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Bußgeldbescheid – Beweiskraft der Zustellung

Oberlandesgericht Bamberg

Az: 3 Ss OWi 100/12

Beschluss vom 22.02.2012


Tatbestand

Das AG hat den Betr. wegen einer am 28.03.2011 als Führer eines Lkw mit Anhänger fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit der Nichteinhaltung des bei einer Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h auf Autobahnen erforderlichen Mindestabstandes von 50 m (tatsächlicher Abstand: 24,3 m bei einer Geschwindigkeit von 81 km/h) zu einem vorausfahrenden Fahrzeug (§§ 4 III i.V.m. 49 I Nr. 4 StVO) zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt sowie gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes nach Maßgabe des § 25 IIa 1 StVG verhängt. Seine hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde, mit der er u.a. den Eintritt von Verfolgungsverjährung geltend macht, blieb ohne Erfolg.

Gründe

1.

Verfolgungsverjährung ist nicht eingetreten.

a)

Die Frist der Verfolgungsverjährung beträgt drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen noch öffentliche Klage erhoben ist, danach sechs Monate (§§ 24, 26 III StVG). Die verfahrensgegenständliche Ordnungswidrigkeit wurde am 28.03.2011 begangen. Entgegen der Auffassung des Bf. Ist die dreimonatige Verjährungsfrist hier nach der ersten Unterbrechung durch die am 20.04.2011 erfolgte Anhörungsanordnung (§ 33 I 1 Nr. 1 OWiG) ausweislich der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde vom 06.07.2011 vor ihrem Ablauf nochmals wirksam, nämlich am 01.07.2011 durch den Erlass des dem Betr. am 06.07.2011 durch Einlegung in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellten Bußgeldbescheides gemäß § 33 I 1 Nr. 9 OWiG wirksam unterbrochen worden.

b)

Soweit der Bf. hiergegen im Rahmen seiner Rechtsbeschwerdebegründungsschrift vom 30.11.2011 vorbringt, „der Orig.-Bußgeldbescheid“ habe „d. Betr./n nicht erreicht“ und die Zustellung sei deshalb als unwirksam anzusehen, weil die Zustellerin vor dem Einwurf in den Briefkasten nicht an der Wohnungstür geläutet habe, obwohl sich der Vater des Betr. als erwachsener Familienangehöriger zum Zeitpunkt ihres Erscheinens zu Hause befunden habe, weshalb eine persönliche Übergabe an diesen ohne weiteres möglich gewesen wäre, steht dem die Beweiskraft der ordnungsgemäß ausgefüllten und von der Zustellerin unterzeichneten Zustellungsurkunde nach den §§ 415, 418 I ZPO entgegen.

aa)

Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde erstreckt sich gemäß § 182 II Nr. 4 ZPO im Falle der Ersatzzustellung durch Einlegung i.S.v. § 180 ZPO auch und gerade darauf, dass die Zustellung nach § 178 I Nr. 1 (oder Nr. 2) ZPO nicht ausführbar gewesen ist. Von der Beweiskraft wird demgemäß erfasst, dass der zustellende Beamte unter der ihm angegebenen Anschrift weder den Adressaten persönlich noch eine zur Entgegennahme einer (vorrangigen) Ersatzzustellung in Betracht kommende Person angetroffen und das Schriftstück in einen zu der Wohnung (oder dem Geschäftsraum) gehörenden Briefkasten (oder in eine ähnliche Vorrichtung) eingelegt hat (Zöller/Stöber ZPO 28. Aufl. § 182 Rn. 8, 14; vgl. aus der Rspr. neben BVerfG NJW 1992, 224 ff. und BVerfG NJW-RR 1992, 1084 f. [BVerfG 20.02.1992 – 2 BvR 884/91] u.a. auch OLG Frankfurt NJW-RR 1997, 956 f. [OLG Frankfurt am Main 20.02.1997 – 22 W 11/97]; OLG Köln FamRZ 1992, 1082 und OLG Saarbrücken MDR 2004, 51 f. [OLG Saarbrücken 21.05.2003 – 5 U 375/02]). Hieraus ergibt sich zugleich, dass die schriftliche Mitteilung in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, er sie deshalb – sofern nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen – erhalten und von ihr Kenntnis nehmen konnte (Zöller/Stöber § 182 Rn. 14; BGH VersR 1984, 81 f. und BGH VersR 1986, 787).

bb)

Zwar ist für die nach § 418 I ZPO als bewiesen zu wertenden Tatsachen gemäß § 418 II ZPO der Antritt eines Gegenbeweises mit der Behauptung zulässig und möglich, dass die Zustellungsurkunde bzw. die in ihr bezeugten Tatsachen unrichtig sind. Erforderlich ist insoweit jedoch eine vollständige Beweisführung, insbesondere eine substantiierte Darlegung und der Nachweis des Gegenteils (Zöller/Stöber § 182 Rn. 15; Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. § 37 Rn. 27; KK/Maul StPO 6. Aufl. § 37 Rn. 26; HK/Gercke StPO 4. Auf. § 37 Rn. 28; Radtke/Hohmann-Rappert StPO § 37 Rn. 35, jeweils m.w.N.). Im Falle des § 180 ZPO ist der volle Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehens, der notwendig ein Fehlverhalten des Zustellers und eine objektive Falschbeurkundung belegt, in der Weise erforderlich, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr niedergelegten Tatsachen ausgeschlossen ist (Zöller/Geimer § 418 Rn. 3 a.E. a.E.; vgl. aus der Rspr. insbesondere BGH NJW 2006, 150 ff. [BGH 10.11.2005 – III ZR 104/05] = DAR 2006, 91 ff.; ferner OLG Düsseldorf JurBüro 1995, 41 = OLGSt StPO § 45 Nr. 11; BFH NJW 1997, 3264 und zuletzt OLG Frankfurt NStZ-RR 2011, 147 f.).

cc) Dieser volle Beweis des Gegenteils, d.h. der Unrichtigkeit der vorliegenden Zustellungsurkunde, wird hier allerdings weder durch die Behauptung geführt, „d. Vater des Betr.“ sei „zum Zeitpunkt des Erscheinens d. Postbotin zu Hause“ gewesen, weshalb, „hätte die Botin geklingelt, was sie aber nicht hat, […] d. Vater des Betr. geöffnet [hätte] und eine persönliche Übergabe [….] erfolgt [wäre]“, noch durch die Behauptung des Betr., von dem zugestellten Schriftstück keine Kenntnis erlangt zu haben (Zöller/Stöber § 182 Rn. 15 a.E.; Zöller/Geimer § 418 Rn. 3 a.E.; Stein/Jonas-Roth ZPO 22. Aufl. § 182 Rn. 15; Stein/Jonas-Leipold § 418 Rn. 18 und MüKo/Häublein ZPO 3. Aufl. § 182 Rn. 8, insbesondere Rn. 16, jeweils m.w.N.). Denn damit wird schon kein Sachverhalt vorgetragen, der jede Möglichkeit der Richtigkeit der beurkundeten Tatsachen ausschließt. Dies folgt schon daraus, dass eine persönliche Übergabe trotz Anwesenheit eines Empfangsvertreters und tatsächlicher Betätigung einer vorhandenen Klingelanlage gleichwohl durch eine Vielzahl anderer und nicht fern liegender Umstände (z.B. defekte oder ausgeschaltete Klingelanlage, akustische Nichtwahrnehmung des ausgelösten Klingeltons aufgrund anderweitiger akustischer Überlagerung, sonstige konkrete Verhinderung des Familienangehörigen) nicht möglich gewesen sein kann.

dd)

Bei dieser Sachlage kam es auf die Frage der Heilung eines – hier nicht gegebenen – Zustellungsmangels nicht an.

2. Verfahrensrüge

Entgegen der einleitenden Wendung der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift vom 30.11.2011 („Ferner ergehen Verfahrensrügen [Näheres unten]“), ist der Rechtsbeschwerderechtfertigung neben dem schon auf die Sachrüge seitens des Senats von Amts wegen zu berücksichtigenden ‚Verjährungseinwand‘ keine ausgeführte, den Begründungsanforderungen der §§ 79 III 1 OWiG i.V.m. 344 II 2 StPO genügende und damit zulässige Verfahrensrüge zu entnehmen.

3.

Sachrüge

Auch die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. auf. Die Feststellungen des AG tragen vielmehr sowohl den Schuldspruch in objektiver und subjektiver Hinsicht als auch die daran anknüpfende Rechtsfolgenbemessung.

a)

Entgegen der von der GenStA vertretenen Auffassung leiden die Urteilsgründe hinsichtlich des zum Einsatz gelangten Abstandsmessverfahrens nicht an einem sachlich-rechtlichen, zur Urteilsaufhebung zwingenden Darstellungsmangel im Sinne von § 71 I OWiG i.V.m. § 267 I StPO.

aa)

Erfüllt die Geschwindigkeits- oder Abstandsermittlung die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, genügt es im Regelfall, wenn sich die Verurteilung auf die Mitteilung des Messverfahrens und die nach Abzug der Messtoleranzen ermittelte Geschwindigkeit bzw. den ermittelten Abstand stützt. Denn mit der Mitteilung des angewandten Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes wird im Rahmen eines durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahrens nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung eine für die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts in aller Regel hinreichende Entscheidungsplattform zur Beurteilung einer nachvollziehbaren tatrichterlichen Beweiswürdigung geschaffen (grundlegend: BGHSt 39, 291/301 ff. = NJW 1993, 3081 ff. = DAR 1993, 474 ff. [BGH 19.08.1993 – 4 StR 627/92] und BGHSt 43, 277/282 ff. = NJW 1998, 321 f. = MDR 1998, 214 f. = DAR 1998, 110 ff. [BGH 30.10.1997 – 4 StR 24/97]). Auf diese regelmäßig unschwer festzustellenden und in den Urteilsgründen niederzulegenden Mindestangaben darf deshalb andererseits nur in den wenigen Fällen eines sog. ‚qualifizierten‘ Geständnisses (OLG Bamberg, Beschluss vom 11.07.2006 – 3 Ss OWi 906/06 [bei […]] = OLGSt StPO § 267 Nr. 18) verzichtet werden.

bb)

Die Kriterien für die Einordnung als ‚qualifiziertes Messverfahren‘ werden im Hinblick auf Abstandsmessungen derzeit nur für das auch von der Polizei in Bayern eingesetzte sog. ‚Brückenabstandsverfahren VAMA mit Charaktergenerator CG-P 50 E‘ des Herstellers bzw. Zulassungsinhabers JVC/Piller, das diesem verwandte sog. ‚Brückenabstandsmessverfahren ViBrAM-BAMAS‘ des Herstellers bzw. Zulassungsinhabers Deininger und das sog. Abstands- und Geschwindigkeitskontrollsystem VKS 3.01′ des Herstellers bzw. Zulassungsinhabers Vidit Systems GmbH erfüllt (vgl. hierzu sowie zu weiteren Einzelheiten die zusammenfassende Darstellung bei Burhoff (Hrsg.)/Gieg, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., Rn. 108 ff., insbes. Rn. 119 ff., m.w.N. aus der Rspr.).

cc)

Vor diesem Hintergrund kann den – wenn auch knappen – Darlegungen im angefochtenen Urteil noch mit der notwendigen Eindeutigkeit entnommen werden, dass es sich bei der von dem – als Zeugen vernommenen – Messbeamten „im standardisierten Videomessverfahren durchgeführten Abstandsmessung“ und den durch dieses gewonnen Geschwindigkeits- und Abstandswerten u.a. an der „90-Meter-Linie“ bzw. der „40-Meter-Linie“ nur um das von der Polizei in Bayern eingesetzte sog. ‚Brückenabstandsverfahren VAMA mit Charaktergenerator CG-P 50 E‘ handeln kann.

b)

Auch der Rechtsfolgenausspruch ist frei von Rechtsfehlern.

aa)

Insbesondere hat das AG die für die fahrlässige Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes der §§ 4 III, 49 I Nr. 4 StVO nach Nr. 15 BKat verwirkte Regelgeldbuße in Höhe von 80 Euro aufgrund der Vorahndungslage des Betr. zutreffend als unzureichend angesehen und im Wege der Verdoppelung im notwendigen Umfang erhöht.

bb)

Ebenfalls ohne Rechtsfehler hat das AG schließlich die Notwendigkeit eines einmonatigen Fahrverbots mit einem – hier aufgrund der Vorahndungssituation des Betr. evidenten – beharrlichen Pflichtenverstoß außerhalb eines Regelfalls im Sinne der §§ 24, 25 I 1, 2. Alt., 26 a StVG i.V.m. § 4 II 2 BKatV nach Maßgabe des § 25 IIa 1 StVG begründet (zu den Voraussetzungen im Einzelnen rechtsgrundsätzlich: OLG Bamberg NJW 2007 3655 f. = zfs 2007, 707 f. sowie OLG Bamberg OLGSt StVG § 25 Nr. 36 = VRR 2007, 318 f. m. Anm. Deutscher, jeweils m.w.N.; vgl. auch OLG Bamberg DAR 2010, 98 f. [OLG Bamberg 22.10.2009 – 3 Ss OWi 1194/2009] = OLGSt StVG § 25 Nr. 47 und zuletzt OLG Bamberg DAR 2011, 399 f. = NZV 2011, 515 f.).

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