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Verkehrsunfall bei Dämmerung und Linksabbiegen – Gegenverkehr

BUNDESGERICHTSHOF

Az.: VI ZR 352/03

Verkündet am: 11.01.2005

Vorinstanzen: OLG Köln LG Köln


Leitsätze:

a) Kann derjenige, der bei Dämmerung von einer gut ausgeleuchteten innerörtlichen Straße nach links abbiegen will, wegen vorhandener Sichthindernisse die Gegenfahrbahn nicht einsehen, so hat er sich in diese hineinzutasten. Er darf nicht darauf vertrauen, daß ihm nur beleuchtete Fahrzeuge entgegen kommen, die wegen ihrer Beleuchtung durch die Sichthindernisse (hier: Pflanzenbewuchs) hindurch erkannt werden können.

b) Die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs, das nach links abbiegt, ist gegenüber derjenigen eines unter normalen Umständen geradeaus fahrenden Fahrzeugs erhöht. Bestehen für den Linksabbieger erschwerte Sichtverhältnisse auf den Gegenverkehr, führt dies zu einer weiteren Erhöhung der Betriebsgefahr.


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 2005 für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 6. November 2003 aufgehoben, soweit zum Nachteil des Klägers erkannt ist.

Die Anschlußrevision des beklagten Landes wird zurückgewiesen.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Am Abend des 28. Juni 1999 um 22.31 Uhr ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger, der mit seinem Motorrad auf einer innerorts gelegenen Straße geradeaus fuhr, im Bereich einer Einmündung gegen ein aus der Gegenrichtung nach links abbiegendes und damit seine Fahrspur kreuzendes Polizeifahrzeug des beklagten Landes stieß. Der Kläger wurde bei dem Unfall schwer verletzt; an dem Motorrad entstand Totalschaden. Mit der Klage nimmt er das beklagte Land auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens und auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden in Anspruch.

Die Parteien streiten über die Unfallursache. Der Kläger hat behauptet, sein Fahrlicht sei eingeschaltet gewesen, seine Geschwindigkeit habe 50 km/h betragen; der Fahrer des Polizeifahrzeugs, der Zeuge M., sei trotz der Sichtbehinderung durch bis zu 1,40 m hohen Grasbewuchs auf dem Mittelstreifen der Straße und durch ein an der Spitze des Mittelstreifens aufgestelltes Verkehrszeichen ohne anzuhalten unmittelbar vor ihm, dem Kläger, nach links abgebogen und habe so sein Vorrecht mißachtet. Das beklagte Land hat behauptet, der Zeuge M. sei mit der gebotenen Vorsicht abgebogen, habe aber das Motorrad des Klägers nicht rechtzeitig erkennen können, weil es trotz der herrschenden Dunkelheit vorn unbeleuchtet gewesen sei; auch sei der Kläger deutlich zu schnell gefahren.

Das Landgericht hat nach der Erhebung von Zeugen- und Sachverständigenbeweis die Klage hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruchs abgewiesen und ihr hinsichtlich des materiellen Schadens in Höhe von 20 % stattgegeben.

Gegen das Urteil des Landgerichts hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hat dort nach teilweiser Berufungsrücknahme zuletzt ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 € und Ersatz der Hälfte seines materiellen Schadens bzw. entsprechende Feststellung der Ersatzpflicht des beklagten Landes verlangt. Das Berufungsgericht hat dem Kläger ein Drittel seines materiellen Schadens zuerkannt und eine entsprechende Ersatzpflicht des beklagten Landes festgestellt; die weiter gehende Berufung hat es zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine im Berufungsverfahren gestellten Anträge weiter verfolgt. Das beklagte Land erstrebt mit der Anschlußrevision die Zurückweisung der Berufung des Klägers.

Entscheidungsgründe:

Nach Ansicht des Berufungsgerichts kann der Kläger nur Ersatz eines Teils seines materiellen Schadens verlangen, während ihm ein Schmerzensgeldanspruch nicht zusteht, weil ein Verschulden des Zeugen M. an dem Unfall nicht bewiesen sei.

Aufgrund von Zeugenaussagen stehe fest, daß das Motorrad des Klägers vorn unbeleuchtet gewesen sei, also auch das Standlicht nicht gebrannt habe. Da der Kläger nach seinem Vortrag die Fahrt mit eingeschaltetem Abblendlicht begonnen habe, müsse von einem Defekt der vorderen Beleuchtung während der Fahrt ausgegangen werden, denn unstreitig könne die Beleuchtung des Motorrades nur insgesamt ein- oder ausgeschaltet sein.

I.

Bei dieser Sachlage sei ein Verschulden des Zeugen M. nicht deshalb zu bejahen, weil er bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne des § 276 BGB verpflichtet gewesen wäre, sich wegen der Sichtbehinderung durch bis zu 1,40 m hohes Gras auf der Mittelinsel und durch das auf dieser Insel stehende Verkehrszeichen in die vom Kläger benutzte Fahrbahn so weit „hineinzutasten“, daß er ohne Sichtbehinderung nach rechts auf die dort gerade verlaufende Strecke Einsicht gehabt hätte. Die Sachverständigen hätten eine Position angegeben, von der aus auch ein unbeleuchtetes Motorrad in ausreichender Entfernung sichtbar gewesen wäre. Es stehe außer Frage, daß sich bei Tageslicht der Zeuge M. wegen der Sichtbehinderungen im Bereich der Mittelinsel vorsichtig in die vom Kläger benutzte Fahrspur hätte hineintasten müssen. Zur Unfallzeit habe jedoch Dämmerung geherrscht. Die Sonne sei um 21.52 Uhr untergegangen. Zwar sei die Straßenbeleuchtung in Betrieb gewesen und habe Vollmond geherrscht, so daß es selbst für die recht späte Tageszeit relativ hell gewesen sei. Dennoch habe unter den obwaltenden Umständen jedes Fahrzeug mit Licht fahren müssen, was der Kläger selbst auch nicht in Abrede stelle. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen H. habe der Zeuge M. trotz des hohen Grases auf der Mittelinsel schon vor der genannten Position ausreichend Sicht gehabt, um mit Licht sich nähernde Fahrzeuge zu erkennen. Der Zeuge M. habe unter den gegebenen Umständen darauf vertrauen dürfen, daß Fahrzeuge, deren Spur er überqueren wollte, die Beleuchtung eingeschaltet hatten.

Da zugunsten des Zeugen M., soweit es auf den Nachweis seines Verschuldens ankomme, von einer Geschwindigkeit des Motorrads von 82 km/h auszugehen sei, könne angesichts der von den Sachverständigen ermittelten Weg-Zeit-Verhältnisse auch nicht angenommen werden, der Zeuge habe das Motorrad rechtzeitig sehen können, bevor er in dessen Fahrspur geriet.

Hinsichtlich der materiellen Schäden habe der Kläger für die von seinem Motorrad ausgehende Betriebsgefahr einzustehen, die dadurch erheblich erhöht gewesen sei, daß die vordere Beleuchtung nicht gebrannt habe. Ein Verschulden des Klägers wegen des Ausfalls der vorderen Beleuchtung sei nicht bewiesen. Seine Behauptung, er habe die Fahrt mit eingeschaltetem Fahrlicht begonnen, sei nicht zu widerlegen. Als Verschulden sei es ihm aber anzulasten, daß er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 17 km/h überschritten habe, wie der Sachverständige S. überzeugend ausgeführt habe. Bei der Frage des Verschuldens des Klägers sei zu seinen Gunsten die geringst mögliche Geschwindigkeit von 67 km/h zugrunde zu legen.

Der Sachverständige S. habe ausgeführt, ausgehend von 67 km/h hätte der Kläger die Kollision auch dann nicht vermeiden können, wenn er die zulässigen 50 km/h eingehalten hätte; er wäre dann mit einer Restgeschwindigkeit von etwa 23 km/h gegen das Polizeifahrzeug geprallt. Dabei habe der Sachverständige jedoch nicht berücksichtigt, daß bei einem Aufprall mit einer Restgeschwindigkeit von 23 km/h jedenfalls die Verletzungen des Klägers aller Wahrscheinlichkeit nach deutlich geringer gewesen wären. Auch habe er die zeitliche Vermeidbarkeit des Unfalls nicht in Rechnung gestellt. Stelle man auf den Eintritt der kritischen Verkehrssituation ab, also den Zeitpunkt, in dem das Polizeifahrzeug mit seiner Front über die linke Fahrstreifenbegrenzung hinausgeragt habe, wäre der Kläger bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h später an der Unfallstelle gewesen und hätte sich das Polizeifahrzeug in der entsprechenden Zeit weiter fortbewegt. Es sei möglich, daß die Kollision allein durch die weitere Fortbewegung des Polizeifahrzeugs vermieden worden wäre, sei es, wie tatsächlich offenbar geschehen, bei Geradeausfahrt des Klägers mit gleichbleibender Geschwindigkeit, durch ein geringes Ausweichmanöver nach links oder durch rechtzeitiges Bremsen. Es könne keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, daß in diesem Fall der Unfall nicht stattgefunden hätte.

Bei der gebotenen Abwägung falle zu Lasten des beklagten Landes die Betriebsgefahr des Polizeifahrzeugs ins Gewicht, die durch das schon generell gefahrenträchtige Linksabbiegemanöver und zusätzlich durch die vorhandene Sichtbehinderung erhöht gewesen sei. Auf Seiten des Klägers seien die erhöhte Betriebsgefahr, die von einem bei Dämmerung unbeleuchteten Motorrad ausgehe, und die vom Kläger verschuldete Geschwindigkeitsüberschreitung zu berücksichtigen, wobei das Verschulden allerdings nicht als sehr hoch anzusehen sei. Unter diesen Umständen sei eine Quotierung im Verhältnis 1/3 zu 2/3 zu Lasten des Klägers angemessen.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision des Klägers nicht stand. Seine Auffassung, der Kläger habe keinen Anspruch auf ein Schmerzensgeld nach § 847 Abs. 1 BGB a.F., weil der Zeuge M. den Unfall nicht verschuldet habe, ist von Rechtsfehlern beeinflußt. Die für den materiellen Schaden vorgenommene Quotierung bedarf einer tatrichterlichen Überprüfung.

1. Der Ansicht des Berufungsgerichts, ein Kraftfahrer, der bei Dämmerung über eine andere Fahrspur nach links abbiegen wolle, dürfe darauf vertrauen, daß sich aus der Gegenrichtung nur beleuchtete Fahrzeuge nähern, kann weder in dieser Allgemeinheit noch für den konkreten Fall gefolgt werden.

a) Nach § 9 Abs. 3 Satz 3 StVO muß, wer links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Den Linksabbieger trifft mithin eine Wartepflicht. Genügt er dieser nicht und kommt es deshalb zu einem Unfall, hat er in der Regel, wenn keine Besonderheiten vorliegen, in vollem Umfang oder doch zumindest zum größten Teil für die Unfallfolgen zu haften (vgl. die Nachweise bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 9 StVO Rn. 55; Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 8. Aufl., Rn. 227). Der erkennende Senat hat eine solche Haftungsverteilung bereits mehrfach insbesondere in Fällen gebilligt, in denen es zu einem Zusammenstoß zwischen einem links abbiegenden Kraftfahrzeug und einem motorisierten Zweirad gekommen ist (Senat, Urteile vom 27. November 1956 – VI ZR 240/55 – VersR 1957, 99, 100; vom 14. Januar 1958 – VI ZR 294/56 – VersR 1958, 220; vom 8. Juli 1958 – VI ZR 7/58 – VersR 1958, 766, 767 f.; vom 19. September 1958 – VI ZR 244/57- VersR 1958, 781; vom 21. Oktober 1958 – VI ZR 194/57 – VersR 1959, 30; vom 8. Dezember 1959 – VI ZR 36/58 – VersR 1960, 225, 226; vom 2. Februar 1960 – VI ZR 21/59 – VersR 1960, 479; vom 18. Dezember 1962 – VI ZR 112/62 – VersR 1963, 337; vom 12. März 1963 – VI ZR 90/62 – VersR 1963, 633, 634; vom 20. September 1966 – VI ZR 258/64 – VersR 1966, 1074, 1075; vom 29. Oktober 1968 – VI ZR 136/67 – VersR 1969, 75, 76; vom 8. Juli 1969 – VI ZR 193/67 – VersR 1969, 1020, 1021). Allerdings indiziert die objektive Verletzung des § 9 Abs. 3 StVO nicht stets ein Verschulden; vielmehr muß das Vorrecht des Geradeausfahrers für den Wartepflichtigen in zumutbaren Grenzen erkennbar und seine Verletzung vermeidbar gewesen sein (Senatsurteil vom 14. Februar 1984 – VI ZR 229/82 – VersR 1984, 440, m.w.N.).

Die Maßstäbe dieser Senatsrechtsprechung gelten unverändert fort. An eine Verletzung des Vorfahrtrechts des Geradeausfahrenden durch den Linksabbieger knüpft danach ein schwerer Schuldvorwurf an, wobei für das Verschulden des Abbiegenden der Anscheinsbeweis spricht (Senatsurteile vom 19. September 1958 – VI ZR 244/57 – aaO; vom 2. Februar 1960 – VI ZR 21/59 – aaO; vom 20. September 1966 – VI ZR 258/64 – aaO; Hentschel, aaO). Demgegenüber darf der Geradeausfahrende, sofern nicht Anzeichen für eine bevorstehende Vorfahrtsverletzung sprechen, darauf vertrauen, daß der Linksabbieger sein Vorrecht beachten werde (BGHZ – VGS – 14, 232 ff.; Senatsurteil vom 11. Januar 1977 – VI ZR 268/74 – VersR 1977, 524, 525; vom 25. März 2003 – VI ZR 161/02 – VersR 2003, 783, 785 m.w.N.).

b) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 StVO sind während der Dämmerung, bei Dunkelheit oder wenn die Sichtverhältnisse es sonst erfordern, die vorgeschriebenen Beleuchtungseinrichtungen zu benutzen. Nach Abs. 2a der Norm müssen Krafträder auch am Tag mit Abblendlicht fahren. Die ordnungsgemäße Beleuchtung von Kraftfahrzeugen gehört zu den wesentlichen Pflichten der dafür verantwortlichen Verkehrsteilnehmer. Verstöße gegen diese Pflicht führen erfahrungsgemäß leicht zu Unfällen. Dies gilt insbesondere für Motorräder, die schon am Tag, insbesondere aber unter den in § 17 Abs. 1 Satz 1 StVO genannten Bedingungen für andere Verkehrsteilnehmer nur schwer zu erkennen sind. Auf dieser Tatsache beruht die Einführung des § 17 Abs. 2a StVO; durch die Beleuchtung von Krafträdern auch am Tage sollen diese für die übrigen Verkehrsteilnehmer eher erkennbar sein, um so insbesondere auch die Zahl der Zusammenstöße mit dem entgegenkommenden abbiegenden Verkehr zu reduzieren (vgl. Begründung zur Änderungsverordnung vom 22. März 1988, VBl. 1988, 222, auszugsweise abgedruckt bei Hentschel, aaO, § 17 StVO Rn. 9).

Wegen der Wichtigkeit einer ordnungsgemäßen Fahrzeugbeleuchtung für die Erkennbarkeit durch andere Verkehrsteilnehmer kann sich der Verkehr grundsätzlich darauf verlassen, daß Fahrzeuge unter den in § 17 Abs. 1 Satz 1 StVO genannten Umständen ordnungsgemäß beleuchtet sind (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1961 – 4 StR 365/61 – VRS 22, 137, 139; OLG Hamm, VRS 28, 303, 305; OLG Köln, VRS 31, 229 f.; Hentschel, aaO, § 17 StVO Rn. 14 m.w.N.; Jäger in: Heidelberger Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, § 17 StVO Rn. 16; Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., § 17 Rn. 3). Bei Unfällen, die auf dem Verstoß eines Verkehrsteilnehmers gegen die Beleuchtungspflicht beruhen, wird daher vielfach dessen alleinige oder doch überwiegende Haftung bejaht (vgl. KG, DAR 1983, 82; OLG Hamm, Schaden-Praxis 1996, 339 f.; VersR 1999, 898, 900; PVR 2002, 19 f.; OLG Köln, VersR 1988, 751; OLG Stuttgart, Schaden-Praxis 1996, 272 f.). Bei Verstößen gegen die Beleuchtungspflicht spricht der Anschein für die Unfallursächlichkeit (Senatsurteil vom 8. November 1963 – VI ZR 239/62 – VersR 1964, 296). Allerdings wird beim Auffahren auf ein unbeleuchtetes Hindernis oft ein Verstoß des Auffahrenden gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht (§ 3 Abs. 1 Satz 4 StVO) vorliegen (vgl. dazu Senatsurteile vom 23. Juni 1987 – VI ZR 188/86 – VersR 1987, 1241 f.; vom 8. Dezember 1987 – VI ZR 82/87 – VersR 1988, 412 f.).

c) Das Berufungsgericht stellt fest, für den Zeugen M. sei wegen des Bewuchses auf der Mittelinsel und des dort befindlichen Verkehrszeichens die Sicht nach vorne derart behindert gewesen, daß der Gegenverkehr nicht ohne weiteres erkannt werden konnte. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß angesichts dieser Verkehrslage der Zeuge M. bei Tageslicht nicht in einem Zuge abbiegen durfte. Kann der Linksabbieger die zu kreuzende Gegenfahrbahn nicht oder nicht ausreichend einsehen, muß er sich vorsichtig in diese hineintasten, um dem Vorrecht des Gegenverkehrs Rechnung zu tragen und einen Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zu vermeiden (vgl. dazu Senatsurteile vom 14. Januar 1958 – VI ZR 294/56 – aaO; vom 8. Juli 1969 – VI ZR 193/67 – aaO; BayObLG, VRS 19, 312, 313; OLG Celle, NZV 1994, 193; BGHSt 12, 58, 61 für wartepflichtigen Linksabbieger; Hentschel, aaO, § 9 StVO Rn. 39).

d) Das Berufungsgericht stellt weiter fest, es habe eine Position gegeben, bis zu der der Zeuge M. sich hätte vortasten können und von der aus ein unbeleuchtetes Motorrad ohne Sichtbehinderung nach rechts in ausreichender Entfernung sichtbar gewesen wäre. Folglich wäre der Unfall möglicherweise zu vermeiden gewesen, wenn der Zeuge M. beim Abbiegen diejenige Vorsicht hätte walten lassen, die bei Tageslicht erforderlich war.

Wenn das Berufungsgericht demgegenüber meint, die Verpflichtung zum Hineintasten in die Gegenfahrbahn habe hier nicht bestanden, weil das Motorrad des Klägers vorne unbeleuchtet gewesen sei, jedoch mit Licht hätte fahren müssen und mit Licht sich nähernde Fahrzeuge für den Zeugen M. trotz des Bewuchses auf der Mittelinsel zu erkennen gewesen wären, so kann dem nicht gefolgt werden. Es erscheint schon im Ergebnis wenig einleuchtend, daß die Pflichten beim Linksabbiegen bei eingeschränkten Sichtverhältnissen geringer sein sollen als bei Tageshelligkeit. Dies läßt sich auch rechtlich nicht begründen.

aa) Keinesfalls kann ein Rechtssatz in der allgemeinen Form aufgestellt werden, wie ihn das Berufungsgericht postuliert. Das Vertrauen des Verkehrs darauf, bei Dunkelheit nur beleuchteten Fahrzeugen zu begegnen, besteht nur in Grenzen. Insbesondere kommt auch dieser Vertrauensgrundsatz demjenigen nicht zugute, der sich selbst über die Verkehrsregeln hinwegsetzt (dazu Senatsurteil vom 25. März 2003 – VI ZR 161/02 – aaO, S. 785 m.w.N.). Er gilt deshalb – wie oben bereits ausgeführt – nicht, wenn ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot vorliegt. Ebensowenig kann er gelten, wenn demjenigen, der mit einem unbeleuchteten Fahrzeug zusammenstößt, eine Pflichtwidrigkeit bei der Beachtung der Vorfahrt bzw. beim Linksabbiegen vorzuwerfen ist. Ein solcher Verstoß kommt auch dann in Betracht, wenn sich ein unbeleuchtetes Fahrzeug nähert. Entscheidend sind insoweit die Umstände des konkreten Einzelfalls.

bb) Hier durfte der Zeuge M. angesichts der bestehenden Sichtbehinderungen und der weiteren vom Berufungsgericht festgestellten Umstände nicht ohne weiteres in die Gegenfahrbahn hineinfahren.

(1) Die Unfallstelle liegt im Bereich einer innerörtlichen Straße und ist durch die vorhandene Straßenbeleuchtung gut ausgeleuchtet. Das Berufungsgericht führt insbesondere auch im Zusammenhang mit der Prüfung der – von ihm verneinten – Frage, ob den Kläger ein Verschulden hinsichtlich des Fahrens ohne Licht trifft, weiter aus, es sei an der Unfallstelle zum Unfallzeitpunkt relativ hell gewesen, weil noch keine Dunkelheit geherrscht habe, sondern nur Dämmerung, der Himmel wolkenlos gewesen sei und der Vollmond geschienen habe; unter solchen Umständen könne es durchaus sein, daß der Ausfall des Vorderlichtes auch von einem aufmerksamen Fahrer nicht bemerkt worden wäre.

(2) Das Vertrauen darauf, nur auf beleuchtete Fahrzeuge zu treffen, ist bei Dämmerung nicht gerechtfertigt, wenn noch mit unbeleuchteten Fahrzeugen zu rechnen ist (vgl. OLG Hamm, VRS 28, 303, 305; Hentschel, aaO, § 17 StVO Rn. 14; Jäger in: Heidelberger Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, aaO; Jagow/Burmann/Heß, aaO). Die Annahme des Berufungsgerichts, unter den festgestellten Umständen habe der Zeuge M. nicht mit unbeleuchteten Fahrzeugen rechnen müssen, vermag schon vom Sachverhalt her nicht zu überzeugen. Es ist bereits zweifelhaft, ob von einer „Ausnahmesituation“ gesprochen werden kann, wenn im Juni ca. 40 Minuten nach Sonnenuntergang auf einer gut ausgeleuchteten innerörtlichen Straße ein Fahrzeug ohne Licht unterwegs ist. Eine solche Situation mag zwar nicht sehr häufig sein, ist aber keineswegs ungewöhnlich. Dabei geht es nicht nur um den Fall eines Ausfalls der Beleuchtungsanlage während der Fahrt, sondern auch um die Fälle, in denen Fahrer wegen des ausreichenden Umgebungslichts bei Fahrtantritt oder während der Fahrt in die Dämmerung vergessen, die Beleuchtung einzuschalten. Um Ausnahmesituationen oder Sachverhalte, die außerhalb der Erfahrung liegen, handelt es sich dabei nicht.

(3) Letztlich geht es insoweit aber nicht um konkrete prozentuale Feststellungen der Verstoßdichte. Ob ein Kraftfahrer auf ein bestimmtes Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer vertrauen darf, ist eine Wertungsfrage, deren Beantwortung nicht allein von der Häufigkeit bestimmter Verkehrsverstöße abhängt (so zutreffend Hentschel, aaO, § 1 StVO Rn. 20; vgl. ferner MünchKommBGB/Grundmann, 4. Aufl., § 276 Rn. 139; Kirschbaum, Der Vertrauensschutz im deutschen Straßenverkehrsrecht, 1980, S. 182 ff.). Entscheidend ist zum einen das Gewicht der bei konkreten Verkehrssituationen in Frage stehenden Verhaltensanforderungen und zum anderen die Schwere der bei deren Verletzung drohenden Gefahren, wobei zu berücksichtigen ist, inwieweit diesen durch ein zumutbares Verhalten der Verkehrsteilnehmer entgegengewirkt werden kann.

(4) Nach diesem Maßstab dürfen die Anforderungen, die anknüpfend an § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO an einen Linksabbieger zu stellen sind, nicht für den Fall ungünstiger Sichtverhältnisse im Sinne des § 17 Abs. 1 StVO deshalb reduziert werden, weil ein beleuchtetes Fahrzeug dann besser zu sehen ist als ein unbeleuchtetes. § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO statuiert in der Sache ein Vorfahrtsrecht des Entgegenkommenden. Das Vorfahrtsrecht ist eine der grundlegenden Regelungen, ohne die ein flüssiger Verkehr nicht denkbar ist. Seine strikte Beachtung ist nicht nur im Interesse eines flüssigen Verkehrs, sondern insbesondere zur Vermeidung oft schwerer und folgenreicher Unfälle unabdingbar erforderlich. Eine Einschränkung der Verhaltensanforderungen des Wartepflichtigen im Hinblick auf sein Vertrauen auf ein verkehrsgerechtes Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer ist denkbar, etwa wenn auf erschwerte Sichtmöglichkeiten nicht in zumutbarer Weise ausreichend reagiert werden kann oder der Verkehrsverstoß des Unfallgegners, etwa seine überhöhte Geschwindigkeit, zu verständlichen Fehlbeurteilungen der Verkehrsituation führt. Sie ist aber nicht gerechtfertigt, wenn die Vorfahrt ohne Überspannung an die Verhaltensanforderungen gewährt und dadurch einem möglichen schweren Unfall im Gegenverkehr entgegengewirkt werden kann. Gerade das Linksabbiegen an nur schwer einsehbaren Stellen bringt erhebliche Gefahren für den Abbiegenden wie für den Gegenverkehr mit sich, denen jeder Verkehrsteilnehmer im Rahmen des Zumutbaren durch eine defensive, die Gefahrenlage nach Möglichkeit entschärfende Fahrweise entgegenwirken muß. Alle zumutbaren Möglichkeiten, vor Überquerung der Gegenfahrbahn einen ausreichenden Überblick über möglichen – und möglicherweise auch vorschriftswidrig fahrenden – Gegenverkehr zu erhalten, sind auszuschöpfen.

(5) Diesen Anforderungen wurde die Fahrweise des Zeugen M. nicht gerecht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hätte der Unfall nach aller Wahrscheinlichkeit vermieden werden können, wenn sich der Zeuge M. vor dem Einbiegen in die Gegenfahrbahn so verhalten hätte, wie er dies bei Tageslicht hätte tun müssen und auch unter den zum Unfallzeitpunkt gegebenen Umständen problemlos hätte tun können. Es besteht kein berechtigter Grund, bei dieser Sachlage die Verhaltensanforderungen für die in § 17 Abs. 1 StVO genannten Zeiten herabzusetzen. Die Beleuchtungspflicht soll die Sicherheit des Verkehrs verbessern, nicht aber dazu dienen, die aus den übrigen Verkehrsvorschriften folgenden Verhaltensanforderungen dort herabzusetzen, wo sie ohne weiteres beachtet werden können.

e) Deshalb vermag der erkennende Senat die Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu teilen, den Zeugen M. treffe kein Verschulden an dem Unfall, weil er bei dem Abbiegevorgang die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet habe. Der Zeuge M. hat dadurch, daß er sich trotz der vorhandenen Sichthindernisse nicht in die Gegenfahrbahn hineingetastet hat, in vorwerfbarer Weise gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO verstoßen.

2. Zutreffend macht die Revision geltend, ein Verschulden des Zeugen M. rechtfertige nicht nur die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes, sondern müsse auch im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG berücksichtigt werden. Zum Schmerzensgeld hat das Berufungsgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – keine Feststellungen getroffen. Dies wird nachzuholen sein. Auch die für den materiellen Schaden festgesetzte Quote bedarf einer Überprüfung, weil ein Verschulden des Zeugen M. bisher bei der Abwägung nicht berücksichtigt worden ist.

3. Die Verfahrensrügen des Klägers hat der erkennende Senat, worauf er im Hinblick auf das weitere Verfahren hinweist, geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 ZPO). Insbesondere beruhen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur zeitlichen Vermeidbarkeit des Unfalls und seine Überzeugung, daß das Standlicht des Motorrads nicht gebrannt habe, ausgehend von zutreffenden rechtlichen Erwägungen auf einer zumindest vertretbaren tatrichterlichen Würdigung der erhobenen Beweise.

Die Anschlußrevision des beklagten Landes ist unbegründet. Schon aufgrund der bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist die Annahme, daß das Land für (mindestens) ein Drittel der Unfallfolgen einstehen müsse, rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (Senatsurteil vom 25. März 2003 – VI ZR 161/02 – aaO, S. 785 f. m.w.N.). Insoweit liegen Fehler des Berufungsgerichts zu Lasten des beklagten Landes nicht vor.

Soweit die Anschlußrevision geltend macht, das Berufungsgericht habe bei der Abwägung der Verursachungsanteile keine erhöhte Betriebsgefahr des Polizeifahrzeugs bejahen dürfen, ein nach links abbiegendes Fahrzeug habe keine erhöhte Betriebsgefahr, weil Linksabbiegen ein normaler Betriebsvorgang sei, trifft dies nicht zu.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann die allgemeine Betriebsgefahr durch besondere Umstände erhöht sein, wobei als ein die allgemeine Betriebsgefahr erhöhender Umstand namentlich eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise der bei dem Betrieb tätigen Personen in Betracht kommt (Senatsurteil vom 27. Juni 2000 – VI ZR 126/99 – VersR 2000, 1294, 1296 m.w.N.). Dabei kann nicht zweifelhaft sein, daß besondere Umstände, die die Betriebsgefahr erhöhen, nicht nur in einem fehlerhaften, verkehrswidrigen oder besonders risikoreichen Fahrvorgang zu sehen sind. Sie können sich auch aus einem zulässigen Fahrverhalten ergeben, wenn nur besondere, die allgemeine Gefahr des Fahrens mit einem Kraftfahrzeug übersteigende Gefahrenmomente vorhanden sind (vgl. die Beispiele und Nachweise bei Hentschel, aaO, § 17 StVG Rn. 11 ff.). Wie oben (II 1) bereits ausgeführt ist das Abbiegen nach links ein besonders gefahrenträchtiger Vorgang, der häufig zu schweren Unfällen führt. Ein Fahrzeug, das nach links abbiegt, hat deshalb eine höhere Betriebsgefahr als ein Fahrzeug, das lediglich unter normalen Umständen geradeaus fährt (vgl. Hentschel, aaO, Rn. 14 m.w.N.). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß die Gegenfahrbahn für den Zeugen M. nur schwer einzusehen war, wodurch sich eine weitere Gefahrerhöhung ergab. Auch eine den konkreten Verkehrsvorgang beeinflussende schwierige Örtlichkeit kann die Betriebsgefahr erhöhen (vgl. Hentschel, aaO, Rn. 11). Die von der Anschlußrevision zitierte Senatsrechtsprechung zum Linksabbiegen bei grünem Pfeil (Senatsurteile vom 13. Februar 1996 – VI ZR 126/95 – VersR 1996, 513 ff.; vom 6. Mai 1997 – VI ZR 150/96 – VersR 1997, 852 f.) ist hier nicht einschlägig. Sie betrifft eine besondere Fallgestaltung, die mit dem Linksabbiegen an einer ungeregelten Kreuzung oder Einmündung nicht vergleichbar ist, weil hier die den Vorrang des Gegenverkehrs betreffende Regelung des § 9 Abs. 3 StVO durch § 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO verdrängt wird.

IV.

Das angefochtene Urteil muß danach aufgehoben werden, soweit zum Nachteil des Klägers erkannt ist. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen erneut über die Haftungsverteilung und – nach eventuell erforderlichen ergänzenden Feststellungen – über den Schmerzensgeldanspruch entschieden wird.

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