OLG Düsseldorf
Az.: IV-1 RBs 80/13
Beschluss vom 04.07.2013
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 25. Januar 2013 aufgehoben.
2. Der Betroffene wird freigesprochen.
3. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Neuss hat den Betroffenen wegen „verbotswidriger Nutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführer“ zu einer Geldbuße von 40 EUR verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde, die der Einzelrichter mit Beschluss vom heutigen Tage auf Antrag des Betroffenen zugelassen hat, um die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Der Einzelrichter hat die Rechtsbeschwerde dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Betroffene befand sich nach den getroffenen Feststellungen am 17. Juli 2012 als Fahrlehrer mit einem entsprechend ausgerüsteten PKW auf einer Ausbildungsfahrt. Der PKW wurde von einer fortgeschrittenen Fahrschülerin geführt, während der Betroffene auf dem Beifahrersitz saß. Der Betroffene telefonierte in dieser Situation gegen 08.45 Uhr mit einem Mobiltelefon, das er hierfür an sein Ohr hielt. Er musste zu dieser Zeit nicht aktiv in das Fahrgeschehen eingreifen.
2. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO entgegen der Wertung des Amtsgerichts nicht, da der Betroffene kein Fahrzeug „führte“, als er das Mobiltelefon benutzte.
a) Zwar gilt gemäß § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG bei Ausbildungsfahrten der Fahrlehrer „im Sinne dieses Gesetzes als Führer des Kraftfahrzeugs“, wenn er den am Steuer sitzenden und noch nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis befindlichen Fahrschüler begleitet. Diese gesetzliche Fiktion vermag jedoch eine Ahndung des Betroffenen nicht zu rechtfertigen. Soweit in Rechtsprechung und Lehre die Ansicht vertreten wird, dass die Norm eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung des die Fahrt nur begleitenden Fahrlehrers gemäß § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO begründe (so wohl OLG Bamberg, DAR 2009, 402 mit [abl.] Anm. Heinrich und [zust.] Anm. Scheidler; Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Auflage [2012], § 23 StVO Rdnr. 22a; für eine volle straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung des Fahrlehrers aufgrund der gesetzlichen Fiktion OLG Karlsruhe VRS 64, 153, 157 [obiter dictum]; Xanke, in: Lütkes, Straßenverkehr [Stand Dezember 2012], § 2 StVG Rdnr. 148), folgt der Senat dem nicht (ablehnend auch OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014 zur Haftung des begleitenden Fahrlehrers nach § 24a StVG; ebenso Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage [2013], § 2 StVG Rdnr. 28, 91).
Dabei kann dahinstehen, ob schon der Wortlaut des § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG („im Sinne dieses Gesetzes“) den Geltungsbereich der Norm ausschließlich auf das Straßenverkehrsgesetz beschränkt und damit die – immerhin auf seiner Grundlage erlassene – Straßenverkehrsordnung nicht erfasst. Denn jedenfalls nach dem Sinn und Zweck der Norm sowie aus systematischen Gründen reicht die in § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG vorgesehene Fiktionswirkung nicht in den Bereich der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung hinein.
Nach ihrem Sinn und Zweck dient die Vorschrift dem Schutz des Fahrschülers, indem sie ihn vor einer Strafbarkeit gemäß § 21 StVG bewahrt und an seiner Stelle den Fahrlehrer der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung nach § 18 StVG unterwirft. Ohne die gesetzliche Fiktion des § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG würde der Fahrschüler, der während der Ausbildungsfahrt am Steuer sitzt, als Fahrzeugführer die Tatbestände der §§ 21, 18 StVG verwirklichen, was vom Gesetz nicht gewollt ist, denn er soll die erforderliche Fahrerlaubnis erst noch erwerben und dabei als Lernender – zu Lasten einer Verantwortlichkeit des ihn begleitenden Fahrlehrers – haftungsrechtlich privilegiert werden. Dass der Fiktion eine über diese Rechtsfolgen hinausgehende, weiterreichende Wirkung nicht zukommen soll, zeigt schon ihr auf das Straßenverkehrsrecht beschränkter Anwendungsbereich, der insbesondere die §§ 315c, 316 StGB unstreitig nicht erfasst (vgl. OLG Dresden NJW 2006, 1013 f.; König, in: Hentschel/König/Dauer, aaO, § 316 StGB Rdnr. 5), obwohl diese Vorschriften tatbestandlich an das Führen eines Fahrzeuges anknüpfen. § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG verlagert die Verantwortlichkeit vom Fahrschüler auf den Fahrlehrer mithin lediglich partiell, ohne dass er jenseits seines „spezifischen Zusammenhangs mit dem Straßenverkehrsrecht“ in eine „Vorschrift zur strafrechtlichen Mithaftung des Fahrlehrers“ umgedeutet werden könnte (LK-König, StGB, 12. Auflage [2008], § 315c Rdnr. 42). Eine dahingehende Umdeutung kommt – schon aus systematischen Erwägungen – auch im Bereich der Ordnungswidrigkeiten nicht in Betracht. Andernfalls ergäben sich kaum zu rechtfertigende Wertungswidersprüche (Täterschaft des als Beifahrer angetrunkenen Fahrlehrers im Sinne des § 24a StVG, nicht aber der §§ 315c, 316 StGB).
b) Der Betroffene war in der Tatsituation auch in Anwendung allgemeiner Grundsätze nicht als Fahrzeugführer im Sinne von § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO anzusehen.
aa) § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO ist – ebenso wie die §§ 315c, 316 StGB – ein eigenhändiges Delikt. Es kann nur durch denjenigen verwirklicht werden, der das Fahrzeug in Bewegung setzt oder unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung lenkt. Ein Führen allein „durch Worte“ reicht hierfür nicht aus, so dass nach herrschender Meinung der eine Ausbildungsfahrt nur mündlich anleitende Fahrlehrer kein Fahrzeugführer ist, solange er nicht manuell in die Steuerung des Wagens eingreift (OLG Dresden, aaO S. 1013 f.; König, in: Hentschel/König/Dauer, aaO, § 23 StVO Rdnr. 30a und § 316 StGB Rdnr. 3, 5; LK-König, aaO, § 315c Rdnr. 42; Fischer, StGB, 60. Auflage [2013], § 315c Rdnr. 3a; Burmann, in Burmann/Heß, aaO, § 316 StGB Rdnr. 2). Ob dies anders zu beurteilen ist, wenn sich der Fahrschüler infolge mangelhafter eigener Fahrkenntnisse „bedingungslos“ oder zumindest „im Wesentlichen“ nach den technischen Anweisungen des Fahrlehrers richtet (vgl. die Fallkonstellationen bei BGH VRS 52, 408, 409; OLG Hamm VRS 37, 281, 282), kann dahinstehen, denn eine derartige Situation war hier nicht gegeben. Die im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen lassen keinerlei Anhaltspunkt dafür erkennen, dass der Betroffene während der Ausbildungsfahrt mit seiner – fortgeschrittenen – Fahrschülerin deren Verkehrsverhalten durch mündliche Anweisungen maßgeblich bestimmt hat.
bb) Die in Teilen der Rechtsprechung und Literatur vertretene Ansicht, der Fahrlehrer sei bei der Begleitung einer Ausbildungsfahrt schon aufgrund seiner Beobachtungs- und Kontrollpflichten in Verbindung mit der bloßen Möglichkeit einer manuellen Beeinflussung als Fahrzeugführer anzusehen (so OLG Bamberg, aaO, mit Anm. Scheidler; LK-Geppert, aaO, § 69 Rdnr. 29), vermag der Senat nicht zu teilen. Sie überschreitet jedenfalls im Hinblick auf § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO die Grenzen einer zulässigen Normauslegung. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber mit dem Verbot der Handynutzung nicht jegliche Ablenkung durch Telefonate während der Fahrt sanktionieren, sondern lediglich sicherstellen wollte, dass der Fahrzeugführer während einer derartigen Ablenkung zumindest „beide Hände für die Bewältigung der Fahraufgabe frei hat“ (Wiedergabe der Begründung zur ÄndVO bei König, in Hentschel/König/Dauer, aaO, § 23 StVO Rdnr. 4). Diese Motivation verdeutlicht (zusätzlich zum Wortlaut der Vorschrift), dass § 23 Abs. 1a StVO die Führung eines Handytelefonats nur in Verbindung mit der tatsächlichen Betätigung der Bedieneinrichtungen des Fahrzeugs (insbesondere der Lenkung) unter Verbot stellt. Es mag zwar sein, dass auch von einem telefonierenden Beifahrer in Ausbildungssituationen potentielle Gefahren für die Verkehrssicherheit ausgehen können, die mit Blick auf die Verantwortung und Aufgabe des Fahrlehrers de lege ferenda auch sanktionierungswürdig sein mögen. Von der Schutzrichtung des § 23 Abs. 1a StVO werden derartige Situationen indes nicht erfasst.
3. Da andere Bußgeldvorschriften nicht in Betracht kommen und auszuschließen ist, dass das Amtsgericht im Rahmen einer neuen tatrichterlichen Verhandlung weitere den Betroffenen belastende Feststellungen treffen könnte, spricht der Senat den Betroffenen aus rechtlichen Gründen frei (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 354 Abs. 1 StPO).
III.
Eine Vorlage gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 121 Abs. 2 GVG ist nicht veranlasst. Bei der in ihrem rechtlichen Ausgangspunkt von der hier vertretenen Ansicht abweichenden Entscheidung des OLG Bamberg DAR 2009, 402 handelt es sich um einen Einzelrichterbeschluss (§ 80a Abs. 1 OWiG), der als Grundlage für ein Verfahren nach § 121 Abs. 2 GVG nicht geeignet ist (vgl. BGHSt 44, 144). Soweit das OLG Karlsruhe in VRS 64, 153, 157 zur Reichweite der gesetzlichen Fiktion des § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG (damals § 3 Abs. 2 StVG) eine Ansicht vertreten hat, die von der Meinung des Senats abweicht, handelte es sich um nicht tragende Erwägungen, die ebenfalls keinen Vorlegungsgrund bilden (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage [2013], § 121 Rdnr. 10, 11).
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 473 Rdnr. 2).