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Gerichtsstandsbestimmung – Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses – Willkür

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 1 AR 35/19 (SA Z) – Beschluss vom 04.12.2019

Zuständig ist das Landgericht Neubrandenburg.

Gründe

I.

Der Kläger ist Eigentümer eines im Jahr 2011 erstmals zugelassenen Kraftfahrzeugs des Typs … und nimmt die Beklagte mit einer am 17. Februar 2019 beim Landgericht Potsdam eingegangenen Klage vor dem Hintergrund des sogenannten Abgasskandals auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch.

Mit der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens am 19. März 2019 wies das Landgericht Potsdam die Parteien auf Bedenken gegen seine Zuständigkeit hin, woraufhin die Beklagte mit Schriftsatz vom 11. April 2019 ankündigte, im Termin zur mündlichen Verhandlung keine Zuständigkeitsrüge zu erheben. Nachdem der zuständige Einzelrichter die Parteien mit Verfügung vom 12. April 2019 darauf hingewiesen hatte, dass im Falle einer rügelosen Einlassung aufgrund der unzureichenden Personalsituation des Landgerichts mit einer deutlichen Verfahrensverzögerung zu rechnen sei, und auf diesen Hinweis bei der am 11. Mai 2019 erfolgten Terminierung erneut Bezug genommen hatte, beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 27. Juni 2019 die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Neubrandenburg.

Daraufhin hat sich das Landgericht Potsdam mit Beschluss vom 9. Juli 2019 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Neubrandenburg verwiesen. Mit Beschluss vom 15. Juli 2019 hat sich das Landgericht Neubrandenburg ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Sache an das Landgericht Potsdam zurückgegeben, das das Verfahren mit Beschluss vom 23. Juli 2019 an das Landgericht Neubrandenburg zurückgereicht hat. Daraufhin hat das Landgericht Neubrandenburg die Sache mit Beschluss vom 30. Juli 2019 dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

Auf die Vorlage durch das Landgericht Neubrandenburg ist dessen Zuständigkeit für den vorliegenden Rechtsstreit auszusprechen.

1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, weil das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der an dem Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichte der Bundesgerichtshof ist und das zum Bezirk des Brandenburgischen Oberlandesgerichts gehörende Landgericht Potsdam zuerst mit der Sache befasst war.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Landgericht Potsdam als auch das Landgericht Neubrandenburg haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für unzuständig erklärt, und zwar ersteres durch den Verweisungsbeschluss vom 9. Juli 2019 und letzteres durch den Beschluss vom 15. Juli 2019. Beide Entscheidungen genügen den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekanntgemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat, NJW 2004, 780; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Auflage, § 36 Rn. 35).

3. Örtlich zuständig ist das Landgericht Neubrandenburg.

Seine Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts Potsdam vom 9. Juli 2019, § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Aufgrund dieser klaren gesetzlichen Regelung kann die Bindungswirkung einer solchen Entscheidung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-) Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), entfallen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verweisungsbeschluss nur dann nicht verbindlich, wenn er auf Willkür beruht. Hierfür genügt es aber nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt (BGH, NJW-RR 2002, 1498; BGH, NJW 1993, 1273). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständig erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 29, 45, 49). Im Interesse einer baldigen Klärung und der Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei aber hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler, wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (BGH, NJW-RR 2011, 1364, 1365; vgl. Senat, NJW 2006, 3444, 3445; eingehend ferner Tombrink, NJW 2003, 2364 m.w.N.).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Potsdam nicht willkürlich und daher bindend.

Der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör ist beachtet worden. Das Landgericht Potsdam hat die Parteien wiederholt auf Bedenken gegen seine Zuständigkeit hingewiesen, woraufhin der Kläger schließlich einen entsprechenden Verweisungsantrag gestellt hat.

Der Verweisungsbeschluss entbehrt auch nicht jeglicher gesetzlichen Grundlage, weil am Ort des Landgerichts Neubrandenburg der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO begründet ist. Begehungsort im Sinne dieser Vorschrift ist nicht nur der Handlungsort als der Ort, an dem das schadensbegründende Ereignis veranlasst wurde, sondern auch der Erfolgsort, an dem das Schadensereignis eingetreten ist, sofern – wie im vorliegenden Fall – der Schadenseintritt zum Tatbestand der Rechtsverletzung gehört (Münchener Kommentar/Patzina, ZPO, 5. Auflage, § 32 Rn. 20). Der Kläger hat, worauf er mit Schriftsatz vom 27. Juni 2019 ausdrücklich hingewiesen hat, auch bereits zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs in Neubrandenburg gewohnt, so dass dort am Ort des belegenen Vermögens der Schaden eingetreten ist (vgl. BGH, NJW 1996, 1411, 1413; Senat, Beschluss vom 23. April 2018, Az.: 1 AR 6/18 (Sa Z); Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Auflage, § 32 Rn. 19; Münchener Kommentar/Patzina, ZPO, 5. Auflage, § 32 Rn. 20).

Hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme eines Gerichtsstands nach § 32 ZPO am Landgericht Potsdam liegen hingegen nicht vor. Insbesondere kann dem insoweit maßgeblichen Vorbringen des Klägers nicht entnommen werden, dass er das streitgegenständliche Fahrzeug im Bezirk dieses Gerichts erworben hat. Soweit das Landgericht Potsdam darauf verzichtet hat, diese zur abschließenden Beurteilung seiner eigenen Zuständigkeit maßgeblichen Gegebenheiten durch Erteilung geeigneter Hinweise an den Kläger aufzuklären, stellt dies allenfalls einen einfachen Rechtsfehler dar, lässt die getroffene Entscheidung aber nicht als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen (vgl. BGH, NJW-RR 2011, 1364, 1365).

Eine fehlende Bindungswirkung der Verweisung folgt schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte schriftsätzlich angekündigt hat, sich rügelos zur Sache einzulassen und dadurch gemäß § 39 Satz 1 ZPO eine Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu begründen. Die beklagte Partei erhält durch die Erhebung einer Klage vor einem örtlich oder sachlich unzuständigen Gericht kein dahingehendes prozessuales Gestaltungsrecht, dass es nunmehr allein in ihrer Hand liegt, die Zuständigkeit des Gerichts durch rügelose Einlassung zu begründen (OLG Zweibrücken, MDR 2010, 832, 833). Darüber hinaus kann eine rügelose Einlassung gemäß § 39 Satz 1 ZPO nur im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erfolgen; eine entsprechende Ankündigung bis zu diesem Zeitpunkt ist nicht bindend (BGH, NJW-RR 2013, 764 Rn. 10; KG, NJOZ 2016, 778 Rn. 12).

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