartigen Schutzmaßnahmen zählen typischerweise Stützmauern, die der Aufschüttende auf seinem eigenen Grundstück zu errichten hat (vgl. BGH, Urteil vom 20.05.1976 – III ZR 103/74, NJW 1976, 1840, 1841).
cc. Schließlich lässt sich der Befestigungsanspruch nicht aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis herleiten.
Die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn haben insbesondere durch die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Auch auf sie ist der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) anzuwenden. Daraus folgt für die Nachbarn eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren Auswirkungen auf den konkreten Fall unter dem Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammengefasst werden. Eine daraus folgende selbständige Verpflichtung ist aber mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Nur unter diesen Voraussetzungen kann die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig werden. Das Rechtsinstitut darf insbesondere nicht dazu dienen, die nachbarrechtlichen Regelungen in ihr Gegenteil zu verkehren (vgl. BGH, Urteile vom 29.06.2012 aaO; vom 31.01.2003 – V ZR 143/02, NJW 2003, 1392 und vom 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344.). Ein solcher Sonderfall liegt – wie oben bereits dargelegt – hier nicht vor.
c. Aus oben dargelegten Gründen haften die Beklagten den Klägern auch nicht auf Schadensersatz in Höhe von 4.474,00 € gem. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 909 BGB oder aus Verzug auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1.086,23 €.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
3. Über die nach der mündlichen Verhandlung eingereichte Widerklage war in diesem Verfahren nicht zu entscheiden und auch die Verhandlung nicht nach § 156 ZPO wieder zu eröffnen. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat es gebilligt, eine erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erhobene Widerklage ohne mündliche Verhandlung als unzulässig abzuweisen (Beschluss vom 12.5.1992 – XI ZR 251/91, NJW-RR 1992, 1085). Das OLG Hamburg hat eine nach Schluss der mündlichen Verhandlung zugestellte Widerklage demgegenüber als „unbeachtlich angesehen“ (Urteil vom 03.06.1994 – 11 U 62/93, MDR 1995, 526). Zwar kann die mündliche Verhandlung nach der Widerklage wiedereröffnet werden. Um eine Verzögerung des Verfahren zu vermeiden, wird das erkennende Gericht dies jedoch nur ausnahmsweise tun (und schon gar nicht zu dem Zweck, die Widerklage als unzulässig abzuweisen, vgl BGH, Urteil vom 19.04.2000 – XII ZR 334/97, NJW 2000, 2512). Sieht es hiervon wegen der Entscheidungsreife der Klage ab, so ist der neue Antrag nicht zuzustellen, sondern – wie vorliegend geschehen – nur formlos zu übermitteln (vgl. Zöller, ZPO, Kommentar, 32. Auflage, 2018, Rn 13 zu § 33 und Rn 2a zu § 296a).