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Tilgungsfrist – Fahrerlaubnisentziehung auf Probe

OVG NRW

Az: 16 A 884/09

Beschluss vom 15.07.2010


Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 17. März 2009 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird unter Änderung der erstinstanzlichen Festsetzung auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils), § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache) und § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) gestützte Zulassungsantrag des Beklagten bleibt ohne Erfolg, weil keiner der genannten Zulassungsgründe hinreichend dargelegt ist bzw. der Sache nach eingreift.

Ernstliche Zweifel in Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Das ist hier nicht der Fall. Die im Mittelpunkt des Zulassungsvorbringens stehende Annahme des Verwaltungsgerichts, die seinerzeitige Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe des Klägers nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG unterfalle im Hinblick auf ihre Tilgungsreife im Verkehrszentralregister der Regelung des § 29 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 StVG und habe mithin nach dem Ende der (verlängerten) Probezeit des Klägers getilgt werden müssen, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.

Die Richtigkeit der Auffassung, § 29 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 StVG regele auch die Tilgung einer Fahrerlaubnisentziehung nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG, folgt schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung. Während § 29 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 StVG Eintragungen über Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG betrifft, verhält sich § 29 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 StVG ganz allgemein zu Maßnahmen nach § 2a StVG und erfasst somit sämtliche und nicht nur die in § 29 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 StVG genannten Maßnahmen in der Probezeit. Auch das § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG einleitende Wort „sonst“ liefert keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich diese Bestimmung mit denselben Maßnahmen befasst wie § 29 Abs. 1 Satz 3 StVG. Vielmehr hätte eine Umschreibung etwa mit den Worten „bei diesen Maßnahmen“ oder „bei den genannten Maßnahmen nach § 2a StVG“ nahe gelegen, wenn nur die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar (§ 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG) und die schriftliche Verwarnung und Empfehlung einer verkehrspsychologischen Beratung (§ 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG), nicht aber die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG erfasst sein sollten.

Gesetzessystematische Erwägungen geben keinen hinreichenden Anlass, den klaren Wortlaut des § 29 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 StVG in den Hintergrund treten zu lassen. Auf den Zusammenhang zwischen § 29 Abs. 1 Satz 3 und 4 StVG ist schon im Rahmen der Wortlautauslegung hingewiesen worden. Die vom Beklagten angeführte Bestimmung des § 28 Abs. 3 Nr. 11 StVG gibt nichts dafür her, dass das Gesetz generell unter „Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde nach § 2a StVG“ nur die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar und die schriftliche Verwarnung nebst Empfehlung einer verkehrspsychologischen Beratung versteht. Im Gegenteil verdeutlicht die dort gewählte genaue Formulierung („Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2“), dass der Begriff der Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde nach § 2a StVG weiter zu verstehen ist und auch die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG umfasst.

Auch die Gegenüberstellung des § 29 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 StVG mit § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG führt nicht zu einer ausgehend vom Wortlaut einengenden Auslegung der erstgenannten Bestimmung. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG kann nämlich nicht in dem Sinne verstanden werden, dass alle Arten der Fahrerlaubnisentziehung der zehnjährigen Tilgungsfrist unterfallen. Daher besteht keine Notwendigkeit, das Verhältnis dieser Regelung zu § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG näher zu bestimmen, also etwa eine der Bestimmungen als die speziellere Norm anzusehen oder ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu konstruieren. Vielmehr hat § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG nach seinem eindeutigen Wortlaut von vornherein nur eine Auffangfunktion und regelt somit ausschließlich die Fälle, die einer ausdrücklichen gesetzlichen Festlegung der Tilgungsfrist entbehren. Das trifft indessen – wie aufgezeigt – für die Eintragung einer Fahrerlaubnisentziehung nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG nicht zu.

Schließlich gibt auch die Bestimmung über die Verkürzung von Tilgungsfristen (§ 63 FeV) nichts für ein vom Wortlaut der Norm abweichendes Verständnis des § 29 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 StVG her. Denn § 29 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 StVG ist kein Fall der Verkürzung einer „an sich“ längeren Tilgungsfrist, sondern die originäre Regelung über die Tilgung der dort genannten Eintragungen.

Erwägungen zum Regelungszweck des § 29 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 StVG führen gleichfalls nicht zu einem den Wortlaut korrigierenden Auslegungsergebnis. § 29 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 StVG trägt nicht gleichsam seinen Sinn in sich. Die Erwägung, dass der (schon) als Fahranfänger durch Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr in Erscheinung getretene Fahrerlaubnisinhaber (auch) durch die Tilgungsbestimmungen zu einem verantwortungsvollen und regeltreuen Umgang mit den Straßenverkehrsvorschriften geführt werden soll, ist nicht zwingender als die gegenläufige Überlegung, dass sich die verschärften Bestimmungen für Fahrerlaubnisinhaber in der Probezeit entsprechend dem Wortlaut des § 29 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 StVG auf die Dauer der Probezeit beschränken können und sollen. Auch die allgemeinen Erwägungen zu Sinn und Zweck der Eintragungs-, Verwertungs- und Tilgungsbestimmungen im Straßenverkehrsrecht vermitteln kein einheitliches Bild, sondern sind gleichermaßen vom Gedanken der verhaltensmotivierenden Nachwirkung von Sanktionen und gefahrabwehrenden Maßnahmen einerseits und dem Gedanken der Bewährung nach Ablauf bestimmter Zeiträume andererseits geprägt; daneben wird in der Gesetzesbegründung (vgl. VkBl. 1998, S. 775) auch noch das datenschutzrechtliche Anliegen der Klarheit und Übersichtlichkeit der Tilgungsvorschriften betont, das für eine strikte Ausrichtung am Normtext spricht.

Soweit die Gesetzesmaterialien im Sinne des Beklagten davon ausgehen, für die Entziehung der Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnis gelte auch im Zusammenhang – unter anderem – der Fahrerlaubnis auf Probe (§ 2a StVG) die zehnjährige Tilgungsfrist (vgl. VkBl. 1998, S. 801), wird der gesetzliche Anknüpfungspunkt für diese Annahme nicht einmal im Ansatz deutlich. In der Begründung heißt es in diesem Zusammenhang nur, dass § 29 Abs. 1 Satz 4 die Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde nach § 2a Abs. 2 (und § 4 Abs. 3) StVG enthalte. Dies seien Maßnahmen „wie“ die Anordnung des Aufbauseminars, der Hinweis auf die Möglichkeit der verkehrspsychologischen Beratung und der Verwarnung. Darunter falle aber nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis, „weil hierfür generell die zehnjährige Frist vorgesehen ist“. Diese Begründung lässt indessen jeden Hinweis vermissen, aus welcher Bestimmung die generelle Geltung der zehnjährigen Tilgungsfrist folgen soll; die allein in Betracht kommende „Auffangregelung“ des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG gibt für diese Sichtweise aber nichts her. Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass das im Gesetzgebungsverfahren federführende Bundesministerium für Verkehr die Vorstellung gehabt haben mag, für die Maßnahme nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG (und entsprechend für die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG) gelte die zehnjährige Tilgungsfrist. Eine Umsetzung dieser Vorstellung im Gesetz ist jedoch nicht zu erkennen. Insbesondere fehlt es an jeglichem Hinweis darauf, dass unabhängig von der Ausgestaltung und Formulierung von Ausnahmebestimmungen wie § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG alle Fälle der Fahrerlaubnisentziehung denselben Tilgungsbestimmungen unterliegen sollen; die postulierte „generelle Geltung“ der Zehnjahresfrist für alle Entziehungen der Fahrerlaubnis hat im Gesetz keinen Niederschlag gefunden.

Angesichts des klaren Gesetzeswortlautes wirft der vorliegende Rechtsstreit auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten iSv § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.

Schließlich vermag der Senat auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu erkennen. Die Frage der Reichweite des § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG lässt sich bereits – wie dargestellt – aus dem Gesetz ableiten. Allein das Vorhandensein von gegenläufigen Stellungnahmen, die wie etwa die vom Beklagten vorgelegte Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes letztlich die Gesetzesbegründung über das Gesetz selbst stellen, begründet nicht das Erfordernis eines Berufungsverfahrens.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 sowie 63 Abs. 3 Satz 1 GKG. Der Senat setzt in nunmehr gefestigter Praxis vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2009 – 16 E 550/09 -, Juris in Klageverfahren wegen der Erteilung oder Entziehung der Fahrerlaubnis den sog. Regelstreitwert von 5.000 Euro an, ohne nach den jeweils im Streit stehenden Fahrerlaubnisklassen zu differenzieren. Der Kläger ist auch nicht Berufskraftfahrer.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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