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Bestattungspflicht bei unbekanntem Halbbruder: Urteil des VG Mainz

Überraschende Bestattungspflicht trotz unbekannter Verwandtschaft

Im Fall VG Mainz Az.: 3 K 425/22.MZ wurde die Klage eines Mannes abgewiesen, der sich gegen die Verpflichtung zur Übernahme der Bestattungskosten für seinen ihm bis dahin unbekannten Halbbruder wehrte, wobei das Gericht die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht auch ohne familiäres Näheverhältnis bejahte.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Mann wurde zur Übernahme der Bestattungskosten seines unbekannten Halbbruders verpflichtet, obwohl er von dessen Existenz nichts wusste.
  • Die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht besteht unabhängig vom Vorhandensein eines familiären Näheverhältnisses.
  • Die Erbausschlagung entbindet nicht von der Bestattungspflicht.
  • Das Gericht wies die Klage ab und bekräftigte die Bestattungs- und Kostenpflicht.
  • Argumente wie unzureichende familiäre Beziehungen oder Unkenntnis des Verstorbenen wurden nicht als Befreiungsgrund anerkannt.
  • Die Kosten der Bestattung und der Kühlung wurden als erstattungsfähig angesehen.
  • Die Bestattungspflicht und deren Kosten können auch Personen treffen, die außerhalb des Landes wohnen, in dem der Todesfall eintrat.

Bestattungspflicht trifft auch entfernte Verwandte

Für die Bestattung eines Verstorbenen sind grundsätzlich die nächsten Angehörigen verantwortlich. Doch was passiert, wenn es keine engen Verwandten gibt oder diese nicht greifbar sind? In solchen Fällen können auch entferntere Familienmitglieder zur Kostenübernahme herangezogen werden – selbst wenn der Tote ihnen völlig unbekannt war.

Die Rechtslage rund um die Bestattungspflicht ist komplex und birgt einige Fallstricke. Vor allem wenn unerwartet und ohne Testament ein entfernter Verwandter verstirbt, stehen plötzlich auch Personen mit sehr loser familiärer Bindung im Fokus. Ein Gerichtsurteil aus Mainz hat sich nun mit einem solchen Fall befasst.

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➜ Der Fall im Detail


Unverhoffte Bestattungspflicht für unbekannten Halbbruder

Der Fall dreht sich um einen Mann, der zur Übernahme der Bestattungskosten für seinen ihm bis dahin unbekannten Halbbruder herangezogen wurde.

Bestattungskosten für unbekannten Verwandten
(Symbolfoto: Kameron Bond /Shutterstock.com)

Der Halbbruder, geboren 1952, war 1966 adoptiert worden und verstarb im August 2021. Der Kläger und dessen Schwester wurden erst nach dem Tod des Halbbruders von der zuständigen Behörde informiert und zur Übernahme der Bestattungskosten aufgefordert. Der Kläger, welcher von der Existenz seines Halbbruders bis zu diesem Zeitpunkt nichts wusste, wehrte sich gegen die Inanspruchnahme. Er argumentierte unter anderem mit der fehlenden familiären Beziehung und der plötzlichen Belastung durch die unerwarteten Kosten.

Rechtliche Grundlagen der Bestattungspflicht

Das Gericht stützte sich in seiner Entscheidung auf das Bestattungsgesetz Rheinland-Pfalz, welches die Bestattungspflicht regelt. Demnach sind zunächst Erben und, sollte kein Erbe rechtzeitig ermittelt werden können, in einer festgelegten Reihenfolge nahe Verwandte zur Bestattung verpflichtet. Das Gericht führte aus, dass die Verpflichtung zur Bestattung nicht von einem persönlichen Näheverhältnis zum Verstorbenen abhängt. Die Erbausschlagung entbindet nicht von dieser öffentlich-rechtlichen Pflicht.

Kern der gerichtlichen Entscheidung

Das Verwaltungsgericht Mainz wies die Klage des Mannes ab und bestätigte die Bestattungspflicht sowie die Kostenübernahme. Es argumentierte, dass die Bestattungspflicht eine Gefahrenabwehr darstellt und somit im öffentlichen Interesse liegt. Das Fehlen einer persönlichen Beziehung zum Verstorbenen sowie die Unkenntnis über dessen Existenz wurden nicht als Gründe anerkannt, die von der Bestattungspflicht entbinden könnten. Die Entscheidung verdeutlicht, dass die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht weitreichend ist und sich nicht nur auf enge familiäre Beziehungen stützt.

Bedeutung der Entscheidung

Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht und die Verantwortung, die nahe Verwandte auch ohne direkte Beziehung oder Kenntnis voneinander tragen. Sie zeigt auf, dass das Bestattungsrecht auch in Fällen greift, in denen die Existenz eines Verwandten erst posthum bekannt wird.

Rechtsprechung zu familiären Pflichten

Das Urteil ist ein Beispiel dafür, wie das Verwaltungsrecht familiäre Pflichten unabhängig von der Qualität der familiären Beziehung definiert. Es macht deutlich, dass rechtliche Verpflichtungen auch in Abwesenheit eines persönlichen Verhältnisses bestehen können und hebt die Relevanz der ordnungsgemäßen Bestattung innerhalb des gesetzlichen Rahmens hervor.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Wer ist grundsätzlich zur Übernahme der Bestattungskosten verpflichtet?

Grundsätzlich sind in Deutschland folgende Personen in dieser Reihenfolge zur Übernahme der Bestattungskosten verpflichtet:

  1. Die Erben des Verstorbenen. Laut § 1968 BGB trägt der Erbe die Kosten der Beerdigung des Erblassers. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Testament vorliegt oder die gesetzliche Erbfolge eintritt. Sind mehrere Erben vorhanden, tragen sie die Kosten gemeinschaftlich.
  2. Unterhaltspflichtige Angehörige, wenn der Erbe nicht zahlen kann oder es keinen Erben gibt. Die Reihenfolge ist hier: Ehegatte, Kinder, Eltern, Großeltern, Enkelkinder. Ein Unterhaltspflichtiger muss auch dann zahlen, wenn er zwar erbberechtigt war, aber das Erbe ausgeschlagen hat.
  3. Personen, die aufgrund der Bestattungsgesetze der Bundesländer bestattungspflichtig sind. Die Reihenfolge kann je nach Bundesland etwas variieren, ist aber meist: Ehepartner, Kinder, Eltern, Geschwister, Großeltern, Enkelkinder.
  4. Der Sozialhilfeträger, wenn den Verpflichteten die Übernahme der Bestattungskosten nicht zumutbar ist. Das Sozialamt übernimmt dann die erforderlichen Kosten einer einfachen Bestattung.

Zusammengefasst müssen also vorrangig die Erben zahlen, nachrangig Unterhaltspflichtige und öffentlich-rechtlich Bestattungspflichtige. Nur wenn diesen die Kostentragung nicht zumutbar ist, springt das Sozialamt ein.

Kann die Erbausschlagung von der Bestattungspflicht befreien?

Nein, die Erbausschlagung befreit nicht automatisch von der Bestattungspflicht und den damit verbundenen Kosten. Hier muss man zwischen der erbrechtlichen Verpflichtung und der öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht unterscheiden:

Die Erbausschlagung bewirkt lediglich, dass man nicht als Erbe für die Bestattungskosten haftet. Sie führt aber nicht zwangsläufig dazu, dass man von der Bestattungspflicht und den Kosten befreit ist.

Denn neben der erbrechtlichen Kostentragungspflicht besteht eine davon unabhängige öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht, die sich nach den Bestattungsgesetzen der Bundesländer richtet. Die Reihenfolge der Bestattungspflichtigen ist zwar in den Details je nach Bundesland etwas unterschiedlich, orientiert sich aber im Wesentlichen an der Unterhaltspflicht: Ehepartner, Kinder, Eltern, Geschwister, Großeltern, Enkelkinder.

Wer bestattungspflichtig ist, kann also trotz Erbausschlagung noch zur Tragung der Bestattungskosten verpflichtet sein. Nur wenn den Bestattungspflichtigen die Übernahme der Kosten nicht zumutbar ist, springt nachrangig das Sozialamt ein und übernimmt die erforderlichen Kosten einer einfachen Bestattung.

Zusammengefasst befreit die Erbausschlagung also nur von der erbrechtlichen Haftung für die Bestattungskosten als Erbe. Die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht und die damit verbundene Kostentragungspflicht bleiben davon aber grundsätzlich unberührt.

Spielt das persönliche Verhältnis zum Verstorbenen eine Rolle bei der Bestattungspflicht?

Nein, das persönliche Verhältnis zum Verstorbenen spielt für die Bestattungspflicht grundsätzlich keine Rolle. Entscheidend sind vielmehr die gesetzlich festgelegten Kriterien:

  1. Für die erbrechtliche Verpflichtung zur Tragung der Bestattungskosten kommt es allein darauf an, ob man Erbe geworden ist. Die Erbenstellung tritt unabhängig vom persönlichen Verhältnis zum Verstorbenen ein, sei es durch gewillkürte Erbfolge (Testament, Erbvertrag) oder durch die gesetzliche Erbfolge.
  2. Auch die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht knüpft nicht an das persönliche Verhältnis an. Sie richtet sich nach den Bestattungsgesetzen der Länder und stellt auf die dort genannten Angehörigeneigenschaften wie Ehepartner, Kinder, Eltern, Geschwister, Großeltern oder Enkelkinder ab. Auf die Qualität der Beziehung zu Lebzeiten kommt es nicht an.
  3. Selbst die subsidiäre Kostentragungspflicht von Unterhaltspflichtigen greift dem Grunde nach unabhängig von der persönlichen Verbundenheit ein, da sie an die gesetzliche Unterhaltspflicht anknüpft. Lediglich in der Frage der Zumutbarkeit kann das persönliche Verhältnis eine untergeordnete Rolle spielen.

Zusammengefasst ist also für die Bestattungspflicht nicht die emotionale Nähe oder Ferne zum Verstorbenen entscheidend, sondern allein die Stellung als Erbe, bestattungspflichtiger Angehöriger oder Unterhaltspflichtiger. Dass man zu Lebzeiten vielleicht jahrelang keinen Kontakt mehr hatte, ist somit unerheblich.

Was passiert, wenn kein direkter Erbe oder nahe Verwandte zur Bestattung verfügbar sind?

Wenn kein direkter Erbe oder naher Verwandter für die Bestattung zur Verfügung steht, greift ein mehrstufiges System:

  1. Zunächst wird versucht, entferntere Verwandte ausfindig zu machen, die nach den Bestattungsgesetzen der Länder bestattungspflichtig sein können. Dazu zählen je nach Bundesland z.B. Geschwister, Großeltern oder Enkelkinder.
  2. Wenn auch keine entfernteren bestattungspflichtigen Verwandten ermittelt werden können oder diese nicht in der Lage sind, die Bestattung zu organisieren und zu bezahlen, obliegt die Totenfürsorge der zuständigen Behörde (z.B. Ordnungsamt). Diese veranlasst dann die Bestattung von Amts wegen.
  3. Die Kosten für eine solche sogenannte „Ordnungsbestattung“ trägt zunächst die Behörde. Sie versucht aber, ihre Aufwendungen nach den landesrechtlichen Regelungen von bestattungspflichtigen Angehörigen zurückzufordern.
  4. Erst wenn die Behörde keine erstattungspflichtigen Angehörigen findet oder diesen die Erstattung wirtschaftlich nicht zumutbar ist, verbleiben die Kosten endgültig beim Staat. Es findet dann eine einfache, aber würdige Bestattung auf Kosten der Allgemeinheit statt.
  5. In einigen Bundesländern kann die Behörde auch ein Totenasyl beauftragen, die Bestattung durchzuführen. Die Kosten trägt auch hier letztlich die Behörde, soweit kein anderer Kostenträger greifbar ist.

Zusammengefasst sorgt also der Staat in seiner Funktion als Noterbe dafür, dass jeder Verstorbene eine würdige Bestattung erhält, auch wenn keine Angehörigen dafür zur Verfügung stehen. Die Kosten versucht die Behörde nach Möglichkeit auf Angehörige abzuwälzen, muss sie aber notfalls selbst tragen.

Welche rechtlichen Konsequenzen können entstehen, wenn die Bestattungspflicht ignoriert wird?

Wenn die Bestattungspflicht ignoriert wird, können verschiedene rechtliche Konsequenzen drohen:

  1. Ordnungswidrigkeit: Die Weigerung, der Bestattungspflicht nachzukommen, sowie die nicht rechtzeitige Veranlassung der Bestattung stellen Ordnungswidrigkeiten dar, die mit einer Geldbuße bis zu 3.000 Euro geahndet werden können.
  2. Ersatzvornahme durch die Behörde: Kommen die Bestattungspflichtigen ihrer Verpflichtung nicht oder nicht rechtzeitig nach, wird die Bestattung im Rahmen der Ersatzvornahme zur Gefahrenabwehr durch die örtliche Ordnungsbehörde veranlasst. Die Behörde führt dann eine einfache, aber würdige Bestattung durch, meist eine Einäscherung mit anonymer Beisetzung der Urne.
  3. Kostentragung: Die durch die Ersatzvornahme entstandenen Bestattungskosten werden von der Behörde zunächst verauslagt, müssen aber von den eigentlich Bestattungspflichtigen erstattet werden. Zusätzlich können Verwaltungsgebühren erhoben werden. Die Behörde macht die Kosten per Leistungsbescheid geltend.
  4. Gesamtschuldnerische Haftung: Gibt es mehrere Bestattungspflichtige, z.B. mehrere Kinder des Verstorbenen, haften diese der Behörde gegenüber als Gesamtschuldner. Das bedeutet, die Behörde kann sich aussuchen, von wem sie die vollen Kosten verlangt. Der Zahlende müsste dann selbst bei den anderen Bestattungspflichtigen Regress nehmen.
  5. Sozialrechtlicher Kostenentzug: Wenn Bestattungspflichtige Sozialleistungen beziehen und die Bestattungskosten nicht zahlen, kann der Sozialleistungsträger die Leistungen kürzen, bis die Kosten beglichen sind.

Zusammengefasst kann die Verweigerung der Bestattungspflicht also empfindliche Geldbußen, Gebühren und vor allem die Erstattung sämtlicher Bestattungskosten nach sich ziehen. Eine Ersatzvornahme durch die Behörde befreit nicht von der finanziellen Verantwortung.

Können Kosten für eine Bestattung von der Sozialhilfe übernommen werden?

Ja, unter bestimmten Voraussetzungen können die erforderlichen Kosten einer Bestattung von der Sozialhilfe übernommen werden:

  1. Nachrangigkeit der Sozialhilfe: Die Sozialhilfe greift nur ein, wenn die Bestattungskosten nicht aus dem Nachlass des Verstorbenen, durch Bestattungsvorsorgeverträge oder von unterhaltspflichtigen Angehörigen gedeckt werden können.
  2. Anspruchsvoraussetzungen: Anspruchsberechtigt sind Personen, die die Bestattung veranlasst haben und für die Kosten aufkommen müssen, selbst aber bedürftig im Sinne der Sozialhilfe sind. Das bedeutet, sie dürfen über kein ausreichendes Einkommen und Vermögen verfügen, um ihren Lebensunterhalt und die zusätzlichen Bestattungskosten zu tragen.
  3. Erforderliche Bestattungskosten: Die Sozialhilfe übernimmt nur die Kosten für eine ortsübliche und einfache, aber würdige Bestattung. Dazu gehören z.B. die Kosten für Sarg, Grabstelle, Grabmal, Trauerfeier und Überführung. Nicht übernommen werden Aufwendungen, die über das Erforderliche hinausgehen, wie teure Särge oder aufwendige Bewirtungen.
  4. Antragstellung: Die Übernahme der Bestattungskosten muss beim zuständigen Sozialamt beantragt werden. Dem Antrag sind Nachweise über die Bestattungskosten und die eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse beizufügen.
  5. Bestattertarife: Viele Städte und Gemeinden haben mit örtlichen Bestattern Verträge über Sozialtarife geschlossen. Damit ist sichergestellt, dass Bedürftige die erforderlichen Bestattungsleistungen zu günstigen Konditionen erhalten können.

Zusammengefasst bietet die Sozialhilfe also ein letztes Auffangnetz, um eine würdige Bestattung zu ermöglichen, wenn weder Erben noch unterhaltspflichtige Angehörige dafür aufkommen können. Sie sichert aber nur das Erforderliche und setzt eine eigene Bedürftigkeit voraus.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Bestattungsgesetz Rheinland-Pfalz (BestG): Regelung der Bestattungspflicht und der Verantwortlichkeit für die Bestattung in Rheinland-Pfalz. Relevant für die Feststellung der Pflicht zur Bestattung und Kostentragung des Klägers für seinen unbekannten Halbbruder.
  • § 9 Abs. 1 Satz 1 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG): Ermächtigungsgrundlage für die Ordnungsverfügung zur Bestattung. Grundlage für das Handeln der Behörden, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, wie es die Nichtbestattung eines Verstorbenen darstellt.
  • § 1968 BGB: Regelung zur Tragung der Bestattungskosten durch den Erben. Erklärt, warum die Erbausschlagung nicht von der öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht entbindet.
  • § 74 SGB XII: Sozialrechtliche Regelung zur Übernahme der Bestattungskosten durch den Sozialhilfeträger in Härtefällen. Bietet Hintergrundinformationen zu möglichen finanziellen Entlastungen für Bestattungspflichtige.
  • § 63 Abs. 1, § 66 Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz (LVwVG): Rechtsgrundlage für die Ersatzvornahme und die Androhung dieser Maßnahme. Erläutert, wie Behörden handeln können, wenn der Verpflichtete der Aufforderung zur Bestattung nicht nachkommt.
  • Art. 70 Abs. 1 Grundgesetz (GG): Bestimmt die Gesetzgebungskompetenzen der Länder, insbesondere für das Bestattungsrecht. Wichtig für das Verständnis der rechtlichen Grundlagen der Bestattungspflicht auf Landesebene.


Das vorliegende Urteil

VG Mainz Az.: 3 K 425/22.MZ – Urteil vom 19.07.2023

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Inanspruchnahme für die Bestattung seines im Jahr 1952 geborenen Halbbruders X, der 1966 von einem Ehepaar adoptiert worden war.

Herr X verstarb am 14. August 2021 in Y. Die Einäscherung erfolgte am 10. September 2021 und die Beisetzung der Urne am 24. November 2021.

Über den Todesfall setzte der Beklagte den Kläger (und dessen Schwester jeweils) mit Schreiben vom 27. August 2021 in Kenntnis. Er wies auf die (eilige) Bestattungs- und Kostenpflicht des Klägers hin und kündigte die Anordnung der Bestattung an, zu der Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt wurde.

Der Kläger wurde mit Verfügung vom 3. September 2021 (unter Anordnung des Sofortvollzugs) aufgefordert, den Leichnam des Bruders bis zum 10. September 2021 bestatten oder einäschern und in letzterem Fall die Urne bis zum 22. November 2021 beisetzen zu lassen. Für den Fall der Nichtbefolgung der Aufforderungen wurde jeweils die Ersatzvornahme angedroht und die voraussichtlichen Kosten einer Feuerbestattung und Urnenbeisetzung auf insgesamt 1.670,36 € beziffert. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass der Kläger nach dem Bestattungsgesetz verpflichtet sei, für die Bestattung des ledigen Halbbruders Sorge zu tragen. Da der Kläger der Verpflichtung nicht nachgekommen sei, sei die Verfügung aus Gründen der Pietät und des Gesundheitsschutzes auf der Grundlage von § 9 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes verhältnismäßig.

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Dagegen wandte sich der Kläger mit Widerspruch vom 27. September 2021. Erstmals aufgrund des Beklagtenschreibens vom 27. August 2021 habe er erfahren, dass er einen älteren Halbbruder haben solle. Davon habe er zuvor niemals etwas gehört, insbesondere nicht von seiner Mutter, die die leibliche Mutter auch des Verstorbenen gewesen sein solle. Es habe keinerlei Kontakt zu dem Verstorbenen gegeben. Es sei unbillig, so plötzlich mit der Durchführung einer Beerdigung und den damit verbundenen Kosten belastet zu werden. Im Übrigen sei er nach § 9 des Bestattungsgesetzes erst nachrangig nach den Eltern und Kindern des Verstorbenen sowie dessen leiblichem Vater heranzuziehen. Er – der Kläger – habe außerdem in der Zwischenzeit die Erbschaft nach seinem Bruder ausgeschlagen. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob rheinland-pfälzisches Bestattungsrecht auf ihn als in Hessen wohnendem Bürger anwendbar sei.

Nach Durchführung der Bestattung des Verstorbenen im Wege der Ersatzvornahme erließ der Beklagte einen Kostenbescheid vom 25. November 2021, mit dem er den Kläger anteilig in Höhe von 1.324,78 € für die Bestattungskosten von insgesamt 2.649,56 € in Anspruch nahm. Ein entsprechender Bescheid erging gegenüber der Schwester des Klägers.

Der Kläger erhob hiergegen unter dem 8. Dezember 2021 Widerspruch und trug ergänzend vor: Die Nutzung einer Kühlzelle für einen Zeitraum fast 4 Wochen nach dem Tod des Verstorben wäre vermeidbar gewesen, wenn der Beklagte die Bestattung früher vorgenommen hätte.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2022 zurückgewiesen. Der Kläger sei als Halbbruder des Verstorbenen zusammen mit seiner Schwester zur Bestattung des nächsten Angehörigen verpflichtet, weil vorgehende Erben oder andere nähere Verwandte – noch lebende Eltern/Adoptiveltern oder Kinder – trotz intensiver Recherche auch im sozialen Umfeld des Verstorbenen nicht hätten ermittelt werden können. Ein familiäres Näheverhältnis sei nicht Voraussetzung für die Bestattungspflicht. Die Erbausschlagung hindere nicht die Inanspruchnahme wegen öffentlich-rechtlicher Pflichten. Weil der Kläger der von Gesetzes wegen kurzfristig zu erfüllenden Bestattungspflicht nicht nachgekommen sei, habe die Ersatzvornahme durchgeführt werden können.

Mit am 17. August 2022 erhobener Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die ergangenen Bescheide seien rechtswidrig. Das Verlangen, einer Bestattungspflicht nachzukommen, sei – wie bei nachhaltig gestörten Familienverhältnissen – auch dann grob unbillig, wenn ein Familienleben gar nicht stattgefunden habe, weil man nichts voneinander gewusst habe. Erst aufgrund des Schreibens des Beklagten vom 27. August 2021 habe er von einem angeblichen Halbbruder erfahren. Ohne jedoch die Möglichkeit gehabt zu haben, Rücklagen für zu erwartende Bestattungskosten zu bilden, sei er mit der Bestattungspflicht „überfallen“ worden. Sicher geglaubte Familienverhältnisse seien plötzlich über „den Haufen geworfen“ worden. In einer solchen Konstellation sei die Bestattung eines unbekannten Menschen nicht zumutbar. Es sei nicht seine – des Klägers – Aufgabe, weitere potenzielle Bestattungspflichtige zu ermitteln, dazu habe der Beklagte auch weitreichendere Möglichkeiten. Weil er – der Kläger – unmittelbar nach Information über den Tod des Halbbruders eine Reise angetreten sei, habe er sich um die Angelegenheit zunächst nicht weiter gekümmert. Von dem Beklagten habe er indes schon deshalb nicht in Anspruch genommen werden dürfen, weil er in Hessen lebe. Das rheinland-pfälzische Bestattungsgesetz, das von den Regelungen anderer Bundesländer abweiche, gelte für ihn nicht.

Der Kläger beantragt, die Bescheide vom 3. September 2021 und vom 25. November 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2022 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, und weist darauf hin, dass er mit großem Aufwand Ermittlungen zu anderen (vorrangigen) Verantwortlichen – jedoch ohne Ergebnis – durchgeführt habe. Auch der gesetzliche Betreuer des Verstorbenen – der Prozessbevollmächtigte des Klägers – habe keine weiteren Erkenntnisse zu näheren Angehörigen des Verstorbenen, insbesondere dessen Kindern, gehabt. Anzuwenden sei – anknüpfend an den Sterbeort – das rheinland-pfälzische Bestattungsrecht, das als Gefahrenabwehrrecht zügig auszuführen gewesen sei; deshalb habe auch die Ermittlung der für die Totenfürsorge verantwortlichen nächsten Angehörigen innerhalb des kurzen Zeitraums für die Vornahme einer Bestattung erfolgen müssen. Dem Kläger bleibe es unbenommen, eventuell vorrangig zur Übernahme der Bestattungskosten Verpflichtete zivilrechtlich in Anspruch zu nehmen. Nur in krassen Ausnahmefällen wie schweren Straftaten werde die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht als grob unbillig abgelehnt; ein solcher Fall sei aber nicht schon bei Fehlen eines familiären Näheverhältnisses anzunehmen. Die Kosten der Kühlung seien nicht unangemessen hoch. Er – der Beklagte – sei am 23. August 2021 von der Pathologie über den Todesfall informiert worden. Innerhalb der dann geltenden Fristen für die Bestattung und deren Ermöglichung durch die Angehörigen sei die Einäscherung so zeitnah wie möglich erfolgt. Die öffentlich-rechtliche Anordnung einer Bestattungspflicht sei auch vor dem Hintergrund eines sozialrechtlichen Anspruchs auf Kostenübernahme im Härtefall nach § 74 SGB XII grundsätzlich verhältnismäßig und zumutbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte 3 K 427/22.MZ sowie die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung vom 3. September 2021, den Halbbruder zu bestatten, und den Kostenerstattungsbescheid vom 25. November 2021 aufgrund erfolgter Ersatzvornahme ist zulässig, aber unbegründet. Insbesondere ist die Ordnungsverfügung durch die im Wege der Ersatzvornahme durch den Beklagten vorgenommene Einäscherung und Urnenbestattung nicht erledigt. Eine Erledigung eines Verwaltungsaktes tritt erst ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.9.2008 – 7 C 5/08 –, NVwZ 2009, 122 und juris, Rn. 13 m.w.N.). Daran gemessen hatte sich die Bestattungsverfügung durch die im Wege der Ersatzvornahme durchgeführte Bestattung nicht erledigt. Von einem Verwaltungsakt, mit dem Handlungspflichten auferlegt werden, die im Wege der Ersatzvornahme vollstreckt wurden, gehen auch weiterhin rechtliche Wirkungen für das Vollstreckungsverfahren aus. Denn die Ordnungsverfügung bildet zugleich die Grundlage für den vollstreckungsrechtlichen Kostenbescheid. Diese Titelfunktion des Grundverwaltungsakts dauert an.

I. Der Bescheid des Beklagten vom 3. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2022 ist sowohl hinsichtlich der Bestattungsverfügung (1.) als auch hinsichtlich der Ersatzvornahmeandrohungen (2.) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Ermächtigungsgrundlage für die im angefochtenen Bescheid enthaltene Bestattungsverfügung ist § 9 Abs. 1 Satz 1 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes – POG –. Nach dieser Vorschrift können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger war nicht bereit, der ihn nach dem Tod seines Halbbruders nach § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Bestattungsgesetz Rheinland-Pfalz – BestG – treffenden Bestattungspflicht nachzukommen.

Die Bestattungsverfügung ist formell rechtmäßig. Mit dem Beklagten hat die zuständige Ordnungsbehörde gehandelt (§§ 88 Abs. 1 Nr. 1, 89 Abs. 1 und 90 Abs. 1 POG i.V.m. § 1 der Landesverordnung über die Zuständigkeit der allgemeinen Ordnungsbehörden – OrdnungsbehördenZuVO – und §§ 85 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4, 86 Abs. 2 Satz 1 Gemeindeordnung – GemO – i.V.m. § 1 Abs. 1 der Eigenbetriebs- und Anstaltsverordnung – EigAnVO – sowie § 1 Abs. 2 der Betriebssatzung des Wirtschaftsbetriebs Y). Der Kläger wurde mit dem Schreiben des Beklagten vom 27. August 2021, mit dem er vom Tod seines Halbbruders in Kenntnis gesetzt wurde, auch im Sinne von § 28 Abs. 1 VwVfG hinsichtlich des möglichen Erlasses einer gegen ihn gerichteten Bestattungsverfügung angehört.

Die Bestattungsverfügung ist auch materiell rechtmäßig.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 POG liegen vor, denn die Weigerung des Klägers, für die Bestattung seines verstorbenen Halbbruders Sorge zu tragen, stellt einen Verstoß gegen die nach § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Satz 2 BestG geregelte Verpflichtung, eine Leiche innerhalb von 10 Tagen nach Eintritt des Todes zu bestatten, dar und begründet damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, zu deren Schutzgüter u.a. die geschriebene Rechtsordnung (vgl. OVG Nds., Beschluss vom 17.10.2018 – 13 ME 107/18 –, NVwZ-RR 2019, 254 und juris, Rn. 17; VG Neustadt/Wstr., Beschluss vom 19.12.2018 – 5 L 1573/18.NW –, juris, Rn. 16) und damit auch die Vorschriften des Bestattungsrechts gehören.

Der Beklagte hat auch das ihm zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Insbesondere begegnet es keinen Rechtsbedenken, dass er den Kläger zur Erfüllung der Bestattungspflicht herangezogen hat, denn dieser war im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Bestattungsverfügung der nach den Regelungen des § 9 BestG zur Erfüllung der Bestattungspflicht Verantwortliche.

Wer für die Bestattung verantwortlich ist, ergibt sich vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Regelungen in § 9 Abs. 2 und 3 BestG aus § 9 Abs. 1 BestG. Nach dieser Vorschrift ist zunächst der Erbe für die Erfüllung der aufgrund des Bestattungsgesetzes bestehenden Verpflichtungen verantwortlich (§ 9 Abs. 1 Satz 1 BestG). Ist ein Erbe nicht rechtzeitig zu ermitteln oder kann dieser aus anderen Gründen nicht oder nicht rechtzeitig in Anspruch genommen werden, folgt eine Verantwortlichkeit der in § 9 Abs. 1 Satz 2 BestG abschließend genannten Personen in der dort aufgezählten Reihenfolge (vgl. OVG RP, Urteil vom 14.6.2007 – 7 A 11566/06 –, juris, Rn. 16). Der Inanspruchnahme der in § 9 Abs. 1 Satz 2 BestG genannten Personen liegt der Gedanke zugrunde, dass diese regelmäßig einen – abgestuften – Grad der verwandtschaftlichen Beziehung zu dem Verstorbenen hatten (vgl. insoweit die amtliche Begründung zu § 9 BestG, LT-Drs 9/2411, S. 4, 18). Ob ein persönliches Näheverhältnis zu dem Verstorbenen bestand, ist rechtlich unerheblich (h.M., vgl. OVG Nds., Beschluss vom 1.8.2008 – 8 LB 55/07 –, juris, Rn. 23).

Ausgehend von diesen Voraussetzungen durfte der Beklagte den Kläger als zur Erfüllung der Bestattungspflicht Verantwortlichen heranziehen. Trotz intensiver Recherche nach Kenntniserhalt vom Tod des Halbbruders des Klägers konnte der Beklagte keine Erben oder in der Bestattungspflicht dem Kläger vorgehende Personen ermitteln. Insbesondere die Adoptiveltern des Verstorbenen und dessen leibliche Mutter waren vorverstorben; der leibliche Vater ist unbekannt. Die von den Kindern des (unverheirateten) Verstorbenen einzig mit Namen bekannte Tochter ließ sich von dem Beklagten mangels Kenntnis des Geburtsorts in der Kürze der Zeit ebenfalls nicht ermitteln. Von daher konnten keine vorgehenden Erben oder Verwandte als für die Bestattungspflicht Verantwortliche herangezogen werden und haben sich nach dem Akteninhalt auch nicht aufgedrängt. Der Kläger ist deshalb als Halbbruder des von Dritten im Jahr 1966 – nach der Übergangsregelung in Art. 12 § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz) zur Änderung des Adoptionsrechts im Jahr 1977 – als im Status eines Volljährigen adoptierten (§ 1770 BGB) Verstorbenen X nach § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 BestG bestattungspflichtig.

Der Umstand, dass der Kläger das Erbe nach seinem Halbbruder ausgeschlagen haben will, lässt seine durch § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 BestG begründete Bestattungspflicht unberührt (h.M., vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.8.1994 – 1 B 149/94 –, NVwZ-RR 1995, 283 und juris, Rn. 5; OVG SH, Urteil vom 27.4.2015 – 2 LB 27/14 –, juris, Rn 49 ff.; OVG Saarland, Urteil vom 27.12.2007 – 1 A 40/07 –, juris, Rn. 46). Durch die Ausschlagung der Erbschaft kann sich ein Erbe nur von solchen Verbindlichkeiten befreien, die ihren Rechtsgrund gerade in der Erbenstellung haben. Verpflichtungen aus anderem Rechtsgrund bleiben hingegen auch nach der Ausschlagung der Erbschaft bestehen. Dies gilt u.a. für die sich aus § 8 Abs. 2 Satz 1, § 9 Abs. 1 BestG ergebende öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht und die hieran anknüpfende Kostenerstattungspflicht. Die bundesrechtlichen Regelungen über die Erbenstellung und die damit verbundene Pflicht, die Bestattungskosten zu tragen (§ 1968 BGB), sind auch nicht in dem Sinn vorrangig, dass sie öffentlich-rechtliche, auf Landesgesetz beruhende Ansprüche aus dem Ordnungsrecht ausschlössen. Derartige öffentlich-rechtliche Ansprüche beruhen auf einem vom Zivilrecht unabhängigen, der Kompetenz des Landesgesetzgebers, die sich für den Erlass des Bestattungsgesetzes aus Art. 70 Abs. 1 Grundgesetz – GG – ergibt, unterliegenden Rechtsgrund (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1994 – 1 B 149/94 –, NVwZ-RR 1995, 283 = juris Rn. 5).

Entgegen der Ansicht des Klägers liegen auch keine Gründe vor, die seine Inanspruchnahme als Bestattungspflichtiger als unzumutbar erscheinen lassen.

In der Rechtsprechung wird – mit unterschiedlicher dogmatischer Begründung – vertreten, dass die grundsätzliche Einstandspflicht für die Bestattung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 BestG und die Haftung für die Bestattungskosten im Einzelfall ausgeschlossen sein können, wenn die Inanspruchnahme für den Betroffenen eine unbillige Härte darstellt (vgl. OVG SH, Urteil vom 27.4.2015 – 2 LB 27/14 –, juris Rn. 59 f.; BayVGH, Beschluss vom 17.1.2013 – 4 ZB 12.2374 –, juris Rn. 7; HessVGH, Urteil vom 26.10.2011 – 5 A 1245/11 –, juris Rn. 31 f.; OVG RP, Beschluss vom 16.6.2009 – 7 D 10513/09 –, juris Rn. 5 f.). Ein Entfallen der grundsätzlichen Einstandspflicht für die Bestattung kommt indes nur in besonderen Ausnahmesituationen in Betracht, in denen es einem Angehörigen schlichtweg unzumutbar ist, für die Bestattung des Verstorbenen endgültig oder auch nur vorläufig Sorge zu tragen. Dies kann in Fällen von schweren Straftaten des Verstorbenen gegenüber dem Bestattungspflichtigen oder dessen Angehörigen oder eines vergleichbaren Fehlverhaltens (z.B. einem dauerhaften Sorgerechtsentzug wegen Kindeswohlgefährdung, vgl. VG Würzburg, Urteil vom 6.10.2021 – W 2 K 21.556 –, juris, Rn. 28 m.w.N.) relevant werden. Ein Kontaktabbruch oder ein Auseinanderleben in der Vergangenheit, ein Verlassen und Im-Stich-Lassen der Familie und eine Verletzung von Unterhaltspflichten durch den Verstorbenen genügen nach übereinstimmender Rechtsprechung demgegenüber nicht. Denn die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht gemäß § 9 BestG, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. HessVGH, Urteil vom 26.10.2011 – 5 A 1245/11 –, juris, Rn. 29; OVG SH, Urteil vom 27.4.2015 – 2 LB 27/14 –, juris, Rn. 64), knüpft gerade nicht an ein familiäres Näheverhältnis zwischen dem Verstorbenen und den dort genannten Bestattungspflichtigen an, sondern lediglich an das objektiv zwischen ihnen bestehende nahe Verwandtschaftsverhältnis (vgl. OVG SH, Urteil vom 27.4.2015 – 2 LB 27/14 –, juris, Rn. 65 ff.; OVG NRW, Urteil vom 20.6.1996 – 19 A 4829/95 –, juris, Rn. 25). Allein dadurch stehen die Bestattungspflichtigen dem Verstorbenen jedenfalls näher als die Allgemeinheit, was ihre vorrangige Inanspruchnahme für die Bestattung und die Bestattungskosten sachlich rechtfertigt (vgl. OVG SH, Urteil vom 27.4.2015 – 2 LB 27/14 –, juris, Rn. 64 – 66).

Gründe, die nach den Maßstäben des Vorgesagten für den Kläger eine unbillige Härte darstellen könnten, sind weder dargetan noch ersichtlich. Der Vortrag, er habe erst von dem Beklagten im August 2021 erfahren, einen Halbbruder zu haben, und es habe zu dessen Lebzeiten keinerlei familiären Kontakt untereinander gegeben, ist vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung unbehelflich. Von daher kann die Annahme eines Härtefalls hier nicht davon abhängen, ob der verstorbene Bruder bekannt war und keinerlei Kontakt bestand oder ob er eben unbekannt war und kein Kontakt bestand (vgl. VG Neustadt/Wstr., Urteil vom 4.12.2018 – 5 K 509/18.NW –, juris, Rn. 37 zu einem Fall eines Halbbruders). Soweit der Kläger außerdem seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht hat, dass ihre leibliche Mutter zu ihren Lebzeiten niemals über einen Halbbruder gesprochen habe, so kann dies nicht als schwere Verfehlung gerade des Verstorbenen gewertet werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 28.4.2023 – 4 B 22.2078 –, juris, Rn. 20; OVG SH, Urteil vom 27.4.2015 – 2 LB 27/14 –, juris, Rn. 75). Die Umstände, dass sich seine sicher geglaubten familiären Verhältnisse plötzlich massiv verändert dargestellt hätten, er sich auf seine Bestattungspflicht (auch in finanzieller Hinsicht) nicht habe vorbereiten können und er dieser angesichts des bevorstehenden Urlaubs auch tatsächlich kurzfristig nicht habe nachkommen können, reichen nicht an den Grad der Intensität heran, bei dem die Rechtsprechung ausnahmsweise eine Verschonung von den (jeden Bürger jederzeit treffen könnenden) Bestattungs- und Kostentragungspflichten anerkannt hat. Bei dieser Betrachtung ist auch die gesamte Rechtsordnung in den Blick zu nehmen, die dem Kostenpflichtigen Stundungsmöglichkeiten oder sonstige Ausgleichsmöglichkeiten bietet, wie zivilrechtliche Ausgleichsansprüche gegen den Erben auf der Grundlage des § 1968 BGB. Daneben tritt aber vor allem die sozialrechtliche Möglichkeit, die Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger gemäß § 74 SGB XII zu beantragen. Nach dieser Vorschrift werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung vom zuständigen Träger der Sozialhilfe übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten „nicht zugemutet“ werden kann, die Kosten zu tragen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.5.2023 – 19 E 348/23 –, juris, RN. 4; ThürOVG, Urteil vom 23.4.2015 – 3 KO 341/11 –, juris, Rn. 53 – 56). Gerade wegen der Möglichkeit einer Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger besteht im Übrigen auch kein Anlass, einen Angehörigen von seinen Bestattungspflichten freizustellen, wenn die Familienverhältnisse gestört sind (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2011 – III ZR 53/11 –, juris, Rn. 22).

Ermessensfehlerhaft vorgegangen ist der Beklagte auch nicht insoweit, als er allein den Kläger und seine Schwester zur Bestattung des Halbbruders herangezogen hat und nicht auch den genannten weiteren Bruder. Zwischen ihnen dürfte nach § 9 Abs. 1 Satz 2 BestG hinsichtlich der Bestattungspflicht allenfalls Ranggleichheit bestehen. Dass es einen weiteren Bruder gibt, zu dem nähere Angaben außer einem Namen nicht getätigt worden sind, ist dem Beklagten auch erst am 1. September 2021 (ohne Angaben zu dessen Erreichbarkeit) mitgeteilt worden. Nach Ermittlung des Beklagten ist der genannte weitere Bruder auch nicht in dem beim Standesamt geführten Familienbuch verzeichnet gewesen (vgl. Bl. 150 der Verwaltungsakte). Mit Blick auf den Gefahrenabwehrcharakter der zeitgebundenen Bestattungspflicht (die Bestattung eines Verstorbenen muss binnen 10 Tagen nach Eintritt des Todes erfolgen, § 15 Abs. 1 BestG) begegnet daher die Auswahl des Klägers und seiner Schwester keinen Rechtsbedenken.

2. Die in der Bestattungsverfügung vom 3. September 2021 enthaltenen Androhungen der Ersatzvornahme entsprechen den Rechtsvorschriften. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in § 63 Abs. 1, § 66 Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz – LVwVG –. Die Ersatzvornahmen wurden dem Kläger schriftlich angedroht (§ 66 Abs. 1 Satz 1 LVwVG) und die Androhungen sind ihm zugestellt worden (§ 66 Abs. 6 Satz 1 LVwVG). Ferner ist die Androhung der Ersatzvornahme als Zwangsmittel unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Zum einen ist sie taugliches Zwangsmittel, weil es sich bei der Bestattung eines Verstorbenen um eine vertretbare Handlung handelt. Zum anderen ist sie unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr auch geeignet und erforderlich. Schließlich sind in den Androhungen auch die voraussichtlichen Kosten der Ersatzvornahme angegeben (§ 66 Abs. 4 LVwVG), die ihrerseits hinsichtlich der Höhe keinen Rechtsbedenken unterliegen.

II. Der Bescheid vom 25. November 2021 über die (anteilige) Erstattung der Kosten, die für die Durchführung der Ersatzvornahmen (die Einäscherung und Urnenbestattung des Halbbruders) angefallen waren, ist rechtlich – auch mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen zur Bestattungspflicht des Klägers – ebenfalls nicht zu beanstanden. Er stützt sich auf § 63 Abs. 1 LVwVG. Danach kann die Vollstreckungsbehörde auf Kosten des Vollstreckungsschuldners eine vertretbare Handlung, die dieser nicht erfüllt hat, selbst oder unter Hilfe eines Dritten ausführen.

Die Heranziehung zu den Ersatzvornahmekosten begegnet hier auch der Höhe nach keinen Rechtsbedenken. Insbesondere die Kosten für die Benutzung der Kühlzelle für die Dauer von 16 Tagen für den Zeitraum der Übernahme der Leiche vom Krankenhaus bis zur Einäscherung (vom 26. August 2021 bis zum 10. September 2021) in einer Gesamthöhe von 157 € sind erstattungsfähig. Der Ansatz der Kühlkosten ist insbesondere nicht mit Blick auf das Versterbedatum vom 14. August 2021 unangemessen. Der Beklagte hat erst am 23. August 2021 von dem Todesfall erfahren (erst für die Zeit danach sind die in Rede stehenden Kühlkosten entstanden) und sofort die Ermittlung von Bestattungspflichtigen aufgenommen. Dies hat einige Zeit in Anspruch genommen, die herangezogenen Geschwister wurden am 27. August 2021 benachrichtigt und nach einem telefonischen Kontakt mit dem Beklagten unter dem 3. September 2021 bis zum 10. September 2021 zur Bestattung aufgefordert. Unter Berücksichtigung der den Beklagten treffenden Sachverhaltsaufklärungspflichten in möglichst kurzer Zeit und mit Blick darauf, dass zunächst den Bestattungspflichtigen auch Gelegenheit zu geben ist, aus eigener Initiative für die Bestattung Sorge zu tragen, sind die Kosten der Aufbewahrung des Verstorbenen in der Kühlzelle als erforderlich anzusehen (so auch VGH BW, Urteil vom 17.1.2023 – 1 S 3770/21 –, DVBl. 2023, 739 und juris, Rn. 28 – 32 zu den Kühlkosten für einen Zeitraum von 15 Tagen). Entgegen der Ansicht des Klägers ist eine zeitlich frühere Bestattung des Verstorbenen durch den Beklagten nach allen Umständen des Einzelfalls nicht erforderlich gewesen.

III. Der Rechtmäßigkeit der auf rheinland-pfälzischem Landesrecht beruhenden Bescheide vom 3. September 2021 und vom 25. November 2021 steht entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht der Umstand entgegen, dass er nicht in Rheinland-Pfalz wohnt und deshalb dem Beklagten die notwendige Verbandskompetenz fehlen könnte. Die Inanspruchnahme des Klägers nach den Vorschriften des Bestattungsgesetzes i.V.m. dem Polizei- und Ordnungsbehördengesetz und dem Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz beschränkt sich nicht auf Pflichtige, die in Rheinland-Pfalz wohnhaft sind (vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.6.1996 – 19 A 4829/95 –, juris, Rn. 26 ff. zu einem Bestattungsfall). Eine Beschränkung der Landesstaatsgewalt auf das Landesgebiet wird nach allgemeiner Meinung nicht für die Konstellation angenommen, in der es um die Möglichkeit geht, auf den Landesbereich beschränkte Vorschriften wirksam zu vollziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.5.1988 – 7 C 37/87 –, BVerwGE 79, 339 und juris, Rn. 12; OVG NRW, Urteil vom 20.6.1996 – 19 A 4829/95 –, juris, Rn. 26 ff.; Oldiges, DÖV 1989, 873, 878). Auch verfassungsrechtlich kann eine generelle Beschränkung der Landesstaatsgewalt dann nicht angenommen werden, wenn es (wie hier) nicht darum geht, die Geltung eines Landesgesetzes – in einer die Staatsgewalt der anderen Bundesländer beeinträchtigenden Weise – über die Landesgrenzen hinaus zu erstrecken, sondern lediglich um die Möglichkeit, das auf den Landesbereich beschränkte Gesetz wirksam zu vollziehen. Ein im Landesbereich wurzelnder Regelungsgegenstand, der für den Vollzug und die Verwirklichung Landesgrenzen überschreitende Auswirkungen entfalten kann, ist hier dadurch gegeben, dass der die Bestattungspflicht auslösende Tod des Halbbruders in Rheinland-Pfalz eingetreten ist und der Kläger daher Handlungen zur Erfüllung seiner Bestattungspflicht in Rheinland-Pfalz bewirken musste.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufigen Kosten des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

B e s c h l u s s der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 19. Juli 2023

Der Streitwert wird auf 2.995,14 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1, 3 GKG). Für die Grundverfügung vom 3. September 2021 wurden die genannten geschätzten Kosten der Ersatzvornahme und zusätzlich für den Kostenerstattungsbescheid der dort festgesetzte Betrag in Höhe von 1.324,78 € in Ansatz gebracht.

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