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COVID-19-Pandemie als außergewöhnlicher Umstand für Flugannullierung?

AG Köln – Az.: 163 C 108/20 – Urteil vom 08.06.2021

1. Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Köln vom 09.10.2020 (Az. 163 C 108/20) wird aufrechterhalten.

2. Die Beklagte trägt auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur fortgesetzt werden, wenn diese Sicherheit geleistet ist.

Tatbestand

Die Fluggäste E. G. und L. I. verfügten über eine Buchung für die von der Beklagten durchzuführenden Flüge 333 und 444 am 07.03.2020 von Nürnberg über Frankfurt am Main nach Kuusamo.

Der 333 wurde weniger als 7 Tage vor dem Flugtag annulliert. Die Flugdistanz beträgt insgesamt 2.114 km. Trotz der angebotenen Ersatzbeförderung mit Flügen 555, 666 und 789 erreichten die Fluggäste das Reiseziel mit einer Verspätung von 6 Stunden und 25 Minuten.

Die Fluggäste traten ihre Ausgleichsansprüche an die Klägerin ab.

Die Klägerin informierte die Beklagte mit Schreiben vom 25.03.2020 über die Abtretung und setzte erfolglos eine Zahlungsfrist bis zum 08.04.2020.

Die Klägerin hat zunächst beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 800,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.04.2020 zu zahlen. Nachdem für die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.10.2020 niemand erschienen ist, ist gegen sie antragsgemäß Versäumnisurteil erlassen worden. Gegen dieses Versäumnisurteil, das der Beklagten am 05.11.2020 zugestellt worden ist, hat sie mit bei Gericht am 19.11.2020 eingegangenen Schriftsatz Einspruch eingelegt und diesen begründet.

Die Klägerin beantragt nunmehr, das Versäumnisurteil vom 09.10.2020 aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte beantragt, das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, die Annullierung des Fluges sei vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie geboten gewesen, so dass – entsprechend den Leitlinien aus der Mitteilung der EU-Kommission vom 18.03.2020 (COM(2020) 1830 final) – vom Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes auszugehen sei. Ergänzend verweist sie auf die Ausführungen aus einem Schlichtungsverfahren der SÖP.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

COVID-19-Pandemie als außergewöhnlicher Umstand für Flugannullierung?
(Symbolfoto: Henryk Ditze/Shutterstock.com)

Aufgrund des Einspruchs der Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 09.10.2020 ist der Prozess in die Lage vor Säumnis zurückversetzt worden, § 342 ZPO. Der Einspruch ist zulässig. Er ist statthaft sowie form- und fristgerecht im Sinne der §§ 338 ff. ZPO eingelegt worden.

In der Sache hat der Einspruch keinen Erfolg. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch in Höhe von 800,00 EUR aus Artt. 5 Abs. 1 lit. c), 7 Abs. 1, lit. b) Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (im Folgenden: FlugVO) i.V.m. § 398 BGB zu.

Der Flug 333 wurde von der Beklagten als ausführendes Luftfahrtunternehmen annulliert.

Die Beklagte kann sich nicht unter Bezug auf Art. 5 Abs. 3 FlugVO exkulpieren. Denn sie ist der ihr diesbezüglich obliegenden Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Zwar kann eine Pandemie einen außergewöhnlichen Umstand begründen mit der Folge, dass die Beklagte sich exkulpieren könnte. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Flugdurchführungen rechtlich untersagt sind. Aber auch wenn das jeweilige Flugverkehrsmanagement – ohne dass zugleich ein hoheitliches Flugverbot vorliegt – pandemiebedingt keine Durchführung von Flügen erlaubt, spricht vieles für einen außergewöhnlichen Umstand (BeckOGK/Steinrötter Fluggastrechte-VO Art. 5 Rn. 101). Auch Aspekte des Gesundheitsschutzes der Besatzung können eine Rolle spielen (siehe ebenda m.w.N.). Entscheidend sind gleichwohl die Umstände des konkreten Einzelfalls. Hierbei ist insbesondere auch auf die diesbezügliche Begründung der Airline zu achten, um diese Fallkonstellation „bei einer äußerst umsichtigen und präventiven Vorgehensweise“ der Fluggesellschaft nicht gleichsam zu einem „Freibrief“ zur ausgleichslosen Annullierung zu erheben (siehe ebenda m.w.N.).

Gemessen hieran gelingt der Beklagten vorliegend die Exkulpation nicht. Soweit die Beklagte auf die von der EU-Kommission veröffentlichten Leitlinien vom 18.03.2020 verweist, verfangen ihre diesbezüglichen Ausführungen nicht. Diese entfalten als reine Verlautbarung der Exekutive schon im Ausgangspunkt keine unmittelbare Bindungswirkung (Schmidt, COVID-19, § 7 Reiserecht Rn. 88). Behördliche Reise- bzw. Ausgangsbeschränkungen für Fluggäste und/oder Crew-Mitglieder könnten als außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) 261/2004 zu qualifizieren sein, jedoch ist eine gewisse Intensität der Beschränkungen im Einzelfall zu fordern, damit sie als außergewöhnliche Umstände qualifiziert werden können und gerade keine (rein) betriebswirtschaftlichen Erwägungen – etwa aufgrund schlechter Auslastung – darstellen. Ein erheblicher Vortrag zu solchen, den hiesigen Flug betreffenden, konkreten Reise- und Ausgangsbeschränkungen ist von der Beklagtenseite nicht erfolgt.

Soweit die Beklagte sich auf den Gesundheitsschutz der Crew bezieht, hat sie tatsächliche Anhaltspunkte für den konkreten Flug darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen ersichtlich ist, dass der Flug aus Schutzgesichtspunkten zugunsten des Personals abgesagt wurde. Es wäre insoweit insbesondere erforderlich gewesen darzulegen, warum der hier streitgegenständliche Flug annulliert wurde, andere an diesem Tag von der Beklagten durchgeführten Flüge jedoch nicht und inwieweit Aspekte des Gesundheitsschutzes auf diesen Flügen anders bewertet werden konnten. Dies gilt umso mehr, als dass die Fluggäste vorliegend mit zwei von der Beklagten ausgeführten Flügen ersatzweise befördert wurden. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, wieso zum Schutz der Gesundheit der Besatzung und der Passagiere die Durchführung des ursprünglich gebuchten Fluges nicht möglich gewesen sein soll, die Durchführung der ersatzweise angebotenen Flüge indessen schon. Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, dass jeder Flug weniger dazu beigetragen hat, die von den WHO – zu einem späteren Zeitpunkt – ausgerufene Pandemie einzudämmen. Zwar war auch im Zeitpunkt der Annullierung des streitgegenständlichen Fluges bereits absehbar, dass eine Reduzierung des Reiseaufkommens generell geeignet ist, der Eindämmung einer weiteren Ausbreitung des Corona-Virus zuträglich zu sein. Das Argument der Beklagten verfängt aber schon deshalb nicht, da vorliegend die Fluggäste tatsächlich an ihren Zielort befördert wurden. Darüber hinaus trägt die Beklagte selber vor, dass sie im Rahmen des von ihr aufgestellten Sonderflugplans auch Flüge zusammengelegt hat. Es ist nicht ersichtlich, dass dieses Vorgehen – welches mit erhöhten Personenaufkommen am Check-in, beim Boarding und im jeweiligen Flieger verbunden ist – einer weiteren Eindämmung der Pandemie zuträglich sein konnte.

Im vorliegenden Einzelfall hat die Beklagte ungeachtet des insoweit erfolgten Vortrags der Gegenseite keine konkreten, mit dem hier streitrelevanten Flug im Zusammenhang stehenden Tatsachen dargelegt, die zur Annahme eines außergewöhnlichen Umstandes hätten führen können. Dem angebotenen Zeugenbeweis durch Herrn H. war daher nicht nachzukommen.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die von der Klägerin gesetzte Frist zur Zahlung hat die Beklagte verstreichen lassen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

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