Oberlandesgericht Stuttgart
Az.: 5 U 76/03
Urteil vom 08.12.2003
Vorinstanz: Landgerichts Hechingen, Az.: 2 O 111/02
Leitsatz:
Haftung eines Autofahrers für die Unfallverletzungen, die sich eine psychisch erkrankte Fußgängerin nachts auf der Fahrbahnmitte einer Landstraße zuzieht.
Zur Beweislastverteilung hinsichtlich des Standortes der Fußgängerin unmittelbar vor der Kollision. Rechtskräftig nach Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde (BGH VI ZR 9/04).
In dem Rechtsstreit wegen Schadensersatz hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2003 für Recht erkannt:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 28.03.2003 (2 O 111/02) wird mit der Maßgabe, dass eine Schadensabwägung im Rahmen der entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 829 BGB vorbehalten bleibt, falls die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür eintreten sollten, zurückgewiesen.
II. Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Streitwert: 251.520,– €
Ziff. 1: Materielle Schäden: 107.520,– €
Ziff. 2: Schmerzensgeld: 144.000,– €
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für ihre materiellen und immateriellen Schäden, die sie am 05.06.1999 gegen 2.00 Uhr nachts auf der Landesstrasse 442 bei Kilometer 1,9 zwischen B.-W. und B.-R. bei einem Unfall erlitten hat, den der Beklagte Ziff. 1 als Fahrer des von der Beklagten Ziff. 2 gehaltenen und bei der Beklagten Ziff. 3 haftpflichtversicherten Pkw F. verursacht hat. Wegen des unstreitigen Sachverhalts, des streitigen Vortrags beider Parteien in 1. Instanz und der von den Parteien dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 107 bis 109 d. A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Feststellungsanträge nach Einholung eines schriftlichen, psychiatrischen Gutachtens (Bl. 72-76 d. A.) und eines das im Ermittlungsverfahren gegen die Beklagten Ziff. 1 und 2 (Staatsanwaltschaft Hechingen, Aktenzeichen 15 Js 6976/99) eingeholte technische Gutachten des Verkehrssachverständigen F. ergänzenden mündlichen Gutachtens (Protokoll vom 11.07.2002, Bl. 48-54 d. A.) des selben Sachverständigen voll umfänglich zuerkannt.
Mit ihrer gegen dieses Urteil eingelegten Berufung greifen die Beklagten unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihrer erstinstanzlicher Argumente sowohl die Beweiswürdigung als auch die Rechtsausführungen des Landgerichts an. Es könne insbesonders nicht festgestellt werden, dass die Klägerin sich vor dem Unfall im Bereich der Fahrbahnmitte aufgehalten habe.
Sie beantragen, das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 28.03.2003 (Aktenzeichen 2 O 111/02) abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat in der Sitzung vom 10.11.2003 den Sachverständigen F. erneut ergänzend mündlich angehört. Auf das Protokoll (Bl. 213ff d. A.) wird verwiesen. Der Beklagte Ziff. 1 wurde zum Unfallhergang nochmals persönlich gehört. Die beigezogenen Akten des Ermittlungsverfahrens (Staatsanwaltschaft Hechingen Aktenzeichen 15 Js 6976/99) waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze samt vorgelegten Unterlagen sowie auf das Vorbringen in den mündlichen Verhandlungen 1. und 2. Instanz Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Der Senat nimmt im vollen Umfang Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und macht sich die dortigen Ausführungen zu eigen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
A.
Die Klage ist zulässig.
Die Klägerin hat das für ihre beiden Feststellungsanträge erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO.
I.
Die Klägerin ist nicht gehalten, hinsichtlich des bereits jetzt bezifferbaren materiellen Schadens bezifferte Zahlungsansprüche geltend zu machen.
Die Genesung der Klägerin nach dem Unfallereignis ist noch nicht abgeschlossen. So wird es ihr nach ihrem eigenen Vortrag unter glücklichen Umständen möglicherweise gelingen, das selbständige Gehen mit einem Hilfsgerät zu erlernen und dann den Rollstuhl zu verlassen, was auch Auswirkungen auf ihre seitherige Pflegebedürftigkeit haben dürfte.
Befindet sich ein anspruchsbegründender Sachverhalt im Zeitpunkt der Klageerhebung noch in der Entwicklung, so steht der Umstand, dass im Zeitpunkt der Klageerhebung eine teilweise Bezifferung möglich wäre, der Bejahung des Feststellungsinteresses jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Anspruch seiner Natur nach sinnvoller Weise erst nach Abschluss seiner Entwicklung beziffert werden kann (BGH NJW 1984, 1552). Dann ist insgesamt eine Feststellungsklage zulässig, auch wenn der Anspruch bereits teilweise beziffert werden könnte.
Der erstrebte Feststellungsanspruch ist auch geeignet, unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu führen. Denn von der Beklagten Ziff. 3 als einem großen Versicherungsunternehmen kann erwartet werden, dass sie auf ein entsprechendes rechtskräftiges Feststellungsurteil hin ihren Schadensersatzverpflichtungen nachkommt, ohne dass es eines weiteren, auf Zahlung gerichteten Vollstreckungstitels bedarf (BGH NJW 1999, 1552; NJW 1999, 3774).
II.
Bestand damit zum Zeitpunkt der Klagerhebung das Feststellungsinteresse, so ist die Klägerin auch nicht gezwungen, später zur Leistungsklage überzugehen, wenn das im Verlaufe des Prozesses möglich geworden wäre (ständige Rechtsprechung BGH NJW 1984, 1552, BGH NJW 1999, 3774).
B.
Beide Feststellungsanträge sind begründet. Die Beklagte Ziff. 2 haftet als Gesamtschuldnerin (§ 840 Abs. 1 BGB) neben dem Beklagten Ziff. 1 für die von der Klägerin erlittenen materiellen Schäden nach § 7 Abs. 1 StVG. Der Beklagte Ziff. 1 haftet darüber hinaus gemäß §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2, § 847 BGB a.F. i. V. m. § 3 Abs. 1 StVG auch für die immateriellen Schäden der Klägerin. Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten Ziff. 3 beruht auf § 3 Nr. 1, 2 Pflichtversicherungsgesetz.
I.
Die Beklagte Ziff. 2 haftet für die materiellen Schäden der Klägerin als Halterin aus § 7 Abs. 1 StVG.
1. Nachdem sich der Unfall vom 05.06.1999 vor dem 31.07.2002 ereignete, gilt § 7 StVG a. F. (Art. 229 § 8 EGBGB in der Fassung des Art. 12 des 2. Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BGBl I, 2674).
2. Der Unfall ereignete sich beim „Betrieb“ des Fahrzeugs, § 7 Abs. 1 StVG. Ein Schaden ist „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeuges entstanden, wenn sich die von dem Kraftfahrzeug als solchem ausgehende Gefahr auf den Schadensablauf ausgewirkt hat, wenn das Schadensereignis dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges nach dem Schutzzweck der Gefährdungshaftung zugerechnet werden kann. An diesem Zusammenhang fehlt es nur, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (BGHZ 115, 84).
In diesem Unfall hat sich die spezifische Gefahr, deretwegen es eine Gefährdungshaftung gibt, realisiert. Die Klägerin hat sich, was problematisch sein könnte, nicht etwa in selbstmörderischer Absicht vor ein Auto geworfen, dieses also nicht gleichsam als Werkzeug für ihre Tat missbraucht. Die Klägerin ging vielmehr in ihrer psychischen Erkrankung umgekehrt davon aus, ihr könne nichts passieren, weil sie sich allmächtig fühlte. Dennoch ist ihr etwas gerade aufgrund der spezifischen Gefahren des Straßenverkehrs passiert.
3. Der Unfall war für den Beklagten Ziff. 1 nicht unabwendbar im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG a.F..
Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BGHZ 117, 337). Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus, jedoch nicht das Verhalten eines gedachten „Superfahrers“, sondern, gemessen an durchschnittlichen Verkehrsanforderungen, das Verhalten eines Idealfahrers (BGHZ 113, 164). Für diese Voraussetzung beweispflichtig ist der Halter.
Ein Idealfahrer hätte seine Fahrweise so eingerichtet, dass er jederzeit vor erkennbaren Hindernissen noch rechtzeitig sein Fahrzeug zum Halten bringt. Dies hat der Beklagte Ziff. 1 unterlassen.
Die Beklagte Ziff. 2 bleibt den Nachweis schuldig, die Klägerin sei plötzlich und unvermittelt von rechts vor das Fahrzeug gesprungen (vgl. BGH VRS 68, 86 Nr. 41). Lässt sich der genaue Unfallhergang nicht mehr rekonstruieren, und sind Geschehensabläufe denkbar, die einem Idealfahrer eine Handlungsmöglichkeit zur Vermeidung eines Unfalls eröffnet hätten, ist jedenfalls nicht bewiesen, dass der Verkehrsunfall für den Fahrer im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG unvermeidbar war (OLG München VersR 1998, 733).
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht für den Senat nicht mit dem für eine entsprechende Überzeugungsbildung erforderlichen Grad an Gewissheit fest, dass die Klägerin tatsächlich plötzlich von rechts in den durch das Abblendlicht ausgeleuchteten und vom Beklagten Ziff. 1 als hindernisfrei erkannten Raum hineingesprungen ist.
Der Sachverständige F. konnte zu dem Gehverhalten der Klägerin vor der Kollision keine Angaben machen, da er insoweit über keinerlei Anknüpfungstatsachen verfügt.
Eine entsprechende Überzeugungsbildung ist dem Senat auch nicht aufgrund der Angaben des Beklagten Ziff. 1 möglich. Während seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat hat der Beklagte Ziff. 1 zwar bekundet, er habe plötzlich etwas, das sich von der rechten Seite in die Fahrbahnmitte hineinbewegt habe, wahrgenommen, von dem er gedacht habe, es sei ein Tier gewesen. Diese Darstellung der Geschehnisse durch den Beklagten Ziff. 1 hält der Senat jedoch für unglaubhaft.
a) Die Schilderung des Beklagten Ziff. 1 dazu, dass sich etwas von rechts in die Fahrbahnmitte hinein bewegt habe, blieb blass und verschwommen. Insbesondere blieben die Angaben des Beklagten Ziff. 1 dazu, wie er die Klägerin im Zeitpunkt ihres Anstoßes wahrnahm, ob sie also in diesem Zeitpunkt von ihm von der Seite oder aber von vorne gesehen wurde, detailarm. Der Senat schließt sich hier den Ausführungen des Sachverständigen an, der aufgrund seiner langjährigen Erfahrung in der Begutachtung gleichgelagerter, auch tödlich verlaufender Fußgängerunfälle geschildert hat, dass aufgrund der Einmaligkeit des Ereignisses beim Unfallverursacher gerade sehr konkret im Gedächtnis haften bleibe, wie sich der Fußgänger kurz vor dem Anstoß bewegt habe. Nachdem die Reaktion des Beklagten Ziff. 1 circa zwei Sekunden vor dem Aufprall mit der Klägerin lag, sei es nach dem Erfahrungsbild des Sachverständigen mit solchen Unfällen wenig verständlich, dass der Beklagte Ziff. 1 nicht nähere Feststellungen zum Bewegungsablauf der Klägerin machen könne. Obgleich der Beklagte Ziff. 1 zu diesem Punkt ausdrücklich auch unter Vorhalt der Erfahrungen des Sachverständigen befragt wurde, blieb er bei seiner mehr als vagen Aussage, er habe den „Eindruck“ gehabt, dass die Person kurz vor dem Aufprall zu ihm hergeschaut habe und vermochte sich auf die Stellung und das Bewegungsverhalten der Klägerin vor und im Zeitpunkt des Anstoßes nicht festzulegen. Der Beklagte Ziff. 1 war ersichtlich darum bemüht, seine Darstellung des Unfallgeschehens so zu gestalten, wie es sich ihm zwischenzeitlich am günstigsten zeigte.
b) Ein derartiges Bemühen des Beklagten Ziff. 1 ergibt sich, wenn seine Angaben in chronologischer Sicht betrachtet werden. In seiner Stellungnahme vom 18.11.1999 im Ermittlungsverfahren (Staatsanwaltschaft Hechingen Aktenzeichen 15 Jsw 6976/99), die er über seinen Strafverteidiger Rechtsanwalt F. verfassen ließ, hat der Beklagte Ziff. 1 noch völlig unbeeindruckt von juristischen Differenzierungen folgendes ausführen lassen:
„Herr M. gibt an, vor dem Unfallereignis die L 442 in Richtung B.-W. mit einer geschätzten Geschwindigkeit im Bereich von 70 km/h befahren zu haben. Seine Ehefrau habe sich schlafend neben ihm auf dem Beifahrersitz befunden, so dass er sich ausschließlich auf die Fahrt selbst konzentriert habe. Hierbei habe er dann plötzlich im weiteren Fahrbahnverlauf auf der Fahrbahn primär einen Schatten wahrgenommen und habe sofort einen Bremsvorgang eingeleitet, in dessen Zuge er dann erkannt habe, das sich eine Person auf der Fahrbahn bewegte. Trotz des von ihm sofort eingeleiteten Bremsvorganges habe er es nicht mehr vermeiden können, dass die letztendlich im Bereich der Fahrbahnmitte befindliche Person von seinem Pkw erfasst, aufgeladen und dann zu Boden geschleudert wurde.
Wie sich weiter aus dem vorletzten Absatz der Stellungnahme des Strafverteidigers F. ergibt, war diesem die Möglichkeit, dass die verletzte Person erst direkt vor dem Unfallereignis (wieder) in die Fahrbahn gelaufen sein könnte, bewusst. Dennoch war die Unfallschilderung, dass die Klägerin sich auf der Fahrbahn in der Fahrbahnmitte bewegt habe (und demnach nicht plötzlich von rechts nach links als Schatten in die Fahrbahn hineingesprungen ist ), noch anders gehalten. Der Beklagte Ziff. 1 hat sich auch während der Anhörung des Sachverständigen F. in der Sitzung vor dem Landgericht vom 11.07.2002 noch spontan während des Diktats des Gutachtens mündlich direkt an den Sachverständigen gewandt (vgl. Protokollvermerk Bl. 53 d. A.) und dabei formuliert, dass „die Klägerin auf der Straße stand“. Soweit sich daraufhin der Anwalt des Beklagten Ziff. 1 einschaltete und sich auf Sprachschwierigkeiten des Beklagten Ziff. 1, der italienischer Staatsbürger ist, berief, ist dies wenig behilflich, da es hier nicht nur um die Verwechslung von „der“ (auf der Straße stand) und „die“ (auf die Straße hineinging) geht, sondern auch unterschiedliche Verben zu benutzen sind. Im Übrigen hat sich der Senat bei der persönlichen Anhörung selbst ein Bild von den Sprachfertigkeiten des Beklagten Ziff. 1 gemacht und hierbei festgestellt, dass der Beklagte Ziff. 1 sich, wenn auch nicht grammatikalisch einwandfrei, aber ansonsten sehr gut auf deutsch verständigen kann, deutsch auch sehr gut versteht und insbesondere auch die Gesamtzusammenhänge in deutscher Sprache erfassen kann. Erst ganz am Schluss der Sitzung vor dem Landgericht hat der Beklagte Ziff. 1, nachdem er offensichtlich bemerkt hat, auf was es ankommt, seine bis dahin eindeutigen Bekundungen, dass die Klägerin sich auf der Straße befand, relativiert und dann ausgeführt, er habe den Eindruck gehabt, dass das, was er gesehen habe, sich von rechts nach links bewegt habe. Für den Wahrheitsgehalt der ursprünglichen spontanen Bekundung des Beklagten Ziff. 1, die Klägerin habe sich in der Fahrbahnmitte befunden, spricht im Übrigen auch, dass es für einen Laien nicht nachvollziehbar ist, weshalb es für den Haftungsgrund juristisch einen Unterschied machen kann, ob jemand auf offener Landstraße in der Fahrbahnmitte einem Fahrzeug entgegenkommt oder plötzlich von rechts vor einem herannahenden Fahrzeug, das von einem Fußgänger ohne weiteres erkannt werden kann, in die Fahrbahn hineinspringt. In beiden Variationen handelt es sich um derart außergewöhnliche Verkehrsereignisse, die bei einem juristisch nicht vorgebildeten Menschen den Gedanken an eine Haftung (im Ergebnis jedenfalls, wenn schon nicht wegen des Grundsatzes, wonach jeder Verkehrsteilnehmer auf ein verkehrsgerechtes Verhalten anderer vertrauen darf, so doch wegen weit überwiegenden Mitverschuldens des sich so verhaltenden Fußgängers) ohne Unterschied von sich weisen lassen.
4. Die Haftung aus § 7 StVG tritt hier nicht hinter einem groben Verschulden der Klägerin zurück.
Der Klägerin kann ein Mitverschulden nach § 9 StVG i. V. m. § 254 BGB nicht angelastet werden.
a) Die Klägerin besaß im Unfallzeitpunkt nicht die erforderliche Zurechnungsfähigkeit.
Da Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung korrespondieren, sind die §§ 827, 828 BGB für die Frage der Zurechnungsfähigkeit im Bereich des Mitverschuldens entsprechend anzuwenden.
Die Klägerin trat dem Beklagten Ziff. 1 in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit (§ 827 Satz 1 BGB) vor das Fahrzeug.
Insoweit kann sich der Senat den klaren und widerspruchsfreien Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. med. J. G. anschließen. Dieser hat in diesem Verfahren am 13.11.2002 ein schriftliches psychiatrisches Gutachten erstattet und ist zu folgendem Ergebnis gelangt:
„Es lässt sich damit mit Sicherheit sagen, dass bei Frau Sch. zum Zeitpunkt des Unfalls eine manisch-psychotische Phase i. R. der bei ihr bekannten schizoaffektiven Psychose bestand. Dabei ist der Bezug zur Realität gestört. Der Wille wird von Größenideen und veränderten Realitätswahrnehmungen beeinflusst. Einzelne vernünftige Handlungen, wie ein passageres Gehen am rechten Straßenrand auf Aufforderung hin, sind dabei möglich, beruhen aber nicht auf echter Einsicht. Eine freie Willensbestimmung mit einem Abwägen von Argumenten und einem sich Leiten-Lassen von vernünftigen Erwägungen ist aber nicht möglich. Zusammengefasst lag bei der Klägerin zum Unfallzeitpunkt eine krankhafte geistige Störung vor, durch die die freie Willensbestimmung ausgeschlossen war“.
Soweit in der Berufung die Unvoreingenommenheit dieses Sachverständigen angezweifelt wird, im Übrigen auch die Anknüpfungstatsachen, die der Sachverständige seiner Begutachtung zugrunde gelegt hat (Bericht des behandelnden Nervenarztes vom 05.06.2000, in dem der Zustand der Klägerin 10 Tage vor dem Unfall am 26.05.1999 geschildert wird, Angaben der Schwester und Betreuerin der Klägerin) als unzureichend beanstandet werden, sind diese erstmals in der Berufungsbegründung geäußerten Bedenken gegen das Gutachten bereits aus formalen Gründen nicht mehr zuzulassen (§§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO).
Nach Eingang des Gutachtens hat der Landrichter mit Verfügung vom 20.11.2002 (Bl. 77) den Parteien bis zum 20.12.2002 gemäß § 411 Abs. 4 ZPO Frist gesetzt für Einwendungen, Fragen und Anträge. Im Schriftsatz vom 27.11.2002, Bl. 80 d. A. hat die Beklagtenseite sich eine Stellungnahme zum Gutachten des Sachverständigen Dr. G. „innerhalb der nachgelassenen Schriftsatzfrist vorbehalten“, ist dann hierauf in einem weiteren Schriftsatz jedoch nicht mehr zurückgekommen. Mit Schriftsatz vom 19.02.2003 hat die Beklagtenseite die Zustimmung zum schriftlichen Verfahren erteilt, ohne dass auf das Gutachten von Dr. G. jedoch von einer der Parteien eingegangen worden ist.
Im Übrigen greifen die Bedenken der Beklagtenseite auch materiell-rechtlich nicht durch. Es ist kein Verfahrensfehler, dass lediglich der Sachverständige die Schwester der Klägerin zu deren Zustand angehört hat, nicht jedoch die Schwester als Zeugin hierfür vom Gericht gehört wurde. Die Beklagtenseite, die für den Mitverschuldenseinwand darlegens- und beweispflichtig ist, hat keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Auch dass der Sachverständige Dr. G., der Leiter der Abteilung Psychiatrie II der V. ist, in dieser Eigenschaft die Klägerin während ihrer sechs stationären Aufenthalte in dieser Klinik in den Jahren 1985 bis 1998 behandelte, spricht nicht für eine Voreingenommenheit des Gutachters. Der von Beklagtenseite aufgestellte Grundsatz, ein behandelnder Arzt könne nicht zugleich als Sachverständiger für die Begutachtung des Gesundheitszustands des Patienten gerichtlich bestellt werden, besteht nicht. Vielmehr ist aus Sicht des Senats ein solcher Arzt umgekehrt besonders geeignet, sachverständige Schlussfolgerungen aus dem von ihm selbst behandelten Gesundheitszustand zu ziehen. Im Übrigen hat der Sachverständige Dr. G. in seinem schriftlichen Gutachten darauf hingewiesen, dass die Klägerin im V. bereits mehrfach stationär behandelt worden ist.
b) Auch die Regeln der Billigkeitshaftung des § 829 BGB sind entsprechend (reziprok) im Rahmen des § 254 BGB anwendbar (BGHZ 37, 102). Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb ein nach § 828 BGB nicht Verantwortlicher zwar anderen, die er geschädigt hat, aus unerlaubter Handlung unter bestimmten Voraussetzungen zum Schadensersatz verpflichtet sein soll, andererseits aber die Mitverursachung eigenen Schadens unter den gleichen Voraussetzung außer Betracht bleiben soll.
aa) Voraussetzung eines Schadensersatzanspruches nach § 829 BGB („Millionärsparagraph“) ist, dass nach der Billigkeit einer Schadloshaltung des Geschädigten erforderlich ist. Erforderlich ist ein „wirtschaftliches Gefälle“, also erheblich bessere Vermögensverhältnisse des Schädigers. Für ein solches „wirtschaftliches Gefälle“ liegen hier keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Die Klägerin ist seit langem geschäftsunfähig und geht ihrer Tätigkeit als Altenpflegerin schon lange nicht mehr nach. Im Augenblick ist sie ein Pflegefall. Einer lukrativen Erwerbstätigkeit wird sie nicht nachgehen können. Sonstiges Vermögen ist offensichtlich nicht vorhanden, auch stehen wohl keine größeren Erbschaften an. Weiter steht hinter der Klägerin auch keine private Haftpflichtversicherung, die für die Schadensherbeiführung durch die Klägerin einzustehen hätte. Die umstrittene Frage, ob nicht in den Fällen, in denen die Umstände, vor allem der Hergang des Geschehens, der Anlass der Tat und deren Folgen, die Zubilligung des Anspruchs, für sich gesehen nahe legen, es aber schließlich an dem haftungsbegründend wirkenden Umstand, dass dem Schädiger die Wiedergutmachung leichtfallen würde, fehlt, der Billigkeitsanspruch aus § 829 BGB deshalb doch zu gewähren ist, weil die hinter dem Schädiger stehende Haftpflichtversicherung diesen zuletzt noch fehlenden Faktor sozusagen neutralisiert (vgl. hierzu BGH VersR 1979, 645; BGHZ 76, 279), kann dahingestellt bleiben. Deshalb braucht auch nicht erörtert zu werden, ob von vorneherein kein wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen Schädiger und Geschädigtem besteht, wenn für den Halter eine Haftpflichtversicherung eintritt (mit dieser Begründung verneinen etwa KG DAR 1995, 72 und OLG Karlsruhe VersR 1989, 925 eine umgekehrte Anwendung des § 829 BGB in Fällen der Mitverursachung durch ein deliktunfähiges Kind).
bb) Nachdem aber nie ganz ausgeschlossen werden kann, dass die Klägerin, etwa durch einen Lottogewinn, zu Vermögen gelangt, sah der Senat sich entsprechend BGHZ 37, 102 veranlasst, den unbeschränkten Feststellungsausspruch entsprechend im Tenor einzuschränken. Denn die Rechtskraft der Feststellung einer vollen Ersatzpflicht der Beklagten auch für die künftigen Schäden der Klägerin würden einer Schadensabwägung in analoger Anwendung des § 829 BGB bei etwaigen Eintritt entsprechender tatsächlicher Voraussetzungen sonst entgegenstehen.
c) Die Klägerin muss sich auch nicht etwa ein Verschulden ihrer Ärzte und Betreuer, die möglicherweise schuldhaft nicht dafür gesorgt haben, dass die Klägerin sich nicht in derart selbstgefährdende Situationen begibt, zurechnen lassen (§ 9 StVG, § 254 Abs. 1, 2 Satz 2 StVG).
aa) Voraussetzung für eine Anwendung des § 278 BGB ist das Bestehen vertraglicher Beziehungen oder einer sonstigen rechtlichen Sonderverbindung zwischen den Parteien im Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses (BGHZ 103, 338); solche Beziehungen bestanden zwischen der Klägerin und den Beklagten jedoch nicht, so dass nur § 831 BGB als Zurechnungsnorm in Betracht kommt.
bb) Aber auch eine Anwendung des § 831 BGB scheitert. Denn § 831 BGB regelt die Haftung des Geschäftsherrn (also der Klägerin), die sich auf die Vermutung seines eigenen Verschuldens bei der Auswahl oder Leitung der Hilfsperson sowie der Kausalität gründet. Infolge dessen entfällt eine Haftung aus § 831 Abs. 1 BGB von vornherein, wenn der Geschäftsherr nach § 828 Abs. 1 BGB deliktsunfähig ist (Palandt/Thomas, 62. Aufl., 2003, § 831 Rn. 1). Denn § 831 BGB begründet eine Haftung für vermutetes Verschulden des Geschäftsherrn.
d) Etwaige Sorgfaltspflichtverletzungen der Ärzte sind der Klägerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt der „Haftungseinheit“ zuzurechnen (vgl. dazu BGH NJW 1978, 2392). Denn die nicht deliktsfähige Klägerin hat den Unfall nicht in zurechenbarer Weise mitverursacht; sie kann daher nicht in einer Zurechnungseinheit mit den Ärzten und den sonstigen betreuenden Personen stehen (vgl. BGHZ 103, 338).
II.
Der Klägerin stehen gegen den Beklagten Ziff. 1 Ansprüche auf Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens aus §§ 18 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 3 StVO, § 847 BGB a. F. zu.
1. Der Beklagte Ziff. 1 haftet aus § 18 Abs. 1 StVG.
Nachdem der Beklagtenseite der Nachweis, dass die Klägerin plötzlich und unvermittelt von rechts in die Fahrbahn hineingesprungen ist, nicht erbringen kann, hat der Beklagte Ziff. 1 auch nicht bewiesen, dass ihn an dem Unfall kein Verschulden trifft.
2. Der Beklagte Ziff. 1 hat den Unfall der Klägerin schuldhaft verursacht.
Er hat gegen das Sichtfahrgebot, § 3 Abs. 1 Satz 1, 2, 4 StVO verstoßen.
a) Dahingestellt bleiben kann, ob der Beklagte Ziff. 1 darüber hinaus durch Nichteinhaltung der an der Unfallstelle durch Verkehrszeichen auf die Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h begrenzten Geschwindigkeit den Unfall verursacht hat, und ob weiter, selbst bei Unvermeidbarkeit des Unfalls bei Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit der Unfall durch ein rechtzeitiges Abbremsen bei Fahren mit 70 km/h wenigstens in seinen Folgen für die Klägerin in erheblicher Weise hätte abgemildert werden können (vgl. BGH NJW 2000, 3069).
b) Der Kläger hat hier gegen das Sichtfahrgebot, § 3 Abs. 1 Satz 1, 2, 4 StVO verstoßen.
Auch insoweit schließt sich der Senat den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen F. in seinem schriftlichen Gutachten vom 05.10.1999 (Staatsanwaltschaft Hechingen Aktenzeichen 15 Js 6976/99) und seinen ergänzenden mündlichen Ausführungen in den Sitzungen vor dem Landgericht (Protokoll vom 11.07.2002, Bl. 48 d. A.) und vor dem Senat (Protokoll vom 10.11.2003, Bl. 213 d. A.) an. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin dem Beklagten Ziff. 1 auf der Fahrbahnmitte entgegen gekommen ist. Dem entsprechend spricht, nachdem der Beklagte Ziff. 1 jedenfalls nicht verspätet reagiert hat, bereits ein Anscheinsbeweis für ein zu schnelles Fahren des Beklagten Ziff. 1 angesichts der eingeschalteten Fahrzeugbeleuchtung (Abblendlicht) und damit für ein Verschulden des Beklagten Ziff. 1. Ein Anscheinsbeweis wäre nur dann ausgeschlossen, wenn weder sicher festgestellt werden könnte, ob der Fußgänger plötzlich von rechts hereingesprungen ist, sondern darüber hinaus auch nicht festgestellt werden könnte, wo der Geschädigte sich unmittelbar vor dem Unfall zuletzt befunden hat (BGH VRS 35, 86; OLG Karlsruhe VersR 1989, 302; OLG München VersR 1987, 317).
Seine Überzeugung, die Klägerin habe sich vor der Kollision im Bereich der Mittellinie befunden, stützt der Senat auf folgende Gesichtspunkte:
aa) Die Anstoßposition der Klägerin beim Unfall war frontal. Der Sachverständige F. konnte zwar das Bewegungsverhalten der Klägerin vor der Kollision durch Spuren im Unfallbereich technisch nicht dokumentieren (Bl. 50, 51 d. A.) Die frontale Anstoßposition konnte der Sachverständige jedoch anhand der Spuren an den Schuhen, die die Klägerin bei dem Unfall trug, und wie sie im Lichtbild 16 des schriftlichen Gutachtens vom 05.10.1999 dokumentiert sind, festmachen. Der Sachverständige hat anschaulich und für den Senat nachvollziehbar geschildert, dass es zu den frischen und deutlichen Abriebspuren und Antragungen an der Spitze des Schuhs (Lichtbild 16) lediglich durch ein Wegschieben des zu dem Pkw gerichteten linken Beines der Klägerin nach hinten entgegengesetzt der Fahrbewegung des Pkws gekommen sein kann. Nachdem der Sachverständige die Schuhe selbst gesehen hat, konnte er ausschließen, dass es sich bei diesen Spuren um normale Abnutzungserscheinungen handelt. Diese Abriebspur an der Schuhspitze des linken Schuhs sei beim Kraftaustausch zwischen Fußgänger und Fahrzeug entstanden und nicht erst dann, als die Klägerin in der weiteren Phase abgewiesen vom Pkw mit dem Körper auf die Fahrbahn aufprallte. Die Spuren am Absatz (Lichtbild 18) können hingegen einerseits mit einem solchen Wegschieben des Fußes nach hinten in Einklang gebracht werden, können andererseits aber auch erst durch das Aufkommen der Klägerin auf der Straße, nachdem sie zuvor über die Windschutzscheibe des Pkws geschleudert wurde, verursacht sein. Die Spuren am Absatz sprächen jedenfalls nicht gegen einen frontalen Anstoß der Klägerin durch den Pkw des Beklagten Ziff. 1, wie er lt. Sachverständiger durch die Spuren am Schuh vorne dokumentiert ist. Der Sachverständige stützt sich hierbei auf entsprechende Untersuchungen in der Literatur über Abriebspuren an Schuhen bei Fußgängerunfällen. Soweit der von Beklagtenseite hinzugezogene Privatgutachter W. aus den auf Lichtbild 17 erkennbaren dunklen Linien, die in einem Winkel von 25 Grad zur Längsachse des Absatzes verlaufen, eine Querbewegung der Klägerin und damit eine seitliche Anstoßposition der Klägerin ableiten will, hat der Sachverständige F. dem eine klare Absage erteilt. Der Sachverständige F. hat, für den Senat nachvollziehbar, diesen dunklen Spuren keinerlei Bedeutung für die Unfallrekonstruktion beigemessen. Denn bei den querverlaufenden dunklen Linien auf der Absatzsohle handelt es sich um keine typischen Abriebspuren, die durch die große Kraftentfaltung auf das Bein des geschädigten Fußgängers entstehen können. Es handelt sich vielmehr, so der Sachverständige F. überzeugend, um normale Abnutzungsspuren. Für eine frontale Anstoßposition der Klägerin zum Kollisionszeitpunkt sprechen lt. Sachverständigen F. auch die Beschädigungen am Pkw. Zum Zeitpunkt der Kollision befand sich die Fußgängerin ca. 0,6 m von der linken Kontur vom Pkw nach links in Richtung Fahrzeugmitte. Die Fahrlinie vom Pkw erfolgte ca. 0,1 m links der Mittellinie. Die linke Kontur der Klägerin befand sich somit rechnerisch 0,7 m von der Fahrbahnmitte links innerhalb der Fahrspur des Pkw. Weiter konnte der Sachverständige F. an der Oberbekleidung der Klägerin an der Bluse vorne Falt- und Knitterspuren feststellen, die ebenfalls eine oberflächig von vorne auf die Fußgängerin einwirkende Druckkraft dokumentieren.
bb) Diese Feststellungen des Sachverständigen zur Anstoßposition der Klägerin gebieten Zweifeln daran, dass die Klägerin sich auch vor dem Unfall bereits im Bereich der Mittellinie, dem Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1 entgegengewandt, befand, Schweigen.
Der Sachverständige F. hat dargelegt, dass, ausgehend von der frontalen Anstoßposition, bei einer unterstellten Querbewegung der Klägerin, die auf ein plötzliches Hineinspringen der Klägerin auf die Fahrbahn nach Ansicht der Beklagtenseite schließen ließe, die Klägerin sich sehr, sehr zügig vom rechten Fahrbahnrand in die Fahrbahn hineinbewegen und sich dann zum Kollisionszeitpunkt noch um mindestens 90 Grad nach links bewegen hätte müssen, um die spurenbelegten Anstoßspuren an der Bekleidung verursachen zu können. Die Klägerin hätte sich also sehr schnell zur Mittellinie der Fahrbahn hineinbewegen müssen, um dann innerhalb der ihr noch verbleibenden Zeit zusätzlich eine frontale Bewegung ausführen zu können. Werte man hier die entsprechende Literatur aus, die für eine Drehbewegung für eine Person um 90 Grad bereits eine Zeitdauer von 0,7 bis 1 Sekunde zugrundelege und berücksichtige man dann noch einen Querweg auf der Fahrbahn von mindestens 3 m, so müsste die Klägerin äußerst zügig in die Fahrbahn gesprungen sein. Soweit die Beklagtenseite demgegenüber andeutet, die Klägerin könne bei unterstellter frontaler Anstoßposition auch seitwärts hüpfend oder schräg von vorne kommend und schräg von der Fahrbahnseite von vorne kommend bis zur Mittellinie in frontaler Position plötzlich auf die Fahrbahn von der Seite her in den zuvor durch das Abblendlicht des Beklagten zu Ziff. 1 ausgeleuchteten und als hindernisfrei erkannten Raum eingetreten sein, handelt es sich nach Ansicht des Senats um ein lediglich hypothetisch denkbares Bewegungsverhalten der Klägerin, dass durch keinerlei Anknüpfungstatsachen belegt ist. Insbesonders hat der Beklagte Ziff. 1 ein derartiges auffälliges Bewegungsverhalten der Fußgängerin vor der Kollision gerade nicht geschildert, aber auch ein besonders zügiges Hineinspringen der Klägerin vermochte er nicht zu schildern.
Nach Ansicht des Senats bieten auch die von Beklagtenseite in der Sitzung vom 10.11.2002 durch Vorlage des Arztberichtes vom 05.06.1999 (Bl. 230/231) beschriebenen linksseitigen Verletzungen (Prellmarke linkes Knie, linkes Becken, Monokelhämatom links) für sich genommen keine Anknüpfungstatsachen für ein Erfassen der Klägerin von der Seite. Nachdem der Sachverständige F. beschrieben hat, in welchen Phasen sich ein solcher Auffahrunfall mit Fußgängern vollzieht (Erfassen, Aufladen, Hinunterschleudern/Abbau der Energie, die sich vom Pkw auf den Körper des Fußgängers beim Aufladen übertragen hat durch Hinwegrutschen des Körpers auf der Fahrbahn), erscheint es dem Senat als ausgeschlossen, dass einzelne Verletzungen der Klägerin einem seitlichen Anstoßen zum Zeitpunkt der Kollision zugeordnet werden können. Der Senat sieht sich deshalb bereits aus diesem Grunde nicht veranlasst, dem in der letzten Sitzung erstmals gestellten Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Frage, ob es anhand des Verletzungsmusters ausgeschlossen werden könne, dass die Klägerin frontal durch den Pkw des Beklagten Ziff. 1 angestoßen wurde, nachzugehen. Dieser Beweisantrag ist im Übrigen, nachdem bereits in der Sitzung vom 11.07.2002 (Bl. 52 d. A.) der Gesichtspunkt eines gerichtsmedizinischen Gutachtens zur Auswertung der entsprechenden Verletzungsmuster zum Erstkontaktzeitpunkt (siehe Protokoll vom 11.07.2002, Bl. 52 d. A.) erörtert wurde und die damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagtenseite dies nicht zum Anlass nahmen, einen entsprechenden Beweis anzutreten, gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO als verspätet zurückzuweisen.
Der Senat schließt sich auch den Ausführungen des Sachverständigen an, wonach aus der Querwurfweite nicht zwingend ableitbar sei, dass eine Querbewegung der Fußgängerin von rechts nach links gegenüber der Fahrlinie des Pkw vorlag, als es zum Unfallgeschehen kam. Querwurfweiten sind zwar ein Hinweis auf eine mögliche Querbewegung, aber keine Ausschließlichkeitsindizien (Bl. 51 d. A.).
Auch die Tatsache, dass der Beklagte Ziff. 1 die Klägerin früher (aus einer Entfernung von 43 m) wahrgenommen hat, als er sie nach den (ursprünglichen) Berechnungen des Sachverständigen F., der von 40 m ausgegangen ist, wahrnehmen hätte können, spricht nicht dafür, dass die Klägerin von rechts nach links in die Fahrbahn hineingesprungen ist. Diese Ungereimtheit hat der Sachverständige in der Sitzung vom 10.11.2003 plausibel ausgeräumt, in dem er dargelegt hat, dass die Klägerin zum Unfallzeitpunkt unter ihrer 3/4 langen Hose weiße Socken trug, was ihre Erkennbarkeit erhöht habe.
Die Aussagen der Zeugen S., O. und Fr. anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung sind zwar zur Frage, wo sich die Klägerin unmittelbar vor dem Unfall befand und ob sie unvermittelt von rechts in den Sichtbereich des Beklagten Ziff. 1 eingetreten sind, schlicht unergiebig. Sie sind jedoch ein Indiz dafür, dass die Klägerin nicht davor zurückschreckte, auch die Fahrbahnmitte aufzusuchen, trotz des völlig unvernünftigen Risikos, das jemand eingeht, der auf einer Landstraße bei Dunkelheit in der Mitte geht, ihr also ein solches Verhalten nicht wesensfremd ist. Denn die Klägerin ist lt. Aussage der Zeugen S. und O. (Bl. 8, 12 der Ermittlungsakte) ihnen mitten auf der Fahrbahn entgegen gekommen.
c) Der Beklagte Ziff. 1 ist mit einer den entsprechenden Sichtverhältnissen unangepasst hohen Geschwindigkeit gefahren. Auch insoweit schließt sich der Senat den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen F. an. Dieser hat unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse (Gefälle der Straße, Querneigung der Straße) und der individuellen Ausstattung des Fahrzeugs des Beklagten Ziff. 1, bei dem Abblendlicht eingeschaltet war, und der Möglichkeit, dass die Klägerin in der Fahrbahnmitte nicht nur stand, sondern sich auf das Fahrzeug des Beklagten zu bewegte, errechnet, dass der Unfall vom Beklagten Ziff. 1 lediglich bei einer Geschwindigkeit von 66 km/h bei einer Erkennbarkeit der Klägerin aus einer Entfernung von jedenfalls 40 m vermeidbar gewesen wäre. Aus den Bremsspuren hat der Sachverständige jedoch eine Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten Ziff. 1 von 75-80 km/h ermittelt, weshalb der Beklagte Ziff. 1 zu schnell unterwegs war.
Der Kraftfahrer hat seine Geschwindigkeit so einzurichten, dass er sein Kraftfahrzeug innerhalb der überschaubaren Strecke rechtzeitig vor einem Hindernis, das sich auf einer Fahrbahn befindet, ohne gefährliche Vollbremsung anhalten kann (ständige Rechtsprechung BGH NJW-RR 1987, 1235). Der Fahrer eines Kraftfahrzeuges hat seine Geschwindigkeit so einzurichten, dass er sein Fahrzeug innerhalb der Reichweite seiner Scheinwerfer anzuhalten im Stande ist. Der Anhalteweg darf nicht größer sein als die Sichtweite der einsehbaren Strecke (§ 3 Abs. 1 Satz 1, 4 StVO). Bei Dunkelheit (§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVO) muss der Kraftfahrer seine Fahrweise so einrichten, dass er sein Fahrzeug auch noch vor einem unbeleuchteten Hindernis anhalten kann. Der Kraftfahrer muss stets mit für ihn überraschend auf der Fahrbahn befindlichen Hindernissen rechnen. Das Sichtfahrtgebot hat gerade seine Rechtfertigung darin, dass der Kraftfahrer bei Dunkelheit seine Fahrweise so einrichten muss, dass er sein Fahrzeug auch noch bei einem unbeleuchteten Hindernis rechtzeitig anhalten kann (vgl. BGH NJW-RR 1987, 1235 für einen unbeleuchteten, auf der Straße liegen gebliebenen, mit Tarnanstrich versehenen Panzer, der nicht durch ein Warndreieck abgesichert war; BGH NJW 1984, 2412; BGH VersR 1965, 88). Auch ein Fußgänger stellt ein derartiges Hindernis dar (OLG Naumburg NZV 1999, 466; OLG Hamm, NJWE-VHR 1996, 10; Cramer, Straßenverkehrsrecht, Band I, 2. Aufl., 1977, § 3 StVO Rn. 36). Nicht ausgenommen sind also Hindernisse, deren Vorhandensein auf menschlichem Versagen beruhen. Einen Grundsatz, wonach mit solchen Hindernissen im Straßenverkehr niemand zu rechnen braucht, gibt es nicht. In diesen Fällen liegt zwar häufig überwiegendes Mitverschulden des anderen Beteiligten vor (z. B. bei Betrunkenen). Die Verpflichtung, auf Sicht zu fahren, kann durch ein verkehrswidriges Verhalten anderer Beteiligten nicht beseitigt werden, denn hätte sich ohne menschliches Verschulden ein Hindernis auf der Straße befunden, hätte man von dem Fahrer eine Geschwindigkeit verlangt, die ein rechtzeitiges Anhalten ermöglichte (Cramer a.a.O. m. w. N.).
Der Anhalteweg des Beklagten Ziff. 1 war hier nicht aufgrund besonderer Umstände verkürzt, etwa durch ein von der Seite her in den Anhalteweg geratenes Hindernis, mit dem der Auffahrende nicht rechnen konnte (BGH NJW-RR 1987, 1235). Dies wird insbesondere dann angenommen, wenn ein Fußgänger plötzlich von der Seite her in die Fahrbahn hineintritt (vgl. OLG Hamm NJWE-VHR 1996, 10, OLG München, NJW-RR 1986, 253, OLG Karlsruhe VersR 1989, 302). Wer auf Sicht fährt, braucht nicht damit zu rechnen (und seine Geschwindigkeit und/oder Aufmerksamkeit danach einzurichten), dass innerhalb der einsehbaren Strecke von der Seite her ein vorhersehbares Hindernis eindringt, vor dem er nicht mehr anhalten kann. Wie dargestellt, hat die Beklagtenseite, die für diese Ausnahme vom Sichtfahrtgebot darlegungs- und beweispflichtig ist (vgl. Thüringer OLG NZV 2002, 464) diesen Beweis nicht geführt.
Die Klägerin war von ihrer Bekleidung her (helle Bluse, rote Jacke, weiße Socken) nicht atypisch schwer erkennbar (vgl. BGH NJW 1984, 2412 mit entsprechenden Rechtsprechungsnachweisen zur Frage, wann ein Hindernis ungewöhnlich schwer erkennbar ist).
III.
Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 Satz 1 ZPO und der Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aufgrund der §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO zurückzuweisen.
IV.
Der Schriftsatz der Beklagten vom 28.11.03 samt Anlage gibt keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.
V.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (vgl. § 543 Abs.2 ZPO).