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Fahrstuhl: Sturz wegen zu tiefer Stellung – Verkehrssicherungspflicht

OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

Az.: 9 U 17/00

Verkündet am 06.09.2000

Vorinstanz: Landgericht Frankfurt – Az.: 2/18 O 267/99


In dem Rechtsstreit hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. August 2000 für Recht erkannt:

Die Berufung des Klägers gegen das am 29. Dezember 1999 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main – Aktenzeichen 2/18 O 267/99 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt DM 35.000.-

Tatbestand und Entscheidungsgründe

Der Kläger verlangt Schmerzensgeld aus der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für einen Aufzug durch die Beklagte.

Am 12. Juli 1998 gegen 19.40 Uhr wollte der damals 84-jährige Kläger aus der Tiefgarage … mit dem Aufzug … fahren. Dieser Aufzug war zuletzt am 16. Januar 1998 durch die TÜH beanstandungsfrei abgenommen worden. Als der Kläger den Aufzugsvorraum betrat, stand der Aufzug mit geöffneter Tür und beleuchtet da. Aufgrund eines technischen Fehlers stand der Aufzug jedoch zu tief, so dass zwischen dem Bodenniveau des Vorraums und dem des Aufzugs eine Stufe entstanden war. Dies bemerkte der Kläger nicht und kam beim Betreten des Aufzugs zu Fall. Dabei zog er sich einen Bruch der rechten Hüftgelenkspfanne und des rechten Schlüsselbeins zu. Er war bis zum 10. September 1998 in stationärer, danach in ambulanter Behandlung und leidet bis heute an Bewegungseinschränkungen und Schmerzen.

Der Kläger behauptet, der Fahrstuhl habe mit vollständig geöffneter Tür ca. 40 – 50 cm unterhalb des Bodenniveaus des Vorraums gestanden. Der technische Defekt sei so gravierend gewesen, dass der Aufzug noch am 19. Juli 1998 nicht wieder instand gesetzt gewesen sei. Die Beklagte habe ihre Wartungspflichten verletzt. Er stellt sich ein Schmerzensgeld von etwa DM 35.000.- vor und hat (neben einem Feststellungsantrag) insoweit einen unbezifferten Antrag gestellt.

Die Beklagte hat behauptet, der Aufzug habe mit nur teilweise geöffneter Tür maximal 20-25 cm tiefer gestanden. Der Unfall sei auf die Unachtsamkeit des Klägers zurückzuführen. Wenn ein technischer Defekt vorgelegen habe, so sei dieser nicht vorhersehbar gewesen. Die Reparatur sei am gleichen Abend erfolgreich durchgeführt worden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte liege nicht vor, der Kläger habe den Unfall bei Einhaltung der gebotenen Sorgfaltspflicht verhindern können.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er vorträgt, er habe bei Einsteigen sehr genau auf den vor ihm liegenden Weg geachtet. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten sei dennoch nicht erkennbar gewesen, dass der Aufzug zu tief stand. Mit einer solchen Höhendifferenz habe er nicht zu rechnen brauchen. Entsprechende Störungen seien durch einfache technische Vorkehrungen zu verhindern.

Die Beklagte wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag und verteidigt das angefochtene Urteil. Von der weiteren Darstellung des Urteilstatbestands wird gemäß § 543 l ZPO abgesehen.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, da das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.

Der Kläger kann von der Beklagten weder Zahlung eines Schmerzensgelds noch Feststellung der Ersatzpflicht zukünftiger Schäden verlangen. Ein dahingehender Anspruch steht ihm aus den §§ 823 l, 847 BGB nicht zu. Die Beklagte hat ihre Verkehrssicherungspflicht an dem Aufzug, in dem der Kläger zu Fall kam, nicht schuldhaft verletzt.

Eine solche Verkehrssicherungspflicht trifft jeden, der besondere Gefahrenquellen schafft und begründet die Notwendigkeit, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz Dritter zu schaffen. Die Beklagte ist als Betreiberin der Aufzugsanlage gehalten, diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs (BGH NJW 1985, 1076) im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, Gefahren von Dritten tunlichst abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer oder nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen (BGH NJW 1978, 1629).

Dahin stehen kann, ob diese Pflicht dadurch, dass der Aufzug am Unfalltag unterhalb des regulären Bodenniveaus anhielt, bereits objektiv verletzt wurde.

Für Gewerbetreibende wird der Inhalt der Verkehrssicherungspflicht regelmäßig durch technische Regelwerke und Unfallverhütungsvorschriften konkretisiert (BGH MDR 1979, 45; OLG Hamm NZV 95, 484), die auch außerhalb ihres unmittelbaren Geltungsbereichs als Maßstab für verkehrsgerechtes Verhalten dienen (OLG Koblenz VersR 1992, 893). Der BGH (VersR 1957, 153) hat die Frage der ausreichenden Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht bei Aufzugsanlagen zwar nicht auf die Durchführung der vorgeschriebenen Kontrollen beschränkt, ihr aber entscheidendes Gewicht beigemessen. Auch das OLG Gelle (VersR 1959, 111) und das AG Heidelberg (VersR 1988, 1270) sind davon ausgegangen, dass bei ordnungsgemäßer Prüfung und Wartung des Aufzugs eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht vorliegt.

Die nach § 10 AufzugsVO alle zwei Jahre erforderliche Hauptprüfung wurde am 16.1.1998, d.h. rund sechs Monate vor dem Unfall durchgeführt. Zusätzlich fanden regelmäßige Wartungen durch Personal der Beklagten statt, vorgelegt wurden Protokolle vom 21.1.98, 27.4.98, 21.7.98 und 12.11.98. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, der Aufzug werde sechsmal jährlich gewartet, tatsächlich aber nur vier Wartungen für 1998 belegt sind, liegt hierin kein Pflichtverstoß, da Anhaltspunkte dafür fehlen, dass vier Wartungen nicht ausreichen.

Selbst wenn man zugunsten des Klägers allein in dem Umstand, dass der Aufzug nicht ordnungsgemäß funktionierte, er durch das zu tiefe Stehenbleiben eine Gefahrenquelle für Benutzer darstellte, bereits eine objektive Pflichtverletzung sieht (so OLG Köln, VersR 1999, 861), fehlt es jedenfalls an dem für eine Haftung erforderlichen Verschulden der Beklagten.

Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beim Betrieb einer Aufzugsanlage wird noch nicht dadurch erfüllt, dass dieser in den gesetzlichen vorgeschriebenen Intervallen (§ 20 AufzugsVO) von der Aufsichtsbehörde abgenommen und viermal jährlich gewartet wird. In Anbetracht der Komplexität der technischen Einrichtung, der Vielzahl denkbarer Fehlfunktionen und den hieraus drohenden, zum Teil erheblichen Gefahren muss erwartet werden, dass der Betreiber des Aufzugs sich in regelmäßigen Abständen über dessen ordnungsgemäßes Funktionieren informiert. Diesen Anforderungen ist die Beklagte nachgekommen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Beklagte den streitgegenständlichen Aufzug – wie alle anderen Aufzüge der Tiefgarage auch – zumindest einmal täglich kontrolliert hat, indem ein hierfür zuständiger Mitarbeiter eine Probefahrt unternahm. Insoweit folgt das Gericht den Bekunden des Zeugen S, der als Schichtleiter der Parkhausverwaltung der Beklagten überzeugend und nachvollziehbar dargetan hat, dass es eine allgemeine Dienstanweisung für die Mitarbeiter gibt, gegen Ende der Nachtschicht, d. h. zwischen 5.00 und 6.00 Uhr morgens alle Aufzüge gezielt in dieser Form zu kontrollieren. Auch zu anderen Zeiten fänden Kontrollen statt, wenn die Mitarbeiter an den Aufzügen vorbei kämen. Das Gericht hat keine Bedenken, dieser Aussage zu folgen.

Mehr als eine so organisierte Kontrolle kann nicht verlangt werden. Entgegen der Ansicht des Klägers ist nicht zu verlangen, dass die Aufzüge in kürzeren Zeitintervallen oder gar ständig überwacht werden. Dies folgt aus den Besonderheiten einer Aufzugsanlage nicht und würde zu einer Überspannung der Sorgfaltsanforderungen führen. Auch aus der Entscheidung des OLG Köln (VersR 1999, 861) ergibt sich insoweit nichts anders. Zwischen dem Betrieb eines Aufzugs und dem einer Gemüseabteilung in einem Selbstbedienungsladen bestehen erhebliche Unterschiede. Ein Aufzug kann auch bei Bedienung durch die Fahrgäste regelmäßig nicht beschädigt oder so fehlbedient werden, dass es zu Störungen kommt, während bei den Kunden einer Selbstbedienungsobstabteilung ständig damit gerechnet werden muss, dass Obst auf den Boden fällt und dort eine Gefahr für andere Kunden bildet. Deswegen ist es selbstverständlich, dass eine Obstabteilung häufigerer Kontrollen bedarf, als ein Aufzug.

Fehlt es damit an einem Verschulden der Beklagten, so kommt es auf die Frage, wie tief der Aufzug zum Unfallzeitpunkt stand und ob dies für den Kläger erkennbar war, nicht mehr an.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen, da sein Rechtsmittel in vollem Umfang erfolglos geblieben ist (§ 97 l ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Festsetzung des Werts der Beschwer erfolgt gemäß § 546 II ZPO.

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