Tierhalterhaftung und entgangener Gewinn: Ein juristischer Blick auf die Verantwortung bei Hundeattacken und die finanziellen Folgen
In dem vorliegenden Fall, entschieden durch das Landgericht Limburg unter dem Aktenzeichen 2 O 146/15, geht es um die Haftung eines Hundehalters für den Schaden, der durch den Biss seines Hundes an einem anderen Hund entstanden ist. Der Kläger, Eigentümer einer Border Collie-Hündin namens Zilly, verklagte den Beklagten, der eine Ridgeback-Hündin besitzt, auf Schadensersatz und entgangenen Gewinn durch den Verkauf von Welpen. Das Kernproblem liegt in der Frage, inwieweit der Beklagte für den entstandenen Schaden und den entgangenen Gewinn des Klägers haftet.
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Übersicht:
Beweisführung und Tiergefahr
Das Gericht stellte fest, dass die Hündin des Beklagten Zilly gebissen und dadurch eine Tiergefahr verwirklicht hat. Diese Tiergefahr ist definiert als die Unberechenbarkeit des Verhaltens eines Tieres, die zu einer Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum Dritter führen kann. In diesem Fall war das Beißen der Hündin des Beklagten ein solches unberechenbares Verhalten. Das Gericht führte eine Beweisaufnahme durch, um festzustellen, ob Zilly zum Zeitpunkt des Vorfalls läufig war, was der Kläger behauptete.
Läufigkeit und entgangener Gewinn
Die Beweisaufnahme ergab, dass Zilly zum Zeitpunkt des Bissvorfalles läufig war. Der Kläger argumentierte, dass durch die Verletzung und die darauffolgende medizinische Behandlung Zilly nicht mehr gedeckt werden konnte. Dies führte zu einem entgangenen Gewinn durch den Verkauf von Welpen, da Zilly aufgrund ihres Alters nicht mehr für die Zucht zur Verfügung stand.
Medizinische und tierschutzrechtliche Aspekte
Das Gericht berücksichtigte auch tiermedizinische und tierschutzrechtliche Gesichtspunkte. Aufgrund der Schwere der Verletzung und der notwendigen medizinischen Behandlung war es nicht möglich, Zilly zu decken. Dies wurde durch eine Bescheinigung des behandelnden Tierarztes bestätigt.
Streitwert und Kostenverteilung
Der Streitwert wurde auf 6.750,00 EUR festgesetzt. Das Gericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 3.000,00 EUR an den Kläger. Die Kosten des Rechtsstreits wurden zwischen Kläger und Beklagtem aufgeteilt, wobei der Kläger 55 % und der Beklagte 45 % zu tragen haben.
Schlussbetrachtung: Haftung und Schadensersatz
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 3.000,00 EUR hat. Es wurde jedoch nicht die volle Wurfgröße für die Berechnung des entgangenen Gewinns herangezogen, da Zilly in der Vergangenheit kleinere Würfe hatte. Die Entscheidung zeigt die Komplexität der Tierhalterhaftung und die vielfältigen Aspekte, die bei der Beurteilung eines solchen Falles zu berücksichtigen sind.
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Das vorliegende Urteil
LG Limburg – Az.: 2 O 146/15 – Urteil vom 11.12.2015
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.000,00 € nebst Zinsen mit 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2015 zu zahlen.
Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 330,95 € nebst Zinsen von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 03.06.2015 freizustellen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, auf die von dem Kläger eingezahlten Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) Zinsen von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.09.2015 bis zum Tag des Eingangs des Kostenfestsetzungsantrags bei Gericht nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 55 % und der Beklagte zu 45 % zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils vollstreckten Betrages vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckten Betrages abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 6.750,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger ist Halter und Eigentümer der am 19.04.2007 geborenen, 14,5 kg schweren, reinrassigen Border Collie-Hündin Zilly. Der Beklagte ist Eigentümer einer ca. 30 kg schweren Ridgeback-Hündin.
Beim Spazierengehen am 24.10.2014 biss die Hündin des Beklagten Zilly in den Kopf. Zilly erlitt eine 12 cm lange Bisswunde im Kopf-/Ohrenbereich und musste operiert werden. Die Versicherung des Beklagten hat die Tierarztkosten des Klägers in vollem Umfang ersetzt.
Durchschnittlich wird eine Hündin alle sieben Monate läufig. Zilly, die von dem Kläger zur eingesetzt wurde, hatte im Jahr 2010 5 Welpen und im Jahr 2013 4 Welpen zur Welt gebracht. Die durchschnittliche Welpengröße bei Border Collies liegt bei 6 Welpen.
Der Kläger behauptet, Zilly sei am 24.10.2014 läufig gewesen. Sie habe im Oktober 2014 ihre letzte noch für eine anerkannte Zucht geeignete Läufigkeit erreicht gehabt. Wegen der Operation und der Medikation sei es aus tiermedizinischer und tierschutzrechtlicher Sicht nicht möglich gewesen, Zilly zu decken. Der Kläger behauptet ferner, er habe einen eigenen Deckrüden zur Verfügung gehabt. Der Kaufpreis für einen Welpen belaufe sich auf 1.300,00 €. Zilly sei nie wegen Reproduktions- oder Gebärmutterproblemen o.ä. in Behandlung gewesen.
Der Kläger errechnet seinen Schaden pro „entgangenem Welpen“ wie folgt:
- Kaufpreis 1.300,00 €
- abzüglich Futterkosten für sechs Wochen – 50,00 €
- abzüglich Impfkosten – 75,00 €
- abzüglich Spielzeug, Ausstattung – 50,00 €
- 1.125,00 €
Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 6.750,00 € nebst Zinsen von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2015 zu zahlen, den Beklagten zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 962,60 € nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit freizustellen, den Beklagten zu verurteilen, den verauslagten Gerichtskostenvorschuss von 552,00 € ab Eingang bei Gericht mit 5%-Punkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen, hilfsweise festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, auf die von dem Kläger eingezahlten Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) Zinsen von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem Tag der Einzahlung der Gerichtskosten bei der Gerichtskasse bis zum Tag des Eingangs des Kostenfestsetzungsantrags bei Gericht nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat Beweis erhoben über die Behauptung des Klägers, Zilly sei am 24.10.2014 in Hitze gewesen durch Vernehmung der Zeugin … und des Zeugen Dr. … .
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die von den Prozessvertretern der Parteien vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen, den Beweisbeschluss vom 14.09.2015 und die Sitzungsniederschrift.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet und abzuweisen.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 3.000,00 € aus § 833 BGB.
Die Hündin Zilly des Klägers ist durch die Hündin des Beklagten verletzt worden. Dadurch hat sich die von der Hündin des Beklagten ausgehende Tiergefahr verwirklicht. Eine solche verwirklicht sich, wenn ein Schaden aufgrund der Unberechenbarkeit des Verhaltens eines Tieres und der dadurch hervorgerufenen Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum Dritter entsteht, so dass der Tierhalter grundsätzlich für all das einzustehen hat, was aufgrund der Unberechenbarkeit des tierischen Verhaltens entsteht. Zum unberechenbaren Tierverhalten zählt insbesondere auch abweichendes Verhalten wie das Beißen eines Hundes.
Dem Kläger ist durch den Biss seiner Hündin Zilly der potentielle Verdienst, den er durch den Verkauf von Welpen hätte erzielen können, entgangen.
1.
Der Kläger hat durch Vorlage der Bescheinigung der 1. Vorsitzenden des „Club für Britische Hütehunde e.V.“ (Landesgruppe Hessen) vom 09.03.2015 substantiiert dargelegt, dass eine in diesem Club gezüchtete Hündin nur bis zum 8. Lebensjahr zur Zucht eingesetzt werden kann. Dem ist der Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten.
2.
Zilly war zum Zeitpunkt des Bissvorfalles in Hitze. Dies hat die Beweisaufnahme ergeben. Die Zeugin … hat glaubhaft geschildert, sie habe ein bis zwei Tage vor dem Bissvorfall bei Zilly Blut weggewischt. Ein Rüde sei sozusagen schon nett zu ihr gewesen. Insbesondere der Zeuge Dr. …, der die Hündin operiert hat, hat am Vorfalltag eindeutig Läufigkeitserscheinungen bei Zilly festgestellt. Er hat gesehen, dass die Vulva von Zilly geschwollen war und dass Bluttröpfchen aus der Scheide ausgetreten waren.
3.
Nach der von dem Zeugen Dr. … durchgeführten Operation konnte Zilly nicht mehr gedeckt werden, denn die Standhitze dauerte bei Zilly etwa 4-5 Tage. Dem entsprechenden Vortrag des Klägers ist der Beklagte nicht entgegengetreten (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Der Kläger hat auch zur Überzeugung der Kammer dargelegt, dass Zilly am Vorfallstag kurz vor der Standhitze gewesen ist. Der Kläger wusste dies deshalb, weil Zilly in den Jahren zuvor bereits gedeckt worden war.
Während der zwölftägigen Behandlungsdauer konnte Zilly nicht gedeckt werden. Zilly war durch den Biss schwer verletzt. Aufgrund der stark verschmutzten Wunde mussten eine Wundsekretdrainage angelegt und eine antibiotische Abdeckung über 10 Tage sowie eine entzündungshemmende Behandlung über 6 Tage durchgeführt werden. Dass aufgrund dieser Umstände ein Decken der Hündin nicht durchgeführt werden konnte, ergibt sich zum einen aus §§ 1 Satz 2, 3 Nr. 1 TierSchG, zum anderen aus der von dem Kläger vorgelegten Bescheinigung des behandelnden Tierarztes, des Zeugen Dr. … vom 11.11.2014.
4.
Da Hündinnen etwa alle 7 Monate läufig werden, fiel die nächste Hitze von Zilly etwa in den Mai 2015 und damit in einen Zeitraum, in dem Zilly für eine Zucht nicht mehr zur Verfügung stand. Denn Zillys 8. Geburtstag war der 19.04.2015.
5.
Gegenüber der Tiergefahr der doppelt so schweren Hündin des Beklagten tritt die Tiergefahr von Zilly komplett zurück, auch wenn Zilly die Hündin des Beklagten vor dem Biss gehütet haben sollte.
6.
Die Kammer schätzt die Höhe des potentiellen Verdienstausfalles nach § 287 ZPO auf 3.000,00 €.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann dabei eine Wurfgröße von 6 Welpen schon deshalb nicht zugrunde gelegt werden, weil Zilly bei insgesamt lediglich zwei Würfen einmal 5 und das andere Mal 4 Welpen zur Welt gebracht hat. Hinzu kommt, das – unter dem Aspekt Zucht gesehen – fortgeschrittene Alter von Zilly.
Bei einem Verkaufspreis von 1.300,00 € pro Welpen abzüglich der Kosten für Futter, Impfung, Spielzeug und Ausstattung in Höhe von 300,00 € (§ 287 Abs. 1 ZPO) errechnet sich pro Welpe ein möglicher potentieller Verdienstausfall von 1.000,00 €.
Es ist aber nicht sichtbar, welche Zahl von Welpen Zilly zur Welt gebracht hätte und welche Zahl von Welpen der Kläger hätte verkaufen können (vgl. dazu OLG Hamm, Urteil vom 07.02.1990, 13 U 62/88; JURIS). Im Übrigen lässt sich auch nicht prognostizieren, ob der o.g. Verkaufspreis für jeden der potentiell zur Welt kommenden Welpen auch tatsächlich in voller Höhe hätte erzielt werden können. Preisbildende Faktoren, wie Charaktereigenschaft, Gesundheit und Färbung sind nicht prognostizierbar.
Des Weiteren ist von dem potentiellen Verdienst noch ein Betrag für einen Deckrüden abzuziehen. Der Kläger hat seine von dem Beklagten bestrittene Behauptung, einen – geeigneten – Deckrüden gehabt zu haben, nicht unter Beweis gestellt.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Freistellung seiner Rechtsanwaltskosten in Höhe von 330,95 €. Zugrunde zu legen ist insoweit ein Gegenstandswert in Höhe von 3.000,00 €. Hinzu kommt eine Pauschale von 20,00 €.
Die Kosten für die Einholung der Deckungszusage sind dagegen nicht erstattungsfähig.
Unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadens sind nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, Urteil vom 13.12.2011, VI ZR 274/10; JURIS). Daran fehlt es hier. Allerdings hat die Rechtsschutzversicherung die Deckung zunächst verweigert mit der Begründung, der Kläger sei Unternehmer und selbständige Tätigkeit nicht versichert. Um festzustellen, dass diese Begründung der Rechtsschutzversicherung für die Weigerung der Deckungszusage nicht tragfähig ist, bedurfte es jedoch keiner anwaltlichen Vertretung.
Der Kläger hat schließlich keinen Anspruch auf Verurteilung des Beklagten zur Verzinsung des verauslagten Gerichtskostenvorschusses. Dieser Antrag ist unbestimmt.
Auf den Hilfsantrag war festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, auf die von dem Kläger eingezahlten Gerichtskosten Zinsen von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem Tag der Einzahlung der Gerichtskosten bei der Gerichtskasse bis zum Tag des Eingangs des Kostenfestsetzungsantrags bei Gericht nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote zu zahlen. Eine Verzinsung der verauslagten Gerichtskosten kann nämlich nicht im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden. Die Vorschrift des § 104 Abs. 1 ZPO betrifft nur den Zeitpunkt ab Eingang des Festsetzungsantrages. Dem Antrag auf Verzinsung ab dem Einzahlungszeitpunkt des Gerichtskostenvorschusses fehlt nicht schon von vornherein ein Rechtsschutzbedürfnis. Der Beklagte befand sich mit der Zahlung von 3.000,00 € in Verzug.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB.
Die Kostenquote ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711; 709 ZPO.
Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO festgesetzt.