Bundessozialgericht
Az.: B 9/9a SB 2/07 R
Urteil vom 05.07.2007
Vorinstanzen:
Sozialgericht Dortmund, Az.: S 32 SB 323/00, Urteil vom 27.02.2002
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Az.: L 7 SB 164/04, Urteil vom 26.01.2006
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Januar 2006 aufgehoben, soweit es die Feststellung des Grades der Behinderung für die Zeit ab April 2001 betrifft.
In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger nach einer Wohnsitzverlegung ins Ausland noch einen Anspruch auf Feststellung des Grades seiner Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertenrecht hat.
Der 1947 geborene Kläger war bis 2001 in I. /Nordrhein-Westfalen wohnhaft. Bei ihm war zuletzt wegen „Oberschenkelatrophie links, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Bandscheibenerniedrigung im Lendenwirbelsäulenbereich, Osteoporose, Schultergelenksverschleiß rechts, Funktionsbehinderung rechtes Ellenbogengelenk, Arthrose linkes Fußgelenk, Hüftgelenksverschleiß beiderseits“ ein GdB von 40 festgestellt worden (Bescheid des Versorgungsamtes Soest vom 25.6.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes Nordrhein-Westfalen vom 7.11.1997).
Im Mai 2000 beantragte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB, was vom Versorgungsamt Soest abgelehnt wurde (Bescheid vom 19.7.2000). Der Widerspruch hiergegen war erfolglos (Widerspruchsbescheid des Versorgungsamtes Nordrhein-Westfalen vom 28.9.2000). Während des anschließenden Klageverfahrens gegen das Land Nordrhein-Westfalen teilte der Kläger im März 2001 mit, dass er sich für einige Zeit im Ausland aufhalten werde. Die weitere Korrespondenz führte er aus Pesaro, Italien. Gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 27.2.2002 hat der Kläger Berufung eingelegt und im weiteren Verfahren bestätigt, dass sein Aufenthalt in Italien auf Dauer angelegt sei.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat den Freistaat Bayern zum Rechtsstreit beigeladen (Beschluss vom 24.7.2003) und die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 26.1.2006). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Für die Zeit ab April 2001 sei die Berufung unzulässig, weil der Kläger infolge der Wohnsitzverlegung ins Ausland kein Feststellungsinteresse mehr habe. Für die Zeit davor sei die Berufung unbegründet, weil das Land Nordrhein-Westfalen zu Recht die Feststellung eines höheren GdB abgelehnt habe; es sei seit der letzten Feststellung keine wesentliche Änderung eingetreten.
Dagegen hat der Kläger die vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassene – auf die Feststellung des GdB für die Zeit ab April 2001 beschränkte – Revision eingelegt. Das BSG hat den seiner Ansicht nach schon im erstinstanzlichen Verfahren eingetretenen Beteiligtenwechsel vollzogen, indem es den Freistaat Bayern als Beklagten an die Stelle des Landes Nordhrein-Westfalen gesetzt hat.
Der Kläger rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das LSG habe zu Unrecht den im Revisionsverfahren noch streitgegenständlichen Teil der Berufung als unzulässig verworfen. Insoweit habe es das Klagbegehren falsch ausgelegt. Er habe keine Feststellungsklage, sondern eine Verpflichtungsklage erhoben; für letztere bedürfe es keines gesonderten Feststellungsinteresses. Darüber hinaus sei § 69 SGB IX verletzt. Der Anspruch auf Feststellung des GdB werde vom Territorialitätsprinzip des § 2 Abs. 2 SGB IX nicht erfasst. Vielmehr könne auch ein im Ausland lebender Deutscher ein berechtigtes Interesse an der Feststellung des GdB haben, wenn er zB im Inland einkommenssteuerpflichtig sei; dies müsse auch für im Ausland lebende Ausländer gelten.
Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.1.2006 aufzuheben, soweit es die Feststellung des GdB für die Zeit ab April 2001 betrifft, und die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.1.2006 aufzuheben, soweit es die Feststellung des GdB für die Zeit ab April 2001 betrifft, und die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Auch er ist der Ansicht, dass das LSG in der Sache hätte entscheiden müssen. Denn auch für im Ausland lebende Antragsteller könne ein rechtliches Interesse an der Feststellung nach § 69 SGB IX bestehen. Dies liege zB bei einer Steuerpflicht im Inland oder bei einer geplanten Antragstellung auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen vor. Allerdings reiche nicht ein abstraktes Interesse aus, weil bei jedem Menschen theoretisch die Möglichkeit bestehe, dass er in Deutschland steuerpflichtig werden könne. Erforderlich sei vielmehr ein konkretes, vom Antragsteller nachzuweisendes Interesse.
II.
1.
Beteiligte des Revisionsverfahrens sind nunmehr allein der Kläger und der Freistaat Bayern als Beklagter. Das Land Nordrhein-Westfalen ist durch einen Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes aus dem Verfahren ausgeschieden und als Beklagter durch den früheren Beigeladenen ersetzt worden. Denn Letzterer ist spätestens zum 1.7.2001 für den Kläger zuständig geworden.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Dabei ist das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) entsprechend anzuwenden, soweit nicht das SGB X Anwendung findet (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Nach den bindenden Feststellungen des LSG hat der Kläger seit April 2001 seinen dauerhaften Wohnsitz in Italien genommen. Sofern dies nach der vom 1.1.1976 bis zum 30.6.2001 geltenden Fassung des § 3 Abs. 1, 5 KOVVfG (noch) nicht zur Zuständigkeit des (jetzigen) Beklagten geführt hat, ist jedenfalls mit der Änderung jener Vorschrift (Wegfall des Abstellens auf den Zeitpunkt des Antrages) durch Art 49 Nr. 1 SGB IX vom 19.6.2001 (BGBl I, 1046) ein Zuständigkeitswechsel eingetreten. Nunmehr ist nach § 3 Abs. 5 KOVVfG iVm § 1 Abs. 1 Buchst g Verordnung über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung für Berechtigte im Ausland (AuslZustV) vom 28.5.1991 (BGBl I,1204) das Versorgungsamt München I für die Feststellung des GdB des Klägers zuständig geworden; dieses ist eine Behörde des Freistaates Bayern (vgl. §§ 1, 3 Gesetz über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung (ErrG) vom 12.3.1951 (BGBl I, 169), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3.5.2000 (BGBl I, 632)).
Die Übergangsregelung des Art 67 SGB IX ist nicht einschlägig, weil es sich bei der begehrten Feststellung nicht um eine „Leistung“ handelt. Vorrangige Bestimmungen des SGB X über die örtliche Zuständigkeit greifen ebenfalls nicht ein. Insbesondere kommt kein Verbleiben des Verfahrens beim Land Nordrhein-Westfalen nach § 2 Abs. 2 SGB X in Betracht. Denn es fehlt neben der Zustimmung der übernehmenden Behörde (vgl. dazu Engelmann in von Wulffen, SGB X, § 2 RdNr. 10) sowohl an der Zweckmäßigkeit des Verbleibens als auch am Interesse des Klägers. Schon aus praktischen Erwägungen ist die Bearbeitung des Verwaltungsverfahrens durch Behörden des jetzigen Beklagten in unmittelbarer Nachbarschaft zu Italien angezeigt, da zu erwarten steht, dass der Kläger auf absehbare Zeit seinen dortigen Wohnsitz beibehalten wird.
Dieser Wechsel in der Behördenzuständigkeit führt im vorliegenden Gerichtsverfahren zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 8.5.2007 – B 12 SF 3/07 S – juris RdNr. 4; zur vergleichbaren Rechtslage vor dem 1.1.1976 vgl. BSGE 27, 200, 203 = SozR Nr. 3 zu § 71 SGG; BSGE 62, 269, 270 = SozR 1200 § 48 Nr. 14 S 72; für die Fälle der Funktionsnachfolge ebenso BVerwGE 44, 148, 150). Soweit der Senat für die Zeit nach dem 1.1.1976 und vor dem 1.7.2001 einen solchen Beteiligtenwechsel verneint hat (SozR 3-3100 § 89 Nr. 4 S 12), beruht dies auf der zwischenzeitlich geänderten Fassung des § 3 Abs. 1 KOVVfG (vgl. hierzu auch den Beschluss des BSG vom 25.10.2004 – B 7 SF 20/04 S – juris RdNr 8 f). Die Annahme eines Beklagtenwechsels kraft Gesetzes gilt uneingeschränkt allerdings nur für kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen. Denn mit diesen wird idR ein auch in die Zukunft gerichtetes Begehren verfolgt; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist in diesen Fällen die letzte mündliche Verhandlung (stRspr BSGE 41, 38, 40 = SozR 2200 § 1418 Nr. 2 S 2; BSGE 43, 1, 5 = SozR 2200 § 690 Nr 4 S 16 f = SGb 1977, 547; BSGE 87, 14, 17 = SozR 3-2500 § 40 Nr. 3 S 6 = Breith 2000, 1004, 1006 = SGb 2001, 632, 634 = NZS 2001, 357, 358; BSGE 89, 294, 296 = SozR 3-2500 § 111 Nr 3 S 16 f = Breith 2003, 14, 16; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 54 RdNr. 34). Zu diesem Zeitpunkt kann allein der im Lauf des Verfahrens zuständig gewordene Träger die begehrten Rechte gewähren, sodass sich die Klage richtigerweise gegen diesen zu richten hat. Anders sind hingegen reine Anfechtungsklagen zu beurteilen. Denn sie weisen allein in die Vergangenheit, nämlich auf den Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, RdNr 32 f mwN), und richten sich grundsätzlich gegen die den Bescheid erlassende Behörde (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 5.7.2007 – B 9/9a SB 2/06 R).
Dieser Beteiligtenwechsel, der durch den Umzug des Klägers bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens eingetreten ist, konnte auch noch im Revisionsverfahren praktisch vollzogen werden. Dem steht auch nicht § 168 SGG entgegen, weil ein solcher Beteiligtenwechsel keine Klageänderung darstellt (BSG, Beschluss vom 7.8.1970 – 9 RV 262/70 – KOV-Mitt BE 1971, 32). Durch den nunmehr umgesetzten Beteiligtenwechsel wird dem neuen Beklagten auch nicht die Prozessführung erheblich erschwert; denn er war bereits im Berufungsverfahren beigeladen und konnte dort – praktisch wie ein Beklagter (vgl. § 75 Abs. 5 SGG) – auf den Verfahrensablauf Einfluss nehmen (vgl. zu diesem Erfordernis BSG SozR 3-3900 § 4 Nr. 2 S 4).
2.
Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG) begründet. Das angefochtene Urteil des LSG leidet an einem Verfahrensmangel, den der Kläger zu Recht gerügt hat. Im Übrigen reichen die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.
Mit seiner Rüge, das LSG habe die Berufung zu Unrecht teilweise als unzulässig verworfen, macht der Kläger geltend, dass insoweit statt des Prozessurteils ein Urteil in der Sache hätte ergehen müssen. Damit hat er einen Verfahrensfehler bezeichnet (BSGE 34, 236, 237 = SozR Nr. 57 zu § 51 SGG; BSG SozR 1500 § 144 Nr. 1 S 1 = Breith 1974, 909). Diese Verfahrensrüge greift auch durch, weil das LSG zu Unrecht nicht in der Sache entschieden hat. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob das LSG – hinsichtlich der im Revisionsverfahren noch streitgegenständlichen GdB-Feststellung für die Zeit ab April 2001 – die Berufung oder die Klage für unzulässig gehalten hat. Einerseits hat das LSG ausdrücklich die Berufung als unzulässig bezeichnet; andererseits ergibt sich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, dass das LSG die Zulässigkeit der Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses verneint hat. Sowohl Berufung als auch Klage sind zulässig.
An der Zulässigkeit der Berufung besteht – auch zwischen den Beteiligten – kein Zweifel. Sie ist statthaft und frist- sowie formgerecht eingelegt worden. Zudem ist der Kläger durch den klagabweisenden Ausspruch des SG-Urteils beschwert (vgl. BSGE 80, 97 f = SozR 3-3870 § 4 Nr. 18 S 71; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, Vor § 143 RdNr. 5a mwN).
Die Klage ist ebenfalls zulässig. Entgegen der Ansicht des LSG fehlt es auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis des Klägers. Zwar ist eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den angefochtenen Verwaltungsakt (VA) oder dessen Ablehnung beschwert, also in seinen eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Für die Zulässigkeit einer Klage reicht es aber schon aus, dass eine Verletzung in eigenen Rechten möglich ist; ob sie tatsächlich vorliegt, ist Frage der Begründetheit (Pawlak in Hennig, SGG, § 131 RdNr. 9 f; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, RdNr 16; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, IV RdNr 8; Castendiek in Hk-SGG, § 54 RdNr. 80 f). An die Substantiierungspflicht dürfen dabei keine zu großen Anforderungen gestellt werden (BSGE 68, 291, 292 = SozR 3-1500 § 54 Nr. 7 S 12; BSGE 62, 231, 232 = SozR 2200 § 368b Nr. 4 S 2 mwN). Es genügt, wenn der Kläger die Beseitigung einer in seine Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme anstrebt, von der er behauptet, sie sei nicht rechtmäßig (BSGE 90, 127, 130 = SozR 3-5795 § 10d Nr. 1 S 4). Aus dem klägerischen Vorbringen ergibt sich mit ausreichender Deutlichkeit, dass er das Vorliegen eines höheren GdB und der Schwerbehinderteneigenschaft behauptet und hieraus weitergehende Vorteile für sich geltend macht. Er ist der Ansicht, dass sein Wohnsitz in Italien diesem Begehren nicht entgegensteht. Dies reicht für die Bejahung der Zulässigkeitsvoraussetzung des § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG aus.
Zwar ist der Senat dadurch, dass die Vorinstanz verfahrensfehlerhaft eine Sachentscheidung unterlassen hat, nicht gehindert, selbst über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch in der Sache zu entscheiden. Dafür mangelt es jedoch an hinreichenden Tatsachenfeststellungen.
Der im Wege der Neufeststellung nach § 48 SGB X geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Anerkennung eines höheren GdB richtet sich bis zum 30.6.2001 nach §§ 3, 4 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) und ab 1.7.2001 nach § 69 SGB IX. Da das SchwbG gemäß § 68 Nr. 2 SGB I in der bis zum 30.6.2001 geltenden Fassung vom 21.12.2000 (BGBl I, 1983) als besonderer Teil des SGB gilt, ist für die Anwendung beider Gesetze im vorliegenden Fall § 30 SGB I maßgebend. Dieser bestimmt in seinem Abs. 1, dass die Vorschriften des SGB für alle Personen gelten, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. § 30 Abs. 3 SGB I) nicht in Deutschland, sondern in Italien. Dementsprechend kann er sich grundsätzlich nicht auf die Regelungen des SchwbG und SGB IX berufen. Dies gilt jedoch nur, soweit sich aus diesen Gesetzen nichts Abweichendes ergibt (vgl. § 37 Satz 1 SGB I; dazu zB Schlegel in juris-PK SGB I § 30 RdNr. 10).
Solche abweichenden Regelungen sind zB § 1 SchwbG bzw. § 2 Abs. 2 SGB IX, soweit sie für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft eine Beschäftigung auf einem inländischen Arbeitsplatz ausreichen lassen. Diese Ausnahme liegt darin begründet, dass die Schwerbehinderteneigenschaft einen besonderen Schutz am Arbeitsplatz (§§ 5 ff SchwbG bzw. §§ 71 ff SGB IX) nach sich zieht, der auch Grenzgängern zugute kommen soll (BT-Drucks 7/656 S 24). Entgegen der Ansicht des Beklagten sind § 1 SchwbG bzw. § 2 Abs. 2 SGB IX hier allerdings nicht einschlägig, weil die Feststellung eines GdB nach § 4 Abs. 1 SchwbG bzw. § 69 SGB IX nicht mit der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gleichzusetzen ist (so schon Vergleichsvorschlag des BSG Breith 2003, 71, 77); sie kommt insbesondere auch für behinderte Menschen in Betracht, die nicht schwerbehindert sind. Ebenso ermöglicht sie die Berücksichtigung eines GdB von über 50.
Zwar enthalten § 4 Abs. 1 SchwbG und § 69 SGB IX keine ausdrücklichen Ausnahmebestimmungen zu dem in § 30 Abs. 1 SGB I verankerten Territorialitätsprinzip, nach Auffassung des erkennenden Senats ergibt sich jedoch aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften etwas Abweichendes iS von § 37 Satz 1 SGB I (vgl. dazu allg. Seewald in Kasseler Komm, § 37 SGB I RdNr. 5). Die Feststellung des GdB hat eine dienende Funktion. Sie gewinnt erst dadurch Bedeutung, dass sie als Statusfeststellung auch für Dritte verbindlich ist (vgl. BSGE 52, 168, 172 = SozR 3870 § 3 Nr. 13 S 31; BSGE 69, 14, 17 = SozR 3-1300 § 44 Nr. 3 S 9) und die Inanspruchnahme von sozialrechtlichen, steuerrechtlichen, arbeitsrechtlichen, straßenverkehrsrechtlichen und anderen Vorteilen ermöglicht. Das durch eine Feststellung nach § 4 SchwbG bzw. § 69 SGB IX gewährte subjektive soziale Recht berührt den Rechtskreis des Antragstellers also immer dann, wenn sich hieraus weitere Rechte im Inland ergeben können. Soweit es derartige rechtliche Vorteile gibt, die nicht an einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, sondern an einen andersartigen Inlandsbezug anknüpfen, erfordert es schon der Grundsatz der Gleichbehandlung und der Einheit der Rechtsordnung, dass die betreffenden Personen eine Feststellung iS von § 4 SchwbG bzw. § 69 SGB X beanspruchen können (vgl. dazu Vergleichsvorschlag BSG Breith 2003, 71, 77).
Allerdings kann ein im Ausland wohnender Behinderter das Feststellungsverfahren nach § 4 SchwbG bzw. § 69 SGB IX nur zur Ermöglichung konkreter inländischer Rechtsvorteile in Anspruch nehmen. Geht es nur um den Nachweis einer Behinderung gegenüber ausländischen Stellen, kann der behinderte Mensch auf die Möglichkeit entsprechender Feststellungen durch die für seinen Wohnort im Ausland zuständigen Stellen verwiesen werden. Ebenso wenig reicht insofern eine abstrakte, also rein theoretische Möglichkeit der Inanspruchnahme rechtlicher Vorteile im Inland aus (so aber Sächsisches LSG, Urteil vom 21.12.2005 – L 6 SB 5/04 – juris). Vielmehr lässt sich eine Durchbrechung des Territorialitätsprinzips (§ 30 Abs. 1 iVm § 37 Satz 1 SGB I) nur rechtfertigen, wenn dem behinderten Menschen trotz seines ausländischen Wohnsitzes aus der Feststellung seines GdB in Deutschland konkrete Vorteile erwachsen können.
Im Falle des Klägers, der sich dauerhaft außerhalb des Geltungsbereiches des SGB IX aufhält und bei dem deshalb ein für die Feststellung seines GdB ausreichender Inlandsbezug nicht ohne weiteres gegeben ist, kommen nach diesen Grundsätzen mehrere innerstaatliche Vergünstigungen in Betracht, die eine Einschränkung des Territorialitätsprinzips rechtfertigen können.
So ist nach Aktenlage nicht ausgeschlossen, dass er während seines langjährigen Aufenthaltes in Deutschland eine Anwartschaft auf eine gesetzliche Rente erworben hat. Dann wäre ein für das Feststellungsverfahren nach § 4 SchwbG bzw § 69 SGB IX erforderlicher Inlandsbezug dadurch gegeben, dass bei ihm eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen (§ 37 SGB VI) in Betracht käme. Über den hierfür erforderlichen GdB von 50 kann nur im Verfahren nach § 69 SGB IX – auch für den Rentenversicherungsträger bindend – entschieden werden (BSGE 52, 168, 172 = SozR 3870 § 3 Nr. 13 S 31; Masuch in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, K § 69 SGB IX RdNr 15). Zwar setzt § 37 Nr. 2 SGB VI wegen des Verweises auf § 2 Abs. 2 SGB IX grundsätzlich einen Arbeitsplatz, Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland voraus. Aus Gründen des vorrangigen EU-Rechts ist jedoch davon auszugehen, dass ein Wohnsitz in Italien einem Wohnsitz im Inland gleichgestellt ist; denn es handelt sich bei der Inanspruchnahme von Versicherungsansprüchen innerhalb der Europäischen Union (EU) um die Verwirklichung der Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit, sodass in diesen Fällen der fehlende Inlandsaufenthalt einer Altersrente nach § 37 SGB VI nicht entgegensteht (vgl. Niesel in Kasseler Komm, § 37 SGB VI RdNr 6; Klattenhoff in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, K § 37 SGB VI RdNr 9; zur Verwaltungspraxis vgl. Schindler in Kompass 1993, 588, 589).
Des Weiteren kommt auch die Inanspruchnahme des in seiner Höhe vom GdB abhängigen Schwerbehindertenpauschbetrages nach § 33b Abs. 1 bis 3 Einkommensteuergesetz (EStG) in Betracht, sofern der Kläger im Inland unbeschränkt steuerpflichtig iS von § 1 Abs. 2, 3 EStG ist, weil er Einkommen im Inland zB in Form von Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung oder Kapitalanlagen erzielt (zur Geltendmachung bei Wohnsitz im Ausland vgl. BFHE 135, 73; BFHE 210, 141).
Da das LSG keine Feststellungen zu einem in der Zeit ab April 2001 noch vorhandenen Inlandsbezug des Klägers getroffen hat, lässt sich derzeit noch nicht abschließend beurteilen, ob der Kläger überhaupt einen Anspruch auf Feststellungen nach § 4 SchwbG bzw § 69 SGB IX für den streitbefangenen Zeitraum hat. Sollte das LSG feststellen können, dass der Auslandswohnsitz des Klägers seinem Begehren nicht entgegensteht, ist weiter zu prüfen, ob der Kläger nach seinen gesundheitlichen Gegebenheiten ab April 2001 die Feststellung eines höheren GdB beanspruchen kann. Da der erkennende Senat die noch erforderliche ergänzende Sachverhaltsaufklärung im Revisionsverfahren nicht nachholen darf (§ 163 SGG), ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (vgl. § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.