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Fahrverbot – Absehen bei 37 Jahren Fahrpraxis ohne Vorkommnisse

OLG Hamm

Az: 2 Ss OWi 687/06

Beschluss vom 05.12.2006


Auf den Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 17. Juli 2006 und auf den Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 05. September 2006 und auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 17. Juli 2006 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 05. 12. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gem. § 79 Abs. 5 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG beschlossen:

Dem Betroffenen wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 12. Juli 2006 gewährt.

Der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 05. September 2006 ist gegenstandslos.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den verwitweten Betroffenen, der zu 50 % schwer behindert und verkehrsrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten ist sowie über eine monatliche Rente von ca. 950 EUR verfügt, wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 37 Abs. 2, 1 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 StVO, 24, 25 StVG zu einer Geldbuße von 125 EUR verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Hiergegen richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt worden ist.

II.

Dem Betroffenen war wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen das angefochtene Urteil nach den §§ 44, 45 StPO in Verbindung mit § 79 Abs. 3 OWiG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist der §§ 345 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3 OWiG beruht nicht auf einem Verschulden des Betroffenen, sondern – wie der Verteidiger des Betroffenen glaubhaft gemacht hat – entweder auf einem Versehen des Büros des Verteidigers oder auf einem Fehler bei der Postzustellung. Beides ist dem Betroffenen nicht zuzurechnen.

Damit war der gemäß § 346 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3 OWiG gestellte Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 5. September 2006 gegenstandslos.

III.

Nach Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist des § 345 Abs. 2 StPO ist das Rechtsmittel zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist wirksam. Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes mit Unfall.

Auch der Rechtsfolgenausspruch ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Erwägungen, auf Grund derer das Amtsgericht von der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots nicht abgesehen hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.

Zutreffend ist zunächst die Annahme des Amtsgerichts, dass ein so genanntes „Augenblicksversagen“ im Sinne der Rechtsprechung des BGH nicht vorliegt (vgl. dazu Deutscher, Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 809 ff. mit weiteren Nachweisen). Nach den getroffenen Feststellungen zeigte die für den Betroffenen geltende Lichtzeichenanlage bereits 20 Sekunden Rotlicht als der Betroffene in die Kreuzung einfuhr und den Verkehrsunfall verursacht hat.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind auch – erhebliche – Besonderheiten, die gemäß § 4 Abs. 4 BKatV Anlass geben könnten, von der daher regelmäßig gebotenen Anordnung eines Fahrverbots im vorliegenden Fall abzusehen, den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der festgestellte Lebenssachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufwies, dass die Annahme eines Ausnahmefalls gerechtfertigt ist und die Verhängung eines Fahrverbots trotz der groben bzw. beharrlichen Pflichtverletzung unangemessen wäre, wobei das Vorliegen erheblicher Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher oder durchschnittlicher Umstände ausreicht. Einen solchen Ausfall kann insbesondere der drohende Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust der sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage begründen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 1. Juni 2006 – 2 Ss OWi 262/06 – mit weiteren Nachweisen). Er kann aber auch in sonstigen Erschwernissen des Betroffenen liegen, die allein oder in ihrer Gesamtheit den Grad einer erheblichen Härte erreichen (vgl. dazu eingehend Deutscher, a.a.O., Rn. 759 ff.).

Das Amtsgericht hat seine Entscheidung, von einem Fahrverbot nicht absehen zu wollen, wie folgt begründet:

„Die vom Betroffenen aufgeführten Umstände, dass er seit 37 Jahre Auto fahre, zu 50 % gehbehindert sei, und seine Wohnung 500 m von einer Bushaltestelle entfernt auf einem Berg liege, und Fahrten zum Einkaufen mit einem Taxi zu teuer seien, und zudem der Vorfall bereits über ein Jahr zurückliege, beinhalten keine erhebliche Härte oder besondere Umstände, die ein Absehen vom Regelfahrverbot ggf. auch unter Erhöhung der Geldbuße rechtfertigen. Dem Betroffenen ist es durchaus auch in finanzieller Hinsicht zuzumuten, seine Einkaufsfahrten, die nicht täglich erfolgen müssen, zu dem 2 km entfernten Einkaufsmarkt mit einem Taxi durchzuführen. Selbst wenn der Betroffene ein- bis zweimal pro Woche diese Einkaufsfahrten durchführen würde, entstünden für ihn Gesamtkosten im Rahmen von ca. unter 100 EUR, was auch angesichts seiner Rente nicht unzumutbar ist. Auch wenn die Tat schon über ein 1 Jahr zurückliegt, so hat der Betroffene durch seine Äußerungen auch im Hauptverhandlungstermin am 12. 7. 2006, in dem er immer wieder Uneinsichtigkeiten zeigte, indem er z.B. einen durch ihn begangen en Rotlichtverstoß immer wieder in Zweifel zog und das Verhalten des Unfallgegners in erheblichem Maße kritisierte gezeigt, dass die Verhängung des Fahrverbotes erforderlich ist, um mit dem nötigen Nachdruck auf ihn einzuwirken, damit er zukünftig die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften einhält und die Erhöhung einer Geldbuße dazu nicht ausreicht.“

Die Überprüfung dieser Ausführungen auf der oben dargestellten rechtlichen Grundlage lassen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen nicht erkennen. Der Umstand, dass der Betroffene aufgrund seine Alters und seiner teilweisen Behinderung auf sein Fahrzeug angewiesen ist, mag zwar zu einer Härte führen (vgl. dazu auch OLG Hamm NZV 1999, 316), diese hat aber noch nicht den Grad einer „erheblichen“, die zum Absehen vom Fahrverbot – ggf. unter Erhöhung der Geldbuße – führen würde, erreicht. Die Auswirkungen für den Betroffenen werden nämlich dadurch gemildert, dass der Betroffene für die Dauer des Fahrverbotes auf öffentliche Verkehrsmittel und/oder ein Taxi zurückgreifen kann. Die dadurch entstehenden Kosten von 100 EUR sind unter Berücksichtigung der monatlichen Rentenbezüge des Betroffenen zumutbar. Auch der Umstand, dass der Betroffene Ersttäter ist, führt – worauf das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat – nicht zu einer anderen Beurteilung (BayObLG NZV 1991, 360; 1994, 487; 1996, 464; OLG Hamm NZV 1995, 366; 1999, 394; 2003, 103; DAR 1996, 68; OLG Düsseldorf NZV 1995, 406; 1996, 464; DAR 1996, 66; OLG Jena DAR 2005, 166).

Der bisherige Zeitablauf rechtfertigt ein Absehen vom Fahrverbot – auch im Zusammenhang mit den übrigen Umständen – nicht. Der Verkehrsverstoß wurde am 2. Mai 2005 begangen, liegt also jetzt erst 19 Monate zurück (vgl. zum erforderlichen Zeitraum Deutscher, a.a.O., Rn. 776 ff. mit weiteren Nachweisen).

Schließlich ist es nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht darauf abgestellt hat, dass der Betroffene sich im Hauptverhandlungstermin „uneinsichtig“ gezeigt hat. Es kann dahinstehen, ob diese Erwägung, wovon der Verteidiger offenbar ausgeht, immer unzulässig ist (vgl. dazu auch OLG Hamm DAR 2006, 100). Denn jedenfalls sind die Ausführungen des Amtsgerichts nach Auffassung des Senats nicht dahin zu verstehen, dass das Amtsgericht dem Betroffenen anlastet, dass er ein Geständnis nicht abgelegt hat, was in der Tat unzulässig wäre. Vielmehr versteht der Senat das Amtsgericht dahin, dass dieses seinen persönlichen Eindruck, den es vom Betroffenen gewonnen hat, wieder gibt. Letztlich kann die Frage aber dahinstehen. Denn durch die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch hat der Betroffene die vom Amtsgericht noch vermisste Einsicht gezeigt. Dies führt im Ergebnis jedoch nicht zu einer anderen Entscheidung. Die übrigen vom Amtsgericht angeführten Umstände erreichen damit nämlich immer noch nicht den Grad einer erheblichen Härte. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Amtsgericht in seine Abwägung noch nicht einmal einbezogen hat, dass es durch das Fehlverhalten des Betroffenen zu einem Verkehrsunfall gekommen ist.

Alles in allem bietet der vorliegende Fall keinen Anlass von der Verhängung eines Regelfahrverbotes bei gleichzeitiger, ggf. auch massiver, Erhöhung der Geldbuße abzusehen. Zumindest ist die Entscheidung – auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats in dieser Frage (vgl. dazu Senat im Beschluss vom 3. 7. 2006, 2 Ss OWi 324/06 und im Beschluss vom 10. November 2006, 2 Ss OWi 656/06) – nicht ermessensfehlerhaft.

IV.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 473 Abs. 1, 7 StPO in Verbindung mit § 79 Abs. 3 OWiG.

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