AG Tübingen, Az.: 3 C 331/10, Urteil vom 28.09.2010
1. Die Beklagte wird verurteilt, ihr Wohnungseigentum 78/1000-Miteigentumsanteil am Grundstück der Gemarkung ., Flurstück 598, . straße …, … , Gebäude- und Freifläche, verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung im Obergeschoss sowie einem Keller und einer Garage je im Untergeschoss – jeweils im Aufteilungsplan Nr. 3-,bestehend aus drei Zimmern, Diele, Bad (Bad/Dusche), Küche, Balkon, WC im Gebäude . straße … nebst dem vorstehend genannten Nebengelass, verzeichnet im Wohnungseigentum-Grundbuch Nr. … des Amtsgerichtsbezirks/Grundbuchamts Tübingen, . berg …, … .zu veräußern.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin als Nebenforderung 3.848,70 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.04.2010 zu bezahlen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000,- € vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 220.000,-€
Tatbestand
Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft verlangt von der Beklagten Veräußerung ihres Wohnungseigentums wegen gröblicher Pflichtverstöße.
Die Beklagte ist Eigentümerin der im Tenor Ziffer 1 genannten Wohnung in der Wohnungseigentumsanlage . straße …, … in . : Verwalterin ist die Firma … GmbH.
Die Beklagte leidet unter einer psychischen Erkrankung. Mit Betreuerausweis vom 02.06.2006 (Anlage K2, Blatt 24 der Akte) wurde ihr als Betreuer Herr … beigeordnet. Der Umfang dieser Betreuung wurde mit Beschluss des Notariats T. III – Vormundschaftsgericht – vom 19.04.2007 noch erweitert und umfasst derzeit: Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung inklusive Wohnungsangelegenheiten, Vermögenssorge inklusive Vertretung gegenüber Behörden, Ämtern, Körperschaften, Versicherungen, Postverkehr, Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen (Anlage K23, Blatt 145 der Akte).
Die Klägerin trägt vor, die Beklagte habe sich zumindest in der Vergangenheit gegenüber ihr und den Mietern in der Wohnungseigentümergemeinschaft fortlaufend gröblicher Pflichtverletzungen in einer Weise schuldig gemacht, dass eine Fortsetzung der Gemeinschaft unzumutbar geworden sei. Die Verhaltensweisen der Beklagten seien kontinuierlich beanstandet und angemahnt worden. Die Eigentümer hätten in den Wohnungseigentümerversammlungen vom 04.06.2008 und 22.06.2009 jeweils beschlossen, von der Beklagten die Veräußerung ihres Wohnungseigentums zu verlangen und Entziehungsklage zu erheben (Protokoll der Eigentümerversammlung vom 04.06.2008, Anlage K8, Blatt 42 der Akten und Protokoll der Eigentümerversammlung vom 22.06.2009, Anlage K14, Blatt 84 der Akten).
Die Störungen der Beklagten würden sich vor allem in nächtlichen Schrei- und Panikanfällen, verbalen Attacken gegenüber Mitbewohnern, belästigenden Telefonanrufen, permanenten erheblichen Störungen der Nachtruhe, Verdächtigungen und Verfolgungen von Bewohnern sowie Handgreiflichkeiten äußern. Insbesondere seien die im Hause wohnenden Kinder verängstigt und würden ebenso wie die Erwachsenen zum Teil an Durchschlafstörungen und Ängsten leiden. Ein geordnetes Zusammenleben sei in der Wohnungseigentumsanlage nicht mehr möglich, weil sich alle den laufenden Zurechtweisungen der Beklagten ausgesetzt sähen und permanent durch nächtliches Möbelrücken und Schreien der Beklagten in ihrer Nachtruhe gestört würden.
Die Hausverwalterin habe der Beklagten mehrere Abmahnungen übersandt (vgl. Schreiben vom 09.01.2007, Anlage K4, Blatt 31 der Akten; Schreiben vom 09.03.2007, Anlage K5, Blatt 34 der Akten, Schreiben vom 21.04.2008, Anlage K6, Blatt 37 der Akten).
Auf Bitte des Beklagtenvertreters sei mehrfach gewartet worden, ob sich die Situation infolge einer Behandlung der Beklagten bessern würde. Dies sei jedoch nicht der Fall; es sei nach wie vor so, dass gröbliche Pflichtverstöße von der Beklagten ausgingen.
Sie beantragt, wie erkannt.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, dass – zumindest in letzter Zeit – keine Vorfälle mehr zu verzeichnen seien, die eine Entziehung des Wohnungseigentums rechtfertigen würden. In den Anfangsjahren 2005 und 2006 möge dies anders gewesen seien. Bis Februar 2009 habe sich die Angelegenheit jedoch beruhigt.
Mögliche Geräusche innerhalb der Wohnung der Beklagten seien von der Klägerin hinzunehmen. Die Beklagte sei durchaus berechtigt, Selbstgespräche – auch laute – zu führen, zu schimpfen und ähnliches. Belästigungen der weiteren Mitbewohner und Eigentümer würden jedoch nicht mehr auftreten.
Die Mitbewohner seien durch die Vorfälle in der Anfangszeit hoch sensibilisiert und würden deswegen auch marginale Belästigungen als sehr starke Beeinträchtigungen wahrnehmen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin … auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23. Juli 2010 (Bl. 158 -163 d.A.) wird Bezug genommen. Weiter wurden die Betreuungsakten des Amtsgerichts T., Aktenzeichen 1 XVII 46/09,1 XVII 63/09,1 XVII 60/07,1 XVII 182/08 und 1 XVII 63/08 zu Informationszwecken beigezogen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Entziehung des Wohnungseigentums nach §§ 18 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1; 14 Nr. 1 WEG.
1.
Den Wohnungseigentümern kann eine Fortsetzung der Gemeinschaft mit der Beklagten nicht mehr zugemutet werden.
Der Vortrag der Klägerin, wonach sämtliche Bewohner des Hauses durch das Verhalten der Beklagten beeinträchtigt werden, wurde durch die Anhörung der anwesenden Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 23.7.2010 und die Vernehmung der Zeugin … bestätigt. Danach ist das Gericht überzeugt davon, dass nicht nur eine vielleicht hinnehmbare Ruhestörung von der Beklagten ausgeht, sondern dass diese die anderen Bewohner in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt. Bereits seit Jahren werden andere Mitbewohner von der Beklagten beschimpft und sie werden lautstark als Mörder oder Vergewaltiger bezeichnet. Die Beklagte stellt den Kindern anderer Bewohner nach, so dass diese sich nicht mehr trauen, das Haus zum täglichen Weg in die Schule alleine zu verlassen und die Beklagte verdächtigt sie immer wieder grundlos, Sprengstoffanschläge gegen sie zu verüben, etwa durch Verkabelung des Briefkastens. Nicht nur die Kinder, sondern auch erwachsene Bewohner des Hauses leiden nach den glaubhaften und schlüssigen Schilderungen der Zeugin unter Schlafstörungen.
2.
Diese Verhaltensweise er Beklagten überschreitet die Grenze der Zumutbarkeit. Die Klägerin hat mit der gerichtlichen Durchsetzung dieses schärfsten Schwertes des Wohnungseigentumsrechts zugewartet und ist der Forderung des Beklagtenvertreters nachgekommen, nochmals abzuwarten, ob die Verhaltensweise der Beklagten durch eine medikamentöse Behandlung von deren psychischer Erkrankung geändert werden kann. Dieses Verhalten der Klägerin kann keinesfalls als Verwirkung angesehen werden. Die Klägerin hat vielmehr stets betont, dass diese Situation nicht beibehalten werden kann.
Nach den Ausführungen des Verwaltungsratsvorsitzenden, des Geschäftsführers der Verwalterin und der Zeugin ist eine Besserung auch nicht zu verzeichnen. Zwar gibt es nach wie vor ruhigere Phasen, doch ist ein gewöhnliches und reibungsloses Wohnen in der Wohnungseigentumsanlage nach wie vor nicht möglich.
3.
Es besteht auch eine ständige Wiederholungsgefahr und es ist nicht zu erwarten, dass sich an der Verhaltensweise der Beklagten etwas ändert, sodass ein Verschulden im Sinne des § 18 WEG zu bejahen ist (Bundesverfassungsgericht NJW 1994, 241; Landgericht Tübingen NJW-RR 1995,650). Die möglicherweise bestehende strafrechtliche Schuldunfähigkeit der Beklagten durch ihre psychische Erkrankung spielt insoweit keine Rolle (vgl. etwa Vandenhouten in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG-Kommentar, 8. Auflage, Rn. 14 zu § 18 WEG).
4.
Die Beklagte ist von der Klägerin auch ausreichend abgemahnt worden. Zuletzt wurde die Beklagte auch wegen Vorfällen aus dem Jahr 2010 abgemahnt, etwa im Schreiben des Klägervertreters vom 17.3.2010 (Anlage K 16, Bl. 94 d.A.).
4.
Die Klägerin hat den nach § 18 III WEG erforderlichen Beschluss gefasst, so dass sie die Entziehung des Wohnungseigentums verlangen kann. Die Beschlüsse vom 4.6.2008 und 22.6.2009 sind bestandskräftig.
II.
Die als Nebenforderung geltend gemachte Geschäftsgebühr des Klägervertreters zuzüglich Auslagen und Mehrwertsteuer schuldet die Beklagte als Verzugsschaden, wobei zu Recht von einem Streitwert in Höhe von 44.000,- € (20 % des prozessualen Streitwerts) ausgegangen wurde.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.