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Fristlose Mietvertragskündigung gegenüber schuldunfähigem Mieter?

Mietrecht: Fristlose Kündigung bei psychischer Krankheit

Das Urteil befasst sich mit der fristlosen Kündigung eines Mietverhältnisses gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter. Trotz der psychischen Erkrankung des Mieters bestätigen die Gerichte die Rechtmäßigkeit der Kündigung, da die Grenzen der Zumutbarkeit überschritten wurden. Die Entscheidungen berücksichtigen sowohl die Rechte des Mieters als auch die des Vermieters, wobei die erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber psychisch kranken Mietern eine Rolle spielt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: Vf. 40-IV-23 (HS) >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Fristlose Kündigung ist auch bei einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich.
  2. Die Kündigung erfolgte nach wiederholten Lärmstörungen und anderen Beeinträchtigungen durch den Mieter.
  3. Das Gericht sieht eine Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter.
  4. Psychische Erkrankung des Mieters allein rechtfertigt keine Aufhebung der Kündigung.
  5. Abmahnungen und frühere Kündigungsversuche waren Teil des Verfahrens.
  6. Die Kündigung wurde als verhältnismäßig angesehen, trotz der Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips und des Schutzes Behinderter.
  7. Der Mieter konnte die Schuldunfähigkeit nicht ausreichend nachweisen.
  8. Das Urteil betont die Notwendigkeit einer Balance zwischen Mieter- und Vermieterrechten.

Die Herausforderung bei der Kündigung von Mietverhältnissen mit psychisch kranken oder schuldunfähigen Mietern

Die Kündigung eines Mietverhältnisses kann eine komplexe Angelegenheit sein, insbesondere wenn der Mieter psychisch krank oder schuldunfähig ist. In solchen Fällen müssen Gerichte die Grenzen der Zumutbarkeit für beide Parteien abwägen und die Rechte und Pflichten von Mietern und Vermietern berücksichtigen.

Das folgende Urteil befasst sich mit der fristlosen Kündigung eines Mietverhältnisses, bei dem der Mieter aufgrund einer psychischen Erkrankung als schuldunfähig gilt. Es wirft Fragen zur rechtlichen Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit der Kündigung auf und betont die Bedeutung der erhöhten Toleranzbereitschaft gegenüber psychisch kranken Mietern.

Im weiteren Verlauf des Artikels werden wir die Details des Urteils beleuchten und die zentralen Punkte hervorheben, um Ihnen ein besseres Verständnis für die juristischen Aspekte der fristlosen Kündigung gegenüber schuldunfähigen Mietern zu vermitteln.

Der lange Weg zur fristlosen Kündigung bei psychischer Krankheit des Mieters

Im Jahr 2023 stand ein bemerkenswerter Fall vor dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen. Es ging um die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses durch die Vermieterin, die S. GmbH, gegenüber einem langjährigen Mieter, der seit 2010 in der Wohnung lebte. Der Kern des Konflikts waren wiederholte Lärmstörungen und Beschädigungen durch den Mieter, der zudem Beauftragten der Vermieterin den Zutritt verwehrte und diese bedrohte.

Die rechtlichen Herausforderungen im Fall

Die rechtliche Auseinandersetzung begann mit einer Abmahnung im Januar 2022 und eskalierte mit der fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Die Herausforderung in diesem Fall lag in der psychischen Erkrankung des Mieters. Das Amtsgericht Dresden und das Landgericht Dresden hatten bereits entschieden, dass trotz der Erkrankung die Fortsetzung des Mietverhältnisses der Vermieterin nicht zugemutet werden könne. Der Mieter hingegen argumentierte, er sei aufgrund seiner psychischen Krankheit schuldunfähig und könne für sein Verhalten nicht verantwortlich gemacht werden.

Abwägung der Gerichte zwischen Mieter- und Vermieterinteressen

Die Gerichte mussten zwischen den Rechten des Mieters und denen der Vermieterin abwägen. Das Landgericht Dresden berücksichtigte dabei die erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber dem psychisch kranken Mieter. Jedoch wurde festgestellt, dass die Häufigkeit und Intensität der Störungen die Zumutbarkeitsgrenze überschritten hätten. Besonders interessant war die Betonung, dass nicht jede psychische Erkrankung die Geschäftsfähigkeit zu jeder Zeit beeinträchtige. Die Entscheidung des Landgerichts spiegelte eine differenzierte Betrachtung wider, die sowohl die Grundrechte des Mieters als auch die berechtigten Interessen der Vermieterin in den Blick nahm.

Verfassungsgerichtshof bestätigt die Entscheidung der Vorinstanzen

Schließlich landete der Fall vor dem Verfassungsgerichtshof Sachsen, der die Verfassungsbeschwerde des Mieters verwarf. Der Gerichtshof betonte, dass die Beschwerdeschrift nicht den Anforderungen entsprach und keine substantiierte Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung darlegte. Besonders bemerkenswert war, dass der Gerichtshof die umfangreichen Ausführungen des Landgerichts zu den besonderen Voraussetzungen einer Kündigung psychisch kranker oder schuldunfähiger Mieter hervorhob.

Insgesamt zeigt der Fall die Komplexität von Mietrechtsfällen, in denen psychische Krankheiten eine Rolle spielen. Es unterstreicht die Notwendigkeit, die Interessen beider Parteien sorgfältig zu prüfen und abzuwägen. Für Mieter und Vermieter bietet dieser Fall wichtige Einblicke in die juristische Handhabung solch schwieriger Situationen. Das Urteil unterstreicht die Bedeutung einer gründlichen und fairen juristischen Prüfung in Mietstreitigkeiten, insbesondere wenn psychische Erkrankungen im Spiel sind.

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt


Inwiefern beeinflusst die Schuldunfähigkeit eines Mieters die rechtliche Beurteilung einer fristlosen Kündigung?

Die Schuldunfähigkeit eines Mieters kann die rechtliche Beurteilung einer fristlosen Kündigung beeinflussen, aber sie verhindert eine solche Kündigung nicht automatisch. Nach § 543 Abs. 1 BGB ist eine fristlose Kündigung auch gegenüber dem schuldunfähigen Mieter zulässig.

Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung kann beispielsweise eine erhebliche Störung des Hausfriedens durch den Mieter sein. In solchen Fällen muss jedoch eine Abwägung der Interessen von Mieter, Vermieter und Hausbewohnern erfolgen. Wenn beispielsweise bei Räumung der Wohnung bei dem chronisch kranken Mieter die ernsthafte Gefahr eines Suizids oder ähnlich schwerwiegenden Folgen besteht, kann die Kündigung im Ergebnis nicht durchgreifen.

Es ist auch zu beachten, dass eine fristlose Kündigung gegenüber einem schuldunfähigen Mieter dem gesetzlichen Betreuer zugehen muss.

Eine schwerwiegende psychische Erkrankung des Mieters kann Bedeutung haben bei einem Widerspruch gegen die Kündigung im Rahmen der Härtefallabwägung nach § 574 BGB.

Es ist jedoch zu betonen, dass die Schuldunfähigkeit eines Mieters nicht automatisch zu einer Unwirksamkeit der Kündigung führt. Jeder Fall muss individuell betrachtet werden, und es müssen alle relevanten Umstände berücksichtigt werden.

Was versteht man unter der erhöhten Toleranzbereitschaft gegenüber einem psychisch kranken Mieter und wie wirkt sich diese auf Kündigungsentscheidungen aus?

Die erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber einem psychisch kranken Mieter bezieht sich auf die Pflicht des Vermieters, bestimmte krankheitsbedingte Verhaltensweisen des Mieters zu tolerieren. Dies bedeutet, dass der Vermieter ein erhöhtes Maß an Toleranz zeigen muss, wenn er mit psychisch kranken Menschen zusammenlebt. Diese Toleranzbereitschaft ist aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes abzuleiten, der die Notwendigkeit eines erhöhten Maßes an Toleranzbereitschaft im Zusammenleben mit behinderten Menschen betont.

Die erhöhte Toleranzbereitschaft kann sich jedoch auf Kündigungsentscheidungen auswirken. Wenn der psychisch kranke Mieter den Hausfrieden nachhaltig stört und die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter unzumutbar wird, kann der Vermieter den Mietvertrag außerordentlich fristlos kündigen. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn der Mieter aufgrund seiner psychischen Erkrankung schuldlos handelt.

Es gibt jedoch auch Fälle, in denen eine Kündigung trotz psychischer Erkrankung des Mieters nicht möglich ist. Wenn beispielsweise die Störungen des Hausfriedens durch den Mieter vorübergehend sind und auf eine falsche Medikation zurückzuführen sind, kann eine Kündigung nicht erfolgen. Ebenso kann eine Kündigung wegen Eigenbedarfs scheitern, wenn ein Umzug für den psychisch kranken Mieter die ernsthafte Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung darstellt.

Insgesamt hängt die Entscheidung, ob eine Kündigung zulässig ist oder nicht, von einer Abwägung der Interessen des Vermieters, des Mieters und anderer Mieter ab. Dabei muss der Vermieter die besonderen Umstände und Bedürfnisse des psychisch kranken Mieters berücksichtigen.

Wie wird das Gleichbehandlungsgebot im Zusammenhang mit der Kündigung von Mietverhältnissen mit psychisch kranken oder schuldunfähigen Mietern angewandt?

Das Gleichbehandlungsgebot, das im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankert ist, spielt auch im Mietrecht eine wichtige Rolle. Im Kontext der Kündigung von Mietverhältnissen mit psychisch kranken oder schuldunfähigen Mietern bedeutet dies, dass Vermieter zwar grundsätzlich das Recht haben, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes fristlos zu kündigen, jedoch müssen sie dabei die besonderen Schutzbedürfnisse dieser Mietergruppe berücksichtigen.

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Das AGG verbietet Diskriminierungen unter anderem aufgrund von Behinderung, zu der auch psychische Erkrankungen zählen können. Im Mietrecht bedeutet dies, dass Vermieter nicht ohne sachlichen Grund unterschiedlich mit ihren Mietern umgehen dürfen. Bei einer Kündigung müssen sie daher die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und dürfen einen Mieter nicht allein aufgrund seiner psychischen Erkrankung oder Schuldunfähigkeit benachteiligen.

In der Praxis bedeutet dies, dass bei der Kündigung eines Mietverhältnisses mit einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter eine sorgfältige Interessenabwägung stattfinden muss. Dabei sind die Belange des Vermieters, des Mieters und gegebenenfalls anderer Mieter unter Berücksichtigung der Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Insbesondere muss geprüft werden, ob die Kündigung eine unzumutbare Härte für den betroffenen Mieter darstellen würde, etwa wenn durch den Verlust der Wohnung eine Verschlechterung des psychischen Zustands oder gar Suizidgefahr droht.

Zusammenfassend wird das Gleichbehandlungsgebot im Mietrecht so angewandt, dass psychisch kranke oder schuldunfähige Mieter nicht diskriminiert werden dürfen und ihre besondere Schutzbedürftigkeit bei Kündigungsentscheidungen zu berücksichtigen ist. Eine Kündigung muss immer auf einer Einzelfallbetrachtung und einer sorgfältigen Abwägung aller relevanten Umstände basieren.


Das vorliegende Urteil

VerfGH Sachsen – Az.: Vf. 40-IV-23 (HS) – Beschluss vom 30.08.2023

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen am 30. August 2023 beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

Gründe:

I.

Mit seiner am 24. Juli 2023 bei dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 9. Februar 2023 (146 C 757/22) sowie den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 26. Juni 2023 (4 S 88/23).

Der Beschwerdeführer ist seit 2010 Mieter einer Wohnung der S. GmbH (im Folgenden: Vermieterin). Nach am 7. Januar 2022 erteilter Abmahnung wegen Lärmstörungen wurde das Mietverhältnis gegenüber dem Beschwerdeführer mit anwaltlichem Schreiben vom 27. Januar 2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Oktober 2022, gekündigt und eine Frist zur Räumung der Wohnung bis zum 11. Februar 2022 gesetzt.

Mit Schreiben vom 4. März 2022 erhob die Vermieterin beim Amtsgericht Dresden Klage auf Herausgabe und Räumung der Wohnung und erklärte erneut die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30. November 2022. Zur Begründung führte sie neben anhaltenden konkret bezeichneten Lärmstörungen an, dass der Beschwerdeführer Beschädigungen an der Mietsache vorgenommen, Beauftragten der Vermieterin Zutritt zur Wohnung verweigert sowie diese bedroht habe. Die Vermieterin wiederholte die Erklärung der fristlosen Kündigung, hilfsweise fristgemäßen Kündigung zum 31. März 2023, mit Schreiben vom 28. Juni 2022.

Mit angegriffenem Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 9. Februar 2023 wurde der Beschwerdeführer verurteilt, die Wohnung zu räumen und an die Vermieterin herauszugeben; ihm wurde eine Räumungsfrist bis zum 30. April 2023 gewährt. Das Mietverhältnis sei aufgrund der fristlosen Kündigung vom 28. Juni 2022 beendet worden. Die vorausgegangene Kündigung aus der Klageschrift sei als Abmahnung im Sinne des § 543 Abs. 3 BGB zu werten. Der Beschwerdeführer habe ungeachtet vorheriger Abmahnungen den Hausfrieden und seine Nachbarn derart systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört, dass der Vermieterin eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er leide unter einer psychischen Krankheit im Sinne des Betreuungsrechts, weswegen die Geschäftsfähigkeit und die Fähigkeit zur freien Willensbildung aufgehoben seien, fehle es an der gebotenen Substanz. Er habe nicht dargelegt, seit wann er an welcher psychischen Erkrankung leide. Nicht jede psychische Erkrankung beeinträchtige zu jeder Zeit die Geschäftsfähigkeit. Überdies hänge das Durchgreifen der fristlosen Kündigung nicht davon ab, dass der in den Kündigungen beschriebene Sachverhalt im Sinne eines schuldhaften Verhaltens vom Beschwerdeführer zu vertreten sei, sodass auch Mietverhältnisse mit psychisch kranken oder schuldunfähigen Mietern nach § 543 Abs. 1 BGB fristlos gekündigt werden könnten, wenn sich aus der Gesamtschau ergebe, dass eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nach allen Umständen nicht mehr zumutbar sei. So liege der Fall hier, nachdem der als Zeuge vernommene Nachbar vor den durch den Beschwerdeführer verursachten Lärmbelästigungen „die Flucht ergriffen“ habe und umgezogen sei.

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Beschwerdeführers wies das Landgericht Dresden mit angegriffenem Beschluss vom 26. Juni 2023 unter Bezugnahme auf seinen Hinweisbeschluss vom 23. Mai 2023 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Soweit der Beschwerdeführer einwende, das Amtsgericht habe seinen Gesundheitszustand nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt, habe die Kammer im Hinweisbeschluss bereits ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine ausreichenden Tatsachen zu seinem Gesundheitszustand, seinen Einschränkungen und den Hindernissen, die die Suche nach einer neuen Wohnung bedingten, vorgetragen habe. Der Verweis auf den Grad der Behinderung und die Beiziehung der Betreuungsakte genügten nicht, um von seiner Schuldunfähigkeit auszugehen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass bereits bei der Begründung des Mietverhältnisses eine psychische Erkrankung vorgelegen habe, die im Zeitraum von 2010 bis 2021 keinen Anlass gegeben habe, eine Abmahnung oder Kündigung auszusprechen. Die Kündigung psychisch kranker oder schuldunfähiger Mieter sei problematisch, aber nicht ausgeschlossen. Zwar sei eine fristlose Kündigung in der Regel nur gerechtfertigt, wenn der Gekündigte den Kündigungsgrund schuldhaft verursacht habe, denn ein schuldloses Verhalten könne bei verständiger Würdigung der Umstände nicht zu einer nachhaltigen Vertrauensstörung führen. Dies gelte jedoch nicht absolut, weil die Vertrauensstörung nicht der einzige Grund sei, aus dem eine Vertragsfortsetzung unzumutbar sein könne. Bei Schuldlosigkeit müsse das Maß des Zumutbaren in einer Weise überschritten sein, dass die fehlende oder eingeschränkte Verantwortlichkeit des Mieters zurücktrete.

Im Rahmen dieser Abwägungen seien die Wertentscheidungen des Grundgesetzes, insbesondere des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, und die daraus folgende erhöhte Toleranzbereitschaft ebenso zu beachten wie die Folgen einer Vertragsfortsetzung für den Vermieter. Anderseits seien die Folgen einer Vertragsbeendigung für die nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mieter zu bedenken, wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder eine Suizidgefährdung. Auch wenn man unterstelle, die psychische Erkrankung des Beschwerdeführers führe dazu, dass er nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns einzusehen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze deutlich überschritten, denn das störende Verhalten des Beschwerdeführers zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten führe dazu, dass sich andere Mieter des streitgegenständlichen Objekts gestört fühlten und das Mietverhältnis beendet hätten. Die Vermieterin habe dargelegt, dass eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnungen zum Beschwerdeführer nicht habe erfolgen können, weil das störende Verhalten auch nach Ausspruch der Kündigungen fortgesetzt werde. Dies führe zu finanziellen Belastungen der Vermieterin, die der Beschwerdeführer aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation nicht auszugleichen vermöge. Überdies gehe die Häufigkeit und die Intensität der Störungen insbesondere in den Nachtstunden über das normale Maß der erhöhten Toleranzbereitschaft gegenüber einem psychisch kranken Mieter hinaus.

Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des Gleichbehandlungsgebots gemäß Art. 18 Abs. 1 SächsVerf i.V.m. dem Staatsziel aus Art. 7 Abs. 2 SächsVerf sowie der Rechtsschutzgarantie aus Art. 38 SächsVerf. Im Hinblick auf die spezifischen Belange behinderter Menschen habe das Sozialstaatsprinzip besonderen Ausdruck in der Staatszielbestimmung des Art. 7 Abs. 2 SächsVerf gefunden. Die Unterstützung behinderter Menschen könne auch darin bestehen, dass ordentliche Gerichte die Anforderungen bei der Darlegungs- und Beweislast einer behinderten Partei nicht überspannen dürften. Diese Grundsätze seien durch das Amtsgericht und das Landgericht verkannt worden, indem sie insbesondere im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau nach § 543 BGB keinerlei Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand und einer daraus gegebenenfalls resultierenden Schuldunfähigkeit getroffen hätten. Das Amtsgericht habe hierzu erstmals im Endurteil weitergehenden Vortrag gefordert. Das Landgericht habe übersehen, dass er aufgrund seiner Erkrankung selbst keine Angaben zu seinem Gesundheitszustand machen könne. Dem bereits in der ersten Instanz unterbreiteten Beweisangebot, ein Sachverständigengutachten zum Gesundheitszustand einzuholen, sei keines der Gerichte nachgegangen. Ohne Feststellungen hierzu sei eine ordnungsgemäße Gesamtschau nach § 543 BGB unmöglich. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes erfordere es auch, dass ihm keine Nachteile daraus resultieren dürften, dass er selbst aus eigenen Kräften nicht in der Lage sei, darzulegen, in welchem Gesundheitszustand er sich derzeit befinde, ob sich dieser verschlechtert habe und aus welchem Grund es zu einer Häufung von Ruhestörungen gekommen sei. Die Anforderungen an substantiierten Sachvortrag könnten daher nicht so hoch wie bei nichtbehinderten Parteien angesetzt werden und es müsse auch eher einem Beweisangebot nachgegangen werden.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte den gleichzeitig mit der Verfassungsbeschwerde gestellten Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch Beschluss vom 3. August 2023 – Vf. 41-IV-23 (e.A.) – ab.

Das Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung hat Gelegenheit gehabt, zum Verfahren Stellung zu nehmen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht den Begründungsanforderungen aus Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 SächsVerf, § 27 Abs. 1 und § 28 SächsVerfGHG entspricht.

1. Nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 SächsVerf i.V.m. § 27 Abs. 1 und § 28 SächsVerfGHG ist eine Verfassungsbeschwerde nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer substantiiert die Möglichkeit einer Verletzung eigener Grundrechte aus der Verfassung des Freistaates Sachsen darlegt. Hierzu muss er den Lebenssachverhalt, aus dem er die Grundrechtsverletzung ableitet, aus sich heraus verständlich wiedergeben und im Einzelnen aufzeigen, welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme nicht gerecht werden soll (SächsVerfGH, Beschluss vom 21. Oktober 2022 – Vf. 15-IV-21; Beschluss vom 23. Februar 2010 – Vf. 114-IV-09; st. Rspr.).

Wird ein Grundrechtsverstoß durch Verletzung des von den Fachgerichten auszulegenden und anzuwendenden Rechts gerügt, ist darüber hinaus darzulegen und zu begründen, dass und wodurch der Richter die Bedeutung verfassungsbeschwerdefähiger Rechte für den seiner besonderen fachlichen Kompetenz zugewiesenen Normenbereich verfehlt, etwa die Grundrechtsrelevanz der von ihm zu entscheidenden Frage überhaupt nicht gesehen, den Gehalt des maßgeblichen Grundrechts verkannt oder seine Auswirkungen auf das einfache Recht in grundsätzlich fehlerhafter Weise missachtet hat (SächsVerfGH, Beschluss vom 18. August 2022 – Vf. 71-IV-21; Beschluss vom 11. April 2018 – Vf. 160-IV-17; st. Rspr.).

2. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdeschrift nicht gerecht.

Diese berücksichtigt an keiner Stelle die umfangreichen Ausführungen des Landgerichts zu den besonderen – aus den Grundrechten erwachsenden erhöhten – Voraussetzungen einer Kündigung psychisch kranker oder schuldunfähiger Mieter. Überdies setzt sich der Beschwerdeführer nicht mit der durch das Landgericht vorgenommenen Abwägung im angegriffenen Beschluss – unter Einbeziehung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG – auseinander, dass selbst bei Unterstellung der Schuldlosigkeit des Beschwerdeführers aufgrund seiner psychischen Erkrankung hinsichtlich der Häufigkeit und der Intensität der Störungen die Zumutbarkeitsgrenze dessen überschritten sei, was das normale Maß der erhöhten Toleranzbereitschaft gegenüber einem psychisch kranken Mieter verlange. Vielmehr beschränkt er sich auf die Wiederholung der eigenen abweichenden einfach-rechtlichen Auffassung, ohne sich auf verfassungsrechtlicher Ebene konkret mit den angegriffenen Entscheidungen zu befassen. Eine Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz sowie des Gleichbehandlungsgebots wird lediglich behauptet, ohne dass eine Auseinandersetzung mit den hierzu entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäben erfolgt.

III.

Der Verfassungsgerichtshof ist zu dieser Entscheidung einstimmig gelangt und trifft sie daher durch Beschluss nach § 10 Abs. 1 SächsVerfGHG i.V.m. § 24 BVerfGG.

IV.

Die Entscheidung ist kostenfrei (§ 16 Abs. 1 Satz 1 SächsVerfGHG).

 

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