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Arbeitsvergütung – Freistellung und Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers

BUNDESARBEITSGERICHT

Az.: 5 AZR 99/04

Urteil vom 29.09.2004


In Sachen hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 29. September 2004 für Recht erkannt:

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 16. September 2003 – 7 Sa 93/03 – aufgehoben.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 29. November 2002 – 5 Ca 5328/02 – wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Arbeitsvergütung.

Die Klägerin war bei der Beklagten als Lagerarbeiterin/Staplerfahrerin zu einem Monatslohn von zuletzt 2.222,61 Euro brutto beschäftigt. Mit Schreiben vom 24. April 2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum 30. September 2002. Hiergegen erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage. Im Gütetermin vom 3. Juni 2002 schlossen die Parteien folgenden Vergleich:

„1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher, betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung mit Ablauf des 30.09.2002 sein Ende finden wird.

2. Bis dahin wird die Klägerin unter Anrechnung etwaiger Mehrarbeit und Urlaubsansprüche aus dem Kalenderjahr 2002 unwiderruflich von der Arbeitsleistung bei Fortzahlung der Vergütung freigestellt.

3. Die Beklagte zahlt an die Klägerin als sozialen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes entsprechend den §§ 9, 10 KSchG eine Abfindung in Höhe von 12.800,00 EUR, abzugsfrei in den Grenzen des § 3 Nr. 9 EStG, die mit der Gehaltszahlung September 2002 ausbezahlt wird.

4. Die Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin ein anteiliges Urlaubs- sowie Weihnachtsgeld für das Kalenderjahr 2002 zu zahlen.

5. Die Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis auszustellen und bis zum 30.09.2002 zu übersenden.

6. Sämtliche Firmenunterlagen sowie Firmeneigentum wurden durch die Klägerin an ihren Dienstvorgesetzten übergeben. Die Klägerin erklärt, dass sich keine Unterlagen sowie firmeneigene Gegenstände mehr in ihrem Besitz befinden.

7. Mit diesem Vergleich sind alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und im Zusammenhang mit seiner Beendigung, gleich welcher Art und aus welchem Grund, ob bekannt oder unbekannt, erledigt.

8. Der Rechtsstreit ist erledigt.

9. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.“

Die Klägerin befand sich vom 30. April 2002 bis zum 8. August 2002 in einer stationär durchgeführten Entziehungskur zur Behandlung ihrer Alkoholsucht. Für die Dauer der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme erhielt die Klägerin 3.705,57 Euro Übergangsgeld von ihrem Rentenversicherungsträger. Die Krankenkasse bescheinigte wegen derselben Krankheit Vorerkrankungszeiten vom 17. bis zum 28. September 2001 und vom 8. Oktober bis zum 16. November 2001.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung ihres Gehalts für die Zeit vom 1. Mai bis zum 31. Juli 2002 in Höhe von monatlich 2.222,61 Euro brutto.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auf Grund der unwiderruflichen Freistellung von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung bestehe der Anspruch auf Arbeitsvergütung in dem Freistellungszeitraum unabhängig von der Arbeitsfähigkeit. Eine Anrechnung anderweitiger Einkünfte scheide aus.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.667,83 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 2.222,61 Euro brutto seit 1. Juni 2002, 2.222,61 Euro brutto seit 1. Juli 2002 und 2.222,61 Euro brutto seit 1. August 2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, nach dem Inhalt der Freistellungsvereinbarung sollte die Klägerin nicht losgelöst von der Arbeitsfähigkeit Vergütung erhalten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2002 hat die Klägerin keinen Anspruch auf Arbeitsvergütung.

I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 9 iVm. § 3 EFZG. Insoweit haben die Vorinstanzen zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klägerin nach der vorgelegten Bescheinigung der Krankenkasse innerhalb des Zeitraums des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EFZG wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war. Dies ist zwischen den Parteien auch unstreitig.

II. Der geltend gemachte Vergütungsanspruch ergibt sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht aus Ziff. 2 des Vergleichs vom 3. Juni 2002. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, aus der unwiderruflichen Freistellung bei Fortzahlung der Vergütung folge, dass die Beklagte der Klägerin die Zahlung der Arbeitsvergütung unabhängig von der Arbeitsfähigkeit zugesagt habe.

1. Prozessvergleiche unterliegen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung (vgl. Senat 9. Oktober 1996 – 5 AZR 246/95 – AP SGB IX § 115 Nr. 9 = EzA AFG § 117 Nr. 11; 25. März 1992 – 5 AZR 254/91 – AP AFG § 117 Nr. 12 = EzA AFG § 117 Nr. 8; 22. Mai 1985 – 4 AZR 427/83 – BAGE 48, 351; 16. Januar 2003 – 2 AZR 316/01 – AP ArbGG 1979 § 57 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 133 Nr. 1; kritisch hierzu GK-ArbGG/Ascheid Stand Mai 2004 § 73 Rn. 43; HWK/Bepler § 73 ArbGG Rn. 15). Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, bedarf hier keiner Entscheidung, denn der Vergleich vom 3. Juni 2002 enthält eine typische Regelung, die zur Beilegung einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten verwendet wird. Schon deshalb unterliegt der Vergleich der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht.

2. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung verstößt gegen §§ 133, 157 BGB. Das Landesarbeitsgericht hat den wirklichen Willen der Parteien (§ 133 BGB), wie er im Vergleichstext zum Ausdruck kommt, nicht ausreichend berücksichtigt. Außerdem hat es entgegen § 157 BGB den Vertrag nicht so ausgelegt, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte gebieten.

a) Nach Ziff. 2 des Vergleichs ist die Klägerin unter Anrechnung etwaiger Mehrarbeit und Urlaubsansprüche bei Fortzahlung der Vergütung unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt worden. Die Beklagte hat damit auf die Erbringung von Arbeitsleistungen durch die Klägerin verzichtet und sich verpflichtet, trotz fehlender Arbeitsleistung das Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Soweit die Klägerin ohne diesen Vergleich zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen wäre oder Fälle gesetzlich begründeter Entgeltzahlungspflichten ohne Arbeitsleistung bestehen, hat sich die Beklagte zur Zahlung der Arbeitsvergütung verpflichtet. Die Beklagte hat nach dem Wortlaut des Vergleichs jedoch keinen Rechtsgrund für eine Zahlungspflicht geschaffen, die über die gesetzlich geregelten Fälle der Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit hinausgeht.

b) Die Annahme einer weitergehenden Zahlungspflicht berücksichtigt die sozialversicherungsrechtlichen Zusammenhänge nicht genügend und ist deshalb auch nicht interessengerecht. Dies wird im Schrifttum nicht hinreichend bedacht, wenn vertreten wird, bei einer unwiderruflichen bezahlten Freistellung wirke sich die Arbeitsunfähigkeit nicht aus, so dass das Arbeitsentgelt auf Grund der Freistellungsvereinbarung unabhängig von der Arbeitsfähigkeit fortzuzahlen sei (vgl. Schmitt EFZG § 3 Rn. 82; Vogelsang Entgeltfortzahlung Rn. 110; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge EFZG § 3 Rn. 69). Eine über die Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes hinausgehende Entgeltzahlungspflicht würde in erster Linie die Sozialversicherungsträger entlasten. Da die Klägerin für die Dauer der Entziehungskur vom Rentenversicherungsträger Übergangsgeld bezogen hat, werden gem. § 52 Abs. 1 Nr. 2 iVm. § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX Leistungen des Arbeitgebers zum Übergangsgeld angerechnet, soweit sie zusammen mit dem Übergangsgeld das vor Beginn der Leistung erzielte, um die gesetzlichen Abzüge verminderte Arbeitsentgelt übersteigen. Das hat zur Folge, dass die von der Klägerin verlangte Arbeitsvergütung zum ganz überwiegenden Teil dem Rentenversicherungsträger zugute käme, weil der Entgeltanspruch der Klägerin nach § 52 Abs. 3 SGB IX, § 115 SGB X mit Zahlung des Übergangsgelds auf den Rehabilitationsträger übergegangen wäre. Ein solcher Regelungswille kann den Parteien ohne ausdrückliche Vereinbarung, die hier fehlt, nicht unterstellt werden. Hätten die Parteien weitergehende Zahlungspflichten der Beklagten begründen wollen, hätte es näher gelegen, die zu Ziff. 3 des Vergleichs vereinbarte Abfindung zu erhöhen. Dies wäre der Klägerin unmittelbar zugute gekommen.

3. Dieser Auslegung des Vergleichs vom 3. Juni 2002 steht das von der Klägerin angezogene Urteil des Neunten Senats vom 19. März 2002 (- 9 AZR 16/01 – EzA BGB § 615 Nr. 108) nicht entgegen. In dieser Entscheidung hat das BAG angenommen, bei einer unwiderruflichen Freistellung unter Anrechnung von Urlaub könne der Arbeitnehmer davon ausgehen, dass er seine Arbeitspflichten überhaupt nicht mehr erfüllen müsse und er über seine Arbeitsleistung frei verfügen könne. Die Vergütungsfortzahlung erfolge in diesem Fall nach § 611 und nicht nach § 615 BGB, weshalb auch eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 615 Satz 2 BGB ausscheide. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um die Anrechnung eines anderweitigen Verdienstes bei bestehender Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers, sondern um über das Entgeltfortzahlungsgesetz hinausgehende Entgeltfortzahlungspflichten bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

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