LAG Düsseldorf
Az.: 12 (18) Sa 196/98
Verkündet am : 27.05.1998
Vorinstanz: ArbG Krefeld – Az.: 5 Ca 2508/97
Der Tritt ins Gesäß einer unterstellten Mitarbeiterin gehört auch dann nicht zur betrieblichen Tätigkeit eines Vorgesetzten, wenn er mit der Absicht der Leistungsförderung oder Disziplinierung geschieht. Mit diesem Leitsatz gab, das Landesarbeitsgericht Düsseldorf einer Schmerzensgeldklage einer einer Verpackerin statt, die von ihrer Chefin mit einem Sicherheitsschuh getreten worden war, der mit Stahlkappen besetzt war. Die Folgen: ein Steißbeinbruch und eine sechswöchige Arbeitsunfähigkeit.
Das Gericht entschied, eine solche Behandlung sei nicht als „betriebliche Tätigkeit“ im Sinne des § 105 SGB VII, anzusehen, der einen Geldanspruch hätte ausschließen können. Wenn auch im Arbeitsleben gelegentlich die saloppe Äußerung zu hören sei, „man müßte den NN mal in den Hintern treten“, sei kein Vorgesetzter berechtigt, “ durch Handgreiflichkeiten einen untergebenen Mitarbeiter zu disziplinieren“.
Nachfolgend das Urteil:
In dem Rechtsstreit hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 23.01.1998 teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin als Schmerzensgeld DM 3.000,- sowie weitere DM 29,50 zu zahlen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schmerzensgeld.
Die am 27.09.1974 geborene Klägerin war für kurze Zeit als Verpackerin bei der Firma B. & H , V. , beschäftigt.
Am 05.03.1997 war sie in der Spätschicht eingesetzt und arbeitete mit der Maschinenführerin, der Zeugin T. , und einer weiteren Verpackerin an der Maschine 12. An der benachbarten Maschine arbeiteten die Kolleginnen K. und S. Etwa gegen 16:30 Uhr hielt sich auch die Beklagte, zu diesem Zeitpunkt Vorgesetzte in dem Bereich, bei K. und S. auf und scherzte mit ihnen. Die Klägerin wandte sich zu der Gruppe, drehte sich dann wieder um zu ihrer Maschine und bückte sich dort nach einer unter dem Förderband stehenden Kiste. Ob sie dann von der Beklagten, die – wie die anderen Arbeiterinnen – Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen trug, einen Tritt ins Gesäß erhielt, ist streitig. Die Klägerin wandte sich anschließend weinend an die Zeugin T. , die sich für sie verwandte. Später setzte sie ihre Arbeit bis zum Schichten de (22:00 Uhr) fort. Danach fuhr sie gemeinsam mit der Kollegin S. nach Hause. Dabei sprach sie weder das Geschehen um 16:30 Uhr an, noch klagte sie über Schmerzen.
Am 06.03.1997 suchte die Klägerin gegen 8:00 Uhr einen Arzt auf, der sie ins Krankenhaus einwies. Dort stellte die chirurgische Ambulanz bei der Klägerin einen Steißbeinbruch fest.
Bis zum 18.04.1997 war die Klägerin infolge des Steißbeinbruchs arbeitsunfähig. Der sie behandelnde Arzt Dr. P. erstellte unter dem 10.03.1997 ein Attest über Verletzung und Verletzungsfolgen (Bl. 6 d.GA.), wofür er der Klägerin DM 20,- berechnete (Bl. 7 d.GA). Für in der Apotheke geholte Medikamente wurde der Klägerin am 11.03.1997 eine Selbstbeteiligung von DM 5,50 und am 13.03.1997 eine Selbstbeteiligung von DM 4,- berechnet.
Mit Schreiben vom 10.03.1997 gab die Klägerin der Arbeitgeberin ihre Schilderung des Vorfalls vom 05.03.1997 und meldete die Verletzung als Arbeitsunfall an. Nach Aufforderung der Berufsgenossenschaft vom 23.04.1997 unterzeichnete die Beklagte einen auf den 25.04.1997 datierten Zeugenfragebogen. Der Bogen enthält u.a. folgende Fragen:
„3. Bei welcher Gelegenheit und in welcher Weise ereignete sich der Unfall (genaue Schilderung des Unfallhergangs!)? Wenn Sie nicht Augenzeuge waren, bitte das wiedergeben, was Ihnen über den Unfall bekannt geworden ist.
4. Worauf ist der Unfall nach Ihrer Ansicht zurückzuführen?“
Als Antwort zu 3. ist in dem Bogen eingetragen:
„Wir alberten während der Arbeit herum. Hierbei trat ich Frau F. ins Gesäß, was jedoch keine Absicht war.“
Als Antwort zu 4. ist eingetragen:
„Blödsinn“
Später erklärte die Berufsgenossenschaft die vorläufige Übernahme der Behandlungskosten der Klägerin
Vom 18. bis 22.08.1997 begab sich die Klägerin nach zwischenzeitlicher Verheilung der Steißbeinfraktur wegen fortdauernder Beschwerde in stationäre Behandlung (Bl. 17 d.GA). Der sie behandelnde Arzt Dr. P. attestierte unter dem 28.08.1997 (Bl. 16 d.GA.) „weiterhin erhebliche Schmerzen, v.a. nach längerem Stehen und Sitzen, insbesondere bei Witterungsumschwung“.
Nach erfolgloser vorgerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin im August 1997 vor dem Arbeitsgericht Krefeld Klage gegen die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz erhoben. Durch Urteil vom 23.01.1998 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil, auf das hiermit zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, wendet sich die Klägerin mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens trägt sie vor:
Als am Nachmittag des 05.03.1997 an ihrer Maschine eine Störung aufgetreten sei und sie bemerkt habe, daß an der anderen Maschine gelacht wurde, habe sie die dortigen Kollegen gefragt, warum so gelacht würde. Frau K. habe ihr geantwortet, daß sie das nichts angehen würde. Als sie, die Klägerin, sich danach an ihrer Maschine nach der Kiste gebückt habe, habe sie von der Beklagten einen Tritt ins Gesäß erhalten. Dabei habe die Beklagte geäußert: Wenn sie etwas zu lachen hätte, dann würde sie (die Klägerin) das nichts angehen. Nach dem Vorfall habe sie – die Klägerin – vor Schmerzen geweint und die Zeugin T. informiert. Die Steißbeinfraktur sei auf den Tritt ins Gesäß zurückzuführen. Sie, die Klägerin, sei mit Schmerzen nach Hause gekommen. Dort habe sie anschließend weder einen Sturz noch eine weitere Verletzung erlitten.
Die Klägerin hält ein Schmerzensgeld von DM 5.000,- für angemessen. Sie sei über mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig krank geschrieben gewesen, habe starke Schmerzen gehabt und sich kaum bewegen, insbesondere nicht sitzen und kaum stehen und auch fast nicht liegen können. Das Steißbein sei ein so zentraler Punkt im menschlichen Körper, daß letztlich jede Bewegung auch zu einer Bewegung der Steißbeinregion führe, was wiederum unerträgliche Schmerzen auslöse. Auch nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit habe sie, die Klägerin, noch lange Zeit erhebliche Schmerzen gehabt und sei in der Bewegung eingeschränkt gewesen. Hinzu komme die psychische Belastung.
Die Klägerin verlangt des weiteren den Ersatz der Selbstbeteiligung, der Gebühr für das ärztliche Attest und eine allgemeine Auslagenpauschale von 40,- DM.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 23.01.1998 abzuändern und die Beklagte zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, sowie DM 109,50 nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bestreitet, die Klägerin ins Gesäß getreten oder sonstwie verletzt zu haben. Möglicherweise habe sie, als sie von der Maschine weggegangen sei, die Klägerin berührt, dies aber auf keinen Fall absichtlich.
Die Beklagte bestreitet, daß die Steißbeinfraktur im Zusammenhang mit dem Geschehen am Nachmittag des 05.03.1997 stehe und weist darauf hin, daß die Klägerin bis 22:00 Uhr weitergearbeitet habe.
Den Fragebogen für die Berufsgenossenschaft habe sie blanko ohne vorherige Abstimmung mit ihrer Arbeitgeberin unterzeichnet. Die Eintragung der Antworten habe der Zeuge H. (Mitgeschäftsführer) veranlaßt.
Schließlich bestreitet die Beklagte dem Umfang nach den gegen sie erhobenen Schadensersatzanspruch.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den von den Parteien vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze Bezug genommen.
Die Kammer hat am 13.05.1998 beide Parteien persönlich befragt und den Lebenspartner der Klägerin angehört. Gemäß Beschluß vom 27.05.1998 wurden die Zeugin T. sowie der Zeuge H. vernommen. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13.05. und 27.05.1998 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung der Klägerin hat zum Teil Erfolg.
Aufgrund unerlaubter Handlung (§ 823 BGB) schuldet die Beklagte ihr Schadensersatz, insbesondere auch Schmerzensgeld (§ 847 BGB), dies allerdings nicht in der reklamierten Höhe von mindestens DM 5.000,—, sondern lediglich in Höhe von DM 3.000,-. Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten der Arzneimittel-Selbstbeteiligung und für das ärztliche Attest zu erstatten, nicht jedoch weitere Kosten und die Auslagenpauschale.
Das Arbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Für die Behauptung, daß die Beklagte sie ins Gesäß getreten habe, habe die Klägerin keine Zeugen aus unmittelbarer Wahrnehmung, Nach eigenem klägerischen Vorbringen könnten die Zeugen nur das bekunden, was die Klägerin ihnen berichtet habe. Selbst wenn die Beklagte sie ins Gesäß getreten habe, lägen zwischen dem Nachmittag des 05.03.1997 und dem Vormittag des 06.03.1997 (ärztliche Feststellung der Steißbeinfraktur) viele Stunden, in denen sich die Klägerin die Fraktur anderweitig hätte zuziehen können, beispielsweise durch einen Sturz. Immerhin habe die Klägerin am 05.03.1997 bis 22:00 Uhr weitergearbeitet, sich danach mit einem Pkw nach Hause fahren lassen und bis zum nächsten Morgen abgewartet, bevor sie einen Arzt aufgesucht habe. Die Angaben im Zeugenfragebogen für die Berufsgenossenschaft seien nicht eindeutig. Wenn der Tritt beim Herumalbern erfolgt sei, so könne doch wohl eher von Blödsinn als von vorsätzlicher oder zumindest schuldhafter Körperverletzung die Rede sein.
II. Diesen Ausführungen vermag die Kammer nicht zu folgen.
1. Gem. § 286 ZPO hat das Gericht „unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung fürwahr oder nicht wahr zu erachten sei“. § 286 Abs. 1 ZPO verlangt die Berücksichtigung des gesamten Streitstoffes, auch der prozessualen und vorprozessualen Handlungen, Erklärungen oder Unterlassungen der Parteien und ihrer Vertreter. Der Richter kann u.U. auch bestrittene Parteibehauptungen mittels Schlußfolgerungen aus anderen unbestrittenen oder bereits festgestellten Tatsachen ohne Beweiserhebung für wahr halten, wenn kein zulässiger Beweisantritt vorliegt. Er kann im Einzelfall auch allein aufgrund von Indizien, sogar trotz anderslautender Zeugenaussagen, zu einer bestimmten Überzeugung gelangen. Daher kommt es auf die persönliche Überzeugung des Richters an, der sich in zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit begnügen muß. Eine jeden Zweifel ausschließende Gewißheit ist kaum je erreichbar; sie kann angesichts der Unzulänglichkeit der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten auch nicht gefordert werden (BAG, Urteil v. 19.02.1997, 5 AZR 747/93, AP Nr. 3 zu Art. 18 EWG-Verordnung Nr. 574/72, zu B II 2 a).
Ist die beweisbelastete Partei außerstande, den Hauptbeweis zu führen, so ist es ihr nicht verwehrt, den Beweis mittelbar durch Indizien, aus denen der Schluß auf ein anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal gezogen werden kann, zu führen. Der Indizienbeweis ist überzeugungskräftig, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen. Der Richter muß mithin prüfen, ob er aus der Gesamtheit aller vorgetragenen Indizien, ihre Richtigkeit unterstellt, den möglichen Schluß auf die Wahrheit der Haupttatsachenbehauptung ziehen will. Bejaht er dies, hat er die angebotenen Indizienbeweise zu erheben (BGH, Urteil v. 25.11.1992, NJW-RR 93, 443, Zöller/Greger, ZPO, 20. Aufl., § 286 Rz. 9 a, Thomas/Putzo, ZPO, 20. Aufl., Rz. 11 vor § 284). Dabei kann anhand von Erfahrungssätzen zu beurteilen sein, ob aus den unstreitigen oder vorgetragenen (und zu beweisenden) Indizien auf das Vorliegen der Haupttatsache zu folgern ist oder nicht (Zöller/Greger, a.a.O., Rz. 16, Thomas/Putzo, a.a.O., Rz. 15).
Wenn mit dem Beweis der Indizientatsachen auch die Haupttatsache bewiesen wäre, sind angebotene Beweise zu erheben. Unter dieser Prämisse sind Zeugen auch dann zu vernehmen, wenn sie nicht aus unmittelbarer Wahrnehmung zu der Haupttatsache, sondern nur zu den Hilfstatsachen Bekundungen machen können. Mit dem Vorbringen unzureichender oder unschlüssiger Indizien kann die darlegungs- und beweisbelastete Partei allerdings das Gericht nicht veranlassen, über die behaupteten Indizien Beweis zu erheben.
2. Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Klägerin die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale, nämlich eine durch die Beklagte begangene Verletzungshandlung (Tritt ins Gesäß), deren Ursächlichkeit für den Verletzungserfolg (Steißbeinfraktur) und das Verschulden durch unstreitige und zu beweisende Indizien schlüssig vorgetragen. Im einzelnen gilt folgendes:
a) Unstreitig wurde am Vormittag des 06.03.1997 bei der Klägerin eine Steißbeinfraktur ärztlich festgestellt. Da diese Verletzung zu erheblich schmerzhaften Beschwerden führt, ist nach der Lebenserfahrung von einer zeitnahen Verursachung auszugehen. Denn die Schmerzen und Besorgnis um den Gesundheitszustand veranlassen regelmäßig einen Verletzten, alsbald einen Arzt aufzusuchen. Allerdings führt eine Fraktur, insbesondere des Steißbeines, oder auch ein Rückenleiden, z.B. ein Bandscheibenvorfall, nicht zwangsläufig zur sofortigen Bewegungsunfähigkeit oder einem Leidenszustand, der von vornherein jede normale Betätigung ausschließt. Vielmehr kann es durchaus so sein, daß der Verletzte vorübergehend die Schmerzhaftigkeit durchsteht und Stunden oder ggf. sogar Tage zuwartet, bevor er sich in ärztliche Behandlung begibt. Auch hängt das Schmerzerlebnis von der jeweiligen subjektiven Situation ab. An einen aufgetretenen Schmerz kann man sich gewöhnen, er kann (zunächst) abklingen und sich später durch hinzutretende Folgen (z.B. Bildung von Hämatomen, Verspannung der Muskulatur) verstärken.
Aus diesen Gründen greift es zu kurz, die Kausalität zwischen dem Tritt ins Gesäß um 17:00 Uhr am 05.03.1997 und dem Aufsuchen des Arztes durch die Klägerin am Morgen des 06.03.1997 wegen der dazwischenliegenden ca. 15 Stunden zu negieren. Es ist durchaus plausibel, daß die durch den Tritt ins Gesäß ausgelösten Schmerzen von der Klägerin zunächst als sehr stark empfunden wurden (weil sie plötzlich auftraten und für sie die [behauptete] Handlung der Beklagten auch eine psychische Demütigung darstellte), dann jedoch aushaltbar erschienen, weil sie – subjektiv – abklangen, sich nicht verstärkten (und also – zunächst – die Hoffnung auf Besserung erzeugten), die Klägerin durch die Arbeit und die anschließende Heimfahrt von ihren Schmerzen abgelenkt war bzw. diese gegenüber den anderen auch nicht zeigen wollte. Als die Klägerin in ihre Wohnung zurückgekehrt war, zeigte sie – wie ihr Lebenspartner J. geschildert hat – sogleich ihre Schmerzen.
Des weiteren stellt es ein typisches Verhalten dar, wenn eine verletzte oder erkrankte Person trotz erheblicher Schmerzen in der Nacht nicht sofort den Notarzt ruft oder ins Krankenhaus begibt, sondern versucht, die Schmerzen auszuhalten, bis am anderen Morgen die Arztpraxen öffnen.
Der Zeitablauf zwischen Verletzungshandlung und erster ärztlicher Behandlung spricht daher keineswegs gegen die Ursächlichkeit.
Der Tritt mit einem Sicherheitsschuh, der Stahlkappen hat, ist geeignet, zu einer Steißbeinfraktur zu führen.
Richtig ist, daß – neben dem Tritt ins Gesäß – auch andere Schadensursachen denkbar wären. So könnte es theoretisch so gewesen sein, daß die Klägerin am 05.03.1997 – aufgrund welcher Verursachung auch immer – bereits mit gebrochenem Steißbein die Arbeit aufnahm und später (zu Unrecht) die Beklagte als Verursacherin beschuldigte. Indessen entbehrt diese Alternative jeder Plausibilität. Wenn die Klägerin bereits zuvor eine Fraktur erlitten hätte, dann hätte – angesichts der Schmerzen -für sie nichts nähergelegen, die Arbeit gar nicht erst anzutreten und ggf. sogleich einen Arzt aufzusuchen. Auch ist auf ihrer Seite kein Motiv erkennbar, eine Arbeitskollegin, namentlich die Beklagte, durch eine wahrheitswidrige Tat- und Schuldzuweisung als Verursacherin hinzustellen. Nach Überzeugung der Kammer ist die Klägerin zu. einem derart gesteuerten Verhalten, auch zu dem dafür notwendigen schauspielerischen Talent, nicht fähig und nicht willens. Wenn sie, wie die Zeugin T. bekundet hat und unstreitig auch Dritte bemerkt hatten, plötzlich gegen 16:30 Uhr weinte und sich beklagte, ist dies als spontane Reaktion auf eine kurz zuvor erlittene Verletzung zu werten.
Es spricht auch nichts dafür, daß die Klägerin gegen 16:30 Uhr zwar einen Tritt ins Gesäß erhielt, die Steißbeinfraktur jedoch eine andere, nachfolgende Verursachung hatte. Weder aus der restlichen Schichtzeit noch dem Heimweg oder der Wohnung sind Vorgänge bekannt, die eine solche Verletzung ausgelöst haben könnten. Dabei wäre es abwegig anzunehmen, daß die Klägerin gegen 16:30 Uhr Beschuldigung gegen eine Arbeitskollegin erhob, weil sie die später eingetretene Steißbeinfraktur vorhersah. Zudem ereilt eine derartige Verletzung Menschen relativ selten und, wenn überhaupt, aufgrund eines singulären Vorfalls. Umgekehrt gesagt: Typischerweise ist ein Mensch nicht in der ständigen Gefahrenlage, sich das Steißbein brechen zu können. Das gilt jedenfalls für die Klägerin und ihre Lebensführung in dem hier relevanten Zeitraum. Wenn sie sich also gegen 16:30 Uhr unter Tränen an die Zeugin T. wandte und erklärte, von der Beklagten ins Gesäß getreten worden zu sein, spricht alles dafür, daß dieser Tritt auch den Steißbeinbruch verursachte. Die Möglichkeit, daß der Tritt folgenlos war und die Fraktur erst eine spätere Ursache hatte, ist derart unwahrscheinlich, daß sie zu keinen ernsthaften Zweifeln an der klägerischen Darstellung Anlaß gibt.
Die Kammer übersieht nicht, daß das Arbeitsgericht dies offenbar anders gesehen hat. Sie ist jedoch aufgrund der ihr bekannten Lebenserfahrung zu einer anderen Beurteilung gelangt.
Damit lassen die unstreitigen und vorgetragenen Tatsachen die Schlußfolgerung zu, daß gerade und nur der Tritt ins Gesäß den Steißbeinbruch verursachte.
Ein Verschulden der Beklagten läge danach auf der Hand. Wer mit einem Sicherheitsschuh (mit Stahlkappen) gegen einen anderen tritt, handelt zumindest fahrlässig. Die Verletzungsgefahr ist vorhersehbar. Die Verletzung ist vermeidbar. An diesem Befund würde nichts die Annahme ändern, daß der Tritt nach einem Herumalbern aus „Blödsinn“ ausgeführt wurde. Zwar kann ein Schuldvorwurf entfallen, wenn sich das Verhalten des Schuldners im Rahmen der Sozialadäquanz und damit des erlaubten Risikos hält. Der Fußtritt in das Gesäß eines Untergebenen oder Arbeitskollegen stellt jedoch auch dann, wenn (verbal) miteinander gealbert wurde, keine sozialadäquate erlaubte Verhaltensweise dar. Im Streitfall kommt hinzu: Die Albernheiten fanden zwischen der Beklagten und den Arbeiterinnen K. und S. statt. Die Klägerin beteiligte sich nicht hieran, wurde vielmehr von den anderen abgewiesen. Wenn sich die Klägerin hiernach wieder zu ihrer Maschine wendete und nach einer Kiste bückte, war für die Beklagte offensichtlich, daß – bezogen auf die Klägerin – der Spaß vorbei war und mit dem Fußtritt die Grenze des Erlaubten jedenfalls überschritten wurde.
Aufgrund der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, daß die Beklagte die Klägerin ins Gesäß trat und der Tritt derart heftig ausgefallen war, daß die Klägerin erhebliche Schmerzen verspürte und in Tränen ausbrach. Die Zeugin T. hat geschildert, wie die Klägerin weinend und mit sichtlichen Schmerzen zu ihr kam und berichtete, daß die Beklagte sie ins Gesäß getreten habe. Weiter hat die Zeugin bekundet, alsdann den Schichtleiter 0. angesprochen und später von der Klägerin gehört zu haben, daß die Beklagte sich bei ihr entschuldigt habe und die Sache erledigt sei. Die Aussage der Zeugin steht in Einklang mit einer schriftlichen Erklärung vom 10.09.1997 (Bl. 41 d.A.). Daß die Klägerin weinte, hatte auch die Arbeitskollegin S. mitbekommen (Erklärung vom 09.09.1997 [Bl. 42 d.A.]). Die Aussage der Zeugin T. ist glaubwürdig. Sie hat sich auf die Wiedergabe dessen beschränkt, was ihr aus eigener unmittelbarer Wahrnehmung bekannt und nach dem Zeitablauf in Erinnerung geblieben war. An der Fähigkeit der Zeugin, das richtig Wahrgenommene gut und unbeeinflußt wiederzugeben, bestehen keine Zweifel. Weder hat die Zeugin ein Interesse an einem für die Klägerin günstigen Ausgang des Rechtsstreits noch zeigte sie irgendwelche Animositäten gegen die Beklagte.
b) Aufgrund des durch die Aussage der Zeugin T. geführten Beweises kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob die Beklagte in dem Zeugenfragebogen der Berufsgenossenschaft einen „Fußtritt aus Blödsinn“ zugegeben hat. Der Zeuge H. hat allerdings bestätigt, daß die Beklagte den Bogen blanko unterzeichnete und die anschließende Eintragung der Antworten durch ihn veranlaßt wurde. Dieser Aussageteil ist plausibel und glaubhaft. Anderes gilt freilich für die weitere Aussage des Zeugen, daß er bei der Ausfüllung des Zeugenfragebogens nicht mehr im Kopf gehabt habe, daß die Beklagte in einem früheren Gespräch den Fußtritt bestritten habe. Bei der (streitigen) „Tätlichkeit“ handelte es sich, wie der Zeuge erklärt hat, um einen erstmaligen Vorfall im Betrieb. Der Zeuge sprach auch mit den Parteien, es kam zu einer Korrespondenz und der Einschaltung der Berufsgenossenschaft. Angesichts dieser Außergewöhnlichkeit der Begleitumstände ist für die Kammer nicht hinreichend glaubhaft, daß dem Zeugen zu dem Zeitpunkt, als er den Fragebogen ausfüllte, die divergierenden Schilderungen der Parteien entfallen waren. Wenn er aber vorher auch mit der Beklagten über den Vorfall gesprochen hatte, so liegt nahe, daß er bei der Ausfüllung des Fragebogens für die Beklagte sich auch bemühte, deren Version des Geschehens wiederzugeben. Damit weist vieles darauf hin, daß die unter dem 25.04.1997 eingetragenen Antworten im wesentlichen dem entsprachen, was die Beklagte gegenüber dem Zeugen zuvor angegeben hatte. Bei der Bewertung der Zeugenaussage kommt hinzu, daß das Interesse des Zeugen, die im Unternehmen weiterbeschäftigte Beklagte zu schützen, größer ist als das Interesse, der Anfang April 1997 ausgeschiedenen Klägerin ein prozessuales Obsiegen zu ermöglichen. Überdies ließ es der Zeuge H. bei der Vernehmung erkennbar an dem Bemühen fehlen, sich gewissenhaft an Einzelheiten zu erinnern. Statt dessen stellte er die Ereignisse als Bagatelle dar, die seine Aufmerksamkeit kaum verdient hätten und daher Flüchtigkeiten und Erinnerungsfehler entschuldigen würden.
3. Der Lebensgefährte der Klägerin hat in der Verhandlung am 13.05.1998 geschildert, wie die Klägerin in die Wohnung zurückkehrte und daß sie während der Nacht Schmerzen hatte. Die Beklagte ist in der Verhandlung der Schilderung nicht entgegen getreten.
Die Kammer schließt nicht aus, daß der Lebensgefährte J. zugunsten der Klägerin das Wahrgenommene überzeichnet hat. Im Kern ist jedoch glaubhaft, daß die Klägerin bereits unter sichtbaren Schmerzen heimgekehrt war und die Schmerzen während der Nacht fortdauerten, so daß sie am Folgetag den Arzt aufsuchte. Die Einweisung ins Krankenhaus, die Feststellung der Steißbeinfraktur und die unter dem 10.03.1997 attestierte Schmerzhaftigkeit und Einschränkung der Inklinationsfähigkeit der Wirbelsäule sind als indizielle Bestätigung zu werten.
4. Gem. § 823 Abs. 1, Abs. 2 i.V. mit § 223 a oder § 230 StGB ist die Beklagte zum Ersatz des der Klägerin entstandenen Schadens verpflichtet. Dieser besteht in der Selbstbeteiligung bei den Arzneimittelkosten, die durch Vorlage der Quittungen über DM 5,50 und DM 4,- belegt sind, außerdem in den vom Arzt für das Attest vom 10.03.1997 berechneten DM 20,-. Die Klägerin durfte zur sachgemäßen Wahrnehmung ihrer Rechte gegenüber dem Versicherungsträger und auch der Beklagten sich die erlittene Verletzung und die daraus resultierende Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes bescheinigen lassen. Für die Einholung eines weiteren Attestes (i.e. v. 25.11.1997) gegen ein Honorar von DM 40,- bestand keine Veranlassung. Das Attest enthält auch inhaltlich keine relevanten Angaben, bestätigt vielmehr zwischenzeitlich die unfallbedingten Beschwerden abgeklungen sind. Eine „allgemeine Auslagenpauschale“ vermag die Kammer rechtlich nicht anzuerkennen.
Nach § 847 Abs. 1 S. 1 BGB kann die Klägerin des weiteren eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Bei der Bestimmung der Höhe der Geldentschädigung (§ 287 ZPO) waren die Dauer und Stärke der Schmerzen, die (kurze) Dauer der stationären Behandlung und die durch die Beschwerden erlittene Lebensbeeinträchtigung zugunsten der Klägerin in besonderem Maße zu berücksichtigen. Eine psychische Belastung wird hingegen von ihr lediglich behauptet, aber nicht näher dargestellt. Es ist auch nicht sonstwie erkennbar, daß die Verletzung ein signifikantes psychisches Leiden auslöste. Auf der anderen Seite hat die Kammer zugunsten der Beklagten berücksichtigt, daß der Fußtritt zwar vorwerfbar ist, jedoch die verursachte erhebliche Körperverletzung nicht beabsichtigt war. Das Verhalten der Beklagten stellt sich als Exzeß nach dem Herumalbern mit anderen Kolleginnen und als Anmaßung dar, in der geschehenen Art die Klägerin disziplinieren zu können.
Bei Abwägung aller dieser und der weiteren Umstände hält die Kammer dafür, von den üblichen Schmerzensgeldbeträgen für einen Steißbeinbruch nicht abzuweichen. Danach beträgt das Schmerzensgeld DM 3.000,– (Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 18. Aufl., 1997, lfd. Nr. 488). Zwar ist einer Kosmetikberaterin für eine Steißbeinfraktur verbunden mit Platzwunden am Hinterkopf, Gehirnerschütterung, Schädeltrauma, sieben Wochen Krankenhaus, Dauerschaden (MdE 10 %) unter Berücksichtigung eines 50 %-igen Mitverschuldens DM 4.500,- Schmerzensgeld zuerkannt worden (Hacks/Ring/Böhm, a.a.O., lfd. Nr. 665). Der vorliegende Fall ist jedoch nicht mit dem geschilderten Fall vergleichbar.
Damit war die Beklagte zur Zahlung von DM 3.000,- sowie weiterer DM 29,50 zu verurteilen. Sie hatte die Geldschuld mit 4 % p.a. ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
Die Ansprüche der Klägerin werden nicht durch § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen.
1. Die Beklagte verursachte die Körperverletzung der Klägerin nicht „durch eine betriebliche Tätigkeit“.
Betriebliche Tätigkeit ist jede auf den Betrieb bezogene Tätigkeit, und zwar auch dann, wenn der Schädiger bei der Verrichtung der Arbeit fehlerhaft und leichtsinnig verfährt (BAG, Urteil v. 09.08.1966, 1 AZR 426/65, AP Nr. 1, Urteil v. 14.03.1974, 2 AZR 155/73, AP Nr. 8 zu § 637 RVO, Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., § 109, VI 3, vgl. auch Rolfs, AR-Blattei, SD 860.2, Rz. 47). Daher unterfallen alle Handlungen, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen sind oder von ihm zwar ohne besondere Weisung, aber im betrieblichen Interesse ausgeführt werden, dem gesetzlichen Haftungsprivileg. Neben der „eigentlichen Arbeit“ werden auch solche Handlungen geschützt, die der Verursacher unter Anlegung eines großzügigen Maßstabes als betriebsnützlich ansehen darf. Unter diesen Prämissen sind fehlerhaftes und leichtsinniges Handeln sowie Fehleinschätzungen des Kompetenzbereichs unschädlich für die Geltung des Haftungsausschlusses. Der Tritt ins Gesäß des Untergebenen oder Arbeitskollegen gehört nicht zu den betrieblichen Tätigkeiten i.S. von § 105 Abs. 1 SGB VII. Zwar mag gelegentlich im Arbeitsleben die Äußerung, daß „man den NN mal in den Hintern treten müßte“, zum saloppen Umgangston gehören. Der Sprecher will durch die plastische Ausdrucksweise seine Meinung kundtun, daß die durch einen solchen Tritt geförderte Vorwärtsbewegung des/der Betroffenen auch arbeitsleistungsmäßig wünschenswert wäre. Gleichwohl zweifelt niemand daran, daß nach geltendem Arbeitsrecht weder ein Vorgesetzter noch eine Vorgesetzte berechtigt sind, durch Handgreiflichkeiten oder den ominösen Tritt einen untergebenen Mitarbeiter zu disziplinieren. Es mag sein, daß eine bei der Arbeit durch Herumalbern verursachte Verletzung der „betrieblichen Tätigkeit“ zugerechnet werden kann. Dies hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Was den Streitfall betrifft, war es hingegen so, daß die Klägerin an dem Gescherze nicht beteiligt wurde, vielmehr in einem Moment, als sie sich der Arbeit gewidmet hatte, den Tritt erhielt. Der Beklagten kann danach auch keine Fehleinschätzung der Situation zugute gehalten werden. Der Tritt hatte nichts mit der Arbeitsverrichtung i.w.S. zu tun.
2. Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob die Beklagte die Körperverletzung der Klägerin „vorsätzlich“ i.S.v. § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VI! herbeiführte oder nicht
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 (§ 97 Abs. 1) ZPO.
Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Wegen der Einzelheiten der Nichtzulassungsbeschwerde werden die Parteien auf § 72 a ArbGG hingewiesen.