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Fluggastrechte bei Flugverspätung – Ausgleichsanspruch bei Buchung über Firmenportal

LG Köln – Az.: 11 S 33/19 – Urteil vom 17.03.2020

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 14.12.2018, 124 C 146/18, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Ausgleichsansprüche nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

Der Kläger war für den 00.00.00 und 00.00.00 im Rahmen einer einheitlichen Buchung auf den von der Beklagten durchzuführenden Flügen XX1 von Denver nach Frankfurt am Main und XX2 von Frankfurt am Main nach Düsseldorf gebucht. Planmäßige Ankunftszeit in Düsseldorf war XX:XX Uhr.

Aufgrund eines technischen Defekts verspätete sich der Flug XX1, sodass der Kläger den Anschlussflug XX2 nicht erreichte. Der Kläger wurde sodann mit dem Ersatzflug XX3 nach Düsseldorf befördert, den er mit einer Verspätung von 3 Stunden und 31 Minuten erreichte.

Mit der Klageschrift hat der Kläger ursprünglich den Antrag angekündigt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 600,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.01.2018 zu zahlen. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 06.06.2018 eine Anspruchskürzung nach Art. 7 Abs. 2 lit. c) VO (EG) Nr. 261/2004 erklärt hat, hat der Kläger die Klage mit Schriftsatz vom 29.06.2018 in Höhe von 300,00 EUR für erledigt erklärt. Das Amtsgericht hat die Beklagte mit Verfügung vom 02.07.2018 darauf hingewiesen, dass es insoweit gem. § 91a ZPO über die Kosten des Rechtsstreits entscheiden werde, wenn die Beklagte der Teilerledigungserklärung nicht binnen einer Notfrist von zwei Wochen widerspricht (Bl. 23 d.A.). Die Beklagte hat keinen Widerspruch erklärt.

Der Kläger hat schließlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 300,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.01.2018 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger sei zu einem reduzierten und für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Firmentarif gereist. Sie hat die Ansicht vorgetragen, dass daher die VO (EG) Nr. 261/2004 nicht anwendbar sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Amtsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 07.11.2018 (Bl. 43 d.A.) durch schriftliche Vernehmung des Zeugen T. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf dessen schriftliche Aussage auf Blatt 47 d.A. verwiesen.

Mit Urteil vom 14.12.2018 hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits insgesamt dem Kläger auferlegt. Ein Anspruch nach Art. 7 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 261/2004 bestehe nicht. Gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 EG (VO) Nr. 261/2004 sei der Anwendungsbereich der Verordnung nicht eröffnet. Die Beklagte habe bewiesen, dass der Kläger zu einem reduzierten Tarif gereist sei, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist. Das Gericht stütze seine Überzeugung dabei auf die Aussage des Zeugen T. Dieser habe bekundet, dass die streitgegenständliche Reise im Rahmen des Tarifprodukts „Intercont Network Discount“ gebucht worden sei. Dabei handele es sich um ein Tarifprodukt für Interkontinentalreisen, das ausschließlich Firmen mit entsprechender vertraglicher Vereinbarung zur Verfügung stehe. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Flüge sei dadurch in den genutzten Buchungsklassen ein 5%-Rabatt auf den Nettopreis gewährt worden.

Fluggastrechte bei Flugverspätung - Ausgleichsanspruch bei Buchung über Firmenportal
(Symbolfoto: Von Song_about_summer/Shutterstock.com)

Das Amtsgericht führt aus, dass damit die Voraussetzung des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 VO (EG) Nr. 261/2004 erfüllt sei, dass der Flugschein zu einem reduzierten Tarifpreis erworben wurde. Eine bestimmte Höhe der Reduzierung verlange der Wortlaut der Vorschrift nicht. Auch die zweite Voraussetzung sei erfüllt. Der Tarif stehe nicht der gesamten Öffentlichkeit zur Verfügung. Eine am Wortlaut und Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung ergebe, dass ein Tarif der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung stehe, wenn er nur für einen im Vorhinein abgegrenzten Personenkreis zugänglich sei und an außerhalb der Person liegende Umstände anknüpfe. Das sei bei dem Tarifprodukt „Intercont Network Discount“ der Fall. Es richte sich nur an Firmenkunden, die mit der Beklagten einen entsprechenden Vertrag geschlossen haben. Damit werde an außerhalb der Person liegende Umstände angeknüpft, nämlich an die Firmenzugehörigkeit. Dass dieser Personenkreis eine gewisse Größe erreiche, mache den Tarif nicht für die Öffentlichkeit verfügbar. Denn „öffentlich verfügbar“ sei im Sinne von „allgemein verfügbar“ zu verstehen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er ist der Auffassung, dass eine systematische Auslegung des Art. 3 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 ergebe, dass der Verordnungsgeber auch solche Tarife vom Anwendungsbereich der Verordnung habe erfassen wollen, die nur einem eingeschränkten Personenkreis zur Verfügung stehen, sofern dieser einen veritablen Teil der Öffentlichkeit ausmache. Dies ergebe sich im Rückschluss aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 VO (EG) Nr. 261/2004. Eine teleologische Auslegung ergebe überdies, dass das Merkmal der Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit nicht mengenmäßig zu bestimmen sei, sondern nur über Funktions-, Zugehörigkeits- und Lagergedanken. Es würden insbesondere Freiflüge und Sondertarife für eigene Mitarbeiter des Luftfahrtunternehmens oder für Mitarbeiter von Reiseunternehmen Anwendungsfälle des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 261/2004 darstellen. Im Übrigen habe das Amtsgericht auch den Begriff der Reduzierung des Tarifs unzutreffend gewürdigt. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts komme es für die Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 darauf an, dass eine Reduzierung in erheblichem Umfang vorliege. Dies ergebe sich aus einer systematischen Betrachtung, weil in der Vorschrift neben dem Begriff „reduziert“ der Begriff „kostenlos“ in einem Atemzug erwähnt werde. Dies zeige, dass die Reduzierung einen Grad erreichen müsse, der bei wertender Betrachtung an einen kostenlosen Tarif heranreiche. Eine solche Auslegung sei nicht fremd, sie werde zum Beispiel auch bei § 275 BGB vorgenommen, nach der wegen des Merkmals „tatsächliche Unmöglichkeit“ in Abs. 1 angenommen werde, dass auch das Merkmal „grobes Missverhältnis“ in Abs. 2 eine ähnliche Qualität im Sinne einer praktischen Unmöglichkeit erreichen müsse. Weiter stützt sich der Kläger auf eine teleologische Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 VO (EG ) Nr. 261/2004. Die Verordnung verfolge die Stärkung der Verbraucherrechte. Es erschließe sich daher nicht, warum diese Ziele bereits dann suspendiert sein sollen, wenn nur eine geringfügige Reduzierung vorliegt.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zu verurteilen, an den Kläger 300,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.01.2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil. Sie trägt darüber hinaus unwidersprochen vor, dass der streitgegenständliche Firmentarif auch den Mitarbeitern des Unternehmens nicht für alle Reisen zur Verfügung stehe, sondern nur für solche, die dienstlich veranlasst sind.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Er ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 7 Abs. 1 lit. c), Art. 5 Abs. 1 lit. c) analog der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

Das Amtsgericht ist auf Grundlage der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die mit der Berufung nicht angegriffen werden, zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die VO (EG) Nr. 261/2004 im streitgegenständlichen Fall nicht anwendbar ist. Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1, 2. Var. VO (EG) Nr. 261/2004 gilt die Verordnung nicht für Fluggäste, die zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist. Diese beiden Voraussetzungen – 1) ein reduzierter Tarif, der 2) für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist – sind hier erfüllt. Ferner liegt auch kein Fall der Rückausnahme des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 VO (EG) Nr. 261/2004 vor.

1.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Tarif, zu dem die Flugtickets für den streitgegenständlichen Flug mit Anschlussflug gebucht wurden, um 5% gegenüber dem Netto-Normaltarif reduziert war. Damit liegt eine Reduzierung im Sinne der Vorschrift vor. Der Ansicht der Berufung, dass Art. 3 Abs. 3 Satz 1, 2. Var. VO eine erhebliche Reduzierung verlange, kann die Kammer nicht folgen. Der Wortlaut der Vorschrift ist insoweit eindeutig: Er nennt allein einen „reduzierten Tarif“ und nicht z.B. einen „um mindestens x% reduzierten Tarif“ oder einen „erheblich reduzierten Tarif“. Es gibt auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vorschrift anders zu verstehen ist. Allein der generelle Aspekt des Verbraucherschutzes vermag eine Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut nach Ansicht der Kammer nicht zu rechtfertigen.

Entgegen der Ansicht der Berufung spricht auch nicht die Systematik der Vorschrift für das Verständnis des Klägers. Allein daraus, dass die Begriffe „kostenlos“ und „reduziert“ nebeneinander stehen, kann nicht der Rückschluss gezogen werden, dass diese beiden von der Intensität her vergleichbar sein sollen. Im Gegenteil spricht dagegen bereits, dass die beiden Begriffe die Rechtsfolge des Art. 3 Abs. 3 Satz 1, 2. Var. VO nur unter unterschiedlichen Voraussetzungen herbeiführen. Während nämlich bei einem kostenlosen Flug bereits dieser für sich genommen die Anwendbarkeit der VO ausschließt, wird bei einem reduzierten Tarif zusätzlich verlangt, dass dieser für die Öffentlichkeit nicht verfügbar ist. Diese letztgenannte Voraussetzung gilt allein für den reduzierten Tarif, nicht aber für den kostenlosen (BGH, Urteil vom 17.03.2015, X ZR 35/14 = NJW-RR 2015, 823). Hätte der Verordnungsgeber die Begriffe „kostenlos“ und „reduziert“ weitgehend gleich verstanden wissen wollen, wäre es aber nicht nachvollziehbar, warum dann für den reduzierten Tarif noch eine zusätzliche Einschränkung gelten sollte. Diese zusätzliche Voraussetzung ist im Übrigen auch der Unterschied zur vom Kläger als Vergleich herangezogenen Auslegung des § 275 BGB. Dort ist in Abs. 1 geregelt, dass ein Anspruch auf eine Leistung, die unmöglich ist, ausgeschlossen ist. Der Abs. 2 regelt dann die im Wesentlichen gleiche Rechtsfolge (Schuldbefreiung, wenn auch als Einrede), wenn die Leistung einen Aufwand erfordert, der in groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Es werden hier also zwei alternative Voraussetzungen genannt, die jeweils schon für sich genommen zu derselben Rechtsfolge führen, was beim Art. 3 Abs. 3 Satz 1 VO (EG) Nr. 261/2004 gerade nicht der Fall ist. Im Übrigen ergibt sich der strenge Maßstab des § 275 Abs. 2 BGB aber auch ohnehin weniger aus dem Vergleich zu Absatz 1 als vielmehr aus dem systematischen und teleologischen Vergleich zu §§ 439 Abs. 4, 635 Abs. 3, 651k Abs. 1 und 251 Abs. 2 BGB. Da diese einen Anspruch des Gläubigers bereits bei unverhältnismäßigen Kosten ausschließen, der § 275 Abs. 2 BGB hingegen ein grobes Missverhältnis verlangt, geht man davon aus, dass dieser eng auszulegen ist, dergestalt, dass er lediglich die „Opfergrenze“ des Schuldners im Blick haben will (vgl. Lorenz in Beck‘scher Online-Kommentar zum BGB, 52. Edition, Stand: 1.11.2019, § 275 BGB, Rn. 57).

2.

Nach Ansicht der Kammer ist der streitgegenständliche Tarif „Intercont Network Discount“ auch nicht im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 2. Var. VO (EG) Nr. 261/2004 unmittelbar oder mittelbar für die Öffentlichkeit verfügbar.

Die Frage, ob Firmentarife, die nur für Unternehmen nach Abschluss eines Vertrages mit dem Luftfahrtunternehmen gelten, einen für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbaren Tarif darstellen, ist in Rechtsprechung und Literatur äußerst umstritten.

a)

In der Literatur wird überwiegend vertreten, dass von Art. 3 Abs. 3 Satz 1, 2. Var. VO nur solche nicht am freien Markt zu findende Funktionsrabatte erfasst werden, die namentlich Mitarbeitern von Fluggesellschaften oder kooperierenden Reiseveranstaltern bzw. -büros zugestanden werden, wie der „Industry Discount“ (ID), der Agent Discount (AD) und der Personal Education Program-Tarif (PEP) (Steinrötter in Beck‘scher Großkommentar, Art. 3 Fluggastrechte-VO, Stand: 01.01.2020, Rn. 35; Schmid, NJW 2015, 513; ders in Beck‘scher Onlinekommentar zur Fluggastrechte-Verordnung, Stand: 01.01.2020, Art. 3, Rn. 45, 46, 47a). Als Öffentlichkeit könne nur die Gesamtheit der Personen außerhalb des Unternehmens der Fluggesellschaft anzusehen sein, nicht aber Mitarbeiter der Fluggesellschaft oder kooperierender touristischer Unternehmen (Schmidt in Beck‘scher Onlinekommentar zur Fluggastrechte-Verordnung, Stand: 01.01.2020, Art. 3, Rn. 46), wobei es genüge, dass der Tarif auch nur für an individuelle Merkmale der Kunden anknüpfende Teile der Öffentlichkeit – Kinder, Schüler, Studenten, Senioren – zugänglich sei (Ansgar Staudinger in Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-Verordnung, 1. Aufl. 2016, Art. 3, Rn. 16). Auch Firmentarife stünden einer so definierten Teilöffentlichkeit jedenfalls mittelbar zur Verfügung (Schmidt in Beck‘scher Onlinekommentar zur Fluggastrechte-Verordnung, Stand: 01.01.2020, Art. 3, Rn. 47a; Steinrötter in Beck‘scher Großkommentar, Art. 3 Fluggastrechte-VO, Stand: 01.01.2020, Rn. 37). Dies ergebe sich jedenfalls aus dem aus der Rückausnahme des Art. 3 Abs. 3 S. 2 VO erkennbaren Sinn und Zweck der Vorschrift (Ansgar Staudinger in Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-Verordnung, 1. Aufl. 2016, Art. 3, Rn. 19).

Die Rechtsprechung ist – soweit ersichtlich und veröffentlicht – geteilter Ansicht und nicht gefestigt. Nach Ansicht des AG Hamburg zum Beispiel ist die Anwendbarkeit der Verordnung bei reduzierten Firmentarifen nicht ausgeschlossen (AG Hamburg, Verf. v. 01.11.2019, 23a C 83/19), während das AG Köln (AG Köln, Urteil vom 04.11.2016, 136 C 155/15) und das AG Bremen (AG Bremen, Urteil vom 16.01.2020, 16 C 313/19) die Verordnung bei reduzierten Firmentarifen für nicht anwendbar halten. Das LG Frankfurt am Main hat entschieden, dass sogar ein einer gesamten Berufsgruppe – Journalisten – gewährter Rabatt nicht als für die Öffentlichkeit unmittelbar oder mittelbar zur Verfügung stehend angesehen werden kann (LG Frankfurt, Urteil vom 06.06.2014 – 24 S 207/134, zitiert nach Schmid, NJW 2015, 513, Fn. 5).

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b)

Nach Ansicht der Kammer ist ein Firmentarif der streitgegenständlichen Art nicht als „für die Öffentlichkeit verfügbar“ anzusehen. Abweichend von der Ansicht der Literatur vermag die Kammer insbesondere keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass der Art. 3 Abs. 3 S. 1, 2. Alt. VO (EG) Nr. 261/2004 allein für Funktionsrabatte für Mitarbeiter der Fluggesellschaften und Touristikunternehmen gelten soll. Zwar werden Funktionstarife auch in den Leitlinien der Kommission für die Auslegung der Verordnung genannt. Dort heißt es zu Art. 3 Abs. 3 S. 1: „Unter diese Bestimmung fallen Sondertarife, die Luftfahrtunternehmen ihrem Personal anbieten“. Dem lässt sich aber – unabhängig von der fehlenden Verbindlichkeit dieser Leitlinien – nicht entnehmen, dass ausschließlich solche Tarife gemeint sind. Dagegen spricht bereits die Rückausnahme des Art. 3 Abs. 3 S. 2 VO (EG) Nr. 261/2004, wonach Kundenbindungsprogramme von der Regelung des Satzes 1 ausgenommen sind. Wären von Satz 1 von vornherein nur Tarife für eigene oder assoziierte Mitarbeiter erfasst, wäre diese Rückausnahme vollkommen unnötig, denn bei solchen Tarifen handelt es sich ohnehin nicht um Kundenbindungsprogramme. Der Verordnungsgeber hätte, wenn er ein solches Verständnis der Vorschrift beabsichtigt hätte, den Satz 2 ersatzlos weglassen können. Daraus, dass er dies nicht getan hat, folgt nach Ansicht der Kammer zwingend, dass Satz 1 nicht allein Funktionsrabatte für eigene Mitarbeiter und solche von Touristikunternehmen erfasst. Die dem entgegenstehende Ansicht der Literatur legt auch nicht dar, wie ein solches Verständnis mit Satz 2 in Einklang zu bringen sein soll. Lediglich an einer Stelle wird hierzu angeführt, dass es sich bei Satz 2 nur um eine deklaratorische Regelung handele, da Satz 1 ja ohnehin keine Kundenbindungsprogramme umfasse – es handele sich lediglich um eine „Service norm“ der EU-Legislative (Steinrötter in Beck‘scher Großkommentar, Art. 3 Fluggastrechte-VO, Stand: 01.01.2020, Rn. 40). Dabei handelt es sich nach Ansicht der Kammer aber um einen Zirkelschluss.

Umgekehrt erscheint es – ohne dass die Kammer dies entscheiden müsste – aber nicht zwingend, dass ein Tarif der gesamten Öffentlichkeit uneingeschränkt zugänglich sein muss. Insoweit mag es für das Merkmal der Öffentlichkeit durchaus auch genügen, wenn ein Tarif nur einer bestimmten, nach objektiven persönlichen Kriterien definierten Teilöffentlichkeit zugänglich ist, wie dies etwa bei Kinder- und Seniorentarifen der Fall ist (so auch z.B. AG Bremen, Urteil vom 16.01.2020, 16 C 313/19). Es stellt sich dann aber die Frage, welcher Art die Kriterien zur Festlegung der Gruppe sein müssen, dass man bei einem Tarif noch von einem für die Teilöffentlichkeit zugänglichen im Sinne der Vorschrift sprechen kann. Nach Ansicht der Kammer kann eine solche Teilöffentlichkeit nur dann angenommen werden, wenn die Gruppe anhand von persönlichen Merkmalen bestimmt wird, die den Mitgliedern anhaften, wie zum Beispiel das Alter oder ggf. auch die Eigenschaft als Schüler oder Student. Bei einem Firmentarif wird eine Gruppenzugehörigkeit aber nicht durch ein solches persönliches Merkmals des Fluggastes ausgelöst, sondern durch ein Vertragsverhältnis des Arbeitgebers mit dem Luftfahrtunternehmen. So genügt es nicht, dass ein Reisender bloß Mitarbeiter eines Unternehmens einer bestimmten Größe ist. Vielmehr muss dieses Unternehmen zuvor einen Rahmenvertrag geschlossen haben. Die Gewährung des Tarifs knüpft also an ein Kriterium inter partes an, das von den Parteien des Rahmenvertrages festgelegt wurde (AG Bremen, Urteil vom 16.01.2020, 16 C 313/19).

Selbst wenn man aber annehmen wollte, dass eine Gruppenangehörigkeit im Sinne des Art. 3 Abs. 3 S. 1 VO (EG) Nr. 261/2004 daran festgemacht werden kann, dass ein Kunde Mitarbeiter eines Unternehmens ist, das einen Vertrag mit dem Luftfahrtunternehmen abgeschlossen hat, würde es bei dem streitgegenständlichen Tarif jedenfalls an einer – und sei es auch nur mittelbaren – freien Zugänglichkeit des Tarifs für diese „Teilöffentlichkeit“ fehlen. Denn auch die Mitarbeiter eines Unternehmens, das einen Rahmenvertrag über einen vergünstigten Tarif der streitgegenständlichen Art abgeschlossen hat, können auf diesen nicht frei zugreifen. Vielmehr gilt der streitgegenständliche Tarif nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten zweckgebunden allein für dienstlich veranlasste Flüge im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, nicht aber für private Reisen der Mitarbeiter. Jedenfalls aufgrund dieser Voraussetzung ist eine Zugänglichkeit des reduzierten Tarifs nicht mehr allein von persönlichen Merkmalen des Fluggastes abhängig (so auch AG Köln, Urteil vom 04.11.2016, 136 C 155/15). Dies ist auch ein maßgeblicher Unterschied zu anderen möglichen Tarifen, die für eine Teilöffentlichkeit gelten. Reduzierte Tarife für Kinder oder Senioren etwa gelten für diese unabhängig vom Reisezweck. Auch bei Schüler- und Studententarifen dürfte es regelmäßig nicht Voraussetzung für den Zugang zu diesen sein, dass der Flug durch die Schule oder das Studium veranlasst ist.

3. Kein Fall der Rückausnahme des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 VO (EG) Nr. 261/2004

Zuletzt fällt der streitgegenständliche Firmentarif auch nicht unter die Rückausnahme des Art. 3 Abs. 3 S. 2 VO, wonach die Verordnung unabhängig von Satz 1 für Fluggäste mit Flugscheinen gilt, die im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen ausgegeben wurden. Weitgehend unstreitig werden unter diese Vorschrift jedenfalls sogenannte Vielflieger- bzw. Meilenprogramme gefasst. Jedoch wird mitunter auch angenommen, dass auch Firmentarife letztlich der Kundenbindung und -werbung dienen und daher auch für solche Tarife die Rückausnahme des Satzes 2 greife. Nach Ansicht der Kammer können die Begriffe der Kundenbindung und Werbung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 S. 2 VO jedoch nicht so weit verstanden werden. Denn letztlich dient jeder reduzierte Tarif der Kundenbindung. Würde man aber die bloße Reduzierung schon ausreichen lassen, um die Rückausnahme des Satzes 2 greifen zu lassen, würde dies wieder zu dem Ergebnis führen, was bereits oben beschrieben wurde: Es würde letztlich kein einziger reduzierter Tarif, der an Personen außerhalb eines Unternehmens (letztere sind ja keine Kunden im eigentlichen Sinne) vergeben wird, unter den Art. 3 Abs. 3 S. 1, 2. Alt. VO fallen. Dies würde wiederum dazu führen, dass die Vorschrift des Satzes 1 nur für Funktionsrabatte gelten würde. Wenn dies vom Verordnungsgeber aber beabsichtigt gewesen wäre, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, dies auch ausdrücklich so in Satz 1 niederzuschreiben und den Satz 2 wegzulassen. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber erst über einen umständlichen Umweg über die Rückausnahme in Satz 2 regeln wollte, dass nur Funktionstarife von der Anwendbarkeit der Verordnung ausgenommen sind. Aus den vorstehenden Gründen geht die Kammer vielmehr davon aus, dass Satz 2 keine Firmentarife erfa sst, sondern er lediglich für Fluggäste gilt, die mit Flugscheinen reisen, die als Prämie im Rahmen von Kundenbindungsprogrammen oder Werbeprogrammen an sie ausgegeben wurden (so auch AG Köln, Urteil vom 04.11.2016, 136 C 155/15)

4.

Die Zinsforderung teilt das Schicksal der geltend gemachten Hauptforderung.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 97 Abs. 1 ZPO und §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und wegen grundsätzlicher Bedeutung hinsichtlich der Frage zuzulassen, ob die Anwendbarkeit der VO (EG) Nr. 261/2004 gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1, 2. Var. der Verordnung ausgeschlossen ist, wenn ein Fluggast zu einem vergünstigten Firmentarif reist, der ausschließlich Firmenkunden in der hier streitgegenständlichen Weise zugänglich ist. Das Auftreten dieser Frage ist in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten, weshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist. Zu der Frage liegt eine höchstrichterliche Entscheidung noch nicht vor. Sie wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt (s.o.).

Streitwert der Berufung:  300,00 EUR

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